Samstag, 31. August 2013

Die Schlacht am Harzhorn.

aus NZZ, 31. 8. 2013


Als die Römer die Germanen bestrafen wollten
 
Funde einer vergessenen Schlacht zeigen Vorstoss bis weit nach Norddeutschland

Die Schlacht am Harzhorn liegt bald 1800 Jahre zurück. Die Entdeckung des Schlachtfelds stellt eine archäologische Sensation dar. Jetzt werden die Funde in einer grossangelegten Landesausstellung gezeigt.

von Hendrik Feindt, Braunschweig

Der Erwartungsdruck auf dem Imperium lastet schwer. Einfälle der Germanen in römische Siedlungen und Lager am Limes haben sich zu abscheulichen Gemetzeln entwickelt. Der Kaiser und seine Mutter -- ein in der Cäsarengeschichte einmalig unzertrennliches Paar -- ziehen riesige Truppenteile in Mogontiacum, dem heutigen Mainz, zusammen. Dann suchen sie jedoch nach einer diplomatischen Lösung. Das Militär ist unzufrieden. Das Paar wird 235 n. Chr. ermordet und einer der Anstifter, Maximinus Thrax, zum neuen Kaiser berufen. Maximinus, mit 62 Jahren ein kampferfahrener Soldat, vollzieht eine regelrechte Strafexpedition, die sein Heer weit in den Norden, bis fast an die Elbe bringt. Gemessen nach Verwüstungen und Vernichtungen des Gegners muss sie äusserst erfolgreich gewesen sein. Doch auf dem Rückweg ins Winterlager geraten die Römer in einen Hinterhalt.
 
Germanien nicht tabu

Vieles von dieser Geschichte stand bereits seit Jahrhunderten in einer antiken Chronik. Nur vertrauten ihr die Historiker nicht, fehlten ihnen doch die Belege. Erst vor fünf Jahren, als im Juni 2008 ein Hobbyarchäologe im niedersächsischen Northeim eine eiserne Maultiersandale präsentiert, verdichten sich die Hinweise auf das bisher Undenkbare: Germanien jenseits von Main und Rhein war nicht tabu. Im 3. Jahrhundert sind römische Truppen in Norddeutschland gewesen. Der Fundort, das sogenannte «Harzhorn», ein steiler Abhang zwischen Hildesheim und Göttingen, wird rasch zu einem grossflächigen Grabungsgebiet erklärt, das Suchtrupps mit Metallsonden durchforsten.



Die Prospektion erweist sich als überaus ergiebig: 2700 vergleichsweise gut erhaltene und meist nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche des Waldbodens aufgespürte Fundstücke werden geborgen. Eine markante Auswahl ist derzeit in Braunschweig in einer reichhaltig instrumentierten Landesausstellung zu besichtigen. Überwiegend römischer, zu weniger als zwei Prozent germanischer Herkunft, umfassen sie neben Rüstungsfragmenten und Wagenteilen zahlreiche Münzen sowie Relikte einer Feldschmiede. Vor allem fand man Tausende von Schuhnägeln sowie Hunderte von eisernen Pfeilspitzen und Katapultbolzen, die dem Einsatz römischer Torsionsgeschütze entstammen.
 
Überfall von der Anhöhe

An dieser Stelle tritt die Schlachtfeldarchäologie, eine jüngere Disziplin der Altertumswissenschaft, auf den Plan. Sie zielt auf die Rekonstruktion nicht von Zuständen, sondern von Ereignissen. Am Harzhorn erscheint die Ausgangslage besonders günstig. Die Stück für Stück vermessenen Fundorte und vor allem die Bestimmung der Ausrichtung der Projektile erlauben eine recht genaue Rekonstruktion des Geschehens: paradoxerweise auf der ballistischen Basis der fehlgegangenen Schüsse. Im Falle des Harzhornereignisses muss es einen Überfall von der Anhöhe auf den langen römischen Heereszug in der Talsenke gegeben haben, ein mehrstündiges Defilégefecht mit zahlreichen Scharmützeln, das die Römer mit einem mächtigen Gegenangriff unter Zuhilfenahme von schwerer Artillerie erwiderten. Alle Seiten sollen erfolgreich gewesen sein, vermuten die Ausstellungsmacher in Braunschweig. Das römische Heer sei weitgehend unversehrt weitergezogen. Die Germanen hätten einige Beute gemacht. Und die heutige Archäologie ist um ein gutes Stück weitergekommen in der Revision der germanisch-römischen Geschichte.

Roms vergessener Feldzug: Die Schlacht am Harzhorn, Ausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum bis 14. Januar; Katalog im Theiss-Verlag, 408 Seiten, Fr. 59.90.

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