aus welt.de, 5. 4. 2019 Dresden
Das Ruhrgebiet ist das neue Armenhaus DeutschlandsTeile Deutschlands werden sich weiter entvölkern, warnen Forscher.
Während die am wenigsten zukunftsfähigen Kreise im Westen liegen, haben
sich Teile Ostdeutschlands überraschend gut entwickelt. Doch auch ihre
Erfolgsgeschichte ist akut gefährdet.
Deutschlands
Bevölkerung schrumpft und altert, das ist bekannt. Oder doch nicht?
Eine aktuelle Untersuchung bestätigt jetzt, was sich schon seit Längerem
abzeichnet: Die verstärkte Zuwanderung vor allem aus dem EU-Ausland und
ein überraschender, seit Jahren anhaltender Babyboom sorgen dafür, dass
die Bevölkerung hierzulande bis zum Jahr 2035 stabil bleiben wird.
Dann
werden in Deutschland 82,3 Millionen Menschen leben, schreiben die
Autoren der aktuellen Bevölkerungsprognose des gemeinnützigen
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Die Bevölkerung sinke
damit um weniger als ein Prozent und weit weniger stark als lange
erwartet.
Diese überraschend positive Entwicklung kann
allerdings nicht verhindern, dass Teile des Landes weiter entvölkern,
warnen die Forscher. Es sei absehbar, dass vor allem in ländlichen
Gebieten und ganz besonders denen in Ostdeutschland die Bevölkerung
weiter schrumpfen und überdurchschnittlich stark altern werde.
Die
Autoren der Studie sprechen gar von „demografischen Krisenregionen“ in
Ostdeutschland. Einzelne Landkreise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt,
die jetzt schon dünn besiedelt und überdurchschnittlich alt sind,
könnten bis 2035 ein Viertel ihrer jetzigen Bevölkerung verlieren.
Die Großstädte
hingegen, die mit ihren Hochschulen und innovativen Unternehmen jetzt
schon Magnete vor allem für junge Menschen sind, wüchsen weiter, heißt
es von den Forschern des CIM, die im Auftrag des Berlin-Instituts die
Berechnungen angestellt haben. Die großen Metropolen und Uni-Städte wie
Heidelberg, München, Frankfurt am Main, Münster und Regensburg
profitieren dabei doppelt: Die Bevölkerungen wachsen nicht nur, sie sind
auch überdurchschnittlich jung.
Quelle: Infografik WELT
Stadt
boomt, Land schrumpft – diese Entwicklung wird in den kommenden
Jahrzehnten eine der dominierenden Trends hierzulande sein und Jobs,
Mieten, Gesundheitsversorgung und viele weitere Lebensbereiche
beeinflussen. Dabei gebe es eine relativ einfache Regel, um die
Entwicklung vorherzusagen, sagt Manuel Slupina, Leiter der Abteilung
Demografie am Berlin-Institut: „Je entlegener eine Region, desto stärker
der Bevölkerungsrückgang.“
Von
der Regel gibt es allerdings auch Ausnahmen: Die Landkreise
Cloppenburg, Emsland und Vechta in Niedersachsen gehören dazu. Abseits
gelegen und in Grenznähe, galten sie vor einigen Jahrzehnten als
armutsgefährdet.
„Der Aufbau Ost ist eine Erfolgsgeschichte“
Das
ist vorbei: Ausgerechnet um die Landwirtschaft herum haben findige
Unternehmer dort äußerst profitable Wertschöpfungsketten aufgebaut. Es
gibt dort Jobs, gute Einkommen und offenbar eine hohe Lebensqualität:
Die Familien hier haben viele Kinder, und junge Menschen aus der Region kommen nach Studium und Ausbildung zurück, um Familien zu gründen.
Kein
Wunder, dass die Region den Forschern auch als besonders zukunftsfähig
gilt: Um herauszufinden, wie gut alle 401 Landkreise und kreisfreien
Städte hierzulande auf die kommenden Jahrzehnte vorbereitet sind, haben
die Wissenschaftler Wirtschaftsdaten, Bevölkerungsentwicklung und
soziale Infrastruktur untersucht.
