Freitag, 31. März 2017

Misch- und Übergangsformen zwischen Wildbeuter- und Ackerbaugesellschaften.


    
Prä- und frühhistorische, nichtagrarische Gesellschafteninstitution logo ernährten sich vielfältiger als angenommen 

Carsten Wette
Stabsstelle für Presse und Kommunikation
Freie Universität Berlin  

Nahrungsspektren prä- und frühhistorischer, nichtagrarischer Gesellschaften waren laut einer Studie von Paläontologen und Archäologen vielfältiger als bisher angenommen. Wie die archäobotanische Untersuchung von Fundmaterial aus Nordjapan belegt, gab es bereits in der Ochotsk-Kultur im ersten Jahrtausend n. Chr. eine besondere Form hybrider Subsistenzwirtschaft. Diese war gekennzeichnet durch Jagen und Sammeln auf der einen Seite sowie Landwirtschaft mit dem Anbau vollständig domestizierter Pflanzen wie Gerste auf der anderen Seite. 

Der Anbau von Pflanzen habe aber nicht dazu geführt, dass die Gemeinschaft ihre Lebensweise als Jäger und Sammler aufgegeben hätten, fanden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen heraus. Die Ochotsk-Kultur war im Nordwest-Pazifik beheimatet und bisher bekannt als typische Jagdkultur, spezialisiert auf die Ausbeu- tung der nahrungsreichen Meeresküsten. Dieser Befund ist nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das erste wissenschaftlich dokumentierte Beispiel für diese spezielle Form hybrider Subsistenz in der Frühgeschichte Ostasiens und ist deshalb von bahnbrechender Bedeutung. An der Studie waren neben dem Institut für geologische Wissenschaften der Freien Universität Forscherinnen und Forscher des Deutschen Archäologischen Instituts, der Universität Hokkaido (Japan), der University of Alberta (Kanada) und des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte beteiligt.

Die Ergebnisse wurden in der jüngsten Ausgabe des Magazins PLOS ONE veröffentlicht. "Wir waren über- rascht über den Beweis, dass auch domestizierte und selbst angebaute Pflanzen wie Gerste ein Teil der Ernäh- rung waren - der Feldbau aber trotzdem nicht zur Transformation der Jäger- und Sammlerkultur in eine Bauern- kultur geführt hat", betont Erstautor Dr. Christian Leipe, der Studie koordinierte. "Die neu gewonnenen Daten regen an, die bislang etablierte Klassifikation von Subsistenzstrategien zeitlich und räumlich fremder Kulturen zu hinterfragen. Die Ernährung des Menschen basierte während der längsten Zeit seiner Evolution auf Jagen und Sammeln, auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen.

Erst mit dem Beginn der gegenwärtigen Warmzeit, dem Holozän, vor etwa 11.700 Jahren, begannen Menschen in verschiedenen Teilen der Welt, Pflanzen und Tiere zu domestizieren und sesshaft zu werden. Diese Entwick- lung hin zu einer Lebensweise, die überwiegend auf Ackerbau und Viehzucht beruht, wurde lange Zeit als ein relativ schneller, nicht umkehrbarer Prozess betrachtet, der überall auf der Welt ähnlich verlief, wenn auch nicht gleichzeitig. Entwicklungstheoretische Ansätze folgten dem sogenannten Dualismusprinzip, das prähistorische Kulturen in zwei Kategorien teilte: Wildbeuter und Bauern.

Erst seit einigen Jahren setzt sich in der archäologischen Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass viele Gemeinschaften unterschiedliche Subsistenzstrategien anwendeten, die in Gänze weder der einen noch der anderen Kategorie ausschließlich zugeordnet werden können. Angepasst an die Ressourcen ihres Naturraums bedienten sich diese Gemeinschaften sowohl wilder als auch gezüchteter Arten. Neue Erkenntnisse für das Verständnis solch hybrider Ernährungsstrategien liefern die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie der Freien Universität Berlin, des Deutschen Archäologischen Instituts, der Universität Hokkaido (Japan), der University of Alberta (Kanada) und des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena.

