Melanesier, Papua-Neuguinea
aus nzz.ch, 22.9.2016, 09:24 Uhr
«Out of Africa»
Die wandernden Genome
Wie der moderne Mensch einst von Afrika aus die Erde bevölkerte, ist noch immer unklar. Erbgutanalysen sollen helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Der anatomisch moderne Mensch, Homo sapiens, ist in Afrika entstanden und hat von dort aus praktisch alle einigermassen bewohnbaren Ecken der Erde besiedelt – darüber ist sich die Wissenschaft im Wesentlichen einig. Doch wie diese Besiedelung genau vonstattengegangen ist, ist unklar. Gleich drei von der wissenschaftlichen Fachzeitschrift «Nature» online veröffentlichte Studien gehen dieser Frage nun mithilfe von Erbgutanalysen nach.¹
Fast 800 Genome
Insgesamt sequenzierten die drei Arbeitsgruppen unabhängig voneinander sehr gründlich das Erbgut von fast 800 Personen, die zu über 270 verschiedenen Ethnien aus aller Welt gehören. Anhand der Unterschiede in den fein aufgelösten Sequenzen versuchten sie dann nachzuvollziehen, wie eng die einzelnen Genome verwandt sind – miteinander und mit den wenigen Neandertalern und Denisova-Menschen, deren Erbgut man bereits entschlüsselt hat.
Ihre Resultate verglichen sie dann mit den zwei «grossen» Hypothesen zur Auswanderung des Menschen aus Afrika: Die eine geht davon aus, dass der moderne Mensch seinen Mutter-Kontinent vor etwa 40 000 bis 80 000 Jahren verlassen und sich dann einerseits nach Europa und andererseits nach Südostasien hin ausgebreitet hat, wie Joshua Akey von der University of Washington in einem kommentierenden Artikel schreibt. Die andere postuliert eine erste Welle vor ungefähr 120 000 Jahren in Richtung Südostasien und eine zweite, spätere nach Eurasien.
Eine Welle ohne Spuren?
Echte Klarheit bringen allerdings auch die neuen Studien nicht. Keine schliesst das Mehrere-Wellen-Modell kategorisch aus. Spuren davon findet aber nur eine – und zwar in Erbgut aus Papua-Neuguinea. Mindestens zwei Prozent davon könnten von einer frühen und grösstenteils ausgestorbenen Besiedelungswelle stammen, schreiben die Forscher.
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Dürren unterbrachen die Ausbreitung des Homo sapiens
Dürren unterbrachen die Ausbreitung des Homo sapiens
Sven Titz ⋅ Wie das Klima die
Ausbreitung des Menschen über die Kontinente in den letzten 125 000 Jahren
beeinflusste, haben jetzt zwei Forscher mit Computersimulationen untersucht.
Der Takt der Migrationswellen sei durch Schwankungen der Erdbahn vorgegeben
worden, die das Klima verändert hätten, berichten Axel Timmermann und Tobias
Friedrich von der University of Hawaii in Honolulu im Forschungsmagazin «Nature».
Besonders drastisch war demnach ein Migrationsstopp während der letzten
Eiszeit: Vor ungefähr 71 000 Jahren liess die Kälte gemäss den Simulationen einen
Wanderungskorridor im Nordosten Afrikas austrocknen. Erst vor rund 60 000
Jahren war Migration dort wieder möglich. Bekanntlich hat sich der Homo
sapiens in Afrika entwickelt. Archäologische und fossile Funde belegen,
dass die ersten Gruppen vor 120 000 bis 90 000 Jahren in Richtung Levante
und Arabische Halbinsel aufbrachen. Doch die Ausbreitung auf andere Kontinente
kam immer wieder zum Erliegen. Forscher vermuten, dass Klimaschwankungen die
für Migration günstigen Korridore – etwa weite Flusstäler – abwechselnd
ergrünen und vertrocknen liessen.
Anhand von spärlichen Funden biologischen
Ursprungs lässt sich nur schwer rekonstruieren, wie die Umwelt in der Steinzeit
aussah. Darum gingen Timmermann und Friedrich anders vor. Sie simulierten die
von Veränderungen der Erdbahn ausgelösten Klimaveränderungen am Computer und
koppelten an das Klimamodell ein Modell der Vegetation. Die Resultate speisten
sie zusammen mit der rekonstruierten Höhe des Meeresspiegels in ein Modell für
Wanderungsbewegungen ein.
Die Autoren der Studie hätten den bisher
kompliziertesten Modellansatz verwendet, schreiben
Peter deMenocal von der Columbia University in New York und Chris Stringer vom
Londoner Natural History Museum in «Nature». Archäologische Ausgrabungen in der
Levante würden gut zu den Simulationen passen. Das gilt aber nicht für alle
Regionen. Timmermann und Friedrich schreiben, der Homo sapiens könnte Europa
schon vor 80 000 Jahren erreicht haben, 35 000 Jahre eher als bisher vermutet.
Eine so frühe Migration nach Südeuropa sei schwer mit fossilen und
archäologischen Funden zu vereinbaren, monieren deMenocal und Stringer.
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Die beiden anderen Studien entdeckten keine solchen Hinweise. Die eine Gruppe analysierte das Erbgut von Indigenen aus Australien und Papua-Neuguinea. Aus dessen Analyse schliessen die Wissenschafter, dass sich die Wege der von ihnen untersuchten Volksgruppen vor etwa 51 000 bis 72 000 Jahren von jenen der Eurasier trennten und dass die Vorfahren beider in einer Welle aus Afrika ausgewandert waren.
Die andere Gruppe untersuchte Genome, die im Simons Genome Diversity Project sequenziert wurden, und kam ebenfalls zum Schluss, dass zur heutigen genetischen Diversität nur eine Welle «out of Africa» beigetragen hat – was nicht ausschliesst, dass es weitere gegeben haben könnte, die keine Spuren im untersuchten Erbgut hinterliessen.
Grenzen der Genetik
Man sei zurzeit methodisch und von der Datenlage her am «genetischen Ereignishorizont» der Ausbreitungsbiologie des Menschen angekommen, konstatiert denn auch Christoph Zollikofer von der Universität Zürich – und sehe noch nicht, was sich hinter diesem verberge.
¹ Nature, Online-Publikationen vom 21. September 2016