Sonntag, 20. März 2022

Putins Vordenker: Iwan Iljin.

 

aus welt.de, 17. 12. 2014

Putin übernimmt Ängste seines Lieblingsphilosophen
Lieblingslektüre des Präsidenten: Wer Russlands neuen Nationalismus verstehen will, muss den 1954 gestorbenen konservativen Philosophen Iwan Iljin lesen. Der Denker schürt die Furcht vor der Freiheit.

In seiner letzten Rede an die Nation zitierte der russische Präsident Wladimir Putin den Philosophen Iwan Iljin: „Wer Russland liebt, muss ihm Freiheit wünschen, vor allem Freiheit für Russland selbst, seine internationale Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Putin in seinen Reden diesen konservativen Denker erwähnt, der nach der Oktoberrevolution aus Russland auswanderte und in der Emigration starb. 2005 wurden seine Überreste nach Russland gebracht. Vier Jahre später ließ Putin auf eigene Kosten einen neuen Grabstein für Iljin errichten. 2006 wurde das Archiv des Philosophen aus Amerika zurückgebracht.

Iwan Iljin ist inzwischen zum russischen Philosophen der Stunde geworden. Wladislaw Surkow, die graue Eminenz des Kremls, der in den 2000er-Jahren besonders einflussreich war und die Fäden der russischen Politik hinter den Kulissen gezogen hat, schätzt Iljin sehr. Seine Bücher werden in der Präsidialverwaltung gerne gelesen. Vor einem Jahr schenkte die Kreml-Administration Gouverneuren und Mitgliedern der Regierungspartei Einiges Russland Bücher zur empfohlenen Lektüre, darunter „Unsere Aufgaben“ von Iwan Iljin.

 

 

Der 1883 geborene Philosoph war Anhänger der Monarchie und Gegner der Revolution. 1922 wurde er aus der Sowjetunion ausgewiesen. Er zog nach Deutschland und wurde zum Ideologen der antikommunistischen Bewegung. 1938 musste Iljin in die Schweiz auswandern, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Die Aufteiler Russlands werden ihr absurdes Experiment durchzusetzen versuchen, sie werden es betrügerisch als den Triumph der ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘ und ‚Föderalismus‘ darstellen.
Iwan Iljin

Auch wenn Putin in der Rede Iljins Aussage über Freiheit erwähnte, um damit womöglich das liberale Lager in Russland zu beruhigen, ist der Philosoph bei Weitem nicht liberal. Das Zitat stammt aus seinem Manifest „Russland braucht Freiheit“ von 1949. Der Streit zwischen Liberalen und ihren Gegnern vor der Oktoberrevolution hat nach Iljin mit der Entstehung der Sowjetunion seinen Sinn verloren. „Liberale haben nicht vorhergesehen, dass die äußerste oder zum falschen Zeitpunkt zugelassene Freiheit zu Zügellosigkeit und Versklavung führt“, schrieb er. Die Gegner des Liberalismus hätten Recht gehabt. Nach Iljin haben im zaristischen Russland ausgerechnet Forderungen nach mehr persönlicher Freiheit zur Revolution und zur kommunistischen Diktatur geführt. Das kommt Putins Angst vor zu viel Freiheit entgegen, die angeblich ins Chaos mündet.

„Absurdes Experiment im postbolschewistischen Chaos“

Interessant ist auch eine andere Arbeit Iljins: „Was bringt der Welt die Aufteilung Russlands?“ von 1950. „Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass die Aufteiler Russlands auch im postbolschewistischen Chaos versuchen werden, ihr absurdes Experiment durchzusetzen, sie werden es betrügerisch als den Triumph der ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘ und ‚Föderalismus‘ darstellen.“ Iljin ist der Meinung, dass ausländische Staaten an einem schwachen Russland interessiert seien und deshalb seinen Zerfall vorbereiteten. Die westlichen Völker verstünden russische Eigenheiten nicht; sie wollten den „russischen Besen“ in einzelne Ruten aufteilen, sie zerbrechen, um damit „das erloschene Feuer ihrer Zivilisation“ anzuheizen.

