Die Schlacht am Harzhorn liegt bald 1800 Jahre
zurück. Die Entdeckung des Schlachtfelds stellt eine archäologische
Sensation dar. Jetzt werden die Funde in einer grossangelegten
Landesausstellung gezeigt.
von Hendrik Feindt, Braunschweig
Der Erwartungsdruck auf dem
Imperium lastet schwer. Einfälle der Germanen in römische Siedlungen und
Lager am Limes haben sich zu abscheulichen Gemetzeln entwickelt. Der
Kaiser und seine Mutter -- ein in der Cäsarengeschichte einmalig
unzertrennliches Paar -- ziehen riesige Truppenteile in Mogontiacum, dem
heutigen Mainz, zusammen. Dann suchen sie jedoch nach einer
diplomatischen Lösung. Das Militär ist unzufrieden. Das Paar wird 235 n.
Chr. ermordet und einer der Anstifter, Maximinus Thrax, zum neuen
Kaiser berufen. Maximinus, mit 62 Jahren ein kampferfahrener Soldat,
vollzieht eine regelrechte Strafexpedition, die sein Heer weit in den
Norden, bis fast an die Elbe bringt. Gemessen nach Verwüstungen und
Vernichtungen des Gegners muss sie äusserst erfolgreich gewesen sein.
Doch auf dem Rückweg ins Winterlager geraten die Römer in einen
Hinterhalt.
Germanien nicht tabu
Vieles von dieser Geschichte stand
bereits seit Jahrhunderten in einer antiken Chronik. Nur vertrauten ihr
die Historiker nicht, fehlten ihnen doch die Belege. Erst vor fünf
Jahren, als im Juni 2008 ein Hobbyarchäologe im niedersächsischen
Northeim eine eiserne Maultiersandale präsentiert, verdichten sich die
Hinweise auf das bisher Undenkbare: Germanien jenseits von Main und
Rhein war nicht tabu. Im 3. Jahrhundert sind römische Truppen in
Norddeutschland gewesen. Der Fundort, das sogenannte «Harzhorn», ein
steiler Abhang zwischen Hildesheim und Göttingen, wird rasch zu einem
grossflächigen Grabungsgebiet erklärt, das Suchtrupps mit Metallsonden
durchforsten.
Die Prospektion erweist sich als
überaus ergiebig: 2700 vergleichsweise gut erhaltene und meist nur
wenige Zentimeter unter der Oberfläche des Waldbodens aufgespürte
Fundstücke werden geborgen. Eine markante Auswahl ist derzeit in
Braunschweig in einer reichhaltig instrumentierten Landesausstellung zu
besichtigen. Überwiegend römischer, zu weniger als zwei Prozent
germanischer Herkunft, umfassen sie neben Rüstungsfragmenten und
Wagenteilen zahlreiche Münzen sowie Relikte einer Feldschmiede. Vor
allem fand man Tausende von Schuhnägeln sowie Hunderte von eisernen
Pfeilspitzen und Katapultbolzen, die dem Einsatz römischer
Torsionsgeschütze entstammen.
Überfall von der Anhöhe
An dieser Stelle tritt die
Schlachtfeldarchäologie, eine jüngere Disziplin der
Altertumswissenschaft, auf den Plan. Sie zielt auf die Rekonstruktion
nicht von Zuständen, sondern von Ereignissen. Am Harzhorn erscheint die
Ausgangslage besonders günstig. Die Stück für Stück vermessenen Fundorte
und vor allem die Bestimmung der Ausrichtung der Projektile erlauben
eine recht genaue Rekonstruktion des Geschehens: paradoxerweise auf der
ballistischen Basis der fehlgegangenen Schüsse. Im Falle des
Harzhornereignisses muss es einen Überfall von der Anhöhe auf den langen
römischen Heereszug in der Talsenke gegeben haben, ein mehrstündiges
Defilégefecht mit zahlreichen Scharmützeln, das die Römer mit einem
mächtigen Gegenangriff unter Zuhilfenahme von schwerer Artillerie
erwiderten. Alle Seiten sollen erfolgreich gewesen sein, vermuten die
Ausstellungsmacher in Braunschweig. Das römische Heer sei weitgehend
unversehrt weitergezogen. Die Germanen hätten einige Beute gemacht. Und
die heutige Archäologie ist um ein gutes Stück weitergekommen in der
Revision der germanisch-römischen Geschichte.
Roms vergessener Feldzug: Die Schlacht am Harzhorn, Ausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum bis 14. Januar; Katalog im Theiss-Verlag, 408 Seiten, Fr. 59.90.
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