Sonntag, 19. Juni 2016

Schuf den Roboter nach seinem Ebenbild...

Wir stellen uns die Roboter nach unserem eigenen Abbild vor und machen sie uns ähnlich. Werden wir darum bald auch ähnlich wie sie?
aus nzz.ch, 16.6.2016, 05:30 Uhr

Roboter und künstliche Intelligenz
Der hinausgeworfene Mensch
Hartnäckig formen sich in unseren Köpfen die Roboter nach unserem Abbild: mit Kopf, Armen, Augen. Das hat mit der Realität wenig, mit unseren Imaginationen viel zu tun – und birgt eine Gefahr.

von Philipp Theisohn

Als im vergangenen August eine Hackergruppe unter dem Namen «The Impact Team» die Daten von 32 Millionen Nutzern des Seitensprungportals Ashley Madison veröffentlichte, durchforsteten Blogger den freigelegten Quellcode und förderten Bemerkenswertes zutage. Da das Portal offensichtlich nur über sehr wenige Kundinnen verfügte, hatte Ashley Madison eine Armee von Fembots rekrutiert: Computerprogramme generierten Zehntausende von weiblichen Nutzerprofilen, die, ausgerüstet mit einigen unbeholfenen Brocken an Flirttext, die männlichen Klienten zum Gebrauch ihrer Kreditkarte animieren sollten. (Die «!Mediengruppe Bitnik» ermöglicht diesen Fembots zurzeit im Kunsthaus Langenthal ein zweites, unabhängiges Leben.)

Ökonomische Macht des Eros

Im zeitweiligen Erfolg dieses Geschäftsmodells manifestierte sich nicht nur die ungebrochene ökonomische Macht des Eros, sondern auch der Wirkungszusammenhang von künstlicher Intelligenz und körperlicher Imagination. Genaugenommen legt der unverhoffte Einblick in die Algorithmen des Begehrens nur eine Struktur offen, die das digitale Zeitalter überhaupt kennzeichnet: die erotische Aufladung des Datenverkehrs. Diese wurzelt in der Einsamkeit – die uns wiederum überfällt, sobald wir die Geräte ausschalten. Am Anfang waren wir einsam, und weil wir das nicht ausgehalten haben, erfanden wir etwas, das zu uns sprechen sollte: die Maschinen.

Wir glauben immer noch, dass die Maschinen zu uns sprechen. Aber eigentlich, wie Friedrich Kittler uns das immer zu erklären versuchte, wollen Maschinen nur mit Maschinen kommunizieren. Wir verstehen sie nicht. Die Datenströme, die zwischen ihnen fliessen, unterlaufen unsere Wahrnehmung. Wir vernehmen sie nur als ein Rauschen.

Dieses Rauschen jedoch produziert in uns Bilder humaner Tätigkeit: den Bankbeamten, der Überweisungen entgegennimmt; die Angestellte im Reisebüro, die unseren Flug bucht; die Geliebte, die in der Ferne auf Kurzmitteilungen wartet oder uns warten lässt. Man kann noch einen Schritt weiter gehen: Das Rauschen der Daten erzeugt in uns eine Lust, in die wir zu investieren bereit sind – Liebe, Zeit, Arbeit, Geld, Informationen. Die Maschinen arbeiten nicht für uns, sondern wir für sie.

Um zu verstehen, woher diese Abhängigkeit kommt und warum wir sie so bereitwillig auf uns nehmen, muss man wissen, dass sie mit einer Erzählung verknüpft ist, die unsere Gegenwart immer noch überlagert. Die Ikone dieser Erzählung ist der Roboter. Die ungebrochene Präsenz des Roboters in der Emblematik des digitalen Zeitalters, insbesondere in der Emblematik der Cyborg-Debatte, ist durchaus bemerkenswert, bedenkt man die zunehmend gestaltlose Realität der Robotertechnik.

