Sonntag, 17. Juli 2016

Der Ursprung der Kultur im Fest II.

aus derStandard.at, 6. Juli 2016, 18:20

Frühestes bekanntes Fest der Menschheit war sorgfältig geplantes Event 
Rekonstruktion einer aufwendigen Beisetzung vor 12.000 Jahren offenbart regelrechte To-do-Liste ritueller Handlungen 

von Thomas Bergmayr

Jerusalem/Wien – Es war mit Sicherheit keine alltägliche Bestattung: Als vor 12.000 Jahren in der Hilazon-Tachtit-Höhle im westlichen Galiläa eine ältere Frau in ihr Grab gelegt wurde, dürfte das Anlass für ein großes Fest gewesen sein. Zahlreiche Schildkrötenpanzer und abgeschabte Tierknochen weisen auf einen opulenten Leichenschmaus mit mindestens drei Dutzend Teilnehmern hin. Die 2010 vorgestellten Funde gelten bis heute als das früheste bekannte Zeugnis für Festivitäten des modernen Menschen. 

Mehr noch als die Reste der Totenfeier untermauert das zwei Jahre davor entdeckte Grab selbst den hohen Status der darin beigesetzten Person: Das Skelett der etwa 45 Jahre alten Frau von 1,50 Meter Körpergröße lag in einer mit größter Sorgfalt ausgestalteten Grube. Die Tote hatte überdies ihr Grab für sich allein, im Unterschied zu drei benachbarten Grabstätten, in denen die Gebeine mehrerer Individuen lagen. Die leitenden Archäologinnen Leore Grosman von der Hebrew University in Jerusalem and Natalie Munro von der University of Connecticut schließen daraus, dass es sich bei der Frau um eine Schamanin gehandelt haben könnte. Die Tatsache, dass die Frau wegen einer Knochenverformung seit ihrer Geburt an einer Gehbehinderung gelitten hatte, spreche ebenfalls für ihre Sonderstellung in der Gemeinschaft. 


Acht Jahre nach ihrer Entdeckung ist es den beiden Wissenschafterinnen nun gelungen, die genaue Abfolge der Handlungen rund um diese bemerkenswerte Grablegung zu rekonstruieren. Der betriebene Aufwand war offenbar enorm: Den Anfang machte eine mühsam aus dem harten Gestein geschlagene ovale Grube von einem Meter Länge. Darauf folgte eine Lage größerer Steine, zwischen die verschiedene Objekte positioniert wurden, darunter Ockerbrocken, Kreidestücke und einige Panzer von Landschildkröten. Darüber kam eine mit Asche, Feuersteinfragmenten und Tierknochen durchsetzte Sedimentschicht. 

Adlerflügel und Menschenfuß 

Auf dieses sorgfältig bereitete Lager bettete man die Tote seitlich liegend mit dem Rücken zur Grubenwand und mit angewinkelten Beinen. Auf dem und rund um den Leichnam verteilt fanden Grosman, Munro und ihre Kollegen zahlreiche Beigaben: weitere Schildkrötenpanzer, Marderschädel, einen Adlerflügel, ein Gazellenhorn, den Schwanz eines Auerochsen und sogar einen abgeschnittenen menschlichen Fuß. Weiteres Füllmaterial, hauptsächlich Kalksteine, bildete die letzte Schicht, ehe das Grab mit einem großen Stein verschlossen wurde. 

Für einen derartigen Aufwand war wohl einiges an Vorbereitung nötig, schreiben die Forscherinnen nun im Fachjournal "Current Anthropology". Die Materialien mussten gesammelt, die Tiere eingefangen und vorbereitet werden. Speziell für die insgesamt 86 entdeckten Schildkrötenpanzer waren die Mitglieder der Gemeinschaft einige Zeit unterwegs. Aus dieser komplexen Abfolge von Einzelschritten schließen die Wissenschafterinnen, dass die Angehörigen der Natufien-Kultur, der die Grabstätte zugerechnet wird, einen strikten Plan vor Augen hatten, ihre rituellen Handlungen also gleichsam einer gemeinschaftlichen To-do-Liste folgten. 

Die Forscherinnen sehen darin bereits die Vorboten jener sozialen Umwälzungen, die wenige Jahrtausende später der Neolithischen Revolution und damit der Erfindung und dem Aufstieg der Landwirtschaft den Boden bereiteten.

Abstract
Current Anthropology: "A Natufian Ritual Event."


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