Donnerstag, 31. Mai 2018

Die Schlacht von Legnano: Der Anfang des deutschen Sonderwegs.

ITALY - CIRCA 2002: Battle of Legnano, May 29, 1176, by Amos Cassioli (1832-1891), ca 1860. Age of communes and lordships, Italy, 12th century. (Photo by DeAgostini/Getty Images) Getty ImagesGetty Images 
aus welt.de, 28. 5. 2018                       Amos Cassioli inszenierte die Schlacht von Legnano 1860 als Triumph des italienischen Freiheitskampfes

Bürger gegen Ritter
In dieser Schlacht wurde Kaiser Barbarossa vernichtet

Um die Macht des „Heiligen Reiches“ durchzusetzen, führte Kaiser Friedrich I. Barbarossa Krieg gegen Mailand. Bei Legnano 1176 erlitten die deutschen Ritter eine Katastrophe – mit historischen Folgen.



Zweimal schon, 1158 und 1162, hatte Kaiser Friedrich I. Barbarossa (um 1122–1190) das selbstbewusste Mailand in die Schranken gewiesen. Beim zweiten Mal hatte sich sogar der Stadtheilige Ambrosius auf der Spitze des Mailänder Fahnenwagens (Carroccio), dem Symbol der städtischen Macht, vor dem Staufer verbeugt. Dennoch hielt der Kaiser die unterwürfige Geste nicht für ausreichend, um seine und des Reiches Ehre wiederherzustellen, und er befahl die Zerstörung der eroberten Stadt.

14 Jahre später zog der inzwischen 54 Jahre alte Monarch erneut gegen die wiederaufgebaute Stadt. Wieder wollte er ihre Bürger dafür strafen, „dass sie den Ruhm unseres Namens und die Erhabenheit des Römischen Reiches durch schlechte und unbillige Machenschaften vollständig zu zerstören“ trachteten. Bei Legnano, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Mailand, traf das kaiserliche Ritterheer eher zufällig auf das Aufgebot des Lombardischen Bundes. Am Ende konnte Barbarossa froh sein, mit dem Leben davongekommen zu sein. Damit wurde Legnano zu einem historischen Wendepunkt im Verhältnis Norditaliens zum Heiligen Römischen Reich. Ja, mehr noch: Die Kommune der Bürger hatte sich dem Machtanspruch der Fürsten gewachsen gezeigt.

Frederick I Barbarossa (1122 – 10 June 1190) was a German Holy Roman Emperor. He was elected King of Germany at Frankfurt on 4 March 1152 and crowned in Aachen on 9 March 1152. He became King of Italy in 1155 and was finally crowned Roman Emperor by Pope Adrian IV on 18 June 1155. Two years later, the term 'sacrum' (i.e. 'holy') first appeared in a document in connection with his Empire. He was then also formally crowned King of Burgundy at Arles on 30 June 1178. He got the name Barbarossa from the northern Italian cities he attempted to rule. Barbarossa is 'red beard' in Italian—a mark of both their fear and respect. In German, he was known as Kaiser Rotbart which has the same meaning. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Der Staufer Friedrich I. Barbarossa (um 1122–1190)

Bereits bei seiner Krönung zum Römisch-Deutschen König 1152 hatte der Staufer gezeigt, dass er gewillt war, die „Strenge der Gerechtigkeit“ zur Leitlinie seiner Politik zu machen, und sich nicht mehr vom Ideal der „Milde“ leiten lassen wollte. Als ihn ein Dienstmann während der Zeremonie um Verzeihung bat, wies Friedrich dies mit der Begründung ab, dies sei ungerecht.

Mit diesem Maßstab beurteilte der König – 1155 wurde er von Papst Hadrian IV. zum Kaiser gekrönt – auch sein Verhältnis zu den Städten der Lombardei, vor allem zum mächtigen Mailand. Seit der Unterwerfung des Langobardenreiches durch Karl dem Großen (773/774) gehörte die Region zum Frankenreich. Unter den Ottonen wurde das Land zum Herzstück Reichsitaliens. Doch im Zuge des Investiturstreits mit dem Papsttum und dem Niedergang der königlichen Macht im Reich unter den späten Saliern hatten die Städte Norditaliens ein großes Maß an Autonomie gewinnen können. 

Verbunden mit dem wachsenden Wohlstand aus Handel und Geldgeschäften entstanden unter der Führung aufstrebender städtischer Familien belastbare Institutionen kommunaler Selbstverwaltung.

The Milanese patricians, Lodi, offering Frederick Barbarossa the surrender of Milan, 1161, engraving from the Middle Ages, 1892, by Francesco Bertolini (1836-1909), with illustrations by Lodovico Pogliaghi (1857-1950). Getty ImagesGetty Images
1161 baten die Bürger Mailands Kaiser Friedrich I. noch um Vergebung
Das kollidierte mit dem Ziel Barbarossas, die königlichen Prärogativen südlich der Alpen wiederherzustellen. In freier Wahl bestellte Konsuln als Vertreter der Kommunen verstand Friedrich als Herausforderung. Kompromissangebote wies er brüsk zurück. 1158 und 1162 konnte er mit Hilfe verbündeter Städte, denen die Macht Mailands nicht geheuer war, seinen Machtanspruch durchsetzen und eigene Amtsträger in den Kommunen installieren. Aber sein gescheiterter Romzug 1167, den eine Seuche in eine Katastrophe verwandelt hatte, erschütterte die kaiserliche Stellung.

Hinzu kam, dass Friedrich in Papst Alexander III. (reg. 1159–1181) ein Gegner entstand, der gewillt war, mit aller Macht das Supremat der „Heiligen Römischen Kirche“ über Kaiser und Reich durchzusetzen. Zwar versuchte der Staufer, durch die Wahl von Gegenpäpsten Alexander auszumanövrieren. Doch der wusste seine Position im sogenannten Alexandrinischen Schisma zu halten, indem er sich unter anderem mit dem Lombarden verbündete und über den Kaiser den Kirchenbann verhängte. Damit verlor Friedrich seine Legitimation als Schutzherr der Kirche.

The destruction of Milan by Frederick Barbarossa and and other rival cities, 1162, engraving from the Middle Ages, 1892, by Francesco Bertolini (1836-1909), with illustrations by Lodovico Pogliaghi (1857-1950). Getty ImagesGetty Images  
Die Zerstörung Mailands 1162 

1174 brach er zu seinem fünften Italienzug auf. Die meisten Großen des Reiches hatten geschworen, Alexander niemals als Papst anzuerkennen. Mehrere Monate wurde Alessandria belagert, eine neu gegründete Siedlung bei Mailand, die deren Konsuln nach „ihrem“ Papst benannt hatten. Noch einmal unterwarfen sich die zum Entsatz herangerückten Lombarden symbolisch. Aber eine militärische Lösung des Konflikts war nur noch eine Frage der Zeit.

In dieser Lage erbat Friedrich erneut von seinem Vetter Heinrich dem Löwen Unterstützung, als Herzog in Sachsen und Bayern zweifellos der mächtigste Reichsfürst. Doch der Welfe verweigerte sich. Mit gerade einmal 3000 Rittern und Fußvolk musste der Kaiser die Entscheidung suchen.
Am 29. Mai 1176 stieß Friedrichs Vorhut bei Legnano auf die lombardischen Truppen aus Mailand, Piacenza, Verona, Brescia, Novara, Vercelli und Lodi, insgesamt wohl an die 12.000 Mann. Das Scharmützel wurde zur Schlacht. „Die deutschen Ritter waren schon bis an die Fahnenwagen (Carroccio) herangekommen, das stolze Symbol kommunalen Selbstbewusstseins. Er wurde nur von wenigen tapferen Fußsoldaten verteidigt“, schreibt der Heidelberger Mediävist Bernd Schneidmüller in dem neuen Band „Krieg im Mittelalter“.


ITALY - JUNE 19: Carroccio, Battle of Legnano, May 29, 1176, by Massimo Taparelli Azeglio (1798-1866), 1831, oil on canvas. Detail. Age of communes and lordships, Italy, 12th century. (Photo by DeAgostini/Getty Images) Getty ImagesGetty Images 
Der Kampf um den Carroccio entschied die Schlacht 

Ein Überraschungsangriff der sich neu formierenden Lombarden überraschte die deutschen Ritter. „Der kaiserliche Bannerträger fiel von einer Lanze durchbohrt zu Boden, ließ das Feldzeichen sinken und wurde von Pferden zerstrampelt. Bald stürzte auch der Kaiser aus dem Sattel und verschwand sogleich vor den Augen aller. Da löste sich das deutsche Heer auf.“ Viele wurden getötet oder ertranken im Fluss Ticino.

