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aus derStandard.at, 1. 2. 2022
Wenig wird im Schatten des dramatischen Kampfes um das Überleben der Ukraine über den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang Russlands unter dem Alleinherrscher Wladimir Putin gesprochen. Der vom KGB-Oberstleutnant zum "ewigen Präsidenten" aufgestiegene Putin hat Russland militärisch und nuklear, wie er selbst am Vorabend des Angriffs auf die Ukraine prahlte, massiv aufgerüstet. Trotzdem nimmt er zu Recht die Ukraine als Gefahr für sein Regime wahr.
Gerade wegen der vielen familiären und freundschaftlichen Verbindungen im Nachbarstaat hat er Angst vor einer liberalen und demokratischen Ukraine.
Es geht nicht nur um die Menschenrechte, sondern auch um die verheerende wirtschaftliche Bilanz der letzten zwei Jahrzehnte in Russland. Das Pro-Kopf-Einkommen ist niedriger als in Bulgarien, dem ärmsten EU-Staat, und das Durchschnittseinkommen liegt bei umgerechnet 650 Euro pro Monat. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stagniert – kaufkraftbereinigt – seit 2014. Allerdings könnten die mehr als 600 Milliarden Dollar Devisen- und Goldreserven als Puffer gegen die beschlossenen oder noch geplanten finanziellen Sanktionen des Westens dienen. Wladislaw W. Inosemzew, der bekannte russische Ökonom und Direktor des Zentrums für postindustrielle Studien in Moskau, hat kürzlich, wie übrigens auch Paul Krugman, der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger, die empfindlichste Stelle des Regimes hervorgehoben: "Das Auslandsvermögen der Russen übersteigt bereits das russische Bruttoinlandsprodukt!"
Ein Prozent der Reichen verfüge heute über 57 Prozent des russischen Volksvermögens, verglichen mit 30 Prozent in den USA. Nicht viele Gesellschaften sind so korrupt wie die russische, in der die illegalen Einkünfte der Bürokraten ein Viertel der Einnahmen des Bundeshaushalts ausmachen. Seit 2000 haben rund fünf Millionen Russen das Land verlassen und weitere 30 Millionen würden gerne auswandern.
Inosemzew sieht die Gründe für diese Zustände auch darin, dass "kein anderes Parlament der Welt aus so vielen Obersten und Generälen, Doktoren und Professoren und natürlich Dollarmillionären und -milliardären bestehe wie das russische, denn in diesem Land lassen sich am leichtesten mit Geld Abschlüsse, Ränge und politische Zugehörigkeiten kaufen, welche den Weg zu noch größerem Reichtum ebnen" (NZZ, vom 3. 2. 2022). Noch vor den letzten für uns irrational erscheinenden Handlungen des russischen Präsidenten, aber bereits in der Zeit der wachsenden Spannungen schrieb Inosemzew wörtlich: "Um die Ursache des Problems zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass Putin kein Politiker oder gar Militär ist, sondern ein Spion, der weniger an Institutionen, Hierarchien oder Befehlen, sondern mehr an Loyalität, Vertrauen und Netzwerke glaubt. (…) Meiner Meinung nach kam Russland dem Westen abhanden, als Putin und seine ihm loyal ergebenen Komplizen, die sich aus Studienfreunden, KGB-Kollegen und kriminellen Kumpels zusammensetzten, Russland quasi im Handstreich übernahmen" (NZZ, 3. 11. 2021).
Treffend stellt Krugman fest, das gewaschene Geld im Ausland könnte Putins Achillesferse sein. Um das enorme Vermögen der Oligarchen einzufrieren, müssen die Regierungen handeln – auch in Österreich!
Nota. - Das passt so genau zu meinen Annahmen über den bonapartistischen Charakter dieses Krieges, dass es mich fast schon skeptisch macht. Mir fällt aber wirklich nichts ein, was man dem Autor entgegenhalten sollte.
JE
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