Aus Maschinen werden Programme, aus Robotern werden Bots – aber unsere Wahrnehmung der Robotik ist immer noch in erster Linie geprägt von einer quasi-humanoiden Arbeitsmechanik, von Industrierobotern, Marssonden und Haushaltshilfen, ganz zu schweigen von der zeitgenössischen Science-Fiction, die ganz regelhaft Menschmaschinen inszeniert. Hinter dieser Diskursverzerrung, der Asymmetrie von Wirklichkeit und Wahrnehmung der Roboter, liegt nun aber auch der Schlüssel zum Verständnis unserer Beziehung zu den sich verselbständigenden Gerätschaften.

Um den Schlüssel zu bergen, sollte man zur Geburtsstätte des Roboters zurückkehren, zu Karel Čapeks 1921 in New York uraufgeführtem Drama «R. U. R. – Rossum's Universal Robots». Abgesehen davon, dass der Begriff «Roboter» (von Tschechisch «robota» = Fronarbeit) hier erstmals überhaupt auftaucht, gibt uns das Stück auch einige Definitionen an die Hand, mit denen sich arbeiten lässt.

Die wichtigste davon betrifft das Wesen der Roboter: Nachdem der Firmengründer, der alte Rossum, sich an der Herausforderung, künstliche Menschen detailgetreu herzustellen, finanziell übernommen hat, reduziert sein Sohn die Kosten, indem er die Produktion ganz auf einen einzigen Zweck – die Arbeitsfähigkeit – ausrichtet und alle überflüssigen Details löscht. «Damit warf er eigentlich den Menschen hinaus und erschuf den Roboter», so heisst es in der Übersetzung von Otto Pick, und damit ist eine Konstellation geschaffen, die uns bis heute in Beschlag nimmt.

Im Roboter begegnen wir einem Körper, den wir als den unseren erkennen, aus dem wir aber vertrieben wurden. Was in diesem Körper vor sich geht, aus welchem Grund er welche Entscheidungen trifft, wessen Einflüsterungen er folgt, das begreifen wir zunehmend weniger. Dessen ungeachtet halten wir daran fest, dass es doch unser Körper ist, und wenn wir die Roboter immer noch für unsere mehr oder weniger abstrakten Abbilder halten, dann hat das genau einen Grund: Die Fremdheit der Maschinen soll uns erzählbar bleiben. Als evolutionäre Formen des humanen Prototyps gehorchen sie immer noch der in uns eingeschriebenen und ihnen von uns eingepflanzten Verhaltensmatrix. Was Roboter tun und lassen, das sollten wir also verstehen.

Indessen ist das mit dem Verstehen von Robotern nicht so einfach, mögen die Prinzipien, denen wir ihre Schaltkreise unterworfen haben, noch so simpel sein. Analysiert wird dieser Sachverhalt nirgends so präzise wie in Isaac Asimovs Robotergeschichten. Diese gelten wegen der ihnen zugrunde liegenden «drei Gesetze der Robotik» gemeinhin als paradigmatische Ausformungen der Science-Fiction-Erzählung. Ihren Anfang nehmen diese Geschichten grundsätzlich bei einer Irritation: Ein Roboter verhält sich dem Augenschein nach widergesetzlich. Er gefährdet Menschen (oder verweigert ihnen die Hilfe), gehorcht ihren Befehlen nicht oder setzt ohne Not seine eigene Existenz aufs Spiel.

Die Erzählungen führen dieses Fehlverhalten dann in detektivischer Arbeit auf bestehende Konflikte zwischen den drei Gesetzen zurück und entfalten dabei nach und nach eine Roboterpsychologie – während umgekehrt die Handlungen und Emotionen der menschlichen Erzählerfiguren immer mechanischer werden. Die Mensch-Maschine-Interaktion erweist sich somit als ein Tauschgeschäft: Je stärker wir dazu übergehen, den Roboter zu humanisieren, umso programmierbarer erscheinen wir im Gegenzug uns selbst.

Der Roboter definiert uns

Um auf das eingangs erwähnte Beispiel zurückzukommen: Wenn die männliche Lust geskriptete Seitensprung-Avancen in die körperliche Vorstellung einer verführbaren Frau übersetzt, dann heisst das umgekehrt auch, dass die männliche Lust sich kodifizieren, über Software steuern, robotisieren lässt. Und um über dieses Beispiel hinauszugehen: Wenn wir Geräten, die uns an Denkkapazität, Kraft und Geschwindigkeit um ein Vielfaches übertreffen, immer noch ein menschliches Antlitz zu geben bestrebt sind – Geräten, die keine Schmerzen kennen, keinen Liebeskummer, die weder Schlaf brauchen noch den Tod fürchten –, dann setzen wir uns selbst auch den Erwartungen aus, die wir an solche Geräte stellen.