„Wir haben den Schild des Kaisers, Fahne, Kreuz und Lanze. Viel Gold und Silber haben wir in seinen Packsätteln gefunden“, lautete die triumphale Botschaft der Sieger. Der glanzlose Auftritt des für tot gehaltenen Kaisers in Pavia unterstrich einmal mehr das Ausmaß der Niederlage. Friedrichs Italienpolitik war auf der ganzen Linie gescheitert. Militärisch wäre die Niederlage „vielleicht zu bewältigen gewesen“, urteilt Schneidmüller. „Schwerer wog indes die symbolische Katastrophe. Eine Herrschaft, die so programmatisch auf der ,Ehre des Reichs‘, dem Namen des Kaisers und dem Rang der Fürsten fußte, konnte diesen Triumph vermeintlich aufständischer Rebellen nur schwer verwinden.“ Die Bürger hatten über den Kaiser gesiegt.

Frederick Barbarossa kneeling before Pope Alexander III in Venice, 1177, engraving from the Middle Ages, 1892, by Francesco Bertolini (1836-1909), with illustrations by Lodovico Pogliaghi (1857-1950). Getty ImagesGetty Images 
1177 warf sich Friedrich I. Barbarossa Papst Alexander III. vor die Füße

Nicht zuletzt auf Druck der deutschen Fürsten musste Friedrich den Lombarden ihre Freiheit zugestehen. Auch von Papst Alexander wurde der Kaiser wieder als „Sohn der Kirche“ aufgenommen, nachdem dieser jenem den Ehrendienst geleistet hatte.

Die Rechnung hatte am Ende Heinrich der Löwe zu zahlen. Im Bunde mit anderen Fürsten machte Friedrich ihm den Prozess, nahm ihm seine Herzogtümer und zwang ihn ins Exil. Mit dem Dritten Kreuzzug, zu dem der greise Kaiser 1189 aufbrach, wollte er seinem Kaisertum noch einmal imperialen Glanz verleihen. Doch schaffte der Staufer es nicht mehr bis ins Heilige Land. Er ertrank beim Baden im Fluss Saleph im Osten Kleinasiens.


Nota. - Die Ausbildung eines deutschen Nationalstaats wurde verhindert, indem der deutsche König als römischer Kaiser zugleich seine Herrschaft über Norditalien verteidigen musste. Nach der Schlacht von Legnano wurde das aussichtslos, denn der Papst wurde zum allegenwärtigen heimlichen Gegenkönig und die Reichsfürsten fühlten sich jederzeit zur Sedition berechtigt. Der 30jährige Krieg wurde zum faktischen, der Kongress von Rastatt zum juridischen Ende des Reichs.

Dass das lombardische Bürgertum sich zum Vasallen des Papstes gemacht und die Vereinigung Italiens ebesnsolange verhindert hat wie die Deutschlands, fällt kaum weniger ins Gewicht.

Aber die Zukunft Europas machte in Legnano auch einen Sprung. Zum ersten Mal schlug eine städtische Bürgerarmee ein feudales Ritterheer.
JE





Dienstag, 29. Mai 2018

Eine fünf Jahre alte archäologische Sensation am Harzhorn.

Legionen auf dem Marsch
aus welt.de, 28.05.2018

Mit diesen Legionen strafte der Kaiser die Germanen
Lange glaubte man, die Römer hätten Germanien sich selbst überlassen. Ein spektakulärer Fund in Thüringen beweist das Gegenteil. Um 235/6 zog ein kaiserliches Heer siegreich durch Thüringen.  

Das Römische Weltreich ruhte auf einem schlichten Gefäß aus Holz, dem modius. Üblicherweise mit „Scheffel“ übersetzt, handelte es sich um die größte römische Maßeinheit für Getreide und entsprach 8,6 Litern. Zugleich war es die Messgröße für die tägliche Getreideration einer Zeltgemeinschaft der Legion. Diese acht Männer lebten, schliefen, kämpften miteinander und bildeten als eine regelrechte Familie das contubernium, die kleinste Einheit des römischen Heeres. Sie mit einem modius zu versorgen zeigt im Kleinen die Genialität, mit der Rom seine Herrschaft organisierte. Denn die Logistik-Offiziere der Legion mussten nur die Zahl der ausgegebenen Scheffel zählen, um einen Überblick über ihre Mannschaftsstärke zu bekommen.

Mit diesen griffigen Beispielen bietet die Sonderausstellung „Roms Legionen unterwegs“ einen wunderbaren Einblick in das Militärwesen Roms und seine enge Verknüpfung mit dem Staat, der mit ihm das dauerhafteste Imperium der Geschichte begründete. Aber die Schau in der Arche Nebra, dem Dokumentations- und Erlebniszentrum am Fundort der berühmten Himmelsscheibe rückt nicht nur mit zahlreichen Rekonstruktionen von Ausrüstungsgegenständen, detailgetreuen Modellen ihr Thema ins Bild, sondern präsentiert auch eine echte Sensation. Denn zum ersten Mal sind Funde aus dem Marschlager zu sehen, das bei Hachelbich im Südwesten des Kyffhäusers ausgegraben wird. Damit wird erstmals die Anwesenheit eines großen römischen Heeres in Mitteldeutschland belegt.

Die ersten Spuren kamen 2009 bei einer „bodendenkmalpflegerischen Standardmaßnahme“ ans Licht. So bezeichnet Mario Küßner den Einsatz von Mitarbeitern des Thüringischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie, der in diesem Fall merkwürdigen Funden galt, die im Vorfeld von Straßenbauarbeiten gemacht wurden. Der Gebietsreferent des Hauses für Nordthüringen wurde unruhig, als er bei Hachelbich auf einen markanten Spitzgraben stieß. Auch Luftaufnahmen ließen Ausmaße erahnen, die an römische Schanzarbeiten erinnerten.

Anbei finden Sie ein Foto der unrestaurierten Pfeilspitze (mit und ohne Längenangabe) und ein Grabungsfoto sowie ein Luftbild des Wippertales (von Westen) mit dem Gelände des Marschlagers im Bildvorder- und -mittelgrund. Für die Pfeilspitzenfotos wäre die Quellenangabe TLDA/ Hauke Arnold und für die beiden anderen TLDA/ Mario Küßner. Ich hoffe, die Fotos helfen Ihnen weiter und stehe natürlich gern für Rückfragen bereit. Ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen! Allerbeste Grüße aus Weimar Mario Küßner Dr. Mario Küßner Gebietsreferent Nordthüringen Fachreferent Neolithikum ____________________________________________________ LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE UND ARCHÄOLOGIE Fachbereich Archäologische Denkmalpflege Besucheradresse: Humboldtstraße 11 │99423 Weimar Postadresse: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie │FB Archäologische Denkmalpflege Zentrale Poststelle │Petersberg 12 │99084 Erfurt Tel: +49 361 57 322 3346 Fax: +49 361 57 322 3391 E-Mail: Mario.Kuessner@tlda.thueringen.de http://www.thueringen.de/th1/tsk/kultur/denkmalpflege/ >
Das Gelände des Marschlagers im Bildvorder- und -mittelgrund
Geomagnetische und elektrische Untersuchungen, Geländesurveys und Grabungen erhärten seit 2014 diesen Verdacht: Bei Hachelbich stand ein römisches Marschlager, dessen vermutete Ausdehnung von knapp 50 Hektar nur eines bedeuten kann: „Hier kampierten über mehrere Tage hinweg mindestens 10.000 römische Soldaten, zwei kriegsstarke Legionen mit Hilfstruppen und Tross“, sagt Küßner. Auch wenn erst ein Bruchteil der Fläche ausgegraben wurde und das Gros der dabei gemachten Funde anderen Epochen zuzuweisen ist, ist sich der Archäologe sicher: „Drei Entdeckungen zeigen eindeutig, dass es sich um ein römisches Marschlager gehandelt haben muss.“

Da ist zum einen die rechtwinklige Anlage mit ausgehobenem Wall und davor verlaufendem Spitzgraben. Der Eingang selbst war zusätzlich mit Gräben und Brustwehren geschützt, wie es für römische Lager Standard war. Hinzu kommen acht typische Backöfen, in denen die Legionäre aus ihren Getreiderationen eine Art Zwieback als Marschverpflegung buken. Dass diese Feuerstellen errichtet wurden, zeigt zudem, dass das Lager wahrscheinlich über mehrere Tage hinweg benutzt wurde.

