aus derStandard.at, 12. 8. 2021 Der Kathreinkogel südlich des Wörthersees, in der Spätantike Rückzugsort der Bevölkerung.
Heute sind der Kathreinkogel, der Ulrichsberg oder der Hemmaberg beliebte Kärntner Ausflugs- und Wanderziele, in der Spätantike waren sie jedoch Rückzugsorte der schutzsuchenden Bevölkerung. Was waren allerdings die Gründe dafür, dass die in den Tälern gelegenen römischen Städte und Dörfer verlassen wurden und stattdessen auf den Bergen gesiedelt wurde? Und unter welchen Bedingungen lebten die Menschen in der Peripherie des Imperium Romanum am Ende der Antike und dem Übergang in das Mittelalter?
Balkanroute offen
Ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. sah sich das Römische Reich mit massiven Migrationswellen aus dem Barbaricum, so die lateinische Bezeichnung für Gebiete außerhalb des Imperiums, konfrontiert. Anfangs erfolgte die Ansiedlung eigennützig und geordnet: Um Söldner für das römische Heer zu rekrutieren, wurden Verträge (foedera) mit meist germanischstämmigen Kriegerverbänden geschlossen und diesen Land zugewiesen, das sie gemeinsam mit ihren Familien bewirtschafteten. Die Menschen wurden also gezielt zur Stärkung der Wirtschaftskraft und zur Verteidigung des Limes ins Land geholt. Besonders dicht war dieses Netz an Foederatensiedlungen an der mittleren und unteren Donau, wo der äußere Druck auf die römischen Grenzen immer stärker wurde.
Push- und Pullfaktoren
Bald entwickelte sich eine Eigendynamik, ausgelöst durch drei Hauptfaktoren. Die Bewohner des südosteuropäischen Barbaricums waren durch Migrationsströme aus dem Kaukasus und Zentralasien selbst unter Druck gekommen und wurden von den neu Ankommenden aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Missernten und daraus resultierende Hungersnöte waren eine weitere Triebfeder, das Glück in der Auswanderung zu suchen und die Donaugrenze legal oder eben illegal zu überschreiten. Die große Anzahl an Flüchtlingen überforderte selbst die römische Verwaltung. Erzählungen vom Reichtum Italiens und dem hohen Lebensstandard seiner Bewohner taten ihr Übriges, um dem Wunsch nach einem besseren Leben nachzugeben und sich auf den Weg zu machen.
Bollwerk Ostalpen
Nachdem der Donaulimes durchlässig
geworden war, mussten weitere Maßnahmen gesetzt werden, um das römische
Kernland zu schützen. Entlang der Haupteinfallsroute nach Italien
errichtete man in den Julischen Alpen ein 80 Kilometer langes
Befestigungssystem, das die Verbindung zwischen Emona (Ljubljana) und
Aquileia kontrollierte. Eine alternative Route führte die Drau aufwärts
bis nach Santicum (Villach), von wo aus man über das Kanaltal Italien
ohne große Anstrengungen erreichen konnte. Für die Bewohner der Region
stellten die kriegerischen Übergriffe eine große Belastung dar: Die am
Weg liegenden blühenden römischen Städte Poetovio (Ptuj), Celeia (Celje)
und Virunum (Zollfeld) wurden zur Plünderung freigegeben, die
bäuerliche Landbevölkerung musste sowohl die eigenen Soldaten als auch
die Invasoren mit Lebensmitteln versorgen.
Steuerlast, Verarmung und Stadtflucht
Es waren aber
nicht nur externe Faktoren, die den Menschen zusetzten und letztendlich
zu einer Entfremdung von Individuum und Staat führten. Um der drückend
hohen Steuerlast zu entkommen, gaben viele Bauern die
Bodenbewirtschaftung auf, in den Städten mussten Bürger zur Bekleidung
öffentlicher Ämter, die sie nach römischer Tradition selbst zu
finanzieren hatten, gezwungen werden. Stark rückläufig war auch die
private Wohltätigkeit, was wiederum zu einer Verarmung vor allem der
städtischen Bevölkerung führte. Die Folgen waren für das Sozialgefüge
dramatisch: Während sich Wohlhabende den Verpflichtungen durch
Stadtflucht entzogen und ihre Landsitze zu befestigten Kastellen
ausbauten, schlossen sich Arme Banden an, die durch Straßenüberfälle
eine Gefahr für den Waren- und Personenverkehr darstellten.
Berge bieten Schutz
Die Bevölkerung reagierte auf diese Destabilisierung mit einem Rückzug auf Bergrücken. Die Dichte ist vor allem in Slowenien und Kärnten sehr hoch, wo zahlreiche spätantike Höhensiedlungen entdeckt und erforscht werden konnten. Auch wenn die Topografie das individuelle Erscheinungsbild maßgeblich beeinflusste, so folgen sie doch alle einem bestimmten Muster. Quellwasser, Weideflächen und verfügbares Bauland waren Grundvoraussetzung für die Gründung eines Bergdorfes. Die exponierte Lage ermöglichte eine Überwachung der Verkehrswege in den Tälern, wodurch auf Bedrohungen rasch reagiert werden konnte. Steil abfallende Hänge boten einen natürlichen Schutz, wo notwendig wurden zusätzlich Mauerringe errichtet. Im Zentrum stand eine kleine Dorfkirche, um die sich in Streulage Häuser und Gehöfte gruppierten. Die Toten wurden außerhalb der Siedlung, entlang der Zufahrtswege, bestattet.
Die Auflösung römischer Organisationsstrukturen und der drastische Mobilitätsrückgang veränderten auch das Wirtschaftssystem. Sowohl der Fern- als auch der Regionalhandel waren weitgehend zusammengebrochen, ebenso kam das spezialisierte Handwerk zum Erliegen. Die Bewohner der Höhensiedlungen stellten die Güter des täglichen Bedarfs ohne großes technologisches Wissen nun selbst her. Keramikgefäße wurden nicht mehr auf der Scheibe gedreht, sondern in Wulsttechnik aufgebaut. Der Brand erfolgte in Gruben, Töpferöfen sucht man vergeblich. Diese häusliche Produktionsweise eröffnete aber auch neue Gestaltungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zur massenproduzierten Grobkeramik der römischen Kaiserzeit sind die spätantiken Gefäße individualistisch liebevoll verziert. Gärten, Felder und Weideflächen ermöglichten Pflanzenbau und Tierhaltung innerhalb der Siedlungen sowie in der unmittelbaren Umgebung.
Die Höhensiedlungen entwickelten sich immer mehr zu autarken
Einheiten, die neben der Selbstversorgung auch auf Selbstverwaltung
setzten. Rom rückte immer weiter in die Ferne, was viele auch als
Erleichterung empfanden.
Helmut Schwaiger ist Archäologe am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitet die Ausgrabungen auf dem Hemmaberg.
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