aus nzz.ch, 2. 8. 2021 Thomas Beckets Martyrium in einer Darstellung aus dem 13. Jahrhundert. (Urheber unbekannt).
Es ist keine von diesen historischen Ausstellungen, die gediegen gemacht, aber schlecht besucht sind. Bei Thomas Becket im British Museum drängeln sich die Besucher, und das trotz beschränkten Zulassungen. Er ist seit 851 Jahren tot und immer noch ein Star. Der englische Heilige gehört zu den ikonischen Figuren des Landes, er beflügelte die Entstehung von Romanen, Filmen und Theaterstücken wie T. S. Eliots «Murder in the Cathedral» (1935).
Am 29. Dezember 1170 wurde Becket am Altar der Kathedrale von Canterbury erschlagen. Vier Ritter des Königs waren gekommen, um ihn, den Erzbischof, zu töten. Sie spalteten ihm den Schädel mit solcher Wucht, dass Knochenstücke und Hirn auf dem Kirchenboden landeten. Der Mönch Edward Grim war dabei und überlieferte der Nachwelt die Details. Eine Kuratorin der Museumsschau fand, die Geschichte habe Ähnlichkeit mit der Fernsehserie «Game of Thrones». Es geht hier wie dort um Macht, Ruhm und Hass.
Vom Emporkömmling zum Gottesdiener
Dem Mord vorangegangen waren jahrelange erbitterte Auseinandersetzungen mit König Heinrich II. und seinem Erzbischof. Becket stammte aus einer Londoner Kaufmannsfamilie mit Wurzeln in der Normandie. Ohne Adelszugehörigkeit hatte er es bis zum Schatzkanzler Englands gebracht, sich eng mit dem König befreundet und sogar die Erziehung von dessen Kindern übernommen. Er war ein Aufsteiger, ein Aussenseiter, ehrgeizig und machtbewusst. Als Heinrich ihm zusätzlich das Amt des Erzbischofs von Canterbury antrug, vollzog der Weltmann Becket den erstaunlichen Wandel zum strengen Gottesdiener.
Anstatt jedoch die Interessen seines Königs und Förderers weiterhin loyal und erfolgreich zu vertreten, wie er es als Schatzkanzler getan hatte, stellte er sich nun mit derselben Rigorosität in den Dienst der Kirche. Der Konflikt der ehemaligen Freunde, letztlich ein Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Macht, spitzte sich zu und führte zum jahrelangen Frankreich-Exil des unbeugsamen, beim Volk populären Erzbischofs. Bei seiner Rückkehr war nichts gelöst, im Gegenteil.
Der im Gespräch geäusserte berühmte Satz des Königs, «Gibt es niemanden, der mich von diesem lästigen Priester befreit?», wurde von vier anwesenden Rittern missverstanden. Sie nahmen ihn als Auftrag und machten sich auf den Weg nach Canterbury. Diese Äusserung und die Mordszene empfindet die gegenwärtige Ausstellung im British Museum als expressionistischen Scherenschnitt auf grosser Leinwand nach (im Sonstigen bleibt sie zurückhaltend). Man konnte wohl der Versuchung nicht widerstehen, den Konflikthöhepunkt auch filmisch zu inszenieren.
Rekord-Heiligsprechung
Nach der Tat verbreitete sich die Nachricht vom Mord weit über die Landesgrenzen hinaus und nährte eine glühende Becket-Verehrung. Dem zu Lebzeiten umstrittenen Erzbischof wurde nun Wunder über Wunder zugeschrieben. In den Augen der Menschen war er schon zum Märtyrer geworden, bevor er in Rekordzeit – nur drei Jahre nach seinem Tod – von der Kirche offiziell heiliggesprochen wurde. Ein Jahr später, 1174, tat der König, der schwor, den Mord nicht angeordnet zu haben, seinen barfüssigen Bussgang zur Kathedrale von Canterbury und liess sich von Mönchen dort geisseln.
Die Ausstellung in London legt zeitlich und geografisch grosse Distanzen zurück. So sehen wir, wie lang und wechselvoll das Nachleben dieser charismatischen Figur war. Nur zwanzig Jahre nach Beckets Tod entstand etwa für eine winzige Kirchengemeinde im schwedischen Lyngsjö eine geschnitzte Tür , die das Gespräch des Königs mit seinen Rittern nachempfindet. Dem Fall wurde enormer politischer Nachhall zugeschrieben – bis hin zur Magna Charta.
Das bleibende Geheimnis
Die Legende überlebte auch die Anschläge auf die Erinnerung an den Erzbischof. Mit der Ablösung Englands von Rom durch Heinrich VIII. (1534) kam der Becket-Kult zu einem vorläufigen Ende. Das neue Oberhaupt der englischen Kirche liess alle Spuren des Heiligen beseitigen, einschliesslich des Sarkophags und der Gebeine. Wir lernen, wie Beckets Ansehen schwankte und wie sehr das Sprechen über ihn auch immer ein Urteilen war.
Für die Dauerhaftigkeit des Andenkens sorgte indes nicht nur der Mord mit seinen Horrordetails und dem unerhörten Tatort. Auch die Konstellation der Beteiligten trug dazu bei: der Zwist zwischen dem König und Becket, zwei starken Charakteren, über deren Bewertung sich die Nachwelt bis heute streitet. Weiter kamen die Umstände und die Folgewirkung des Mordes hinzu – und ein paar bis heute ungeklärte Probleme. Hatte der König den Mordbefehl gegeben? Oder war der Satz über den «lästigen Priester» falsch gedeutet worden?
Die Fragen verliehen dem Fall das nötige Geheimnis und damit Diskussionspotenzial, das für mehrere Jahrhunderte reichte: Dazu gehörte das Rätsel um die Kehrtwendung Beckets vom loyalen Freund des Königs zum apodiktischen Vertreter der Kirche. War er darin glaubwürdig? Heiliger oder Verräter? Manchen galt er als Rebell im Kampf gegen die Obrigkeit, auch dieser Aspekt förderte seine scheinbar unvergängliche Anziehungskraft. Zumal in England, das den Widerspruch und den Sonderweg so liebt.
Ausstellung im British Museum bis 22 August; der Katalog «Thomas Becket: Murder and the Making of a Saint» ist für 30 £ erhältlich.
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