Donnerstag, 22. Dezember 2016

Auf dem Rückzug - Obama hat Donald Trump den Weg gewiesen.

aus nzz.ch, 22.12.2016, 05:30 Uhr

Weltpolitik unter Obama
Die frühpensionierte Supermacht
Amerika zieht sich aus seiner Rolle als weltpolitischer Ordnungshüter zurück. Wohin dies führt, haben Konflikte von Syrien über die Krim bis Ostasien in den letzten Jahren auf drastische Art gezeigt.

Kommentar von Andreas Rüesch

Donald Trump und Barack Obama mögen aus zwei völlig gegensätzlichen Welten stammen, aber eines haben sie gemeinsam: Beide verdanken ihre Wahl an die Spitze Amerikas der Fähigkeit, sich dem Volk als Projektionsfläche für alle möglichen unerfüllten Wünsche zu präsentieren. Der Demokrat Obama verkörperte 2008 die Hoffnung auf einen Neuanfang, nachdem sich in der Ära Bush als Folge jahrelanger Kriege ein Gefühl der Erschöpfung ausgebreitet hatte und das Land in die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gestürzt war. Obwohl Obama die in ihn gesteckten Erwartungen unmöglich alle erfüllen konnte, stachelte er sie mit seiner messianischen Rhetorik noch an: Sein Sieg möge künftigen Generationen als jener Moment in Erinnerung bleiben, als «der Anstieg der Meere sich zu verlangsamen begann», ein Krieg endete und Amerika «sein Image als die letzte Hoffnung auf Erden» zurückgewann, predigte er vor acht Jahren.



«Smart» gescheitert 

Gemessen an diesen bombastischen Worten, ist Obama gescheitert – das Problem des Klimawandels ist bei weitem nicht gelöst, im Irak fliesst heute mehr Blut als damals, und das Ansehen der USA bleibt in weiten Teilen der Welt angekratzt. Doch wäre es allzu beckmesserisch, die hochtrabenden Ankündigungen des damaligen Jungstars zum Massstab für Erfolg oder Misserfolg zu nehmen. Fairer ist die Frage danach, welchen Spielraum der amerikanische Präsident in der Aussenpolitik besass und wie er ihn zu nutzen wusste.


Obama trat sein Amt mit der Überzeugung an, dass die USA ihre Kräfte überdehnt hatten und nicht auf der ganzen Welt Polizist spielen konnten. Den Widerspruch zur ungebrochenen Ambition auf eine globale Führungsrolle suchte er mit dem Motto «Führen von hinten» zu überbrücken: Fortan sollten regionale und lokale Partner die Hauptlast bei der Krisenbewältigung tragen und die USA nur eine organisatorische Rolle im Hintergrund spielen. Obama hoffte, auf diese Weise dem Morast der Aussenpolitik zu entgehen und sich auf seine Prioritäten daheim, vor allem in der Sozialpolitik, konzentrieren zu können.

Doch was die Administration als «smarte» Politik anpries, war in Wirklichkeit ein Teilrückzug aus der globalen Verantwortung, mit verheerenden Folgen. Schon die Libyen-Intervention von 2011 entlarvte die Schwächen des «leading from behind»: Der Sturz Ghadhafis gelang zwar, doch für die Stabilisierung des Bürgerkriegslandes fühlte sich danach niemand verantwortlich. Nicht eine Überforderung der USA und ihrer Verbündeten war der Grund, sondern reines Desinteresse.

Obamas Kurs lässt sich jedoch nicht beurteilen, ohne ihn vor dem Hintergrund der grössten menschlichen Katastrophe der Gegenwart zu sehen: des Krieges in Syrien. Der Präsident hat einmal bekannt, dass ihn dieses Problem wie kein anderes umtreibe und er sich oft gefragt habe, was er hätte besser machen können. Um eine Antwort war er nie verlegen: Nichts. Seine Syrien-Politik stellte Obama stets als alternativlos dar; Kritiker verunglimpfte er als Besserwisser und gefährliche Ignoranten. Seine Rechthaberei läuft auf den Standpunkt hinaus, dass es für den Westen ein Gebot der Vernunft war, den Tod von über 400 000 Menschen und die Vertreibung von Millionen hinzunehmen. Nach dem Völkermord von Rwanda vor zwei Jahrzehnten – so weit muss man für ein vergleichbares Versagen der sogenannten Weltgemeinschaft zurückschauen – hatte man aus Washington immerhin ein reuiges «Nie wieder!» gehört. Diesmal könnte man die Reaktion mit einem «Tja, so ist halt die Welt» zusammenfassen.

Anfang Jahr stellte Obama in seiner letzten Rede zur Lage der Nation seine Syrien-Politik als Beispiel einer klugen Strategie dar, die auf Geduld, lokale Partner und internationale Friedensdiplomatie setze. Wie viel diese Strategie wert ist, lässt sich derzeit in Aleppo beobachten, wo Truppen des Asad-Regimes, iranische Milizen und Russlands Luftwaffe die letzte grosse Hochburg von mit Amerika verbündeten Widerstandskämpfern zerstört haben und unsägliches Leid über die Bevölkerung brachten. Während Washington wohlfeile Worte im Arsenal hat, operiert Moskau mit Bomben.