Unter Russland versteht Iljin das Russische Imperium, und die Unabhängigkeit der ehemaligen Provinzen, etwa der Ukraine, wäre für ihn der Anfang der Aufteilung. Er spielt das Szenario der „unabhängigen Ukraine“ durch, bei dem sie in den deutschen Einflussbereich fallen würde. Insgesamt werde der Zerfall Russlands zu einem Weltkrieg führen, bei dem unterschiedliche europäische und asiatische Staaten um Einfluss auf die neuen Gebieten kämpfen würden.

„Russland wird so zum gigantischen Balkan“, schreibt Iljin. Wenn dieser Prozess begänne, gebe es nur zwei Möglichkeiten. „Entweder wird in Russland eine nationale Diktatur entstehen, die die Zügel fest in die Hand nimmt, Russland eint und alle separatistischen Bewegungen im Land unterbindet, oder eine solche Diktatur wird nicht entstehen, dann aber beginnt im Land ein unvorstellbares Chaos.“ Die Idee von Russlands Feinden, die das Land aufteilen wollen, ist auch im heutigen Russland populär. Ebenfalls in seiner letzten Rede an die Nation warf Putin „dem Ausland“ vor, in den Neunzigerjahren den tschetschenischen Separatismus unterstützt zu haben. „Man hätte uns gerne in das jugoslawische Szenario von Zerfall und Aufteilung geschickt“, erklärte der russische Präsident.

Allerdings ist Iljin wegen seiner Einstellung zum Nationalsozialismus umstritten. Wie andere russische Antikommunisten auch hat er anfangs Hitler begrüßt. 1933 veröffentlichte er den Artikel „Nationalsozialismus. Der neue Geist“, in dem er die „Bewegung“ verteidigte. „Was hat Hitler getan? Er hat den Prozess der Verbreitung des Bolschewismus in Deutschland gestoppt und damit ganz Europa einen Gefallen getan“, schrieb er. Man dürfe die Ereignisse in Deutschland nicht aus der Sicht der Juden bewerten. Der Geist des Nationalsozialismus stelle Deutschland vor schöpferische Aufgaben. Allerdings musste Iljin 1938 Deutschland verlassen, weil er in der NS-Diktatur nicht mehr leben konnte. Später korrigierte er seine Ansichten, doch ließ er von der Sympathie für nationalsozialistische Ziele nicht ganz ab.

„Wahrer Nationalismus ist ein geistiges Feuer“
Man hätte uns gerne in das jugoslawische Szenario von Zerfall und Aufteilung geschickt.
Wladimir Putin

1948 schrieb er den Text „Über Faschismus“, in dem er „Fehler“ des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus analysierte. Als Reaktion auf den Bolschewismus habe der Faschismus recht gehabt: „Der Faschismus hatte recht, weil er vom gesunden national-patriotischen Gefühl ausging.“ Allerdings seien den Faschisten Fehler unterlaufen: feindliche Einstellung zur Religion, Diktatur, militärischer Chauvinismus, Monopol einer Partei. Am Ende äußerte Iljin die Hoffnung, dass russische Patrioten die Fehler des Nationalsozialismus nicht wiederholen werden.

Mit dem russischen Nationalismus hat sich Iljin ausführlich beschäftigt. „Wahrer Nationalismus“ sei ein „geistiges Feuer, das Menschen zum aufopfernden Dienst und das Volk zum geistigen Aufschwung“ bringt. In Russland sei der christlich-orthodoxe Glauben zentral. Russland habe die große Aufgabe, eine nationale Idee zu formulieren, die das Land in die Zukunft führt und ihre Völker vereint. Im heutigen Russland scheint diese Aufgabe noch nicht gelöst. Kirche und Tradition werden allerdings immer stärker betont. Auch über die geistige Einheit spricht der russische Präsident häufig. Sie soll Russland von den Gefahren schützen, die ihm angeblich aus dem Ausland drohen.

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