Die Analyse fossiler makrobotanischer Reste aus Kulturschichten des archäologischen Fundplatzes "Hamanaka 2" auf der Insel Rebun im Norden Japans förderte hunderte karbonisierte Samen der Nacktgerste (Hordeum vulgare var. nudum) zu Tage. Durch direkte Radiokarbondatierungen der Samen konnten die Funde der sogenannten Ochotsk-Kultur zugeordnet werden. Diese Gemeinschaft lebte während des 1. Jahrtausend n. Chr. an den Küsten des Ochotskischen Meeres und besiedelte zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert auch Teile der nördlichen Inseln Japans. Bekannt sind die Ochotsker für ihre hochentwickelte maritime Jagdtechnik (Fisch-, Robben- und Walfang), weshalb sie bislang für klassische Jäger und Sammler gehalten wurden.

Die umfangreichen Funde von Gerste aus einem Zeitraum von mindestens 500 Jahren zusammen mit Spuren signifikanter Rodung und Öffnung der dicht bewaldeten Landschaft zeigen jedoch, dass diese Gemeinschaft von hochgradig spezialisierten Wildbeutern langfristig auch Nutzpflanzen anbaute. Feldbau war ein wesentlicher Bestandteil der Subsistenzwirtschaft der Ochotsk-Gemeinschaften in Japan.

Die Studie wurde im Rahmen des internationalen Baikal-Hokkaido Archaeology Projects (BHAP, http://bhap.artsrn.ualberta.ca/ ) durchgeführt.

Weitere Informationen
Dr. Christian Leipe, Institut für geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 83870271, E-Mail: c.leipe@fu-berlin.de, im Internet: www.geo.fu-berlin.de/paleo

Referenz:
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0174397

Literaturangabe
Leipe, C., Sergusheva, E.A., Müller, S., Spengler III, R.N., Goslar, T., Kato, H., Wagner, M., Weber, A.W., Tarasov, P.E., (2017). Barley (Hordeum vulgare) in the Okhotsk culture (5th-10th century AD) of northern Japan and the role of cultivated plants in hunter-gatherer economies. PLOS ONE 12(3): e0174397

Diese Pressemitteilung auf unserer Website:
http://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2017/fup_17_062-erkenntnisse-zu...

Donnerstag, 30. März 2017

Trump und Feyerabend, II.

aus Süddeutsche.de

Trumps Politik der falschen Behauptungen
Der US-Präsident beharrt darauf, sein Vorgänger habe ihn abgehört. Ohne Beweis. Jetzt zeigt eine Studie, wie viele Amerikaner trotzdem daran glauben - und wie gefährlich Trumps Taktik ist. 

Es war ein Samstagmorgen Anfang März als Donald Trump in seinemn Ferienressort Mar-a-Lago in Florida zum Handy griff und einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachging. In 140 Zeichen ein ganzes Land in Aufregung versetzen. 

Diesmal erhob Donald Trump den Vorwurf, sein Vorgänger Barack Obama habe ihn während des Wahlkampfes abhören lassen. Ein Vorwurf, der Trump noch große Probleme bereiten könnte.

Und für den bisher es keine Beweise gibt. Er ist aus der Luft gegriffen. Die Chefs von NSA und FBI haben Trumps Klage bei einer Anhörung kategorisch zurückgewiesen. Allein das: ein mehr als außergewöhnlicher, ein dramatischer Vorgang. Der Präsident der USA wurde von den Geheimdienstchefs, mit denen er eigentlich eng zusammenarbeiten sollte, öffentlich bloßgestellt.


Barack Obama hat die US-Geheimdienste nicht damit beauftragt, Donald Trump im Trump Tower abzuhören. Und trotzdem glauben 47 Prozent aller Amerikaner, es sei "sehr wahrscheinlich" oder "wahrscheinlich", dass Trumps Büros während der Präsidentschaftskampagne 2016 von Regierungsstellen überwacht wurden. Bei den Republikanern glauben dies sogar 74 Prozent. Das zeigt eine aktuelle CBS-Studie. Was viele Amerikaner glauben, hat mit Fakten in diesem Fall wenig zu tun. Durchaus aber etwas mit der parteipolitischen Präferenz. 

