Donnerstag, 29. September 2016

Die sogenannte Aggression.

aus nzz.ch,  

Tödliche Aggression
Die tierischen Wurzeln menschlicher Gewalt
Die Bereitschaft, Artgenossen zu töten, scheint im Menschen genetisch verankert zu sein. Kulturelle Faktoren entscheiden jedoch über ihre Umsetzung.

von Katharina Dellai-Schöbi 

Die tiefen Frakturen am Schädel lassen nichts Gutes erahnen: Zweimal wurde der junge Frühmensch mit demselben Gegenstand an der Stirn verletzt, dann durch einen 13 Meter tiefen Schacht in eine Höhle geworfen. So zumindest haben Archäologen letztes Jahr die Verletzungen interpretiert, die der rund 430 000 Jahre alte Schädel «Cranium 17» aus der archäologischen Fundstätte Sima de los Huesos im Norden Spaniens aufweist. Die Forscher wollen damit den frühesten bekannten Fall eines gewaltsamen Todes in der Menschheitsgeschichte rekonstruiert haben. Das Töten von Artgenossen scheint also fest im Stammbaum des Menschen verankert zu sein. Ein Forscherteam um José Maria Gómez von der Estación Experimental de Zonas Áridas in Almería ist nun dem evolutiven Ursprung dieser Gewaltbereitschaft auf den Grund gegangen. Ihre Ergebnisse präsentieren sie nun in der Fachzeitschrift «Nature».

Gewaltbereite Primaten

Die Gewalttätigkeit des Menschen beschäftigt die Fachwelt seit Jahrhunderten. Heute sind die Experten einig, dass tödliche Aggression gegenüber Mitmenschen eine kulturelle und eine genetische Komponente hat und entsprechend auch durch die Evolution geprägt worden sein dürfte. Aus diesem Blickwinkel ist die Bereitschaft, Artgenossen zu töten, eine Strategie, den eigenen Fortpflanzungserfolg zu erhöhen: Es wird mit allen Mitteln um Partner oder Nahrung gekämpft, Konkurrenten werden kurzerhand aus dem Weg geräumt.


Um herauszufinden, wie weit eine solche tödliche Gewaltbereitschaft bei Säugetieren verbreitet ist, analysierten Gómez und seine Kollegen publizierte Daten zu mehr als 4 Millionen Todesfällen bei 1024 Säugetierarten und mehr als 600 Populationen des Menschen aus den vergangenen rund 50 000 Jahren. Bei fast 40 Prozent der untersuchten Arten fanden die Wissenschafter Hinweise auf tödliche Aggressionen gegen Artgenossen. In einem weiteren Schritt untersuchten sie dann, ob das Ausmass der menschlichen Gewaltbereitschaft aufgrund unserer Position innerhalb des Stammbaums der Säugetiere zu erwarten ist. Dazu berechneten sie die Gewaltbereitschaft des Menschen anhand jener verwandter Arten.

Die Auswertungen ergaben, dass bei der Gattung Homo – zu der der moderne Mensch, aber auch der Neandertaler gehört – 2 Prozent aller Todesfälle durch Gewalteinwirkung zustande kommen sollten. Dieser Wert hat sich im Lauf der Entwicklungsgeschichte verändert, wie die Analysen weiter zeigten. Bei den ursprünglichsten Säugetieren war er mit weniger als einem Prozent noch tief, um dann bei der Entstehung der Primaten auf 2,3 Prozent anzusteigen. Als sich die ersten Menschenaffen und Menschen entwickelten, sank er wieder auf 1,8 Prozent. Laut den Forschern deutet dies darauf hin, dass die Bereitschaft, Artgenossen zu töten, in der Linie der Primaten tief verankert ist.

Weniger Morde in Staaten

Schliesslich verglichen Gómez und sein Team den anhand des Stammbaums ermittelten Wert mit den Literaturdaten. Wie sich zeigte, war das Ausmass an tödlicher Aggression in den meisten Epochen deutlich höher als erwartet und sank erst in den letzten 500 Jahren unter die 2-Prozent-Marke. Laut Gómez könnten dafür Unterschiede in den soziopolitischen Strukturen (Gruppen von Jägern und Sammlern, Bauerngemeinschaften, Stammesfürstentümer und Staaten) ausschlaggebend sein.

In Stammesfürstentümern sind 14 Prozent der Todesfälle gewaltsam. Laut den Forschern liegt dies daran, dass in diesen Strukturen Konflikte um Territorien, begrenzte Ressourcen oder einen höheren Status häufig sind. Anders sieht es bei Gesellschaften aus, die in Staaten leben. Hier macht der Anteil der absichtlich getöteten Personen deutlich weniger als 2 Prozent aller Todesfälle aus; womöglich, weil die Monopolisierung der legalen Gewaltanwendung durch den Staat die Gewaltbereitschaft verringere, vermuten die Forscher.

Nature, Online-Publikation vom 28. September 2016.

Todesfälle durch Gewalt 

aus scinexx
 
... Wie aber sieht es mit dem Menschen aus? Am Ursprung der Menschheit lag das Ausmaß der innerartlichen Gewalt bei zwei Prozent, wie die Forscher ermittelten. Demnach waren unsere steinzeitlichen Vorfahren noch kaum aggressiver als andere Primaten. "Der Mensch hat seine Neigung zur Gewalt stammesgeschichtlich geerbt", konstatieren Gómez und seine Kollegen. "Er verdankt dies seiner Position in einem besonders gewaltbereiten Ast des Säugetier-Stammbaums."

Unser aggressives Erbe ist jedoch sowohl genetisch als auch sozial bedingt: "Das Sozialverhalten und die Territorialität, die wir mit unseren nächsten Verwandten teilen, haben ebenfalls dazu beigetragen", betonen die Forscher.

Gewaltsprung vor 5.000 Jahren

Im Laufe unserer Kulturgeschichte hat sich dann die Gewaltrate weiter verändert. In der Zeit vor 5.000 bis 3.000 Jahren stieg sie steil auf 15 bis 30 Prozent an, wie Gómez und seine Kollegen berichten. Sie führen dies auf das Aufkommen von Stammesfürsten und größeren Gruppenverbänden zurück. Mit ihnen häuften sich auch Fehden und Kriege.

Erst in der Neuzeit, vor rund 100 Jahren, sind Mord und Totschlag wieder seltener geworden: Heute liegt die Rate tödlicher Gewalt nur noch bei 0,1 Prozent, wie Studien zeigen. Damit liegen wir heute um das rund 200-Fache niedriger als unsere Vorfahren in der Steinzeit. Das belegt eindrücklich, dass auch wir Menschen kein reines Produkt unserer Biologie sind – aggressives Erbe hin oder her. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19758

(Nature, 29.09.2016 - NPO


Nota. - Man mag es drehen, wie man will: Ein Gutes hat die Zivilisation jedenfalls gebracht - sie hat uns friedlicher gemacht - nachdem die Naturgeschichte uns über Millionen Jahre hin hat mörderischer werden lassen.
JE




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