Anbei finden Sie ein Foto der unrestaurierten Pfeilspitze (mit und ohne Längenangabe) und ein Grabungsfoto sowie ein Luftbild des Wippertales (von Westen) mit dem Gelände des Marschlagers im Bildvorder- und -mittelgrund. Für die Pfeilspitzenfotos wäre die Quellenangabe TLDA/ Hauke Arnold und für die beiden anderen TLDA/ Mario Küßner. Ich hoffe, die Fotos helfen Ihnen weiter und stehe natürlich gern für Rückfragen bereit. Ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen! Allerbeste Grüße aus Weimar Mario Küßner Dr. Mario Küßner Gebietsreferent Nordthüringen Fachreferent Neolithikum ____________________________________________________ LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE UND ARCHÄOLOGIE Fachbereich Archäologische Denkmalpflege Besucheradresse: Humboldtstraße 11 │99423 Weimar Postadresse: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie │FB Archäologische Denkmalpflege Zentrale Poststelle │Petersberg 12 │99084 Erfurt Tel: +49 361 57 322 3346 Fax: +49 361 57 322 3391 E-Mail: Mario.Kuessner@tlda.thueringen.de http://www.thueringen.de/th1/tsk/kultur/denkmalpflege/
Unrestaurierte Pfeilspitze aus Hachelbich, wie sie von römischen Hilfstruppen geführt wurden
Der dritte Fund ist von größter Bedeutung, könnte er doch den Schlüssel zur Datierung bieten. Es handelt sich um zwei dreiflügelige Pfeilspitzen aus Eisen, wie sie von kompakten Reflexbögen verschossen wurden. Diese Waffen wurden von Hilfstruppen geführt, die in der nördlichen Levante bis hin zum Kaukasus rekrutiert wurden und zudem den Vorteil boten, dass sie für Germanen wertlos waren. Denn diese benutzten Langbögen, die längere und damit schwerere Geschosse erforderten, deren Spitzen im Übrigen blattförmig waren.

Eine dieser orientalischen Pfeilspitzen ist in Nebra zu sehen. Hinzu kommen Zierbeschläge, der Eckbeschlag einer Kiste und eine Reihe von Schuhnägeln. Für sich genommen würde diesen Stücken die Beweiskraft fehlen. Denn auch nachdem die Römer nach der vernichtenden Niederlage ihres Statthalters Varus 9 n. Chr. ihren Versuch aufgegeben hatten, das rechtsrheinische Germanien zu einer Provinz zu machen, standen römische Gebrauchs- und Luxusgüter zumal bei den Stammeseliten in hohem Kurs. Das zeigen Beigaben, die in germanischen Gräbern in Emersleben bei Halberstadt ans Licht kamen und ebenfalls in Nebra ausgestellt sind. Die Schuhnägel wiederum können mit Kriegern ins Land gekommen sein, die sich als Söldner bei Rom Hilfstruppen verdingt hatten und am Ende ihrer Dienstzeit mit ihrer Ausrüstung heimkehrten.

So könnten die Legionen des Maximinus Thrax marschiert sein 
So könnten die Legionen des Maximinus Thrax marschiert sein

Alle Funde führen zudem einen negativen Indizienbeweis. „Kein einziges Stück lässt sich eindeutig der augusteischen Zeit zuordnen“, sagt Küßner. Die Legionen des Kaisers Augustus (reg. 31 v.–14 n. Chr.), der mit groß angelegten Feldzügen weite Teile Germaniens unterwarf, marschierten auf anders gearteten Nägeln. Das kann nur bedeuten, dass die Soldaten, die bei Hachelbich lagerten, an einem späteren Unternehmen teilnahmen. Aber welchem?

Da Hachelbich ein kurzfristig genutztes Marschlager war, wurden bislang nur einige Dutzend Dinge gefunden, die sicher von Römern stammen. Sie können im späteren ersten oder auch im dritten Jahrhundert gefertigt worden sein. „Da gibt es in der Machart keine Unterschiede.“ Aber eine historische Situation macht eine bestimmte Datierung plausibel: Der Feldzug, den der Kaiser Maximinus Thrax (reg. 235–238) um 235/36 gegen die Germanen unternahm.

 
Quelle: Infografik WELT  

Maximinus war im Jahr 235 von meuternden Legionären in Mogontiacum (Mainz) zum Imperator proklamiert worden, nachdem sie Kaiser Alexander Severus ermordet hatten. Lange hatten Historiker die Nachricht des Herodian, der Nachfolger hätte umgehend einen ausgedehnten Feldzug durch Germanien unternommen, als Propaganda abgetan, um den populären Siegertitel „Germanicus maximus“ annehmen zu können. Bis 2008 am Harzhorn im niedersächsischen Landkreis Northeim Spuren eines Schlachtfeldes ans Licht kamen, auf dem die Römer offenbar den Sieg davontrugen.

Die Fundstücke vom Harzhorn belegen die Anwesenheit zahlreicher römischer Heeresverbände


Seitdem wurden dort neben römischen Waffen, Münzen und Ausrüstungsgegenständen zahlreiche dreiflüglige Pfeilspitzen aus Eisen gefunden, wie sie in Hachelbich bezeugt sind. An beiden Orten waren also orientalische Hilfstruppen im Einsatz. Ob zur gleichen Zeit, ist allerdings die Frage, denn derartige Spitzen waren schon im ersten Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch. Dennoch hält es Küßner für durchaus plausibel, dass am Harzhorn und bei Hachelbich dieselben römischen Truppen im Einsatz waren: „Maximinus Thrax führte eine Strafexpedition tief ins Innere des Landes, nachdem Germanen zuvor Einfälle über den Rhein in reichsrömisches Gebiet unternommen hatten.“

Of Thraco-Roman origin, Maximinus Thrax (173-238 CE) was a child of low birth, and was seen by the Senate as a barbarian and not a true Roman, despite Caracalla's Antonine Constitution granting citizenship to all freeborn citizens of the Empire. A career soldier, Maximinus rose through the ranks until he commanded a legion himself. He was one of the soldiers who were angered by Emperor Severus Alexander's payments to the Germanic tribes for peace, and plotted with them to assasinate the emperor in 235 CE. The Praetorian Guard declared Maximinus emperor after the act, a choice that was only grudgingly confirmed by the Senate, who were disgusted at the idea of a peasant becoming emperor. Maximinus despised the nobility, and was heavy-handed in dealing with anyone suspected of plotting against him. In 238 CE, revolt arose in the province of Africa during his reign, with the governor Gordian I and his son, Gordian II, declared co-emperors. The Roman Senate quickly switched allegiance and acknowledged the claim of the Gordians. Maximinus immediately marched on Rome to deal with the Senatorial uprising. The Gordians were swiftly defeated and died after less than a month of being co-emperors, and the Senate being divided in how to act, some preferring Gordian's grandson, Gordian III, while others elected two of their own, Pupienus and Balbinus, as co-emperors. Rome became engulfed in severe riots and street fighting. Maximinus died before he reached Rome, assassinated by his own soldiers during the siege of Aquileia. Pupienus and Balbinus became undisputed co-emperors. Maximinus' reign is often seen as the beginning of the Crisis of the Third Century, which would see the Roman Empire almost collapse from internal unrest, economic disaster and foreign invasions. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.  
Maximinus Thrax (reg. 235-238) gilt als der erste Soldatenkaiser
Für den Archäologen marschierten die Legionen von Mainz zunächst an die untere Werra, wo bei Hedemünden schon Heere des Augustus Lager errichtet hatten. Von dort zogen sie ins Eichsfeld und gelangten entlang der Wipper nach Hachelbich. Das eröffnete ihnen die Möglichkeit, die Gebiete um den Harz herum zu verheeren. Auf dem Rückweg versuchten Germanen dann am Harzhorn, den Römern den Weg zu verlegen. Vergeblich.

Dass der Kaiser von den 40.000 Mann, die zuvor bei Mainz zusammengezogen worden waren, nur zwei Legionen auf diesen Vergeltungszug mitnahm, liegt auf der Hand. Auch wenn sich die Soldaten aus dem Land ernährten (und es damit verwüsteten), werden sie kaum auf ihren Weizen und andere Annehmlichkeiten verzichtet haben. Dessen Nachschub in dem straßenlosen Land sicherzustellen dürfte sich als logistisches Problem ersten Ranges erwiesen haben. Grund genug für den Kaiser, eine überschaubare Truppe für seine Razzia auszuwählen, die den Stämmen der Chatten oder Hermunduren, denen wohl seine Machtdemonstration galt, gleichwohl überlegen war.

Was das für ein Heer war, das sich durch die Wälder Germaniens seinen Weg bahnte, macht die Ausstellung in Nebra mit vielen Rekonstruktionen zum Anfassen deutlich. So trugen die einfachen Legionäre in der Regel Kettenhemden. Wer einen Nachbau überstreift, wird schnell merken, wie schwer acht Kilogramm am Oberkörper sind. Hinzu kamen Helm (2 Kilogramm), Schild (6,5), Schwert (1,9), Speer (2), Langdolch (1), wattierte Unterkleidung (0,6) sowie Kochgeschirr, Wasser, eiserne Ration, Wechselbekleidung und Privatkram, zusammen rund 18 Kilogramm. Für Zelt, Decken, Schanzzeug und die acht Kilogramm schwere Getreidemühle stand jeder Zeltgemeinschaft ein Maultier zur Verfügung.