Der Roboter als gesellschaftliche Imago (und nicht als ingenieurwissenschaftliches Faktum) besitzt demnach eine doppelte Funktionalität. Sein humanoides Erscheinungsbild weist uns einerseits weiterhin als die Urheber der Maschinen aus und gibt uns das Gefühl, mit ihnen noch vereint zu sein, ihre Sprache noch zu sprechen und sie verstehen zu können. Andererseits wird der Roboter dabei auch zum Inbegriff unserer eigenen Existenz, unserer Vorstellung von Arbeit und Liebe. Er definiert unseren Ort und unsere Aufgabe in der technisierten Welt.

In der durch den Roboter repräsentierten dynamischen Verschränkung von Mensch und Maschine entscheidet sich somit auch das Verhältnis von künstlicher Intelligenz und Gesellschaftsleben. Je überhöhter die menschliche Schöpfungsphantasie, umso totalitärer fällt im Gegenzug die Robotisierung der Wirklichkeit aus. Der prometheische Akt, der Materie die Illusion selbstbestimmter Freiheit zu geben, birgt in sich eine existenzielle Bedrohung der Menschheit, wie sie etwa Nick Bostrom von der zukünftigen Entwicklung der künstlichen Intelligenz ausgehen sieht.

So faszinierend sich gegenwärtige Überlegungen zur Erzeugung eines Maschinenbewusstseins auch ausnehmen mögen (die faszinierendste unter ihnen vielleicht Andrew Smarts Gedankenexperiment, Robotern LSD zu verabreichen): Der Demiurgenstolz, die Maschinen in ihrer Weiterentwicklung sich selbst überlassen und auf scharf begrenzte Zielsetzungen verzichten zu können, führt letztlich zur Zurichtung und Vernichtung des Menschen durch die Maschinen. Der Mensch stört.

Der Mensch steht im Weg

Die populären Erzählungen, die uns das Leben in einer von algorithmischen Prozessen durchsetzten Wirklichkeit anschaulich zu machen versuchen – von «The Matrix» (1999) über Daniel Suarez' Roman «Daemon» (2010) bis hin zu der in diesen Tagen in den Kinos anlaufenden Dystopie «Aurora» des Schweizer Regisseurs Robert Kouba –, kommen immer wieder auf diesen Verdacht zurück. In den Augen der künstlichen Intelligenz, die der Mensch damit beauftragt hat, ihm die beste aller möglichen Welten zu bauen, erweist sich der Mensch selbst just als der Faktor, welcher der Erfüllung dieses Auftrags im Wege steht. Folglich muss er beseitigt werden.

Das alles kann man aber bereits in Čapeks Roboterdrama nachlesen. Dort ist es die Menschenrechtsaktivistin Helena Glory, die dafür sorgt, dass die mechanischen Arbeitssklaven eine Seele erhalten und damit vollends menschlich werden dürfen. Am Ende werden diese dann aus einer ungünstigen Verbindung von freiem Willen und Effizienzdenken heraus die Menschheit ausrotten. Und schliesslich die geschlechtliche Roboterliebe entdecken – einen Eros, der nicht mehr der unsere ist.


Nota. - Haben Sie's gemerkt? Wenn Sie all das mystifizierende Raunen wegnehmen, bleibt schiere Platitüde. Da malt er das Gespenst des perfektionierten Roboters an die Wand, der den Menschen schließlich beiseiteschiebt, während die Risiken von Anfälligkeiten und Dysfunktionen viel aktueller sind: dass die Datenfluten gewisser-maßen einen Kolbenfresser kriegen und wir merken, dass wir uns von viel zu unvollkommenen Maschinen ab-hängig gemacht haben. Aber diese Ahnung haben auch Meier und Schulze, damit kann sich kein Feuilleton, kein Feuilletonist wichtigtun.
JE   


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