Samstag, 30. Juli 2016

Europa in der Renaissance - Ausstellung im neuen Schweizerischen Landesmuseum.

 aus nzz.ch, 30.7.2016, 05:30 Uhr                                                       Tomas Stimmer. Selbstbildnis 1563

Renaissance im Landesmuseum Zürich

Der Anfang der Moderne
Die fruchtbare Geschichte des Kulturaustauschs während der Renaissance setzt das Landesmuseum Zürich in seinem neuen Erweiterungsbau, der dieses Wochenende eingeweiht wird, attraktiv in Szene.

von Urs Hafner 

Mindestens zwei Dinge hatten die Künstler und Gelehrten der europäischen Renaissance um 1500 den meisten Intellektuellen von heute voraus. Erstens glaubten sie, von der «wiedergeborenen» Vergangenheit – also von der Antike – lernen zu können. Sie fühlten sich dieser nicht überlegen, sahen sie nicht als rückständig an. Zweitens standen sie im Austausch mit der arabisch-islamischen Welt. Sie rezipierten deren Schriften, die ihnen das antike Wissen erschlossen. Ohne den spanisch-arabischen Philosophen Averroës wäre die Aristoteles-Rezeption nicht möglich gewesen. In Basel wurde, wenn auch nicht unumstritten, um 1540 erstmals die lateinische Koran-Übersetzung gedruckt.

Eine Angelegenheit der Eliten

Die fruchtbare Geschichte dieses synchronen wie diachronen Kulturaustauschs setzt das Landesmuseum Zürich in seinem neuen Erweiterungsbau, der dieses Wochenende eingeweiht wird, attraktiv in Szene. Die aus ganz Europa und den USA kommenden Schätze der grandiosen Schau «Europa in der Renaissance» sind so spektakulär wie das Innere des Baus, der dem Besucher wiederholt dramatische Raumgefühle schenkt; manchmal weiss er nicht, ob er nun zuerst die neue Architektur oder die alten Meister bestaunen soll.

Der Platz ist da, grosszügig sind die Bücher, Schriften (von Albertus Magnus, Boethius, Vitruv etwa), Statuen und Bilder placiert (zum Beispiel von Tizian, Dürer, Leonardo da Vinci, Hans Memling), lange Raumfluchten lenken den Blick auf besonders hervorgehobene Stücke (das «Armada-Porträt» der Königin Elisabeth I.). Die imposante Treppe, die das Parterre mit dem ersten Stock verbindet, zieht einen geradezu hinauf zum zeitgenössischen, kindsgrossen Holzmodell des – für die Renaissance typischen – kirchlichen Zentralbaus (Santa Maria della Consolazione in Todi), der auf dem obersten Absatz thront. Renaissance, wir kommen!

Die Geschichte kennt keine Epochen, nur das Chaos der Ereignisse und die Trägheit der Mentalitäten. Die Epochen werden von den Historikern gebildet. Jacob Burckhardt, der solitäre revolutionäre Reaktionär aus Basel, prägte mit seinem 1860 erschienenen Buch «Die Kultur der Renaissance in Italien» den bis heute gängigen Renaissance-Begriff, der die Zeit von etwa 1400 bis 1600 umfasst, als toskanische Dichter und florentinische Humanisten in den Ruinen und Texten der Antike ein neues, individualisiertes Menschenbild finden, dem Gott nicht mehr der alleinige Massstab ist.

Als Reverenz an Burckhardt ist dessen Schreibtisch in einem gläsernen Kubus ausgestellt, auf den von einem Treppenabsatz das gigantische Haupt einer römischen Statue herabblickt – eine von vielen gelungenen Inszenierungen, die den im Bann seiner Heroen stehenden Gelehrten evoziert. Anders als Burckhardt indes weitet die Schau, die von Denise Tonella (Landesmuseum Zürich) und Bernd Roeck (Universität Zürich) konzipiert wurde, die Perspektive von Italien auf ganz Europa und darüber hinaus auf die arabische Welt und etwa Kolumbus' amerikanische Entdeckungsfahrt von 1492.

Anders auch als Burckhardt verzichtet die Schau weitgehend auf die Politik, die geprägt war vom Aufstieg und Niedergang der Stadtrepubliken sowie des Soziallebens der führenden Schichten, der ausufernden Geselligkeit des Adels und seiner blutigen Fehden. Verwandt bleibt die Schau Burckhardt darin, dass sie die Renaissance als eine Angelegenheit ausschliesslich der Eliten fasst. Von dem neuen Menschenbild, das die Subjektivität und Individualität hervorhob – kaum entziehen kann man sich dem rätselhaften, auf den Betrachter gerichteten Blick des Schaffhauser Malers Tobias Stimmer, der sich bei der Arbeit porträtiert –, bekam der weitaus grösste Teil der damaligen Bevölkerung nichts mit.