ARCHIV - Verschiedene Fundstücke vom römisch-germanischen Schlachtfeld am Harzhorn liegen am 11.01.2012 in Hannover im Landesamt für Denkmalpflege. Neue Funde auf dem historischen Römer-Schlachtfeld im Kreis Northeim legen den Schluss nah, dass sich Germanen nach Angriffen auf den Tross der Legionäre auf dem Höhenzug Harzhorn vor dem übermächtigen Gegner verschanzt haben, dann allerding besiegt wurden. Foto: Julian Stratenschulte dpa/lni (zu lni "Neue Erkenngnisse über Schlacht zwichen Germanen und Römern" vom 07.09.2012) | Verwendung weltweit  
Fundstücke, die die Schlacht am Harzhorn 235/36 bezeugen
Derart ausgerüstet, brauchte eine Legion pro Tag 18 Tonnen Futter, fünf Tonnen Weizen und 55.000 Liter Wasser, was die Größe eines Marschlagers erklärt, für dessen Aufbau rund drei Stunden angesetzt waren. Trotz der enormen logistischen Herausforderungen konnte sich das Heer des Maximinus mit einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Tag vorwärts bewegen, wobei die Marschkolonne länger als fünf Kilometer gewesen sein dürfte.

Gleich in zwei Punkten können das Lager bei Hachelbich und das Schlachtfeld am Harzhorn überkommene Ansichten korrigieren. Zum einen rehabilitiert ihr Fund jene antiken Chronisten, denen die moderne Forschung Übertreibung oder gar Verfälschung vorgeworfen hatte, wenn sie von römischen Feldzügen ins Innere Germaniens berichteten. Jetzt darf als sicher gelten: Mindestens 235/6 oder häufiger drangen Legionen Hunderte von Kilometern nach Osten vor.

Die planvolle Route, die Maximinus Thrax dabei vermutlich wählte, spricht auch gegen die Deutung, die Römer hätten nur eine nebulöse Vorstellung von den Veränderungen gehabt, die sich im Inneren Germaniens vollzogen. Dort fanden im 3. Jahrhundert Klans und kleinere Stämme zu regelrechten Völkern zusammen, die bald als Franken, Alamannen oder Vandalen die Grenzen des Imperiums berennen sollten. Offenbar hatte ein alter Haudegen wie der Soldatenkaiser Maximinus durchaus eine Vorstellung davon, sodass er beizeiten mit einem heftigen Militärschlag reagierte.


Nota. - Anzumerken immerhin dieser Unterscheid: Augustus schickte seine Legionen zum Erobern - und zwar vergeblich. Maximinius Thorax beschied sich schon mit einer Strafexpedition.
JE



Sonntag, 27. Mai 2018

Eine Hermannschlacht in Jütland.


aus derStandard.at, 24. Mai 2018, 10:00

Tausende Knochen germanischer Krieger in Dänemark entdeckt
Die Funde liefern neue Erkenntnisse über eine blutige Schlacht vor 2.000 Jahren

Aarhus – Archäologen haben bei Ausgrabungen in Dänemark neue Erkenntnisse über eine Schlacht vor rund 2.000 Jahren gewonnen. Die Forscher fanden in einem Sumpfgebiet in Jütland tausende Knochen von mutmaßlich germanischen Kriegern. Ihre Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift "PNAS" präsentiert.

Die Ausgrabungsstätte Alken Enge im Osten des dänischen Festlands wurde schon in den 1950er-Jahren untersucht. Die zahlreichen Funde ließen Archäologen damals vermuten, dass es sich um einen rituellen Platz gehandelt hatte, an dem Waffen und Werkzeuge niedergelegt wurden.

Ein Team um Mads Kähler Holst und Mette Lövschal von der Universität Aarhus hat die Fundstätte in den vergangenen Jahren neuerlich untersucht und kommt nun zu einem anderen Schluss: Hier muss eine blutige Schlacht stattgefunden haben. Die Forscher haben bisher die Überreste von etwa 80 Männern im Alter zwischen etwa 13 und 60 Jahren freigelegt, die offenbar vor Ort gewaltsam ums Leben kamen. Das Team vermutet, dass sich in dem 75 Hektar großen Gebiet die Überreste von mindestens 380 Männern befinden. "Die Knochen sind äußerst gut erhalten", sagte Lövschal.

Römische Expansion

Mithilfe der Radiokarbonmethode wurden die Funde auf die Zeit zwischen 2 v. u. Z. und 54 u. Z. datiert. Damals marschierte das römische Heer Richtung Norden, um das Reich zu expandieren. Die Wissenschafter vermuten daher, dass sich bei der Schlacht Germanen und römische Soldaten gegenüberstanden.


Die neuen Funde in der Ausgrabungsstätte Alken Enge deuten zudem auf postmortale Verletzungen hin, schrieben die Forscher. Viele Knochen wiesen Schnittspuren auf, unter anderem wurden auch vier Beckenknochen entdeckt, die auf einem Pfahl steckten. Das könne auf eine "sexuelle Erniedrigung" hindeuten, so Lövschal.

Ungewöhnliche Spuren

Andere Knochen wiesen Bissspuren von Tieren auf. Womöglich seien die Leichen bis zu ein Jahr lang offen herumgelegen, sodass wilde Tiere sich an ihnen zu schaffen machten, so die Wissenschafter. Wer genau die Toten waren, ist noch unklar – sie dürften jedoch großteils unerfahrene Krieger gewesen sein: Es fanden sich kaum Spuren verheilter Verletzungen. Keramikfunde lassen aber darauf schließen, dass sie aus der Region stammten. (red, APA.)


Abstract
Pnas: "Direct evidence of a large Northern European Roman period martial event and post-battle corpse manipulation."


Nota. - In Deutschland nennen wir die Varusschlacht, die doch nicht im Teutoburger Wald stattgefunden hat, die Hermannschlacht, und man feierte sie als Gründungsakt der deutschen Nation. Aber weder hat Armin-Hermann damals eine Allianz der deutschen Stämme zuwege gebracht, noch hat er den Strafexpeditionen der Römer ein Ende gesetzt.

Dass sie bis nach Jütland geführt haben, war bisher nicht bekannt. Doch dass die Toten "großteils unerfahrene Krieger" waren, lässt vermuten, dass die Römer zum ersten Mal so weit gekommen waren. Und dass sie die Schlacht gewonnen haben, denn wären hier ihre Toten begraben, gäbe es an Verletzungsspuren keinen Mangel.
JE

Samstag, 26. Mai 2018

Neue Literatur zum 30jährigen Krieg.

aus derStandard.at, 21. Mai 2018, 18:00                                                                     Plünderung eines Dorfs 1619

Versagen, Scheitern, endloses Morden
Vier gewichtige Bücher beleuchten diesen gesamteuropäischen Konflikt, der Millionen Opfer forderte, aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln

von Alexander Kluy 

"Das Leid ist hier, / Da sehen wir / O grosser Gott, / Wenn dein Gebot / Nicht wird vollbracht, / Was Krieg vnd Schlacht / Vns denn für grossen Jammer macht." Das schrieb der Lyriker Simon Dach (1605-1659) im Jahr 1635. Sein Leid-und-Ach-Gedicht überschrieb er, damals Lehrer an der Domschule in Königsberg – drei Jahre später wurde er Professor für Dichtkunst -, mit "Als die hochlöblichen Crohnen Pohlen vnd Schweden nach abgelauffenem Sechs-jährigen Stillstand in Preussen, sich wiederumb zum Krieg rüsteten".

Siebzehn Jahre zuvor, am Vormittag des 23. Mai 1618, hatte ein Mann bereits lebensbedrohlichen Jammer durchgemacht. Wilhelm Slavata war Präsident der Böhmischen Kammer und königlicher Statthalter zu Prag, somit oberster Stellvertreter Habsburgs in den böhmischen Ländern. Er war mächtig und durch Heirat wohlhabend. Nun aber klammerte er sich an den Sims eines Fensters der Prager Burg und hing in luftigen 17 Metern Höhe. Sein Amtskollege Jaroslav Martinitz war als Erster von den fünf Männern, die sie überwältigt hatten, aus dem Fenster geworfen worden. Und dann konnte sich Slavata nicht mehr halten, fiel, verletzte sich schwer. Es folgte noch Philipp Fabricius von Rosenfeld, der am wenigsten Schaden davontrug, er landete verblüffenderweise im Burggraben auf den Beinen, ohne sich etwas zu brechen. Fabricius war es auch, der nach Wien reiste und den Kaiser in Kenntnis setzte vom "Prager Fenstersturz". Mit dem der Dreißigjährige Krieg einsetzte, der keine Grenzen, keine Begrenzungen, keine Loyalitäten kannte, weder politische noch religiöse noch militärische.

An seinem Ende waren acht Millionen Menschen tot, umgekommen durch Gewalt, mehr noch weggerafft von Epidemien. Als man 1648 in Münster sich auf Frieden einigte, sah die Landkarte der Macht und der Einflusssphären von Politik und Religionen in Zentraleuropa vollkommen anders aus als 30 Jahre zuvor. Und mehr als eine Generation war so wie Dach aufgewachsen mit Not, Elend, Tod, Schlachten, Belagerungen, endlosen Verheerungen zwischen Ost- und Bodensee, von Böhmen und dem Elsass bis nach Brabant und Pommern.

