aus Die Presse, Wien, 5.04.2019 Ein Bote überbringt Briefe in der Reichskanzlei
Vom Aufstieg und Wirken der grauen Eminenzen
Die Reichskanzler des Spätmittelalters waren gebildete Vertrauensleute ihrer Herrscher. Durch ihre Hände gingen alle fürstlichen Anweisungen und Erlässe. Sie waren einflussreich, verfügten über ein großes Netzwerk, traten selbst aber nie in die erste Reihe.
Die treibenden Kräfte an den europäischen Höfen des Spätmittelalters waren die Reichskanzler. Meist in unmittelbarer Nähe der Herrscher, blieben sie selbst aber im Hintergrund. Der Mittelalter-Historiker Andreas Zajic nennt sie die „grauen Eminenzen“, die als einflussreiche Einzelpersonen bei der Politikgestaltung ihrer Fürsten eine bedeutende Rolle spielten.
Zajic, der am Institut für Mittelalterforschung der Akademie der Wissenschaften die Abteilung Editionsunternehmen und Quellenforschung leitet, untersucht nun anhand mehrerer Fallstudien die Karrieren und politischen Strategien der fürstlichen Ratgeber.
Geradezu ein Paradebeispiel ist der Lebenslauf des 1396 in Böhmen geborenen Kaspar Schlick. Sein Vater war Bürger von Eger, der dem Sohn den Besuch der Universität in Leipzig ermöglichte. Er trat in die Dienste von König Sigismund, des letzten Luxemburgers an der Spitze des Römisch-deutschen Reichs. Und kletterte die Karriereleiter bis zum Reichskanzler hinauf.
Er war, so Andreas Zajic, der erste Bürgerliche in dieser Position, die bisher stets für die geistliche Laufbahn ausgebildete Kleriker innegehabt hatten.
In der Kanzlei ihrer Herrscher
Die Reichskanzler dieser Zeit sind allerdings nicht vergleichbar mit den Regierungschefs („Kanzler“) unserer Tage, sie leiteten nicht die Reichsgeschäfte, sondern waren für die Kanzlei ihrer Herrscher zuständig. Damit waren sie auch Leiter der Urkundenausstellungsbehörde, durch ihre Hände gingen alle fürstlichen Anweisungen, Aufträge und Erlässe.
Der Reichskanzler Schlick begleitete Sigismund stets auf seinen Reisen durch die Gebiete des Reiches und quer durch Europa, etwa bis nach England. Dabei entstand ein nahes persönliches Vertrauensverhältnis.
Schlick selbst erwähnte mehrmals die Herkunft seiner Mutter aus einem italienischen Adelsgeschlecht. Und gerade in den italienischen Belangen war der Reichskanzler ein unentbehrlicher Ratgeber. So trug er zu Sigismunds Kaiserkrönung in Rom bei (1433) und war schon zuvor ein wichtiger Ratgeber beim Konzil zu Konstanz (1414 bis 1418).
Schlick blieb auch Kanzler unter den späteren habsburgischen Königen und Kaisern Albrecht II. und Friedrich III. Wichtig für ihn wie auch für die späteren Kanzler an den Fürstenhöfen: Sie hatten sich an einer Universität eine höhere Bildung erworben, waren auf ihrer Ebene gut vernetzt, begleiteten ihre Landesherren, verblieben aber als „secundi a rege“ in der zweiten Ebene der Hierarchie.
Das Grundgehalt der Kanzler war nicht besonders hoch, nur ein geringer Teil wurde in bar ausbezahlt. Aber der Herrscher übertrug seinen Vertrauten bestimmte Besitztümer sowie das Anrecht auf Einkünfte aus Zollabgaben oder Lehen. Dazu kamen die Schreibtaxen, die die Empfänger der Schriftstücke bezahlen mussten. Und oft genug waren auch Schmiergelder der Antragsteller mit im Spiel.
Aufstieg in den Adelsstand
Für seine eigene Familie begründete Kaspar Schlick den Aufstieg in den Adelsstand, nicht zuletzt durch die von ihm ausgestellten – und gefälschten – Dokumente. Sigmund Prüschenk, einem Vertrauten Maximilians I., gelang der Aufstieg vom niederen zum höheren Adel, er wurde zum Ahnherrn der noch heute bestehenden Familie der Grafen von Hardegg.
Maximilians Kanzler Zyprian von Serntein hat mit seinen Verbindungen zur Doppelhochzeit des österreichischen und ungarischen Hauses von 1515 beigetragen – die wiederum der Grundstein der späteren österreichisch-ungarischen Monarchie ist.
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