Quelle: Infografik WELT
Wenig
verblüffend landen Landkreise aus Bayern und Baden-Württemberg in der
Rangliste der Kreise mit den besten Zukunftsaussichten ganz weit vorne.
Erstaunlich allerdings ist deren Dominanz: Von den 20 am besten
aufgestellten Kreisen hierzulande liegen 19 in den beiden
wirtschaftsstarken süddeutschen Bundesländern; allein die Stadt München und drei angrenzende Landkreise belegen vier der sechs ersten Plätze.
Lediglich
auf Platz 15 taucht eine Stadt aus einem anderen Bundesland auf:
Dresden. Die sächsische Kulturmetropole sei dynamischer als häufig
vermutet, sagt Institutschef Klingholz. Frauen bekommen dort
überdurchschnittlich viele Kinder, was für eine familienfreundliche
Stadt spreche, die Universität ziehe viele junge Leute an, und um
Dresden habe sich eine florierende Hightech-Industrie gebildet. Jeder
zweite in Europa hergestellte Mikrochip komme beispielsweise aus Silicon
Saxony
Das Ruhrgebiet hat den Niedergang von Kohle und Stahl bis heute nicht wirtschaftlich verkraftet
Die
gute Lage in Dresden unterstreicht einen der zentralen Befunde der
Untersuchung, den Institutsleiter Klingholz bei der Vorstellung der
Ergebnisse mehrfach betont: „Der Aufbau Ost ist eine Erfolgsgeschichte.“
Das zeigt ein Blick auf die am wenigsten zukunftsfähigen Kreise. Bei
der vorletzten Untersuchung dieser Art aus dem Jahr 2006 lagen 19 der 20
am schlechtesten bewerteten Kreise in Ostdeutschland. Im Jahr 2011
waren es nur noch 14, und in diesem Jahr sind es nur noch fünf.
Am
Ende des Rankings finden sich jetzt Kreise und Städte aus dem
Ruhrgebiet und dem Saarland. „Der Osten holt auf, aber dem Aufbau Ost
steht ein Abstieg West gegenüber“, sagt Klingholz.
Die Armenhäuser Deutschlands
lägen nicht mehr im Osten wie nach der Wende, sondern in
Westdeutschland, in den Regionen, wo der Niedergang von Kohle und Stahl
bis heute nicht wirtschaftlich verkraftet ist: im Ruhrgebiet und im
Saarland.
Deutschland – wie es sich verändert hat
Die
demografische Entwicklung könnte die ostdeutsche Erfolgsgeschichte
allerdings gefährden, denn die Zuwanderung und der aktuelle Babyboom
werden die Alterung hierzulande nicht aufhalten. So wird die
erwerbsfähige Bevölkerung in Deutschland weiter schrumpfen, und das wird
besonders Ostdeutschland treffen, wo nach der Wende viele junge
Menschen in den Westen gezogen sind und die Geburtenraten in den Keller
sackten.
Dem Osten gehen die Menschen aus, und das könnte zum
Problem werden, wenn Firmen kein Personal mehr finden. Schon heute sind
in vielen Regionen in Ostdeutschland Arbeitskräfte knapp, und wenn sich
diese Situation verschärft, könnten Unternehmen gezwungen sein, zu
schließen oder Produktion in andere Regionen zu verlagern. „Das Thema
Zuwanderung ist in einigen Gebieten in Ostdeutschland viel dringender
als anderswo“, sagt Klingholz. „Wer in Dresden mit einem Transparent auf
die Straße geht, sollte nicht weniger Migration fordern, sondern mehr
davon.“
Nota. - Dass die Milliarden aus dem Westen die Landschaften nicht über Nacht erblühen ließen, war zu erwar- ten; auch wenn jede Mark in die richtigen Hände gekommen wäre. Viele Junge wollten nicht abwarten und sind in den Westen gegangen. Jetzt blühen die Landschaften, aber die Jungen fehlen, und so welken sie vielleicht bald wieder. Und es wird wieder heißen, der Westen war schuld.
JE
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