Obama wischte die Forderung nach einem energischeren Einschreiten im Syrien-Konflikt, nach mehr als nur einzelnen Nadelstichen gegen die Terrormiliz IS, mit dem Argument zur Seite, dass man damit die Fehler des Irakkriegs unter Bush wiederholen würde. Gewiss konnte es für die USA nach den damaligen Erfahrungen nicht zur Debatte stehen, Syrien zu besetzen. Aber es gab militärische Optionen weit unterhalb der Schwelle einer Invasion, die das Blutvergiessen zumindest eingedämmt hätten. So hätte Washington in den ersten Kriegsjahren ohne grosses Risiko für die eigenen Truppen die berüchtigte syrische Luftwaffe ausschalten oder die Einrichtung humanitärer Korridore erzwingen können. Auch grösserer Druck auf Russland, mit dem Ziel, die Aufrüstung des Asad-Regimes zu stoppen, wäre möglich gewesen.

Natürlich wirft dies die Frage auf, weshalb es überhaupt an den USA liegen sollte, sich in solche Konflikte einzumischen. Gerade in Europa hat es Tradition, den transatlantischen «Hegemonen» mehr als Gefahr denn als Kraft des Guten zu betrachten. Doch diese Sicht blendet aus, welch entscheidende Funktion Amerika als Architekt und Garant der liberalen Weltordnung jahrzehntelang innehatte. Weder China noch die Uno oder die zerstrittenen Europäer sind zu einer solchen Rolle fähig. Sie unterschlägt auch die Tatsache, dass mit Macht Verantwortung einhergeht: Wer, wenn nicht die Grossen, und dazu zählt Europa, könnte denn sonst sicherstellen, dass der in Syrien herrschende Irrsinn brutaler Selbstzerstörung nicht zum weltweiten Normalfall wird? Europa sollte Amerika in seiner Rolle als Führungsmacht nicht bremsen, sondern ermutigen und seinen eigenen Beitrag leisten.

Denn auch nackte Eigeninteressen des Westens sprechen gegen eine Politik des Abseitsstehens. 

Syrien hat gezeigt, wohin diese führt: zur Auflösung von Grenzen und zur Destabilisierung einer ganzen Region, zum Export von islamistischem Terror, zum Höhenflug von Nationalpopulisten in Europa und zu Zerfallserscheinungen der EU infolge von Flüchtlingsströmen, zu wachsenden Machtgelüsten Russlands und zum generellen Verlust an Vertrauen in die USA. Dass sich unter Obama die Weltmacht Amerika quasi in Frühpension verabschiedet hat, rächt sich immer deutlicher. 

Auftrieb für Putin und Peking

Oder hat der abtretende Präsident wenigstens auf anderem Gebiet eine glückliche Hand bewiesen? Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Zähen Verhandlungen mit China ist es zu verdanken, dass die beiden wichtigsten Verursacher von Treibhausgasen den Grundstein zum Klimavertrag von Paris legen konnten. Obamas vielbeschworene Neuorientierung auf Ostasien bleibt jedoch Stückwerk, da Washington der Region trotz allem nur begrenzte Aufmerksamkeit schenkt. China konnte seine Territorialansprüche im Südchinesischen Meer in den letzten Jahren ungehindert absichern; in jüngster Zeit zieht es zudem amerikanische Partner wie die Philippinen und Malaysia immer stärker in seinen Orbit. Als herber Rückschlag erweist sich dabei die Nichtratifizierung des transpazifischen Freihandelsvertrags durch die USA, womit sich die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Amerikaner verstärken. Völlig ungewiss ist, was unter Trump von der Annäherungspolitik gegenüber Kuba und vom Atomabkommen mit Iran bleiben wird. Als definitiv gescheitert gelten muss hingegen Obamas Russlandpolitik, die dem Grossmachtstreben des Kremls wenig entgegensetzte und nicht verhindern konnte, dass mit der Annexion der Krim erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ein europäischer Staat seine Grenzen gewaltsam ausdehnte.

Die Welt steckt heute in grösseren Turbulenzen als vor acht Jahren, als ein frisch gewählter junger Präsident so eloquent die Hoffnungen auf eine gerechtere Zukunft zu entzünden vermochte. Doch Obamas rhetorisches Talent ist zugleich eine seiner grössten Schwächen – sie scheint in ihm die Illusion zu nähren, andere vor allem mit der Kraft des Wortes überzeugen zu können. Wenn dieser Zauber an kruden Machtpolitikern vom Schlage eines Asad, eines Putin oder eines Khamenei abprallt, zeigt der amerikanische Präsident oft Ratlosigkeit. Die Worte lassen Barack Obama auch nach acht Jahren nicht im Stich. Aber zu sagen hat er immer weniger.


Nota. - Der Fehler war nicht der Einmarsch in den Irak, sondern der verfrühte Rückzug. Wahr ist aber auch, das George W. keinen Plan für die Zeit nach Saddam hatte. Hat er geglaubt, der Krieg werde lange genug dauern und unterdessen würden die innerirakischen Fronten sich klären? Auf den Blitzsieg war er so wenig gefasst, wie der Rest der Welt (außer vielleicht Saddam selbst). Die CIA hatte sich von Saddams Rodomontaden bluffen lassen; die scheint ein ganz wunder Punkt in Amerikas Außenpolitik zu sein. 

Bei all dem hätten die Europäer schon unter Obama ahnen können, dass weltpolitisch höhere Anforderungen auf sie zukommen. Auch Angela Merkelhat es erst spät gemerkt, aber gemerkt hat sie's.
JE 


 

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