Auch von den weiteren «Revolutionen», die neben der «Bilderrevolution» insbesondere der flämischen Malerei und der Architektur Thema sind (Zentralperspektive), dürften die meisten Leute nur am Rand Kenntnis genommen haben: die Kartografie und Astronomie (Kopernikus), die Sezierungsexperimente der Medizin, die botanischen Klassifizierungen, die Mechanik der Uhren. Nur die «Medienrevolution» drang zu ihnen vor, die um 1450 mit der Gutenbergschen Druckerpresse ihren Anfang nahm. Ohne sie hätte die Reformation, ein weiterer Umbruch jener Zeit, kaum stattgefunden. Eine Replik der Holzmaschine, die der Humanist Erasmus von Rotterdam «ein beinahe göttliches Werkzeug» nannte, verblüfft mit ihrer Einfachheit.

Die kulturhistorisch orientierte Schau, die nicht nur mit ihren Objekten, sondern auch mit ihren präzisen, informierten Hinweistexten überzeugt, hat einen Zug ins Erhabene. Sie streicht hervor, wie die Künstler und Gelehrten das Schönheitsideal der alten Griechen kultivierten und in ihrem Schaffen nach Harmonie und Ausgewogenheit strebten. Zahlreich sind die Belege dafür. Die Renaissance steht für eine selbstbewusste, strahlende Moderne: Revolution, Subjektivität, Wissenschaft, Technik – und für die Dialogbereitschaft über die Grenzen der eigenen Kultur und Konfession hinaus.

Sterben in Schönheit und Kälte

Am Schluss des Rundgangs trifft der Besucher auf eine barocke, blendend weisse Marmorskulptur: Prometheus, der sich am Felsen windet, während ein Adler ihm die Leber aus dem Leib hackt. Am Ende stirbt die Renaissance, immerhin, in «Schönheit und Kälte». Die Religionskriege ertränken das humanistische Ideal der Toleranz in Blut, in der Kleinen Eiszeit gefriert es.

Doch hat die Renaissance diese Abgründe nicht von Anfang an mitbedacht? Thomas Morus entwarf satirisch eine Gegenwelt zur ungerechten Ständegesellschaft mit ihrem religiösen Fanatismus und begründete das utopische Denken, Machiavelli trat, indem er in der Politik von Florenz eine Art Klassenkampf am Werk sah, als Analytiker der Macht auf, der die gottgegebene Vorherrschaft des Adels pulverisierte, Rabelais kriegte nicht genug von sarkastisch-skatologischen Spässen. Mit dem Selbstreflexiven, Verstörenden, Abseitigen der Renaissance liesse sich deren Modernität komplettieren.


Landesmuseum Zürich: Europa in der Renaissance. Metamorphosen 1400–1600. Geöffnet anlässlich des 26-stündigen Fests von 31. Juli und 1. August. Bis 27. November 2016. Katalog: Europa in der Renaissance, hg. vom Schweizerischen Landesmuseum. Hantje Cantz, Berlin 2016. 344 S., 380 Abb., Fr. 55.–.


Nota. - Irgendwo habe ich versprochen, die Formulierung "die Moderne" nicht mehr zu gebrauchen - der eine lässt sie mit der Jenaer Romantik beginnen, der andere mit Kandinskys erstem abstrakten Bild, und Urs Hafner eben mit der Renaissance. Jedes hat irgendwie seine Berechtigung, aber wenn man es sowieso immer wieder en détail erläutern muss, kann man auf den pauschalierenden Ausdruck auch gut verzichten. Zumal sich Ausrut-scher kaum vermeiden lassen: So war die Aristoteles-Rezeption der 'Lateinischen Averroisten' der Ausgangs-punkt der Hochscholastik und gehört noch ganz und gar zum Mittelalter, das in Wahrheit der muslimischen Kultur viel unbefangener gegenüberstand als 'die Moderne'. Aber sie war die Voraussetzung des sog. Unviver-salienstreits gewesen, und den darf man allerdings als einen, und sogar als einen der prominentesten Anfänge der Moderne nennen; doch als einen der Renaissance gerade nicht, denn die hat zuerst einmal Plato wiederent-deckt und Aristoteles ins Fegefeuer verbannt.

Und wenn wir schonmal Epochengrenzen vermessen, dann können wir auch gleich beim Renaissancebegriff selbst beginnen. Natürlich ist es richtig, die Geschichtsepoche in Europa, die vom Humanismus und dem Aufkommen des Buchdrucks (auch so ein 'Anfang') geprägt war, unter einem Namen zusammenzufassen. Aber das ist mittlerweile so oft und selbstverständlich geschehen, dass es an der Zeit wäre, 'die Renaissance' wieder stärker nach ihren Ausbildungen diesseits und jenseits der Alpen zu scheiden. Denn einerseits hat sich im Norden besonders in der Malerei ein starker 'gotischer' Anteil bis ins Barock hinein erhalten. Dagegen hat die nördliche gotische Bildhauerei ein Menschenbild gezeichnet, das in Italien eben erst mit der Renaissance Eingang fand (und in dem der Fahrende Ritter durchschimmert - den die Italiener freilich nicht kannten). Na und so weiter. - Wenn ich aber den Rezensenten recht verstehe, dann ist die Zürcher Austellung insgesamt viel zu affirmativ, um solche Fragen aufzuwerden.
JE 

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