Der Dreißigjährige Krieg wurde zur metaphorischen Folie für spätere Konflikte, für das Grauen des Ersten Weltkriegs wie für die Entsetzlichkeiten des Zweiten. Bis heute ist er rhetorisch-historischer Referenzpunkt. Er war nicht nur der erste, der durch Buchdruck und Holzschnitt medial ins Gedächtnis sich einbrannte. Sondern an diesem europäischen Konflikt war zu sehen, dass ein Krieg, der viele Jahre andauert, stetig eskaliert, sich permanent perpetuiert und zu beenden fast unmöglich ist.

Tragödie und Trauma

Drei Neuerscheinungen drücken diese Mentalitätstradition schon in ihren Titeln aus. Von Tragödie schreibt der Brite Peter H. Wilson, der Berliner Politikwissenschafter Herfried Münkler annonciert europäische Katastrophe und deutsches Trauma und der Historiker Georg Schmidt aus Jena die Reiter der Apokalypse.

Wilson, Militärhistoriker an der Universität Oxford, lässt sich viel Zeit, um ein imposantes, weit gespanntes Panorama auszumalen. Erst auf Seite 344 beginnt bei ihm der Krieg. Der Vorteil seines Buches, das in England bereits im Jahr 2009 erschien, ist die angelsächsische Schule historischen Erzählens: auf diskrete Weise spannend, stets informierend, ohne zu belehren, und herablassungsfrei. Er geht chronologisch und sehr übersichtlich vor und schildert ausführlich die Entwicklungen seit dem späten 16. Jahrhundert. Ein grandioser Einstieg, auch dank Karten und Abbildungen, ohne dass man über größere Vorkenntnisse verfügen muss, um die Heerscharen und die Vielzahl an auf- und abtauchenden Namen umgehend einzuordnen, ein enorm kundiges Gesamtbild.

Tatsächlich war es damals so, dass die Randländer Europas zeitgleich einen Aufschwung nahmen, die Niederlande beispielsweise. Und während sich im wirtschaftlich vollständig darniederliegenden Mitteleuropa die Landschaften entvölkerten, stritten sich in Britannien die Könige der Stuart-Linie ausdauernd mit dem Parlament, bis König Charles I. geköpft wurde und Cromwell eine erste kurzlebige Variante einer parlamentarischen Demokratie errichtete. Schweden hingegen ließ nach dem Tod Gustav II. Adolfs bei Lietzen 1632 alle kontinentaleuropäischen Interessen innerhalb des politmilitärischen Schlachtentableaus fahren, zog sich auf den Ostseeraum zurück, wurde zur Regionalmacht.

Deutschland selber brauchte 220 Jahre, bevor sich in dem kleinteiligen Fleckenteppich von Königreich bis Duodezfürstentümern eine politische Einheitlichkeit einstellte – per Bismarck'schem Oktroi und unter Mithilfe des militärisch überforderten dritten Napoleon. Preußen wurde erst 1701 zum geografisch zerrissenen Königreich, dann nochmals zwei Generationen später unter Friedrich dem Großen zu einer Militärmacht, die es mit Österreich aufnahm.

Lässt sich also etwas lernen? Herfried Münkler, der viel über Kriege publiziert hat, zeichnet ebenfalls die Winkelzüge, Bataillen und politischen Rankünen der skrupellos flottierenden Feldherren, "Warlords" avant la lettre, nach. Doch als Politikwissenschafter setzt er andere, theoretischere Akzente. Er will das "Antiquarische" zur Seite schieben und fragt: War dieser Krieg eine Blaupause für Kriege des 21. Jahrhunderts? Was lässt sich aus den blutigen Vorgängen lernen – und Münkler erzählt entgegen seinem Ansatz mit detaillierter Verve viele Schlachten nach – für heutiges Peacekeeping? Am Ende faktisch überzeugender als seine Ableitung für die Zukunft ist aber seine Schilderung der Historie.

Aberglaube und Apokalypse

Georg Schmidt ist weder so pointiert überspitzt noch so prononciert einseitig wie Münkler und auch kein solch prägnanter Erzähler wie Wilson. Seine Darstellung ist solide, soigniert und kundig, hie und da etwas phlegmatisch. Im Gegensatz zu Münkler betont er das Denken jener Zeit, vor allem die Religiosität der einfachen Bevölkerung, der der Krieg als Strafe, als Gottesgericht vorkam.

"Niemals ein Comet hat gebrannt / Der nicht schadete Leuten / Stadt und Land." Im Herbst 1618 versetzte ein lange deutlich am Himmel zu sehender, gewaltig heller Komet die Menschen in Angst und Schrecken. Vor allem die Pfarrer der lutherischen Glaubenskongregation versetzten in Weltuntergangspredigten die Menschen in helle Aufregung, lösten Panik aus. Massenhysterien brachen aus. Ein böses Zeichen wie dieses konnte nur noch Böseres nach sich ziehen. Der Klerus zog alle Register seiner astronomischen und biblisch-astrologischen Bildung. Und beschwor grenzenloses Unheil. Dieses scheinbare Seitenthema des Krieges leuchtet der Berliner Neuzeithistoriker Andreas Bähr elegant aus. Plastisch schreibt er über die Sternenfixierung aller Schichten, von Wallenstein bis zum Landvolk. Auch für Johannes Kepler bestand ein direkter Zusammenhang zwischen dem "Winterkometen" und dem Ausbruch von Seuchen im Frühjahr 1619. Eine hochinteressante Ergänzung zum barocken Krieg ist dieser materialgesättigte Essay über Theologie, Wissenschaft, Kosmologie, Traumata und Heilsgeschichte.

Als am 1. August 1914 Thomas Mann in der Sommerfrische die Nachricht erhielt, das Deutsche Reich habe Russland den Krieg erklärt, schaute er nach oben: "Nun wird wohl auch gleich ein feuriges Schwert am Himmel erscheinen." Vier Jahre zuvor war neuerlich ein Komet zu sehen gewesen. Zwei Jahre danach erschien der erste Band von Ricarda Huchs Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.  
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  • Andreas Bähr, "Der grausame Komet. Himmelszeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg". € 20,60 / 304 Seiten. Rowohlt, 2017
  • Herfried Münkler, "Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648". € 41,10 / 976 Seiten. Rowohlt Berlin, 2017
  • Georg Schmidt, "Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges". € 32,90 / 816 Seiten. Verlag C. H. Beck, München 2018
  • Peter H. Wilson, "Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie". Aus dem Englischen von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt. € 51,40 / 1144 Seiten. Theiss-Verlag, 2017

Freitag, 25. Mai 2018

Auf deutschem Sonderweg.

Wallenstein, nach van Dyck

Eigentlich hätte der Gegensatz zwischen Kaiser und Papst ein Hebel zur Ausbildung einer deutschen Nation sein müssen; wenn es nämlich nur um den Investiturstreit gegangen wäre. Es ging aber viel mehr um die Präsenz des Reichs in Italien, um derentwillen jeder Reichsfürst, der sich gegen den Kaiser stellte, auf einen mächtigen ultra- montanen Verbündeten zählen konnte. 

Auf die Spitze getrieben wurde die Sache durch die Reformation, die den habsburgischen Kaiser zum Anführer der katholischen Partei und Gefolgsmann des Papstes machte. Der förderte die faktische Erblichkeit der Kaiserwürde, die aber nicht dem Reich, sondern Österreich zugute kam. Der Kaiser selbst wurde zum Ersten Reichsfeind.

Der Schlusspunkt war der Dreißigjährige Krieg. Die Protestanten holten den Schwedenkönig ins Land, und Habs- burg konnte an einem deutschen Cromwell in Gestalt des Militärdiktators Wallenstein kein Interesse haben, so ka- tholisch er sein mochte. Er wurde beseitigt. Im Ergebnis war Deutschland "nur noch ein geographischer Begriff".

24. 3. 15 


Donnerstag, 24. Mai 2018

AfD und Union konkurrieren nicht um dieselbe Wählerschaft.

isilife
Die heutige FAZ berichtet über eine Studie, die die Konrad-Adenauer-Stiftung über die Wählerschaften der Parteien angestellt hat. Danach...

...blicken AfD-Wähler anders als Sympathisanten anderer Parteien hauptsächlich pessimistisch in die Zukunft. Die Vermutung, dass die AfD eine ähnliche „Kundschaft“ habe wie die Unionsparteien, werde damit stark relati- viert, sagte der Stiftungsvorsitzende Norbert Lammert. AfD-Wähler hätten ein „deutlich anderes Weltbild“, betonte der CDU-Politiker und frühere Bundestagspräsident.

In der von der Adenauer-Stiftung beauftragten Umfrage bejahten 83 Prozent der AfD-Wähler den Satz „Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz für Deutschland“. In der Gesamtbevölkerung stimmte ein Drittel dem Satz zu. Eine Mehrheit findet sich auch bei Linken-Wählern für die pessimistische Aussage: 53 Prozent stimmten zu. Bei den anderen Parteien sieht nur eine Minderheit schwarz: 14 Prozent der Unionswähler, 17 Prozent der SPD-Wähler, 15 Prozent der FDP-Wähler und 22 Prozent der Grünen-Wähler stimmten dem Satz zu.

Auch bei anderen Fragen zeigte sich den Angaben zufolge Pessimismus vor allem bei AfD-Wählern. 59 Prozent von ihnen gaben an, häufig Angst vor der Zukunft zu haben. Bei den Sympathisanten der anderen Parteien überwiegen die Optimisten, vor allem bei den Unions-Wählern: 19 Prozent von ihnen sagten, sie hätten häufig Angst. Für die Studie haben Umfrageinstitute im November und Dezember 2017 rund 2700 sowie im Januar und Februar 2018 nochmals rund 1400 Menschen befragt.


Nota. - Ist einer konservativ, der auch in Zukunft an Bewährtem festhalten will - oder ist einer konservativ, der sich vor der Zukunft drückt? Sie benutzen vielleicht dasselbe Vokabular, aber sie meinen jeweils ganz etwas anderes.

Keineswegs kann überraschen, dass AfD und Linke zu großen Teilen um dieselbe Wählerschaft konkurrieren: um die Gruppe der Zurückbleibenden; und übrigens in denselben Landesteilen.
JE

Mittwoch, 23. Mai 2018

Vor 400 Jahren begann der 30jährige Krieg.

 aus derStandard.at, 23. Mai 2018, 07:25

Der Fenstersturz in die europäische Katastrophe
Vor 400 Jahren, am 23. Mai 1618, warfen Vertreter der protestantischen böhmischen Stände zwei königliche Statthalter und einen Kanzleisekretär aus einem Fenster der Prager Burg. Was folgte, waren 30 Jahre Krieg
 
von  

Eigentlich heißt Fenster auf Tschechisch ja "okno" – genau wie in einigen anderen slawischen Sprachen. Bloß wenn es um Fensterstürze geht, an denen die Prager Geschichte wahrlich reich ist, muss plötzlich ein Wort lateinischen Ursprungs her: "Defenestrace" sagen die Tschechen dann, also Defenestration. Ganz so, als sollte damit um jeden Preis die gesamteuropäische Relevanz der Ereignisse betont werden.

Die Historie ist bekanntlich ein Ort nachträglicher Bedeutungszuschreibung, und so ist auch die Nummerierung der Prager Fensterstürze umstritten. Einigkeit herrscht lediglich über den ersten: Ende Juli 1419 stürmten Anhänger des vier Jahre zuvor beim Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannten Kirchenreforma- tors Jan Hus das Neustädter Rathaus, um Gesinnungsgenossen zu befreien – und defenestrierten dabei den Bürgermeister und mehrere Ratsherren. Der Vorfall gilt als Auslöser der Hussitenkriege.

Mehr als 60 Jahre später, im September 1483, spielten sich in den Rathäusern der Altstadt, der Neustadt und der Kleinseite ähnliche Szenen ab. Wieder ging es um Glaubensfragen, die stets auch Fragen der Machtpolitik waren, um die Eucharistie in beiderlei Gestalt, wie sie die Hussiten pflegen, wenn sie aus dem Kelch "das Blut Christi" trinken, und um Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtverwaltung. Ein Krieg folgte damals jedoch nicht, das Ereignis geriet im historischen Bewusstsein weitgehend in Vergessenheit. Manche Historiker bezeichnen es dennoch als den Zweiten Prager Fenstersturz und widersprechen damit der gängigen Darstellung, die diesen erst auf 1618 datiert. Also auf das Jahr jenes Fenstersturzes, der am Anfang des Dreißigjährigen Krieges stand – und damit am Anfang des ersten gesamteuropäischen Konflikts.

Umfangreiche Rekatholisierung

Diese Katastrophe, die in der Folge den europäischen Hochadel ebenso in den Abgrund stürzen sollte wie die Bauernschaft, nahm ihren Ausgang am 23. Mai 1618. Am Vormittag kamen drei Männer im Burggraben des Prager Hradschin gerade so mit dem Leben davon. Auf ihrer Flucht krachten ihnen Gewehrkugeln um die Ohren, nachdem sie einen 17-Meter-Sturz aus einem Fenster halbwegs heil überstanden hatten.

Was war geschehen? Die Ursache der geschichtsträchtigen Defenestration liegt eine Weile zurück: Sechs Jahre zuvor war Kaiser Rudolf II. verstorben, der den böhmischen Protestanten im Majestätsbrief von 1609 Religionsfreiheit zugestanden hatte. Sein brüderlicher Nachfolger Matthias allerdings hielt wenig von dieser Vereinbarung – im Gegenteil: Er ließ immer mehr Protestanten aus den königlichen Diensten entlassen und förderte damit den Einfluss der Katholiken am böhmischen Hof. Als am 6. Juni 1617 Erzherzog Ferdinand zum König von Böhmen gewählt wurde, eskalierte die Situation: Ferdinands umfangreiche Rekatholisierungsmaß- nahmen in Böhmen, die die Rechte der Stände maßgeblich einschränkten, führten zu einem empörten Protest- schreiben der adeligen böhmischen Protestanten an den Kaiser – und der verbot daraufhin jegliche Standesver- sammlungen.

Die böhmischen protestantischen Stände waren verständlicherweise nicht erfreut. Am 23. Mai 1618 zogen rund 200 ihrer Vertreter unter der Führung von Heinrich Matthias von Thurn zur Prager Burg, wo ein improvisierter Schauprozess seinen Lauf nahm. Was dann geschah, mag politische, religiöse und auch individuelle Beweg- gründe gehabt haben. Letztlich aber löste es einen Krieg aus, der in den folgenden drei Jahrzehnten weite Teile Europas verheeren sollte.

"Wundersame" Rettung

Fakt ist, dass auch eine persönliche Kränkung diesem Prager Fenstersturz – und damit einem kontinentalen Konflikt – zugrunde lag: Graf Heinrich von Thurn war zuvor die Funktion als Burggraf von Karlstejn entzogen worden, nachdem er sich bei der Abstimmung für den neuen böhmischen König gegen den Habsburger Ferdinand entschieden hatte. Das Amt des Burggrafen von Karlstejn war freilich außerordentlich symbol- trächtig. Immerhin war er so auch für die böhmischen Kronjuwelen verantwortlich.

Damit mag es wohl kein Wunder sein, dass er den erzkatholischen Jaroslav von Martinic, seinen vom Kaiser bestimmten Nachfolger, aus einem Fenster der Prager Burg warf – gemeinsam mit Wilhelm Slavata von Chlum und Koschumberg sowie dem Kanzleisekretär Philipp Fabricius von Rosenfeld. Dass ein Misthaufen ihren Sturz gebremst und damit ihr Leben gerettet hat, dürfte ein anekdotischer Mythos sein. In zeitgenössischen Berichten wird ein solcher jedenfalls nicht erwähnt.


Ihr Überleben verdanken die drei Herren vermutlich eher der damaligen Mode, dem kühlen Wetter und statischen Prinzipien: Ihre schweren Mäntel und die für die damalige Zeit typischen schrägen Burgmauern dürften schlimmere Verletzungen verhindert haben. Die katholische Seite freilich hatte keinen Zweifel daran, wer die Männer letztlich gerettet hat: Niemand anderer als die Heilige Jungfrau Maria persönlich und ihre Engel griffen ein und bewahrten die katholischen Herren vor dem sicheren Tod, den die gottlosen Protestanten für sie vorgesehen hatten. Sein glückliches Schicksal, vermeintlich bedingt durch höhere Fügung, ließ Graf Wilhelm von Slavata zwei Jahre später in einem für die frühbarocke Zeit typischen Votivbild für die Nachwelt in üppiger Weise festhalten.

Als von Slavata sein kunterbuntes Bild malen ließ, nahmen die Folgen seines Fenstersturzes bereits ihren fatalen Lauf: Im November 1620 verloren die böhmischen Stände am Weißen Berg bei Prag unter Führung von Christian I. von Anhalt die erste große Schlacht des Dreißigjährigen Krieges gegen die kaiserlichen und bayerischen Truppen der Katholischen Liga. Friedrich V., Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz, kaum mehr als ein Jahr König von Böhmen – womit er sich den Spottnamen "Winterkönig" einhandelte, musste fliehen und gab so den Weg frei zur von Kaiser und Papst erhofften Rekatholisierung Europas.



Spurensuche in der Gegenwart

Der 1648 geschlossene Westfälische Friede gilt bis heute als Ausgangspunkt der Entwicklung von Völkerrecht und souveränen "Nationalstaaten". Inwieweit sich seine Spuren nach weiteren Einschnitten wie etwa dem Wiener Kongress 1815 oder den Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Detail identifizieren lassen, ist Gegenstand vieler Debatten. Gleiches gilt für die Rolle der Nationen im geeinten Europa von heute – erst recht in der Fenstersturzstadt Prag.

Sowohl sprachlich als auch religiös seien die böhmischen Länder zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ein sehr heterogenes Gebilde gewesen, sagt der tschechische Historiker Pavel Kolár, Professor am European University Institute in Florenz, zum STANDARD: "Es war eine supranationale Entität. Das wird heute oft vergessen." Geblieben sei allerdings die Idee von Böhmen als Mikrokosmos europäischer Konflikte – und ein darauf fußendes kollektives Bewusstsein, das zwischen europäischer Öffnung und Abschottung oszilliert, zwischen Nationalstolz und scheuem Rückzug. "Angesichts diverser Bedrohungen, etwa durch Kriege, kann natürlich auch die Öffnung negativ konnotiert sein", so Kolár.

Tatsächlich scheinen sich heute Selbstvergewisserung und Selbstironie meist die Waage zu halten, wenn im alltäglichen tschechischen Sprachgebrauch immer wieder der "böhmische Kessel" auftaucht: Eingebettet zwischen Erzgebirge, Riesengebirge und Böhmerwald umgibt er die Hauptstadt Prag, im 14. Jahrhundert Sitz von Kaiser Karl IV. und der von ihm gegründeten Universität, der ersten nördlich der Alpen. Jenseits des "Kessels" liegen Österreich, Deutschland und Polen. "Wir sind so selbstverständlich ein Teil von Europa, dass wir es oft gar nicht mehr sehen", brachte es ein ehemaliger tschechischer Diplomat auf den Punkt, Botschafter der ersten Stunde nach der Samtenen Revolution 1989.

Skepsis gegenüber Religionen

Das gescheiterte Aufbegehren gegen die katholischen Habsburger und deren anschließende 300-jährige Vorherrschaft dürften auch in der weitverbreiteten Skepsis gegenüber Religionen insgesamt ihren Ausdruck finden. Tschechien zählt heute zu den atheistischsten Ländern der Welt. Bei der letzten Volkszählung 2011 machten 45 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gar keine Angaben zur Religion, 34 Prozent bezeichneten sich explizit als nicht religiös. Zum römisch-katholischen Glauben bekannten sich nur zehn Prozent. Auch eine gewisse Skepsis gegenüber weltlichem Machtpathos scheint damit einherzugehen. Eine religiöse Unterlegung politischer Führungsästhetik wie in Polen oder Aufmärsche uniformierter Garden wie in Ungarn wird man in Tschechien kaum antreffen.

Andererseits ist die Meistererzählung vom ureigenen, vermeintlich pragmatischen Zugang zur Politik, der sich an den Problemen im Hier und Jetzt abarbeitet und nicht an Heilsvorstellungen im Jenseits oder Diesseits, auch eingebettet in ein isolationistisches Narrativ vom Kampf gegen Bevormundung "von außen" – gegen Wien (Habsburger), Berlin (Nazi-Besatzung) und Moskau (Kommunismus). Dass sich auf Basis solcher Simplifizierung kaum brauchbare Parallelen ziehen lassen, ändert nichts daran, dass manche Politiker gerne noch Brüssel an das vorläufige Ende der Erzählung setzen – demokratisches Beitrittsreferendum hin, Mitbestimmung in der EU her.
 

aus Süddeutsche.deErstürmung Magdeburgs am 10.Mai 1631

Die Furcht der einen, die Hoffnung der anderen
Vor genau 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg, der Deutschland verändern sollte - und ein neues Medium entstand. Eine Übersicht.

 
Von Thomas Jordan

Am 23. Mai jährt sich zum 400. Mal der Prager Fenstersturz, mit dem der Dreißigjährige Krieg in Europa begann. Weniger bekannt ist, was sich in den 30 Folgejahren auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation abspielte. Sieben Fakten über drei Jahrzehnte, in denen sich religiöse Minderheiten Rechte erkämpften, der Krieg auch auf dem Feld der Bilder wütete und sich mit der Zeitung ein neues Medium durchsetzte.

1. Ein österreichischer Aufsteiger und furchtsame Böhmen

Im Jahr 1617 geht die Angst um bei den protestantischen böhmischen Adeligen. Soeben ist Ferdinand II., Erzherzog von Innerösterreich, gegen ihren Willen neuer König von Böhmen geworden. Der strenggläubige Katholik Ferdinand hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will alle nach 1552 evangelisch gewordenen Gebiete im Reich wieder katholisch machen. Die Konfession dient dabei der Machtpolitik des Habsburgers. Über den katholischen Glauben sollen die Stände im Heiligen Römischen Reich dem katholischen Kaiser in Wien politisch unterworfen werden. Noch hat das Amt Ferdinands Vetter Matthias inne. Aber schon bald hofft der ehrgeizige Ferdinand, selbst Kaiser zu sein.


Kaiser Ferdinand II.
In dieser Situation entschließen sich protestantische Grafen in Böhmen zu einem symbolischen Befreiungs- schlag gegen die katholischen Habsburger: Sie stürzen die Statthalter des Kaisers aus Wien aus einem Fenster des Hradschin, der Prager Burg. Kurz darauf bieten sie dem protestantischen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz die böhmische Königskrone an. Der Prager Fenstersturz ist Ausdruck einer hochexplosiven konfessionell-machtpolitischen Gefühlslage in den Ostgebieten des Reichs, die der Historiker Georg Schmidt mit den Worten beschreibt: "Die Furcht der einen und die vagen Hoffnungen der anderen bildeten zusammen genau jene Mischung, die nicht nur Kriege, sondern auch neue Kriegsziele entstehen lässt." 

2. Es geht um Konfessionen, Macht und die "deutsche Freiheit"

Mit dem neuen König kommt der Krieg: Als Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, später "Winterkönig" genannt, das Angebot der böhmischen Stände auf die Königskrone annimmt, rückt der Konflikt vom östlichen Rand mitten in das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Das Territorium des jungen protestantischen Kurfürsten ist ein zerstreuter Flickenteppich, der sich von der Residenzstadt Heidelberg im Westen bis in die heute bayerische Oberpfalz im Osten erstreckt. Nicht zuletzt der bayerische Herzog Maximilian I., einer der Anführer der Katholiken im Reich, hat schon länger ein Auge auf die Gebiete des Kurpfälzers geworfen. Schon ein Jahr später erfüllen sich die territorialen Hoffnungen des Bayern an der Seite des Kaisers.

Der Preis dafür ist ein Krieg mitten im Reich: Im Jahr 1620 geht Kaiser Ferdinand II. zum Angriff gegen die aufständischen Böhmen und ihren neuen König über. Der habsburgische Kaiser kann 20 000 Soldaten der Katholischen Liga, einem Zusammenschluss katholischer Fürsten des Reiches, zum Sturm auf Prag mobilisieren. Außerdem stellt König Philipp III. von Spanien, ebenfalls ein Habsburger, 20 000 Soldaten, um die pfälzischen Stammlande des neuen böhmischen Königs Friedrich zu erobern. Für die protestantischen Fürsten im Reich steht mit dem Eingreifen der Spanier nun die "deutsche Freiheit" auf dem Spiel, in Flugschriften wird das "Vaterland der deutschen Nation" beschworen. Aus einem Konflikt zwischen Wien und Prag wird ein europaweiter Krieg.

3. Nachrichten aus der Schlacht - Der Krieg und die neuen Medien

Mit dem Krieg kommen die Zeitungen. Vor 1618 informierten meist nur Flugblätter über das Kriegsgeschehen. Die Berichterstattung blieb auf die einzelne Schlacht beschränkt. Mit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges ändert sich das. Die gerade erst gegründeten wöchentlichen Zeitungen im Heiligen Römischen Reich konnten nun zum ersten Mal längere Entwicklungen im Kriegsgeschehen in den Blick nehmen. Oftmals kommt es sogar anlässlich des Krieges zur Gründung neuer, periodisch erscheinender Medien. In Köln werden von 1618 an die Wochentliche Niderlandische Postzeitungen gedruckt. Sie bestanden aus Nachrichtenbriefen aus Deutschland und Italien, die in Amsterdam gesammelt und zu Zeitungen zusammengefügt wurden.

Auch in Antwerpen erscheint 1618 die erste wöchentliche Zeitung, bald auch in Hildesheim, Halberstadt und Stuttgart. Die Menschen wollen regelmäßig und fortlaufend über die Kriegsentwicklungen informiert werden. Historiker sehen einen Zusammenhang zwischen der Gründung von Zeitungen und der Wahrnehmung des Krieges: Erst durch die kontinuierliche Berichterstattung in den Medien, so schreibt die Historikerin Esther-Beate Körber von der Freien Universität Berlin, wird es möglich, sich den Dreißigjährigen Krieg als ein zusammenhängendes Ereignis vorzustellen. Was im Zeitalter der Flugblätter als Aneinanderreihung einzelner Schlachten erschien, wird nun als fortlaufendes Kriegsgeschehen erkennbar.

4. Für Gott und die eigene Macht: Wechselnde Bündnisse

Im Jahr 1640 wagt der bayerische Kurfürst Maximilian I. das Unvorstellbare: Der Bayer, der wichtigste Verbündete des katholischen Kaisers in Wien, will das Bündnis wechseln. Maximilian I. will nun auf der Seite Frankreichs kämpfen, das mit dem protestantischen Schweden verbündet ist und bis zu diesem Zeitpunkt der Hauptgegner Bayerns ist. Maximilians Bündniswechsel gelingt letztlich nicht. Am wankelmütigen bayerischen Kurfürsten zeigt sich aber, wie die Hoffnung auf Gebietsgewinne althergebrachte und konfessionelle Bündnisse überlagert. Für Maximilian I. zählt in erster Linie, dass er selbst Kurfürst bleibt und die Oberpfalz dauerhafter Teil seines Territoriums.

Den Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg I., treibt dagegen die Angst vor eigenen Gebietsverlusten gleich zu mehreren Bündniswechseln. 1630 überrollt Gustav II. Adolf von Schweden das Reich. Dem protestantischen Schwedenkönig gelingt es mit Hilfe des protestantischen Kurfürsten von Sachsen, innerhalb eines Jahres weite Teile Deutschlands unter seine Kontrolle zu bringen. Der Kurfürst unterstützte zuvor den Kaiser, und nur zwei Jahre später kämpft Johann Georg I. auch wieder auf der Seite des Habsburgers gegen die Schweden. Die Furcht vor dem kaiserlichen General Tilly hatte ihn zwischenzeitlich in die Arme Gustav Adolfs getrieben. In den darauffolgenden Jahren verbündet sich von 1634 an das von den Habsburgern geschlagene Schweden mit dem katholischen Frankreich. Das neue protestantisch-katholische Bündnis zielt auf das europäische Mächtegleichgewicht: Beide wollen verhindern, dass der Kaiser in Wien seine Macht weiter ausbaut.

Tilly in Magdeburg, 1631
Johann T'Serclaes von Tilly reitet über die Trümmer der 1631 belagerten und eingenommenen Stadt Magdeburg.
5. Krieg der Bilder und Symbole
 
Es ist eines der schlimmsten Massaker im Dreißigjährigen Krieg: Bei der Eroberung der protestantischen Stadt Magdeburg am 20. Mai 1631 durch die Truppen des kaiserlichen Feldherrn Tilly sterben 20 000 der 35 000 Stadtbewohner. Noch Jahrhunderte später spricht man in Deutschland von "magdeburgisieren", wenn man "völlig zerstören" meint. Dass sich die Magdeburger Ereignisse so tief in die Erinnerung einbrennen, daran haben die Bilder und Symbole, die von der Erstürmung berichten, großen Anteil. Ein kaiserliches Flugblatt aus dem Jahr des Geschehens bezieht sich auf das Massaker unter der zynischen Überschrift, wie "Herrn General Grafen von Tilly die alte Jungfrau zu Magdeburg verheiratet worden" sei. Die Zeichnung darunter zeigt die Stadt Magdeburg als junges Mädchen im Brautkleid, den siegreichen Feldherrn Tilly als Bräutigam. König Gustav Adolf von Schweden, der die Stadt nicht vor der Eroberung beschützte, wird auf dem Flugblatt zum grausamen Brautvater, der dem siegreichen Feldherrn Tilly seine Tochter übergibt.

Die Katholiken, die seit Jahrhunderten Marienstatuen und Heiligenbilder verehrten, sind mit Bildern und Symbolen vertraut. Aber auch auf protestantischer Seite erkennen Feldherrn die Bedeutung von Symbolen, um die eigenen Soldaten zu motivieren und Gegner zu demoralisieren. Der Schwedenkönig Gustav Adolf wird zum heilbringenden "Löwen aus Mitternacht", sein Eroberungszug zur biblischen Mission. Denn im Alten Testament vernichtet der Löwe die sündige Stadt Babylon, ein bei Protestanten im 17. Jahrhundert gängiges Bild für die katholische Kirche. Der protestantische Heerführer Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel lässt auf den Fahnen seines Heeres die Aufschrift "Alle für Gott und für Sie" anbringen. Mit "Sie" war bei dem protestantischen Heerführer nicht die bei Katholiken so beliebte Jungfrau Maria, sondern wohl die von ihm verehrte Frau des aus Böhmen vertriebenen "Winterkönigs" Friedrich von der Pfalz gemeint. Elisabeth wird in der Propaganda zur deutschen Freiheitsheldin. Die Soldaten des Braunschweigers sollen dafür kämpfen, dass sie in Prag als Königin einziehen kann.

6. Taschengeld für die Plünderer: Mitgefühl unter Feinden

Plündernde Söldner haben großen Anteil daran, dass der Dreißigjährige Krieg den Zeitgenossen so erbarmungslos erscheint. Ist eine Stadt in die Hände der Eroberer gefallen, ziehen feindliche Horden durch die Gassen und halten nach Beute Ausschau. Viele Häuser werden drei-, vier- oder fünfmal von Söldnerbanden geplündert, bis der letzte Silberlöffel aufgespürt ist. Vermuten die Plünderer, dass die Stadtbewohner Vermögen vor ihnen verstecken, werden diese oftmals gefoltert. Als Heidelberg von katholischen Söldnern eingenommen wird, erhebt sich, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, "ein jämmerlich Zetergeschrei durch Massacrieren, Plündern und Geldherausmartern mit Däumeln, Knebeln, Prügeln, Peinigen, Nägelbohren, Sengen an heimlichen Orten, Aufhenken, Brennen an den Fußsohlen, mit Schänd- und Wegführung der Frauen und Jungfrauen" .

Bei allen diesen Grausamkeiten gibt es aber auch Szenen, in denen sich zeigt, dass so mancher Söldner Mitleid mit der besiegten Bevölkerung empfindet. Der damals erst zwölfjährige Magdeburger Johann Daniel Friese berichtet in seinen Erinnerungen von einer solchen Szene bei der Plünderung seiner Heimatstadt. Als ein katholischer Söldner mit einem Spitzhammer auf seinen Vater losgeht, plappert dessen jüngster Sohn, der noch ein Kind ist, auf den Söldner los: "Ach lasst doch nur den Vater leben; ich will Euch gern meinen Dreier geben, den ich am Sonntag bekomme." Der Soldat ist von dem Angebot des Kleinkindes, ihm sein Taschengeld - den Dreier - zu geben, gerührt und verhilft der Familie gegen Lösegeld zur Flucht aus dem brennenden Magdeburg.

7. Rechte für Minderheiten: Ohne religiöse Toleranz gibt es keinen Frieden

Nach 30 Jahren Kampf und Verwüstung geht der Krieg mit dem Westfälischen Frieden 1648 zu Ende. Eine Einigung wird nur möglich, weil sich alle Parteien auf einen Ausgleich zwischen den Konfessionen verständigen können. Der Historiker Georg Schmidt nennt die Friedensverträge von Osnabrück und Münster 1648 einen "Meilenstein auf dem Weg zu Gewissensfreiheit und Toleranz". Neben Katholiken und Lutheranern wird nun auch ein drittes Bekenntnis, der Calvinismus, offiziell anerkannt. Häuser und Grundstücke, die den Calvinisten entzogen wurden, werden ihnen zurückerstattet. Wichtig war auch, dass nun die Möglichkeiten eingeschränkt wurden, die Konfession zum Spielball der Machtpolitik zu machen. Entschließt sich ein Landesherr dazu, für ein neues Bündnis seine Konfession zu wechseln, kann er seinen Untertanen sein Bekenntnis nicht mehr aufzwingen.


Zeitgenössischer Stich der Stadt Magdeburg von Matthäus Merian
Für die Reichsgebiete wird mit Ausnahme der habsburgischen Erblande eine Landeskonfession festgelegt - auf dem Stand wie sie am 1. Januar 1624 existiert hatte. Außerdem herrscht von nun an für alle Konfessionen mehr rechtliche Sicherheit: Wie die Anhänger ihr Bekenntnis ausüben dürfen, ist genau abgestuft. Gleiche Rechte für alle herrschen freilich nicht. Die katholische oder lutheranische Landeskonfession darf ihr Bekenntnis öffentlich mit Glockenklang feiern. Allen anderen wird die "devotio domestica" zugesichert. Die Angehörigen der konfessionellen Minderheit können nach ihrem Glauben leben und dürfen nicht wegen ihres Bekenntnisses diskriminiert werden. Kommt es zu Streitigkeiten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen, werden die Gerichte konfessionell paritätisch besetzt.