MA Reto Caluori
Kommunikation & Marketing
Universität Basel
27.08.2013 16:01
Was macht Geld so unentbehrlich für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft? Ein internationales Forscherteam aus der Schweiz, Italien und den USA hat in einer Studie gezeigt, wie Geld es in modernen Gesellschaften ermöglicht, das Prinzip der Kooperation zwischen Fremden zu sichern. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» veröffentlicht.
Das menschliche Überleben hing schon immer von Kooperation ab: Unsere Vorfahren lebten in kleinen, eng zusammengehörigen Gruppen, in denen sich die einzelnen Individuen gegenseitig aushalfen. Dieses Prinzip der Reziprozität scheint aber im Widerspruch mit modernen Gesellschaften, in der Millionen von einander völlig fremden Menschen zusammenleben.
Ein Team um Prof. Gabriele Camera (Universität Basel/Chapman University) hat dazu eine Reihe von Experimenten durchgeführt, wie sie in der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» berichten. Um den Grad an Kooperation zwischen Fremden zu messen, konfrontierten die Wissenschaftler die Versuchsteilnehmenden wiederholt mit der Möglichkeit, einem anonymen Gegenüber zu helfen, auch wenn dadurch eigene Kosten entstehen. Die Wahl zu helfen basierte einzig auf dem Vertrauen, dass die gute Tat in der Zukunft von einem anderen Unbekannten erwidert würde. Um diesen kooperativen Prozess zu erleichtern, konnten die Teilnehmenden das Verhalten der ganzen Gruppe überwachen.
Grössere Gruppen kooperieren weniger
In einem nächsten Schritt veränderten die Wissenschaftler die Gruppengrösse mit dem Ergebnis, dass mit zunehmender Grösse der Gruppe das Vertrauen und die Kooperation abnahmen. Dies änderte sich, als die Wissenschaftler grundsätzlich wertlose Chips in das Experiment einführten. Die Teilnehmenden begannen von sich aus, Hilfe mit Chips zu belohnen und im Gegenzug für geleistete Hilfe Chips zu verlangen. Der Austausch der Chips erleichterte also die Kooperation in grossen Gruppen, weil sie die Zuverlässigkeit des jeweiligen Gegenübers symbolisierten.
Verschiedene Arten von Vertrauen
Das Experiment zeigt, dass Geld einen Mechanismus darstellt, der das Prinzip der Kooperation in grossen Gruppen von Fremden stabilisiert. Der Austausch von symbolischen Objekten hielt die Kooperation aufrecht, weil die Teilnehmenden die Chips als Kompensation für ihre gute Tat sahen. «Das Faszinierende daran ist, dass der Gebrauch von Geld die Zusammenarbeit stärkt, indem er eine Art von Vertrauen mit einer anderen, stärkeren, sich selbsterhaltenden Art von Vertrauen ersetzt», erklärt Camera.
In den kleinen Gruppen ohne Chips hatte die gegenseitige freiwillige Hilfeleistung gut funktioniert. Der Gebrauch von Chips veränderte aber in kleinen Gruppen die Motivation der Teilnehmenden: Entweder wurde Hilfe gegen Chips geleistet, oder gar nicht. Der Gebrauch von Geld hat also die Kooperation in grossen Gruppen stabilisiert, sie aber in kleinen Gruppen verringert. Laut den Wissenschaftlern zeigen die Resultate, wie das Geldsystem unser Verhalten weit über rein wirtschaftliche Aspekte hinaus beeinflusst.
Originalbeitrag
G. Camera, M. Casari, M. Bigoni
Money and trust among strangers
PNAS (2013) | doi: 10.1073/pnas.1301888110
Weitere Auskünfte
• Prof. Dr. Gabriele Camera, Universität Basel, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, E-Mail: gabriele.camera@unibas.ch
• Prof. Dr. Gabriele Camera, Chapman University, Tel. +1 714 625 2806. E-Mail: camera@chapman.edu
Geld schuf das Vertrauen und nahm die Güte
Von Jürgen Langenbach
"Wenn das Geld das Band ist, das mich mit der Natur und dem Menschen verbindet, ist das Geld nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es darum nicht auch das allgemeine Scheidungsmittel? Es ist die wahre Scheidemünze wie das wahre Bindungsmittel, die galvanochemische Kraft der Gesellschaft.“ So umschrieb Karl Marx das Janusgesicht des von ihm so genannten „allseitigen Vermittlers“. Er meinte einerseits die befreiende Macht des Geldes – es macht von persönlichen Beziehungen und Launen unabhängig – und andererseits die dehumanisierende Macht des Geldes: Jeder wirft es nur als „Köder“ aus, um „das Wesen des anderen, sein Geld, an sich zu locken“.
Wie kam so ein Mirakel in die Welt? Die meisten Erklärungen setzten auf Handfestes: Geld sei erfunden worden, um Warenverkehr zwischen Personen zu ermöglichen, die in räumlicher und zeitlicher Distanz leben (und sich nicht mit ihren Produkten auf einem Marktplatz zum Tausch zusammenfinden können). Aber vielleicht steckt mehr dahinter, am Ende gar die Biologie? Das vermutet Gabriela Camela (Chapman University). Sie kommt zu einem ähnlichen Befund wie Marx, aber ohne Bezug auf ihn. Stattdessen geht sie der Frage nach, wie Menschen das sichern, was sie besser können als alle anderen: Kooperation und das Sich-verlassen-Können darauf, dass eine Leistung, die einer für andere erbringt, irgendwann mit einer Gegenleistung vergolten wird.
Seltene Beute wird freigiebig geteilt . . .
Das lief den größten Teil der Menschheitsgeschichte so, dass die Ahnen in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern herumzogen. Frauen (und Kinder) stellten mit Sammeln den Grundbedarf sicher, Männer gingen auf die Jagd. Und wenn einer von ihnen Glück gehabt hatte – das war eher selten –, dann gab er den anderen von der Beute ab, im Vertrauen darauf, bei der nächsten Gelegenheit auch etwas zu bekommen. Man kannte einander, man konnte einander auch ständig im Auge behalten (und gegenüber Kooperationsunwilligen Druck ausüben).
So ging das bis vor 11.000 Jahren. Dann wurden die Menschen sesshaft, die Siedlungen wuchsen, die Gemeinschaften wurden unübersichtlich, man brauchte als Vermittler Institutionen. Eine war das Geld. Es sicherte das Vertrauen und die Kooperation, als persönliche Bezüge das wegen der Gruppengröße nicht mehr konnten und die Menschen einander fremd wurden. Dann wechselte ihr Bezug von dem direkten zwischen Personen zu dem über den „allseitigen Vermittler“: „Einfach zusammengefasst vertrauten Fremde einander nicht, sondern sie legten ihr Vertrauen in ein symbolisches Objekt, das in Zirkulation gebracht werden konnte“, schließt Camera (Pnas, 26. 8.).
Diesen Schluss zieht sie aus Experimenten. Sie hat 448 Studenten ins Labor gebeten und in verschieden großen Gruppen – zwei bis 32 – ein „helping game“ spielen lassen: Ein Mitglied, Camela nennt es „producer“, hat etwas im Überschuss, fiktive „consumption units“ (CUs). Ihm gegenüber ist ein „consumer“, er hat keine CUs, leidet Mangel. Dem kann der „producer“ abhelfen, er kann dem „consumer“ etwas schenken. Dann werden ihm sechs CUs abgezogen. Dem „consumer“ hingegen werden zwölf gutgeschrieben (die Spielleitung vermehrt den Einsatz). Der „consumer“ ist also der Profiteur. Vorderhand nur er. Dann geht das Spiel in die nächste Runde, die Rollen werden getauscht (immer wieder). Nun können beide profitieren, wenn der Beschenkte sich revanchiert. Es ist ja nun mehr im Topf. Revanchiert er sich nicht, kann er sich seines Gewinns freuen, dem „producer“ bleibt der Schaden.
. . . aber nur in überschaubaren Gruppen
Trotzdem gingen 70,7 Prozent das Risiko ein, wenn die Gruppe aus nur zwei Personen bestand. In Vierergruppen taten es noch 49,1 %, bei acht sank die Rate auf 34,4, bei 32 auf 28,2 Prozent. Zu unübersichtlich war die Gruppe geworden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen sich nach dem Rollenwechsel in der nächsten Runde wieder begegneten, war von 100 Prozent in Zweiergruppen auf 3,2 Prozent bei 32 geschrumpft.
Da half es, als in der zweiten Runde des Experiments etwas völlig Wertloses ins Spiel kam: Spielfiguren („tokens“). Mit ihnen konnte sich ein Beschenkter bei einem Geber bedanken. Diese „tokens“ übernahmen bald die Schlüsselrolle, sie entwickelten sich zu – Geld. Und damit zum „Scheidungsmittel“: Wer mit „tokens“ bezahlen konnte, dem wurde gegeben, und zwar unabhängig von der Gruppengröße in 50,4 % der Fälle. Offenbar gelten auch in großen Gruppen „tokens“ als Garant für eine später fällige Gegengabe.
Und wer diese Garantie nicht bieten konnte – keine „tokens“ (mehr) hatte –, erhielt auch kein Vertrauen, keine CUs. „Damit haben wir auch die sozialen Kosten des Geldes entdeckt“, schließt Camera. „Als das Geld etabliert war, wurde die freiwillige Kooperation durch die Norm des Tauschens quid pro quo ersetzt. Die Institutionen von Geschenk und Geld gehen nicht zusammen, das Geld verdrängt das Geschenk.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen