aus welt.de, 18. 3. 2022 Berlin Alxanderplatz, 18. März 1848
Bereits in den Tagen zuvor waren Demonstranten durch Berlin gezogen. Militär hatte sie zwar zerstreut, was aber wenig zur Deeskalation beigetragen hatte. Im Gegenteil: Auf beiden Seiten wuchs die Wut auf die andere. Den Rest besorgten die Nachrichten aus anderen Staaten. Das Fanal hatte am 24. Februar der Sturz des Bürgerkönigs Louis-Philippe in Frankreich gegeben. In den folgenden Tagen war in Baden, Bayern und Württemberg die Revolution ausgebrochen. Am 13. März erreichte sie Wien, wo mit Staatskanzler Metternich die Symbolfigur der Reaktion entlassen wurde.
Das ungewöhnlich milde Wetter tat ein Übriges, dass seit dem 9. März die Zelte, eine Ansammlung von Ausflugslokalen im Berliner Tiergarten, zum Zentrum einer Öffentlichkeit wurden, die es so über Jahrzehnte hinweg in Preußen nicht gegeben hatte. Hitzig wurde über Reformen diskutiert und die Wege, sie dem absolutistischen Regime König Friedrich Wilhelms IV. abzuringen.
Aber es ging nicht nur um eine Verfassung, die Abschaffung der Zensur und die Errichtung eines Nationalstaats. Die Mehrzahl der Zuhörer, die am 12. März in den Zelten zusammenströmten, waren Arbeiter und Handwerksgesellen, denen es vor allem um eine Verbesserung ihrer prekären Lebensbedingungen ging. Daraufhin ließ der Polizeipräsident Gardetruppen in die Stadt holen.
Deren Kommandeur war General Karl von Prittwitz (1790 bis 1871). Der Spross eines verzweigten schlesischen Adelsgeschlechts hatte in der Armee eine steile Karriere gemacht. Bereits mit 25 Jahren war er Major, mit 46 Jahren Gardegeneral. Eine Zeitlang hatte er als Adjutant von Wilhelm gedient, dem Bruder des Königs, der wegen der Kinderlosigkeit Friedrich Wilhelms als designierter Thronfolger den Titel Prinz von Preußen trug und dessen konservative bis reaktionäre Überzeugungen Prittwitz teilte.
Allerdings führte das Kommando über die Gardetruppen in Berlin nicht Prittwitz, sondern der Stadtgouverneur Ernst von Pfuel, der auf Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten setzte. Das reichte jedoch kaum aus, um die Wogen zu glätten. Obwohl die – zumeist wehrpflichtigen – Soldaten aus den gleichen Schichten rekrutiert waren, denen sie sich jetzt gegenüber sahen, kam es nicht zu Solidaritätsbekundungen. Sie wurden vielmehr beschimpft und mit Steinen beworfen. Die Protestierer, von denen viele die Hornsignale und Bewegungen der Truppen aus eigener Erfahrung kannten, entwickelten vielmehr die Taktik, die Soldaten ins Leere laufen zu lassen, um sich anschließend wieder zur formieren.
Friedrich Wilhelm IV., den zwar Intelligenz und Verständnis, aber zugleich auch Entschlussschwäche auszeichneten, sah sich im Kreuzfeuer widerstreitender Ratschläge. Sein Bruder Wilhelm plädierte für ein hartes Vorgehen (was ihm den Ruf des „Kartätschenprinzen“ eintrug), während die zivilen Minister für politische Konzessionen eintraten. Der König neigte ihnen zu und bereitete für den 18. März entsprechende Patente vor, die den Stadtverordneten umgehend bekannt gegeben wurden.
Allerdings ging die Rede im allgemeinen Lärm unter. Stattdessen wurden weitere Slogans laut. Einer davon war „Militär zurück“, was sich nicht nur auf die anwesenden Soldaten, sondern auch auf die grundsätzliche Forderung bezog, die Stadt nicht mehr durch die Ordnungskräfte des Königs, sondern durch eine „bürgerlich-zivile“ Polizeitruppe zu sichern. Die wenigen Gendarmen, die es in Berlin gab, waren dazu außer Stande.
Nun kippte die Stimmung. Daraufhin gab Friedrich Wilhelm den Befehl, „den Schlossplatz zu säubern und dem dort herrschenden Skandal endlich ein Ende zu machen“. Da, wie es hieß, Gouverneur Pfuel nicht auffindbar war, wurde der als Hardliner bekannte Prittwitz mit der Ausführung betraut. Allerdings mit der Maßgabe, nur im Schritttempo und mit Säbeln in den Scheiden vorzurücken. Gegen die dichte Menge kamen seine Leute jedoch kaum an.
Ungefähr zur gleichen Zeit fielen aus einer Gruppe Infanteristen zwei Schüsse. Wahrscheinlich waren es Zufälle und keine Reaktionen auf Befehle. Aber die Gegenseite sah es so und empfand das Vorgehen als Verrat, zumal sich die Soldaten nicht zurückzogen. Der Versuch eines Ministers, das „Missverständnis“ aufzuklären, ging im allgemeinen Chaos unter. Der Kampf begann.
Nach Pariser Vorbildern wurden Barrikaden errichtet. Während die Truppen Artillerie in Stellung brachten, schlugen die Aufständischen Verbindungswege durch die Häuserwände und besetzten die Dächer. Frauen und auch Kinder sorgten für Nachschub und brachten den Kämpfern Essen und Trinken, während die Soldaten nach Prittwitz’ Angaben in den „letzten 36 bis 48 Stunden nur Brot und Branntwein erhalten“ hatten. Die jungen Mannschaften – „ein körperlich gutes, aber geistig und militärisch unreifes Material“ (Valentin), das zumeist nicht aus Berlin stammte – feuerten voller Wut auf die Stellungen, aus denen sie beworfen oder beschossen wurden.
„Wir machten alles nieder, was sich uns widersetzte“, berichtete ein Gefreiter, aber das war nur die halbe Wahrheit. Zwar waren die Zivilisten in der Überzahl, aber die rund 14.000 Gardesoldaten waren ordentlich ausgerüstet und bewaffnet. Doch ihr Vormarsch stockte vor den vielen Barrikaden, die mit großer Leidenschaft verteidigt wurden. Mehr als 300 Zivilisten und 100 Soldaten verloren ihr Leben.
Gegen Mitternacht musste Prittwitz seinem König zähneknirschend gestehen, dass an ein weiteres Vorrücken nicht zu denken sei. Stattdessen schlug er vor, die Stadt zur räumen und dann von außen mit Artillerie sturmreif zu schießen. Das war die Linie, die Prinz Wilhelm bereits zuvor vertreten hatte.
Friedrich Wilhelm aber entschied sich gegen weiteres Blutvergießen und verfasste seinen berühmten Aufruf „An meine lieben Berliner“, der am Morgen des 19. verteilt wurde. Darin gab er sein „königliches Wort, dass alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen“. Prinz Wilhelm musste die Stadt verlassen und brachte sich wie Metternich in England in Sicherheit. Wenige Tage später wurde ein liberales Märzministerium berufen, das das Reformprogramm in die Tat umsetzen sollte.
Aber zugleich formierte sich die konservative Opposition. Prittwitz wusste geschickt zwischen ihr und den Reformern zu lavieren und erhielt 1849 sogar den Oberbefehl über das Bundesheer im Schleswig-Holsteinischen Krieg. Bereits im April 1848 hatte ihm Prinz Wilhelm von London aus für seine Haltung gratuliert: „Sie haben den Ruhm, nicht allein die Ehre und den Ruhm des Garde-Corps, sondern der Armee aus der Catastrophe, die uns betroffen hat, unbefleckt gerettet ... Das wird Ihnen die Geschichte, wenigstens die der Preußischen Armee, für ewige Zeiten aufzeichnen.“
Trotz alledem
von Ferdinand Freiligrath, Düsseldorf, Anfang Juni 1848
F. gehörte zur Redaktion der von Karl Marx geleiteten Neuen Rheinischen Zeitung in Köln und war Mitglied im Bund der Kommunisten. Das Gedicht erschien in der letzten Ausgabe der NRhZ vom 19. Juni 1848
Das war 'ne heiße Märzenzeit, Trotz Regen, Schnee und alledem! Nun aber, da es Blüten schneit, Nun ist es kalt, trotz alledem! Trotz alledem und alledem - Trotz Wien, Berlin und alledem - Ein schnöder scharfer Winterwind Durchfröstelt uns trotz alledem!
2. Das ist der Wind der Reaktion
3. Die Waffen, die der Sieg uns gab, | 4. Doch sind wir frisch und wohlgemut, Und zagen nicht trotz alledem! In tiefer Brust des Zornes Glut, Die hält uns warm trotz alledem! Trotz alledem und alledem, Es gilt uns gleich trotz alledem! Wir schütteln uns: Ein garst'ger Wind, Doch weiter nichts trotz alledem!
5. Denn ob der Reichstag sich blamiert
6. So füllt denn nur der Mörser Schlund |
Seid Kasten nur, trotz alledem!
Wir sind das Volk, die Menschheit wir,
Sind ewig drum, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem:
So kommt denn an, trotz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht -
Unser die Welt trotz alledem!
Der März war der Beginn und auch schon der Höhepunkt der deutchen Revolution von 1848. Danach gings nur noch bergab. Besonders jämmerlich war das Frankfurter Professorenparla-ment in der Paulskirche. Der einzige Abgeordnete, der in einer Nachwahl 1849 unter dem Parteietikett Demokrat je dort hineingewählt wurde, war Wilhelm Wolff aus Breslau - ebenfalls ein Mitglied im Bund der Kommunisten, dem Karl Marx den 1. Band des Kapitals gewidmet hat.
Es wird in den kommenden Tagen allerlei über diese tiefe Blamage der Deutschen geskribbelt werden. Obiges dürften Sie kaum irgendwo finden.
JE
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