Das zeigt auch eine andere aktuelle Umfrage, die gerade veröffentlicht wurde

 


Ohne dass sich etwas an ihrer finanziellen Situation geändert hat, erklären Republikaner nach der Wahl doppelt so oft als vier Monate zuvor, dass sie sich, was ihre finanzielle Situation angeht, jetzt besser fühlen. Doch nicht nur die Konservativen haben ihre Wahrnehmung geändert. Demokraten empfinden ihre finanzielle Situation jetzt als durchschnittlich sehr viel schlechter als zuvor unter Barack Obama.

Was sagt das aus über die Vereinigten Staaten von Amerika und den Zustand des Landes unter dem neuen Präsidenten?

Es geht nur noch um Sympathie

Vor allem machen die Zahlen deutlich, welchen Erfolg Trump mit seiner Strategie hat.
 
Trump versucht mit Aussagen ein Amerika zu schaffen, in dem Fakten eine immer geringere Rolle spielen. Das ist im Wahlkampf bereits deutlich geworden, dass er das Vorhaben auch als Präsident weiter und mit jetzt durchschlagender Wirkung betreibt, hat dann kaum mehr überrascht. Die Folgen sind im Detail noch nicht abzuschätzen. Aber sie dürften die politische Landschaft für eine lange Zeit grundlegend verändern.

Jeder misstraut jedem. Das ist die Voraussetzung für eine Politik jenseits der Fakten, wie Trump sie macht. Denn wenn die Wahrheit keine Rolle mehr spielt, dann geht es, so Trumps Kalkül, nur noch um Sympathie, darum ob er seine Wähler bedient.

Das ist Trumps Taktik. Der Präsident spricht so über die Welt, wie er glaubt, dass seine Anhänger sie sehen oder gerne sehen würden. Damit treibt er die Spaltung einer ohnehin polarisierten Gesellschaft weiter voran. Und bereitet den Boden für eine Entwicklung hin zum Autoritären. Das Autoritäre ist verführerisch, weil es einem erspart, Unfähigkeit, Differenz und Ambivalenz ertragen zu müssen.

Für die demokratische Debatte sind dagegen belegbare Fakten essentiell. Gestritten wird in der funktionierenden Demokratie darüber, was aus den Fakten folgt. Wenn es aber gar keine Einigkeit mehr gibt, wenn alles gleichzeitig wahr ist und unwahr ist, dann kann es keine ergebnisoffenen Diskussionen geben. Dann herrscht das Recht des Stärkeren.

Mittwoch, 29. März 2017

‚Finanzmarktkapitalismus‘.

Faust, Kädtler, Wolf (Hg.): Finanzmarktkapitalismus _ Cover
‚Finanzmarktkapitalismus‘ – treffende Bezeichnung für die Gegenwartsgesellschaft?

Dr. Jennifer Villarama 
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)

28.03.2017 15:46

‚Finanzmarktkapitalismus‘ dient als Chiffre für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. Leben, wirtschaften und arbeiten wir heute tatsächlich im ‚Finanzmarktkapitalismus‘? Mit dem Fokus auf Arbeit, Wachstum und Innovation werden in dem von Michael Faust, Jürgen Kädtler und Harald Wolf (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen) jüngst herausgegebenen Buch kontroverse Positionen und Befunde zu dieser Frage präsentiert. Die Debatte über das Zusammenspiel von Finanzmärkten, Finanzmarktakteuren, Unternehmen und der Arbeitswelt soll durch die neuen Forschungsbeiträge weiter vorangetrieben werden.

In den Sozialwissenschaften herrscht Einigkeit darüber, dass der mit einer zunehmenden Kapitalmarktorientierung von Unternehmen verbundene und mit Schlagworten wie ‚Shareholder Value‘ oder ‚Vermarktlichung‘ belegte Wandel neue Rahmenbedingungen für Arbeit, Beschäftigung, Innovationsfähigkeit und Wachstumsaussichten geschaffen hat. Strittig bleibt, welche Sektoren der Wirtschaft durch welche Veränderungen betroffen sind und welche Wirkungen im Einzelnen erwartet werden.

