aus spektrum.de, 19.03.2019
Jungsteinzeit
Wer waren die ersten Bauern Anatoliens?
Die meisten heutigen Europäer haben frühe Bauern aus Anatolien unter ihren Vorfahren. Doch wer waren diese steinzeitlichen Landwirte? Eine genetische Studie gibt nun Antwort.
von Jan Dönges
Ihren Ursprung hatte die Landwirtschaft vor rund 11 000 Jahren im »Fruchtbaren Halbmond« – einem Gebiet, das von Ägypten entlang der Länder der westlichen Mittelmeerküste über das heutige Syrien und den Irak bis an den Persischen Golf reichte. Die neue, so genannte neolithische Lebensweise wurde aber schon bald zum kulturellen Exportgut: Ab etwa 8300 v. Chr. finden sich Hinweise auf Ackerbau und Viehzucht auch nordwestlich in Zentralanatolien.
Diese anatolische Gruppe erwies sich als höchst bedeutsam für die weitere europäische Geschichte. Ihre Angehörigen wanderten aus und brachten diese Wirtschaftsform über den Balkan nach Mitteleuropa. Dort dominierten ihre Nachfahren bald die Population, während die einheimischen Jäger und Sammler in den Hintergrund traten und sich kaum mit den Neuankömmlingen vermischten. Der durchschnittliche Mitteleuropäer von heute ist darum kaum noch mit den Jägern und Sammlern von einst verwandt, umso präsenter ist das genetische Erbe der ehemals in Anatolien beheimateten Bauern.
Ganz anders waren die Vorgänge, als die Landwirtschaft zu ihnen selbst nach Anatolien kam; dies zeigt nun ein Forscherteam um Michal Feldman vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin »Nature Communications« darlegen, ähneln sich die Bevölkerungsgruppen in Anatolien vor und nach Übernahme der Landwirtschaft sehr stark. Offenbar, so die Schlussfolgerung, schauten sich ortsansässige Jäger und Sammler die neue Form des Lebensunterhalts in den ursprünglichen Gebieten weiter im Süden ab.
Feldman und Kollegen stützen sich dabei auf die Analyse der DNA von acht prähistorischen Skeletten aus Anatolien, darunter ein 15 000 Jahre alter Angehöriger von Jäger-und-Sammler-Gruppen. Sie verglichen die Individuen, die in der Studie neu analysiert wurden, zudem mit bestehenden Daten von 587 prähistorischen Individuen und 254 heutigen Populationen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Spektrum Kompakt: Neolithische Revolution – Vom Jäger und Sammler zum Bauern
Spektrum Kompakt: Neolithische Revolution – Vom Jäger und Sammler zum Bauern
Wie die Forscher in einer Mitteilung des Max-Planck-Instituts erläutern, stammen zu Beginn des Neolithikums in Anatolien zwischen 8300 bis 7800 v. Chr. nur rund zehn Prozent der Gene der Ortsansässigen aus Nachbarpopulationen im heutigen Iran und im Kaukasus. Ab etwa 7000 bis 6000 v. Chr. komme laut den Forschern eine weitere genetische Komponente aus der Levante-Region im heutigen Israel mit Palästina, dem Libanon und Jordanien hinzu. »Dies deutet trotz veränderter Klima- und Ernährungsstrategien über fünf Jahrtausende auf eine langfristige genetische Stabilität in Zentralanatolien hin«, so Feldman.
