Donnerstag, 6. Februar 2014

California - vom Hippie zur NSA.

aus SZ
aus NZZ, 5. 2. 2014


Von Ökotopia zu Datatopia
Pervertierung libertärer Ideale


von Eduard Kaeser · Man sieht in den Tausendsassas vom Silicon Valley gerne die Nachfahren der kalifornischen Gegenkultur. Die radikalen Hippies waren liberal im sozialen Sinne des Wortes. Sie befürworteten universalistische, rationale und progressive Ideale wie Demokratie, Toleranz, Gerechtigkeit. Zwanzig Jahre Nachkriegs-Wirtschaftswachstum lieferte ihnen den historischen Rückenwind der Nutzung von Technik und Wissenschaft zu humanen Zwecken. Der damalige Kultroman «Ecotopia» von Ernest Callenbach (1975) zeichnete ein künftiges Hippie-Kalifornien, wo das Auto verschwunden, die Industrie ökologisch war; eine Gegenkultur aus freizügiger Sexualität, basisdemokratischem Alltag, mit ein paar Kühen auf der Weide und Marihuana im Garten.


Aber schon damals zeichneten sich zwei grundsätzlich verschiedene Technikauffassungen ab. Es gab die Anhänger von Herbert Marcuse und die Anhänger von Marshal McLuhan. Erstere sahen in Wissenschaft und Technik primär Instrumente des unternehmerischen und unterdrückerischen Wirtschafts-Individualismus. Letztere sahen im Zusammenfluss der neuen Technologien und der Medien den Anbruch einer durch Technik befreiten Gesellschaft.


John Perry Barlow, Songtexter und grosssprecherischer Ideologe des Technolibertarismus, erklärte 1996 die Unabhängigkeit des Cyberspace. «Regierungen der industrialisierten Welt», hob dieser Zarathustra des elektronischen Zeitalters an, «ihr schweren Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme vom Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Auftrag der Zukunft fordere ich euch (. . .) auf, uns in Frieden zu lassen (. . .) Ihr habt keine Hoheitsgewalt da, wo wir uns versammeln. Wir werden eine Zivilisation des Geistes im Cyberspace schaffen. Möge sie menschlicher und gerechter sein als die Welt, die eure Regierungen zuvor errichtet haben.»


Diese Unabhängigkeit dank Computertechnologie war allerdings immer stark von öffentlichen Mitteln gespeist - trotz antietatistischer Rhetorik des freien Unternehmertums. Die Soziologen Richard Barbrook und Andy Cameron nennen in ihrem aufschlussreichen Artikel «Die kalifornische Ideologie» (1997) den Hightech-Komplex der Westküste den «fettesten Schweinekoben» Amerikas. Milliarden an staatlichen Zuwendungen flossen in den Bau und die Entwicklung von Flugzeugen, Raketen, Bomben und zuoberst von Elektronik und Computer. «Für alle die, welche nicht geblendet waren von den Dogmen des 'freien Marktes', lag es auf der Hand, dass die Amerikaner immer eine staatliche Wirtschaftsförderung hatten. Man nannte sie nur anders: Verteidigungsbudget (. . .).»


Es mag zynisch klingen: Das Verteidigungsministerium nimmt nun einfach die Dienste jener Firmen in Anspruch, die es über Jahrzehnte hinweg grosszügig in der Entwicklung einer immer raffinierteren Technologie alimentiert hat - einer Technologie, die sich jetzt als höchst effizient in Überwachungsaufgaben erweist. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Ideologie des Silicon Valley von der Hippie-Kultur der 1970er Jahre und ihrer Vision einer befreiten Gesellschaft zehrt, tatsächlich aber die Technologie der Befreiung immer mehr zu einer der Herrschaft pervertieren lässt. Die schweren Riesen aus Fleisch und Stahl, denen Barlow den Kampf ansagte, haben sich verwandelt in Giganten aus Chips und Bits. Geschichte, so sagte Mark Twain, wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.


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