Der Göttinger Soziologe und Mit-Herausgeber Michael Faust betont: „Die Bestimmung von Zusammenhängen zwischen dem Wandel der Wirtschafts- und Finanzsphäre und den empirischen Einzelbefunden zur Entwicklung von Arbeit, Beschäftigung und Innovation wirft theoretische Probleme auf. Daher bleiben ‚große‘ Trendaussagen wie die vom Ende des ‚Managerkapitalismus oder ‚Innovations- und Wachstumsschwäche‘ als Konsequenzen des Finanzmarktkapitalismus umstritten. Dies gilt auch für die pauschale Zurechnung verschiedener Veränderungen von Arbeit und Innovationsfähigkeit zu ‚Finanzmarktkapitalismus‘ oder ‚Shareholder Value‘.

In dieser Kontroverse seien noch viele Fragen offen, zu denen der Sammelband mit Beiträgen aus der Soziologie und Ökonomie unterschiedliche Positionen und Befunde mit in die Diskussion bringe, so Faust. Darüber hinaus wird ausgelotet, wie unterschiedliche Zugänge konzeptionell und empirisch mit einander verbunden werden können. So plädieren die Herausgeber in ihren eigenen Beiträgen dafür, ‚Finanzialisierung‘ mehrdimensional und als Prozess sozialen Wandels zu begreifen, der durch vielfältige Einflüsse widersprüchlich und konfliktreich bleibt sowie für eine Theorie des Unternehmens, das nicht nur finanzialisiert sein kann.

Das neu erschienene Buch richtet sich sowohl an die Fachwissenschaft als auch an ein gesellschaftspolitisch interessiertes Publikum aus Politik, Gewerkschaften, Unternehmen und Medien.

Weitere Informationen und Kontakt: 

PD Dr. Michael Faust Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. Tel.: +49 551 52205-35
 E-Mail: michael.faust@sofi.uni-goettingen.de 

Dr. Jennifer Villarama
 Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. Tel.: +49 551 52205-19
 E-Mail: kommunikation@sofi.uni-goettingen.de www.sofi-goettingen.de 

Weitere Informationen: http://www.sofi-goettingen.de


Nota. -  Was man vor allem wissen wollte, ist: ob die Arbeit weiterhin die eigentliche Quelle der Wertschöpfung bleiben kann, und - wenn nicht - was sonst als Maß der Wertbestimmung an ihre Stelle tritt. Denn Wertschöpfung muss wohl sein, wo kämen sonst die Gewinne her? Eine bloße Umverteilung ohne Wertzuwachs im Ganzen würde erst zu Stagnation und dann zum Zusammenbruch führen. Ob die hier angezeigte Textsammlung überhaupt solche Fragen stellt? Sonst wollte ich sie Ihnen nicht angezeigt haben.
JE



 

Montag, 27. März 2017

Gleichheit gibt's nur durch Katastrophen.


aus derStandard.at, 27. März 2017, 16:59 
Historiker Scheidel 
Kriege und Seuchen sind Hauptfaktoren für Gleichheit 
Österreichischer Stanford-Historiker sorgt mit neuem Buch für Aufsehen

Wien/Klosterneuburg – Mehr Bildung und Sozialpolitik – beides gilt heute gemeinhin als wirkungsvolles Mittel gegen ein Auseinanderdriften von Arm und Reich. In seinem neuen Buch kommt der österreichische Historiker Walter Scheidel (Stanford University) zu dem Schluss, dass es über Jahrtausende hinweg aber vor allem Kriege und Seuchen waren, die für mehr Gleichheit sorgten. In Wien und Klosterneuburg erklärt er diese Woche seine These.

Natürlich helfen die historisch relativ neuen Instrumente der Qualifizierung durch Bildung und sozialpolitische Maßnahmen dabei, das bestehende Ausmaß an ungleicher Verteilung von Einkommen und Gütern einigermaßen im Zaum zu halten, so Scheidel. "Aber wenn es darum geht, einen bestehenden Grad an Ungleichverteilung deutlich zu vermindern, dann funktioniert das nicht so gut. Dafür braucht es – aus historischer Sicht – dramatischere Veränderungen." 

