Maidan, Kiew
aus nzz.ch, 29.12.2016, 05:30 Uhr
Tiefgreifende Reformerfolge in der Ukraine
Angriff der Zivilgesellschaft
Anders,
als die westlichen Medien es meist darstellen, stagnieren die
Verhältnisse in der Ukraine keineswegs. Die politischen Reformen
beginnen langsam, aber ernsthaft zu greifen.
Im Gegensatz zum Bild, welches westliche Medienberichterstattung zur Ukraine meist vermittelt, ist in dem postsowjetischen Land ein ernsthafter Reformprozess im Gang. Zwar sind die ukrainische Politik und Gesellschaft heute nicht weniger, sondern womöglich noch mehr von Skandalen und Anschuldigungen geprägt als zuvor. Möglicherweise entsteht bei einigen Beobachtern gar der Eindruck, dass die Lage derzeit schlimmer als früher ist. Tatsächlich zeugen jedoch die sich verschärfenden politischen Schlachten in Kiew von der zunehmenden Tiefe, Nachhaltigkeit und Unumkehrbarkeit der Veränderungen.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren ging es um die Annahme einer Vielzahl neuer Gesetze sowie die Schaffung einer Reihe neuer Institutionen – etwa zur Korruptionsbekämpfung. Nun beginnt allmählich die zwar häufig stockende, aber doch fortschreitende Umsetzung neuer Wirtschafts-, Verhaltens- und Verwaltungsregeln im täglichen Leben. Dies hat für einige Bevölkerungsteile – nicht zuletzt für einen Grossteil der alten Wirtschafts- und Politikerelite – unangenehme, ja manchmal schmerzliche Folgen. Lang gewohnte Subventionen, liebgewonnene Privilegien, alteingesessene Pfründen, eingespielte Mechanismen und weit gesponnene Netzwerke fallen weg oder verlieren an Bedeutung.
Im Gegensatz zum Bild, welches westliche Medienberichterstattung zur Ukraine meist vermittelt, ist in dem postsowjetischen Land ein ernsthafter Reformprozess im Gang. Zwar sind die ukrainische Politik und Gesellschaft heute nicht weniger, sondern womöglich noch mehr von Skandalen und Anschuldigungen geprägt als zuvor. Möglicherweise entsteht bei einigen Beobachtern gar der Eindruck, dass die Lage derzeit schlimmer als früher ist. Tatsächlich zeugen jedoch die sich verschärfenden politischen Schlachten in Kiew von der zunehmenden Tiefe, Nachhaltigkeit und Unumkehrbarkeit der Veränderungen.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren ging es um die Annahme einer Vielzahl neuer Gesetze sowie die Schaffung einer Reihe neuer Institutionen – etwa zur Korruptionsbekämpfung. Nun beginnt allmählich die zwar häufig stockende, aber doch fortschreitende Umsetzung neuer Wirtschafts-, Verhaltens- und Verwaltungsregeln im täglichen Leben. Dies hat für einige Bevölkerungsteile – nicht zuletzt für einen Grossteil der alten Wirtschafts- und Politikerelite – unangenehme, ja manchmal schmerzliche Folgen. Lang gewohnte Subventionen, liebgewonnene Privilegien, alteingesessene Pfründen, eingespielte Mechanismen und weit gesponnene Netzwerke fallen weg oder verlieren an Bedeutung.
Letzte Abwehr der Oligarchen
So geht es in den ukrainischen Medien,
Ministerien und Parlamenten heute heiss her. Allwöchentlich gibt es
neue Korruptionsvorwürfe gegen diese oder jene Amtsperson – bis hin zum Präsidenten des Landes. Oft sind die Anschuldigungen gerechtfertigt, aber manchmal wird auch gezielt gelogen und diffamiert. Die berüchtigten Oligarchen sind noch immer nicht aus den staatlichen Entscheidungsprozessen verdrängt.
Sie spüren, dass sich ihre Zeit dem Ende nähert, wehren sich umso
aggressiver gegen den Reformprozess und versuchen noch ein paar
Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Der
Grund dafür, dass sich die Ukraine derzeit trotzdem ändert, hat wenig
mit einem Sinneswandel unter ukrainischen Politikern zu tun. Vielmehr
gibt es ein neues Umfeld, in welchem sich die gekauften politischen
Parteien, korrumpierten Beamtenapparate und informellen
Wirtschaftsnetzwerke heute bewegen.