Anatolien sei demnach nicht nur ein Sprungbrett für die frühen Bauern aus dem Fruchtbaren Halbmond nach Europa gewesen, erläutert Koautor Choongwon Jeong, ebenfalls vom Jenaer MPI. »Es war vielmehr ein Ort, an dem lokale Jäger und Sammler Ideen, Pflanzen und Technologien annahmen, die zu einem landwirtschaftlichen Lebensunterhalt führten.« Dieser neue Lebensunterhalt bildete dann die Grundlage für entsprechende Innovationen in Europa.
aus derStandard.at, 22. März 2019
Wie die ersten Bauern Anatoliens zur Landwirtschaft kamen
Genetische Studien untermauern die These, dass die ersten anatolischen Bauern keine neu eingewanderte Gruppe, sondern lokale Jäger und Sammler waren
Woher und wann kam die Landwirtschaft nach Europa? Ihr Ursprung lag vor rund 11.000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond, das gilt inzwischen als sicher. Diese Region umfasst den heutigen Irak, Syrien, Israel, den Libanon, Ägypten und Jordanien sowie die Randgebiete von Südanatolien und dem westlichen Iran. Um etwa 8.300 vor unserer Zeitrechnung breitete sich die Landwirtschaft dann in Zentralanatolien aus.
Die frühen anatolischen Bauern wanderten anschließend durch ganz Europa und verbreiteten ihren neuen Lebensstil – und ihre Gene mit. Heute stammen die Europäer genetisch zum größten Teil von diesen anatolischen Bauern ab. Wie aber kam die Landwirtschaft nach Anatolien? Wurde sie auf ähnliche Weise von einer Gruppe wandernder Bauern eingeführt oder übernahmen die lokalen Jäger und Sammler Anatoliens landwirtschaftliche Praktiken von ihren Nachbarn?
Erlernte Lebensweise
Ein internationales Team unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte ist dieser Frage nun genauer nachgegangen und hat dafür bis zu 15.000 Jahre alte Skelette von Einwohnern Anatoliens untersucht. Wie sie in "Nature Communications" berichten, waren die ersten anatolischen Bauern direkte Nachkommen lokaler Jäger und Sammler. Diese Ergebnisse stützen die These, dass Jäger und Sammler in Anatolien die bäuerliche Lebensweise selbst annahmen, indem sie das Know-how aus anderen Gebieten importierten und weiterentwickelten.
Für die Studie analysierten die Forscher historische DNA von acht prähistorischen Skeletten. Dabei gelang es ihnen erstmals, 15.000 Jahre alte Genomdaten von einem frühen anatolischen Jäger und Sammler zu gewinnen. Die Daten ermöglichten es, die DNA dieser Person mit späteren anatolischen Bauern sowie mit Menschen aus benachbarten Regionen zu vergleichen, um festzustellen, wie sie miteinander verbunden waren. Sie verglichen die neu analysierten Genome auch mit bestehenden Daten von 587 prähistorischen Individuen und 254 Individuen aus heutigen Populationen.
Stabiles Genom
Dabei zeigte sich, dass rund 90 Prozent der frühen anatolischen Bauern von Vorfahren abstammen, die mit den frühen anatolischen Jägern und Sammlern verwandt war. "Dies deutet trotz veränderter Klima- und Ernährungsstrategien auf eine über fünf Jahrtausende währende genetische Stabilität in Zentralanatolien hin", sagte Michal Feldman vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautor der Studie.
Die Ergebnisse würden frühere archäologische Hinweise stützen, wonach Anatolien nicht nur ein Sprungbrett für die frühen Bauern aus dem fruchtbaren Halbmond nach Europa war. "Es war vielmehr ein Ort, an dem lokale Jäger und Sammler Ideen, Pflanzen und Technologien übernahmen, die zu einer landwirtschaftlichen Lebensweise führten", sagte Koautor Choongwon Jeong. (red.)
Abstract
Nature Communications: "Late Pleistocene human genome suggests a local origin for the first farmers of central Anatolia"
Nota. - Der aktuelle Stand ist also der: In Anatolien wurde der Ackerbau selbstständig erfunden; doch wurden die frühen anatolische Bauern später durch Zuzug aus der Levante verstärkt.
Aber nach Mitteleuropa wurde der Ackerbau eingeführt: über die Balkanroute von Bauern aus Anatolien.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen