aus welt.de, 5. 8. Werbeplakat für den New Deal
Rhetorisches Können hatte der Mann nach dem Zusammenbruch von 1929 bitter nötig. „FDR“, wie man ihn nannte, übernahm 1933 ein Land, dessen größtes Problem nicht etwa die Wirtschaftskrise war. Erstmals seit ihrer Gründung 1776 glaubten viele Amerikaner nicht mehr an das Versprechen, in den USA ihr Glück finden zu können.
Dem entgegenzutreten, erforderte zuerst, Worte zu finden, die Hoffnung weckten. Das tat der Demokrat, als er am 5. August 1934 von einem „New Deal“ sprach. Also davon, dass die Karten für alle Bürger neu gemischt würden.
Ein gewaltiges Versprechen, fußend auf einer Einsicht, die zumindest Wähler der Republikaner
heutzutage in die Nähe des Kommunismus rücken würden: „Was auch immer
wir tun, um unserer maroden Wirtschaftsordnung Leben einzuhauchen, wir
können dies nicht längerfristig erreichen, solange wir nicht eine
sinnvollere, weniger ungleiche Verteilung des Nationaleinkommens
erreichen“, urteilte Roosevelt.
Und fügte er hinzu: „Die Entlohnung für die Arbeit eines Tages muss – im Durchschnitt – höher sein als jetzt, und der Gewinn aus Vermögen, insbesondere spekulativ angelegtem Vermögen, muss niedriger sein.“ Es dürfte einleuchten, dass eine so fundamentale Ansage einige scharfe Regeln brauchte.
Die Vorgängerregierung des Republikaners Herbert Hoover hatte sich auf das Engagement des Einzelnen verlassen, doch sein Nachfolger trat eine Lawine von staatlichen Maßnahmen los, wie es sie in den USA noch nie gegeben hatte: Er regulierte den Aktienmarkt. Er baute die Sozialversicherung und die Sozialhilfe vor allem für Senioren aus. Aber vor allem legte der Mann, der infolge einer seltenen Nervenerkrankung selbst kaum gehen konnte, ein gewaltiges Programm auf, das Menschen Arbeit gab, die der Staat bezahlte.
Dieser letzte Punkt folgte aller Kritik staatlicher Lenkung zum Trotz einer Überlegung, die doch wieder bei der Psyche des Einzelnen ansetzte: Wer Almosen empfängt, fühlt sich unnütz; wer arbeitet, entwickelt automatisch das Gefühl, etwas beizutragen. Dies erkannt zu haben, ohne den Einflussbereich des Staates zu weit auszudehnen, ist die große Leistung, die Roosevelt in diesen Jahren vollbrachte. Nicht umsonst bezeichnen die Amerikaner mit dem Wort „liberal“ eine Form von Politik, die an sein Wirken dieser Jahre anknüpft.
Umstritten ist geblieben, wie viel die Maßnahmen konkret dazu beitrugen, dass 1941 in den USA wieder Vollbeschäftigung herrschte. Das stellt sich bei Roosevelts Rhetorik ganz anders dar, sie gilt als makellos. Den Geist des New Deals fasst wohl das Zitat am besten zusammen: „Hör nie auf, etwas zu versuchen. Wenn du siehst, es funktioniert nicht, versuch etwas anderes. Und egal, wie dick es kommt: Versuch überhaupt etwas.“
Es ist das Zivile, die Möglichkeit zu scheitern, die diesen Satz so großartig macht, die ihm die Furcht vor der Freiheit nimmt. Franklin Delano Roosevelt brauchte für seinen New Deal keine Herrenmenschen und niemanden, der alles teilen will, was er besitzt. Vermutlich ist es nicht zuletzt das, was ihn zu einer Jahrhundertgestalt gemacht hat.
Nota. - Leo Trotzki, der größte Visonär des 20. Jahrhnderts, hatte im Angesicht des herauf-ziehenden Weltkriegs 1938 die Todeskrise des kapitalistischen Weltsystems diagnostiziert. Erst im Jahr darauf sollte der Welthandel wieder dasselbe Volumen erreichen wie 1913 am Vora-bend des ersten Weltkriegs, und da der kommende Krieg dessen Verheerungen in den Schatten stellen würde, sei jede Rückkehr zu einem Gleichgewicht ausgeschlossen.
Bekanntlich ist es anders gekommen. Der ausschlaggebende Fehler bei der Diagnose des Untergangs war die Einschätzung von Rossevelts New Deal gewesen: Noch im Mai 1940, ein gutes halbes Jahr nach Beginn der Kampfhandlungen, tat er ihn als einen Fehlschlag ab und sah die USA in Panik in den Abgrund treiben. Dabei hatte er früh verstanden, dass es sich, gewissernmaßen als Pendant Hitlers "Volksstaat", um eine Ausführung des alten sozialdemo-kratischen Programms der Ausgleichung des Klassengegensatzes durch die wirtschaftliche Eigenrolle des Staatsapparates handelte. Doch dieses hielt er für gescheitert, und seine faschi-stische Wiederbelebung diente der Vorbereitung Deutschlands auf den neuen Krieg, der die Welt in die Revolution oder in den Abgrund stürzen musste.
Tatsächlich war das New Deal ein durchschlagender Erfolg, Amerika musst sich nicht in Ver-zweiflung, sondern in Siegerlaune in den Krieg stürzen, und der wiederum erwies sich als das größte Konjukturprogramm aller Zeiten, das wenig später in Korea noch eine Fortsetzung fand. Und wieder waren Großbritannien und Frankreich bei den USA hoffnungslos verschul-det, während man dort nicht wusste wohin mit den monströsen Kriegsgewinnen. Und statt den europäischen Westmächten den Kredit zu kündigen, setzten sie eins drauf und pumpten dort, aber auch in die besiegten Deutschland und Japan, die Dollarmilliarden des Marshall-plans. Nicht nur folgte der größte Aufschwung, den die Weltwirtschaft je erlebt hatte; sondern zugleich wurde das Problem erledigt, um das die beiden Waffengänge von 1914-18 und 1939-45, die im Nachhinein wie ein unterbrochener einziger erscheinen, geführt werden musste: die Neuaufteilung der Welt.
So wurde der später so genannte Kalte Krieg zu der längsten Friedensepoche, den die indu-striell hochentwickelten, nämlich imperialistischen Länder je erlebt hatte.
In fast allem hat Leo Trotzki Recht behalten, nur nicht in diesem einen und entscheidenden Punkt. Der Todeskampf des Kapitalismus ist ausgefallen. Bestätigt wurde eine marxistische Binsenweisheit: Für das Kapital gibt es keine ausweglose Situation.
JE
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