Vorträge in Wien und Klosterneuburg
 
Im Grunde könne man auch das breitere Ausrollen höherer Bildung und der Sozialpolitik als Reaktion auf die "gewaltsamen Schocks" der beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen, so der Historiker, dessen Analyse unter dem Titel "The Great Leveler" aktuell viel mediale Aufmerksamkeit und erstaunlicherweise wenig Widerspruch in der Forschungsgemeinde auf sich zieht. In Wien referiert der 1966 ebenda geborene Historiker und Numismatiker am Montagabend an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) auf Deutsch, am Mittwoch hält er am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg einen Vortrag auf Englisch. 

Seine Schlüsse zieht Scheidel aus Beobachtungen über sehr lange Zeiträume hinweg: "Das hat bisher noch niemand gemacht. Wenn man sich das aber über solche Perioden ansieht, erkennt man einen Rhythmus." 

Die Ungleichheit steige langsam an oder sei auf hohem Niveau stabil. Ab und zu gebe es dann eine Art Neustart – eben durch Kriege, Seuchen oder Naturkatastrophen. "Das drückt die Ungleichheit sehr stark und oft sehr plötzlich hinunter. Wenn dieser Effekt verschwindet, kehrt man wieder zum ursprünglichen Trend der wachsenden Ungleichheit zurück. Das hat sich in Europa schon mehrfach wiederholt."
 
Ausgleich durch die Katastrophe
 
Betrachte man etwa die Französische Revolution werde auch klar, wie lange sehr ungleiche Systeme bestehen bleiben können. Denn in anderen europäischen Ländern sei die Ausgangssituation nicht unbedingt anders gewesen – Revolution fand beispielsweise im Habsburgerreich trotzdem keine statt. Der Zusammenbruch und gleichzeitig der Beginn einer größeren Veränderung Richtung materiellem Ausgleich kam erst mit der Katastrophe des Ersten Weltkrieges. 

Ausnahmen von dem überraschend simplen Mechanismus seien rar: So habe sich in Teilen Lateinamerikas die Einkommenungleichheit ungefähr seit dem Jahr 2000 ohne großen Krach verringert. Allerdings war die Ungleichheit davor in der Region schon extrem hoch. Unter solchen Bedingungen ließen sich auch mit "relativ bescheidenen Reformen" bereits sichtbare Verbesserungen erzielen. Das gebe zwar Hoffnung, ob der Weg in der Region weiter gegangen wird, sei momentan aber fraglich.
 
Europa habe sich in den vergangenen Jahrzehnten durch gesellschaftspolitische Umverteilungen in einer Phase relativer Gleichheit befunden, "jetzt sind wir vielleicht schon auf dem aufsteigenden Pfad", sagt der Historiker. In den USA habe sich die Ungleichheit in der letzten Generation mittlerweile verdoppelt. Dort würden viele schon davon sprechen, dass die Schieflage mittlerweile mit den 1920er Jahren vergleichbar sei– wenn auch auf insgesamt weit höherem Niveau. 

Eindimensionale Universitäten
 
Gewissermaßen ein Randsymptom des Auseinanderdriftens lasse sich an den US-Unis beobachten. Gerade Leute aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften seien von der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten völlig überrumpelt worden. Das liege daran, dass man sich hier in einer "eindimensionalen Umgebung" befinde, wo mehr oder weniger alle "einer bestimmten politischen Richtung anhängen. Es gibt 'Konservative' nur als Feindbild – und das ist ein Problem", so Scheidel. "Als Europäer war ich von Trump weniger überrascht als viele meiner Kollegen."
 
Für den Historiker, der an der Uni Wien studiert hat, war seine Arbeit an der University of Cambridge (Großbritannien) das Sprungbrett in die USA, wo er seit 2004 als Professor in Stanford tätig ist. Eine Rückkehr nach Österreich strebe er nicht an, auch wenn sich das Wissenschaftssystem in den vergangenen Jahrzehnten merklich geöffnet habe. (APA, 27.3.2017)

"The Great Leveler: Violence and the History of Inequality from the Stone Age to the Twenty-First Century", Princeton University Press, 528 Seiten, 35 US-Dollar.


