Donnerstag, 16. Januar 2014

Kirchenbauten im Dritten Reich.

aus NZZ. 15. 1. 2014                                                                                        Albert Boßlet, Abtei Münsterschwarzach, 1935-38

Mit Gotteshäusern geistig Krieg führen
Die dunkle Zeit des Nationalsozialismus war dem Kirchenbau weit bekömmlicher als gemeinhin gedacht
 

von Joachim Güntner 

Das passt schlecht zum Bild christlichen Leidens unter dem braunen Ungeist: Zwischen 1933 und 1944 entstanden in Nazideutschland über tausend kirchliche Neu- und Umbauten - oft im Einklang und mit Zuschüssen des Regimes.

Wie nur konnte die Ansicht entstehen, im nationalsozialistischen Deutschland sei, bedrängt von der braunen «neuheidnischen» Obrigkeit, der Bau von Kirchen zum Erliegen gekommen? Ein populärer Irrglaube ist das. Zwischen 1933 und 1944 erbaute die katholische Kirche über 390 Gotteshäuser, im evangelischen Bereich lassen sich mindestens 210 Neubauten nachweisen. Von Defensive keine Spur, sogar monumentale Kirchen griffen mit stolzer Gebärde Platz. Dazu kam eine Vielzahl von An- und Umbauten, bei denen ganze Seitenschiffe, Türme oder Westwerke neu errichtet wurden. Überdies entstanden Gemeindehäuser, viele davon in jenem «Heimatschutz-Stil», der ihnen wie auch den kleinen Kirchen in städtischer Randlage ein dörfliches Gepräge geben und von Bodenständigkeit künden sollte.

Die Kirche von Pahlen in Dithmarschen ist eines der wenigen Beispiel für 'Heimatschutzarchitektur' im Kirchenbau

Heroische Neo-Romanik

Die nationalsozialistische Bauästhetik propagierte für Sakralbauten mittelalterliche Vorbilder, ihr Favorit war die Romanik. Wohlgelitten waren zudem Neoklassizismus und Neobarock, rundweg ausgeschlossen blieben der Expressionismus sowie Anleihen bei der Gotik. Zu «undeutsch»!
 
Albert Boßlet,  St. Ludwig Frankenthal

Funktionale Sachlichkeit war als technizistisch verpönt, moderne Baustoffe wie Beton und Stahl traten den Rückzug an. Bruchstein, Backstein, Schiefer erhielten den Vorzug. «Avantgardistische Sakralbauten wurden in der NS-Zeit mit Ausnahme bereits vor 1933 begonnener Bauten nicht mehr errichtet», schreiben Beate Rossié, Stefanie Endlich und Monica Geyler-von Bernus in ihrer jüngsten Wanderausstellung «. . . aus dem Geist unserer Zeit», wobei sie es nicht versäumen, mit Otto Bartnings moderner Gustav-Adolf-Kirche in Berlin eine der Ausnahmen zu präsentieren. 

Otto Bartning, Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Siemensstadt

Architekten, die schon in der Weimarer Republik mit Kirchenbauten Prominenz erworben hatten, mischten unter den neuen Machtverhältnissen kräftig mit. Ehemalige Exponenten des Neuen Bauens wie Dominikus Böhm passten sich der Romanik-Verehrung an; Traditionalisten wie Albert Bosslet oder German Bestelmeyer, der 1935 zum Reichskultursenator aufstieg, bekamen Oberwasser.

Dominikus Böhm,  St. Josef in Lingen-Laxten

Zur architektonischen gesellte sich die ikonografische Umprogrammierung. Neugotische Gestaltungsmittel, als artfremd und kitschig gebrandmarkt, durften nicht mehr Teil deutscher Tradition sein. Also flog die Neugotik hinaus aus den kirchlichen Innenräumen, und eine kargere und zugleich heroisierende Formen- und Bildsprache zog ein. Die Kunsthistorikerin Rossié hat wiederholt auf krasse Fälle hingewiesen, wo die nationalsozialistische Weltanschauung und Politik ganz unmittelbar im kirchlichen Raum Präsenz markierte. Das reicht von antisemitischen Kirchenfenstern und Friesen, auf denen ein «germanischer» blondgelockter Jesus von hakennasigen jüdischen Schriftgelehrten oder Schächern mit übler Visage umgeben ist, bis zur Beschwörung einer heldenhaften Wehrmacht oder dem Kotau vor dem «Führer». Die völkische Demagogie drang zumal dort, wo sie auf Beistand von Klerikalfaschisten rechnen konnte, ungeniert in die Gotteshäuser ein.

