Montag, 22. Juni 2015

Wo das Neolithikum nach Europa kam.

 aus Der Standard, Wien, 15. 6. 2015                                                           Tonmodell eines Wagens

Im meterdicken Schutt der Jahrtausende
Archäologen der Akademie der Wissenschaften erforschen jungsteinzeitliche Fundstücke aus der griechischen Provinz Thessalien

von Kurt de Swaaf

Wien - Besonders auffällig ist sie nicht: eine flache Erhebung inmitten einer unspektakulären Landschaft. Doch wer genauer hinschaut, könnte ahnen, dass sein Blick auf etwas Ungewöhnlichem ruht. Rundherum erstrecken sich Felder, ein paar hundert Meter weiter nach Norden rauscht der Verkehr über eine Schnellstraße. Agrarland, umringt von Bergen. Die Erde hier ist sehr fruchtbar, erklärt die Archäologin Eva Alram-Stern. Das Gebiet gilt als eine der Kornkammern Griechenlands.
Das ist gewiss nichts Neues. Fast nirgendwo in Europa dürfte die Landwirtschaft eine so lange Tradition haben wie hier in Thessalien, auf der Schwemmebene des Flusses Pineios. Schon während der Jungsteinzeit beackerten die ersten Bauern die hiesigen Schollen. Die sogenannte Neolithisierung, der Wechsel von Jäger- und Sammlergesellschaften zu einer auf Agrikultur basierenden Lebensweise, setzte in dieser Region besonders früh ein. Erstklassige Böden, ein mildes Klima und genug Wasser - beste Grundvoraussetzungen eben.

Die gute Versorgungslage wirkte sich natürlich auch auf das Bevölkerungswachstum aus. "Thessalien war zu der Zeit eine der am dichtesten besiedelten Landschaften", sagt Alram-Stern. Die jungsteinzeitlichen Siedlungen lagen zum Teil nur zwei, drei Kilometer voneinander entfernt - ähnlich wie heutige Dörfer. Bisherigen archäologischen Untersuchungen zufolge lebten die neolithischen Thessalier in zwei unterschiedlichen Bebauungstypen. Zum einen gab es Flachsiedlungen mit eher verstreut stehenden Häusern und dazwischenliegenden Freiflächen, die wahrscheinlich landwirtschaftlich genutzt wurden. Gleichzeitig jedoch kamen auch stark verdichtete Dorfstrukturen vor. Man baute über Jahrtausende hinweg an derselben Stelle. So entstanden "Magulen", Siedlungshügel, wie die eingangs erwähnte Erhebung unweit der Schnellstraße E92.


Die Platia Magula Zarkou genannte Fundstelle wurde 1976 zum ersten Mal unter den Spaten genommen. In der Nähe hatten Arbeiter beim Ausheben eines Bewässerungskanals ein Gräberfeld freigelegt, nun wollten Experten auch den Hügel genauer erkunden. Die Grabungen brachten eine Fülle faszinierender Artefakte zutage: Keramik, Steinwerkzeuge, Tierknochen, Schmuck, verkohlte Pflanzenreste und einiges mehr. Ein wissenschaftlicher Schatz von unschätzbarem Wert. Das seltsamste Zeugnis neolithischer Kultur fanden die Forscher unter der Bodenplatte eines ehemaligen Gebäudes: ein Hausmodell aus Ton, inklusive kleiner Statuetten. Sogar ein Ofen und andere Einrichtungsstücke sind vorhanden. Die Figuren sollen wohl eine Familie mit mehreren Generationen darstellen. Vermutlich war das Ensemble eine Art kommunaler Opfergabe, meint Alram-Stern.

Die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätige Archäologin arbeitet zurzeit an einer umfassenden Analyse der Fundstücke von Platia Magula Zarkou. Das Material wurde bislang noch nicht in seinem Gesamtkontext untersucht. Ziel der vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Studie ist, einen besseren Einblick in den neolithischen Kulturwandel zu bekommen.

Wohnstätten aus Lehmziegeln

Die ersten Siedler haben sich zirka 6000 vor Christus am Ort niedergelassen. Danach war der Platz bis in die Bronzezeit hinein mit nur einer Unterbrechung fast ständig bewohnt. Die dabei entstandenen Schichten aus Schutt und Abfällen sind insgesamt zehn Meter mächtig, sagt Alram-Stern. Warum die Siedlung letztlich aufgegeben wurde, ist unbekannt.


Ihre Wohnstätten bauten die Ur-Thessalier aus luftgetrockneten Lehmziegeln. Der Grundriss war lange Zeit quadratisch, im Inneren standen ein bis zwei Räume zur Verfügung. Vereinzelt wurden allerdings auch schon zweistöckige Häuser errichtet. Die Dächer, berichtet Alram-Stern, scheinen aus Schilf gewesen zu sein. Kein Wunder, dürfte doch dieser Rohstoff an den Ufern des ganz in der Nähe fließenden Pineios reichlich zur Verfügung gestanden haben.

Der Fluss lieferte auch die Grundlage für das Töpfergewerbe. Dicke Sedimentschichten dienten als Tongruben. Platia Magula Zarkou war offenbar ein Zentrum der jungsteinzeitlichen Keramikherstellung. Erste Untersuchungen der vor Ort gefundenen Scherben und Produktionsabfälle zeigen die Fabrikation mehrerer verschiedener Typen auf. Eine zentrale Rolle spielte die im Spätneolithikum hergestellte "Grauware". Diese meist kleinen, tassenähnlichen Henkelgefäße wurden nicht nur an anderen archäologischen Fundorten in Thessalien nachgewiesen, sondern auch im nordgriechischen Mazedonien - anscheinend ein Exportprodukt.

Keramik und Steinwerkzeuge

Zusammen mit ihrer Kollegin und Experten der niederländischen Universität Leiden will Alram-Stern den Herstellungsprozess der Keramik von Platia Magula Zarkou nachvollziehen. Kein einfaches Unterfangen, denn unterm Mikroskop zeigen sich deutliche Unterschiede in Textur und Zusammensetzung des verwendeten Materials. Jeder Töpfer hatte vermutlich seine eigenen Mixturen und Verfahren, meint Alram-Stern. Eine Methode, diese zu rekonstruieren, ist das erneute Brennen von Scherben. Verändert sich zum Beispiel deren innere Struktur bei mehr als 850 °C, wurde das Stück ursprünglich bei dieser Temperatur gebrannt. Noch stärkere Erhitzung lässt zudem auf die Verwendung von speziellen Töpferöfen anstelle von offenen Brenngruben schließen.

Weitere interessante Forschungsobjekte sind die zahlreichen geborgenen Steinwerkzeuge. Die meisten von ihnen wurden aus braunem Feuerstein gefertigt, manche jedoch aus Obsidian, welches sich leichter zu geraden Klingen verarbeiten lässt. Feuerstein war in den Bergen des Landesinneren vorhanden, Obsidian dagegen musste von der Insel Milos herbeigeschafft werden - mit Booten, dutzende Seemeilen weit über die Ägäis.


Von Anatolien über die Ägäis nach Thessalien

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