Aktuelle Vorträge in Österreich
"Was reduziert Ungleichheit?", 27. März, 18.00 Uhr, Festsaal der ÖAW, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
"The Great Leveler", 29. März, 17.00 Uhr, Raiffeisen Lecture Hall des IST Austria, Maria Gugging. 


Nota. - Nur durch Katastrophen, was? Kriege, Seuchen, Naturkatastrophen - und Revolutionen wohl auch. Fragt sich bloß, ob und wozu man Gleichheit will.
JE 

 

Donnerstag, 23. März 2017

Keine Macht für niemand.

oder Warum die Piratenpartei scheitern musste.

Das Internet macht den Pöbel zur herrschenden Klasse.







Montag, 6. März 2017

Das Gold aus Thrakien.

aus Die Presse, Wien,

„Gold macht die Augen gelb“
Das Kunsthistorische Museum präsentiert in „Das erste Gold“ gleich zwei Schätze: einen aus dem Edelmetall aus Bulgarien und einen noch wertvolleren von dort, den des ersten Goldbergwerks in Europa, Ada Tepe.


Nicht nur hinter den Mauern von Troja wurde mit Gold geprunkt, auch davor sollte es blenden: Die Ausstattung, die Hephaistos in einem Tag für Achilleus schmiedete – vom Schwert bis zur Rüstung –, bestand aus „Gold, Silber, Zinn und Erz“, so überlieferte es Homer (18. Gesang), in Nacherzählungen war gar alles aus Gold. Das kann nicht sein, dieses Metall taugt weder zum Austeilen noch zum Abfangen von Schlägen, es ist viel zu weich, und schwer obendrein: Es taugt auch nicht zu zivilen Zwecken, einen Gebrauchswert hat es nicht.




Um so höher ist sein symbolischer Gehalt, früh war man hinter dem Glanz her, erst in Flüssen – in die man Schafsfelle legte, auf dass sie zu Goldenen Vliesen wurden –, dann in Bergen. Dann kam es in die Metropolen und die Schatzkammern der Macht, nach Troja etwa, oder nach Valchitran. Das liegt im heutigen Bulgarien, vor 3500 Jahren in der Bronzezeit war dort eine Großmacht, Thrakien. Nur Indien hatte mehr Bewohner, berichtete Herodot, und über den Charakter der thrakischen Eliten wusste er auch zu erzählen: „Nichts zu tun zu haben, hält man für wunderbar, den Boden zu bereiten für erniedrigend, und von Krieg und Raub zu leben – das Beste.“ Geführt wurden die Kriege mit dem wirklich wichtigen Metall, der Bronze eben, geführt wurden sie um das, dessen Glanz die Augen glänzen lässt, um Frauen natürlich auch.

Archäologen im KHM
 
Der größte Schatz des zusammengerafften Goldes kam 1924 bei Feldarbeiten ans Licht, die Grundeigentümer erkannten statt seines kulturellen Wertes nur den materiellen des Goldes, schnitten Stücke heraus und warfen sie auf den Markt. Aber der größte Teil wurde gerettet, man kann es nun in Wien mit eigenen Augen sehen, 13 Objekte aus insgesamt 12,5 Kilo Gold glänzen ab heute im Kunsthistorischen Museum, unter dem Titel „Das erste Gold“ und natürlich in einem Raum, dessen Wände selbst mit Gold prunken. Aber sie glänzen nicht alleine, aus 14 Museen in Bulgarien hat Hristo Popov vom bulgarischen Nationalen Archäologischen Institut, 300 Stücke zusammengestellt, die „beste Auslese“ des edlen und lockenden Metalls: „Wenn man von Gold spricht, werden die Augen gelb.“ Aber auch Bronze ist dabei, und Keramik, alles dokumentiert den hohen Stand des damaligen Handwerks, feinst geschmiedete Mordwaffen – Rapiere aus Bronze –, Güldenes ohne jeden Materialfehler, Schmuck und Gefäße, „von vielen weiß man nicht, welchem Zweck sie dienten“. Das bedauerte bei der Präsentation Barbara Horejs, Archäologin bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Funeral Mask from the Svetitsata Tumulus (King Teres )