 Curt Steinberg, Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf

Nachdrücklich ist das Exempel, das die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf gibt. Während die pfeilerartige Gliederung von Turm und Fassade zwar ein Pathos von Kantigkeit und Strenge verströmt, die äussere Hülle des Baus jedoch nicht einfach als NS-Ästhetik lesbar ist, unterwirft sich das Innere dieser 1935 vollendeten Kirche vollständig einem nationalsozialistischen Bildprogramm. Den Vorraum hatte man als Ehrenhalle für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs gestaltet; Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler waren in
Porträts gegenwärtig. Hitler musste nach 1945 einem Luther-Bildnis weichen, desgleichen entfernte man auf einem Triumphbogen die nun peinlich gewordenen NS-Symbole wie das Hakenkreuz im Strahlenkranz, das NS-Hoheitszeichen und das Zeichen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Noch immer aber kann man auf dem Relief der Kanzel einen der Predigt lauschenden SA-Mann sehen, noch immer lässt der athletische Christus am Kreuz seine Muskeln spielen, und auf dem Sockel des Taufsteines flankieren eine «deutsche Mutter» und ein SA-Mann die Figur des Christus. Aufgrund dieser Ballung von erhalten gebliebenen Werken sakraler Kunst im Griff der NS-Ideologie steht die Kirche seit 1995 unter Denkmalschutz.


Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf 

Die Bevorzugung romanischer Bauformen für kirchliche Neubauten ging einher mit weltanschaulicher Aufladung, etwa der rassistischen Interpretation der Romanik als Ausdruck der «hervorragenden Eigenschaften der nordischen Rasse». In diesem Sinne schuf ein Schüler Bestelmeyers, der junge, bis dato unbekannte Architekt Gottfried Dauner, die Reformations-Gedächtniskirche in Nürnberg. Mit seinem Entwurf gewann Dauner einen von Nürnbergs nationalsozialistischem Oberbürgermeister 1933 initiierten Wettbewerb. Der karge Rundbogen-Stil, die zwölfeckige Grundform, ihre Massivität und ihre drei Türme geben der 1938 vollendeten Kirche Bollwerk-Charakter - fürwahr ein «Symbol geistiger Kriegführung» (Holger Brülls).


Gottfried Dauner, Reformations-Gedächtniskirche in Nürnberg.

Der Wettbewerb wünschte die geplante Kirche «als sinnfälligen Ausdruck des neuen Reiches und der neuen Zeit auch innerhalb der evangelischen Kirche unter der Herrschaft des Reichskanzlers Adolf Hitler», und der siegreiche Architekt liess sich mit den Worten vernehmen, der Bau solle «zu einem wuchtigen, trutzigen Gedächtnismal der Reformation und gleichzeitig Ausdruck unserer heutigen, herben, kämpferisch-heldischen Zeit» werden. - Das Fazit macht staunen: Die Bautätigkeit der beiden Grosskirchen war zwar geringer als die des NS-Staats, aber grösser als die der Industrie. Und das in einer Zeit, da Deutschland zum Krieg rüstete und Krieg führte. Bis zum Inkrafttreten des Vierjahresplans 1937 zum Zweck der Kriegsvorbereitung stieg die Zahl der christlichen Gotteshäuser kontinuierlich an. Selbst danach fanden sich Wege, angefangene Projekte fortzuführen. Wer gross baut, hat auch das Geld und den Spielraum dafür. Die gern beschworenen christlichen Opponenten des NS-Regimes dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bloss um eine schwache Minderheit handelte.

German Bestelmeyer, Gustav-Adolf-Gedächtniskirche, Nürnberg, 1930

Fürbitten für den «Führer»

Sicher, es gab dies alles: auf evangelischer Seite den Kirchenkampf zwischen den «Deutschen Christen» aus der NSDAP-Anhängerschaft und ihren auf Bekenntnisfreiheit bestehenden Gegnern um Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Karl Barth; auf katholischer Seite den Jesuitenpater Alfred Depp, der am 20. Juli 1944 sein Leben opferte, oder Bischof Clemens von Galen, der mutig die Euthanasie-Aktionen und Morde des NS-Regimes an geistig Kranken anprangerte. Es gab Predigtverbote und Hunderte von Geistlichen beider Bekenntnisse in Konzentrationslagern. Den systemfreundlichen Grundton aber bestimmten Pfarrer, welche die Waffen der Wehrmacht segneten, und Gottesdienste mit Fürbitten für Adolf Hitler. Man betete zu Ostern «Sei mit dem Führer unseres Volkes und aller Obrigkeit» und sang auf die Melodie alter christlicher Choräle den neuen unchristlichen Text: «Den Führer schütze deine Macht / Er, der für unsre Wohlfahrt wacht, ist uns von dir gegeben.» Dass sich trotz diesem Hintergrund der Irrglaube verbreiten konnte, das «Dritte Reich» habe den Kirchenbau abgewürgt, zeigt nur: Dies Kapitel Zeitgeschichte harrt noch immer einer gründlichen Aufklärung.

 Dominikus Böhm, Heilig Kreuz Kirche Dülmen 1938-39


Nota.

Zum Ästhetischen müsste man vielleicht noch ein paar Worte sagen...
JE 

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