Zum
einen ist die ukrainische Zivilgesellschaft zu einem gewichtigen Faktor
im nationalen Gesetzgebungsverfahren und staatlichen
Entscheidungsfindungsprozess geworden. Die Aktivisten und
Bürgerorganisationen der «Orangen Revolution» vom November/Dezember 2004
zogen sich damals im Anschluss an ihren zunächst erfolgreichen
Wahlaufstand wieder aus der Politik zurück. Sich selbst überlassen,
versank die alte politische Klasse in zermürbenden Flügelkämpfen und
Korruptionsskandalen. Deren Folgen spülten schliesslich 2010 einen der
übelsten Vertreter der postsowjetischen Politikerklasse, Wiktor
Janukowitsch, an die Macht.
Heute
sind dagegen viele der Initiatoren und Organisatoren der «Revolution
der Würde» von 2013/2014 in dieser oder jener Form im politischen
Prozess verblieben. Hunderte einstige, meist junge Bürgerrechtler üben
derzeit als Parlamentarier, Lobbyisten, Publizisten, Analysten, Anwälte
und Beamte in Kiew und den Regionen Druck auf die immer noch dominante,
alte politische Klasse aus.
Zum
anderen hat sich die Bedeutsamkeit internationaler – meist westlicher
oder westlich geprägter – Organisationen und auch der westlichen
Botschaften im politischen und wirtschaftlichen Leben der Ukraine seit
2014 deutlich erhöht. Der IMF
und die EU stellen heute – gemeinsam mit Dutzenden weiteren
Geberorganisationen – der Ukraine eine Art neuen Marshall-Plan zur
Verfügung. Mit dem frischen Geld aus Brüssel, Washington und Berlin
gehen auch härtere Forderungen nach mehr Transparenz, substanzieller
Transformation und vorzeigbaren Resultaten einher.
Häufig
arbeiten die westlichen Diplomaten und Geber in Kiew bei der
Formulierung der Konditionen und Modi ihrer finanziellen Förderung mit
ukrainischen Aktivisten, Forschern und Journalisten zusammen. Die alte
politische Klasse ist daher heute in einer Art Sandwichsituation
gefangen: Von der einen Seite fordert die Zivilgesellschaft schnellere
Reformen. Von der anderen Seite verleihen die internationalen Geber
diesen Forderungen mit Zuckerbrot und Peitsche Gewicht.
Der
ukrainische Transformationsprozess dürfte auch in Zukunft von
Rückschlägen, Stagnationsphasen und Zickzackbewegungen geprägt bleiben.
Jedoch wird die laufende Mammutreform letztlich zum Erfolg führen. In
zirka zehn Jahren wird die Ukraine ein anderes Land mit weniger
Korruption, einem erfolgreicheren Wirtschaftsmodell und besserem
Verwaltungsapparat sein. Ein Grossteil des weitreichenden ukrainischen
Assoziierungsabkommens mit der EU sowie des derzeit anlaufenden
tiefgehenden Dezentralisierungsprogramms wird umgesetzt sein. Damit wird
die Ukraine auch als Neumitglied für die EU interessant werden und
früher oder später Beitrittsverhandlungen aufnehmen.
Unwille in Moskau und Minsk
Grösster
Risikofaktor einer solchen Prognose sind nicht die innerukrainischen
Reformgegner. Vielmehr drohen künftige ukrainische Reformerfolge und
eine EU-Mitgliedschaftsperspektive auf Unwillen in Moskau und Minsk
zu stossen. So lange, wie Russland und Belarus nicht selbst ernsthafte
Reformen und ihre eigene Assoziation mit der EU angehen, werden neue
Eskalationen insbesondere in der Ost- und der Südukraine wie ein
Damoklesschwert über Kiew hängen.
Seinen Low-Intensity-Hybridkrieg
gegen die Ukraine wird Moskau womöglich ohnehin noch für Jahre
fortführen. Solange das fundamentale Sicherheitsproblem der Ukraine
ungelöst ist, besteht das Risiko, dass die erheblichen ukrainischen
Reformanstrengungen und gutgemeinten westlichen Hilfsmilliarden letzten Endes sinnlose Liebesmüh bleiben.
Andreas Umland ist Senior Research Fellow am Institut für Euro-Atlantische Kooperation in Kiew.
Nota. - Das klingt so triumphal, als hätte er dafür Geld bekommen; ich meine, mehr als das übliche Autoren- honorar. Aber weil es im Kontrast steht zu dem, was man sonst liest, bringe ich es doch. Womöglich ist ja was dran.
JE