Eine Archäologin und ein Archäologe, was haben die mit dem KHM zu tun? „Erstmals seit Langem haben wir uns wieder einem kulturhistorischen Thema gewidmet“, erklärte Museumschefin Sabine Haag, und „kulturhistorisch“ ist in breitem Sinn gemeint: Vielfältigste Wissenschaften arbeiten mit, vor allem bei der Erkundung eines wohl noch viel größeren Schatzes, auf den man 2010 stieß, weil der heutige Goldhunger dorthin gewiesen hatte. Anno 2000 fanden Prospektoren einen halb abgetragenen Berg, der reiche Beute versprach – 30 Tonnen Gold –, aus dem Projekt wurde nichts, die Bevölkerung lehnte ab, fürchtete Umweltschäden.

 Spiralröllchen (Haarschmuck)

Aber die bulgarischen Archäologen griffen zu ihren Schaufeln, und bei feineren Instrumenten baten sie die österreichischen Kollegen um Hilfe: „Man hat uns den Fund auf einem Silbertablett serviert, so etwas ist ungewöhnlich in der Forschung“, freut sich Horejs immer noch. Welchen Fund endlich: einen in dem Berg Ada Tepe, dort war ein Goldbergwerk, es ist nun das einzige bekannte prähistorische in ganz Europa.


Die Bergleute müssen von weit her gekommen sein, zunächst trugen sie die Kuppe des Bergs ab, dort errichteten sie eine Siedlung, dann zogen sie Stollen in den Berg und holten das Gold heraus, mit der Technik ihrer Zeit: Die Stollenwände wurden mit Feuer mürbe gemacht, dann wurden die mikroskopisch kleinen Körnchen mühsam herausgewaschen. Den Berg und die Technik zeigt die Ausstellung auf Video, das eher karge Leben der Bergleute ist auch dokumentiert, mit Alltagsgegenständen.

Das große Netzwerk der Bronzezeit
 
Wohin ging das Gold? Nicht nach Vulcitrsn, soviel steht fest. Die Herkunft von Gold ist schwer festzustellen, und noch schwerer zerstörungsfrei, aber in winzigsten Proben gibt das Verhältnis von Platin und Palladium Auskunft. Das Gold von Valchitran kam anderswo her, und das von Ada Tepe ging anderswo hin, vielleicht nach Mykene, mutmaßt Georg Plattner, Chef der KHM-Antikenabteilung, der darauf verwies, dass in der Bronzezeit „viel transferiert“ wurde, Waren wie Wissen. „Die Kultur der Bronzezeit strahlte sehr weit über den Kontinent“, betont auch Horejs, es gab ausgedehnte Handelsverbindungen, und „zum ersten Mal in der Geschichte wurde Reichtum durch Gold zur Schau gestellt.“

 
Verbindungen gab es auch nach Asien, nach Troja, die Thraker kämpften als Verbündete der belagerten Stadt, ihr König Rhesos wurde im Schlaf von Odysseus ermordet. Von der alten Verbindung zeugen auch in der Ausstellung zwei Gefäße einer Form, die in Troja gebräuchlich war, dort kamen sie her. Ging das Gold von Ada Tepe den umgekehrten Weg, stammte der bekannteste aller Schätze der Alten Welt, der des Priamos, von dort? „Wo das Geld Trojas herkam, ist unser nächstes Forschungsprojekt“, muss Horejs die Antwort vertagen.

Bleibt noch ein Problem: Warum wurde der Goldbergbau in Ada Tepe wieder aufgegeben, obwohl noch Gold im Berg war? Vielleicht wurde die Ausbeute zu gering, es lag aber eher an der Nachfrage: Das ausgedehnte Netzwerk der Bronzezeit brach unter politischen Wirren und Kriegen zusammen, der Glanz hatte wieder seine Ruhe in der Erde.



KHM: bis 25. Juni, tägl. 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr.
Katalog: „Das erste Gold“, 208 S., 24,95 Euro.
Führungen etc.: reichhaltiges Programm: www.khm.at