aus spektrum.de, 1. 9. 2021 Jubbah-Oase
Forschende um
Michael Petraglia und Huw Groucutt vom Max-Planck-Institut für
Menschheitsgeschichte in Jena fanden heraus, dass es mindestens fünf
solcher grünen Zeitfenster gab, in denen verschiedene Menschenformen – Homo erectus, Neandertaler und Homo sapiens –
auf die Arabische Halbinsel gelangten, sich womöglich begegneten und
auch vermischt haben könnten: vor zirka 400 000 Jahren, dann vor
300 000, 200 000, 130 000 bis 75 000 Jahren und vor ungefähr
55 000 Jahren. Von der Halbinsel, so vermuten die Wissenschaftler,
wanderten Gruppen auch weiter. So gelangten Menschen in mehreren Wellen
in andere Winkel der Welt. Ihre These beruht auf Grabungsergebnissen aus
der Nefud-Wüste, wie die Wissenschaftler um Petraglia in der aktuellen Ausgabe von »Nature«
berichten. Dort, im Norden Saudi-Arabiens, haben die Ausgräber die
Sedimente einstiger Seen frei gelegt und in den Schichten Steinwerkzeuge
und Tierfossilien dokumentiert.
Die Sanddünen wichen einer Savanne
»Eine
so lange Abfolge von Belegen für eine steinzeitliche Besiedlung in der
heutigen Wüste, die sich damals in eine Savannenlandschaft verwandelte –
das ist wirklich ein toller Fund«, freut sich Knut Bretzke von der
Universität Tübingen. Der Archäologe sucht im Südosten der Arabischen
Halbinsel im Oman und in den Vereinigten Arabischen Emiraten ebenfalls
nach Spuren menschlicher Aktivitäten der letzten Jahrhunderttausende; an
der Forschung in der Nefud-Wüste war er nicht beteiligt. Allzu
überrascht von den Erkenntnissen seiner Kollegen ist Bretzke allerdings
nicht: »Wir wissen ja, dass die Arabische Halbinsel heute zwar
knochentrocken ist, aber früher immer wieder Perioden mit mehr Regen
auftraten, in denen die Wüste einem üppigen Grasland wich.«
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Die
Neigung der Erdachse und die Nähe zur Sonne setzten einst einen
Klimazyklus in Gang. Auf der Nordhalbkugel wurde es im Sommer ein wenig
wärmer, während die Winter ein wenig kälter wurden. Die
Temperaturunterschiede ließen den afrikanischen Sommermonsun
anschwellen, der mehr Feuchtigkeit in die Wüsten Nordafrikas und der
Arabischen Halbinsel trug. Aus dem sprießenden Grün verdunstete
zusätzlich Wasser, was die Monsunregen weiter verstärkte und sie noch
tiefer in die Wüsten vordringen ließ. Wanderte das Perihel wieder
weiter, verringerten sich die Temperaturgegensätze und damit auch der
Einfluss des Monsuns auf die Arabische Halbinsel und die Sahara. Die
Folge: Die Savanne verwandelte sich wieder in eine Wüste.
Der
klimatische Wandel hing noch von einer Reihe weiterer Faktoren ab.
Während der Kaltzeiten, als mächtige Eispanzer weite Teile Nordamerikas
und Nordeuropas unter sich begruben, verdunstete auch erheblich weniger
Wasser aus den Meeren. Dadurch fielen weniger Niederschläge. Der Monsun
schwächte sich ab und erreichte kaum die Sahara und die Arabische
Halbinsel. Es waren denn auch wärmere Klimaepochen, in denen nicht nur
auf der Arabischen Halbinsel, sondern auch in weiten Teilen der Sahara
und auf dem Sinai saftige Grasflächen wogten und einzelne Baumgruppen
standen.
Pflanzen und Tiere aus der Sahara und Arabien ähneln sich
Bald
nachdem die grünen Landschaften entstanden waren, weideten dort
Elefanten und Antilopen, die aus südlichen Gebieten zugezogen waren und
noch heute über die Savannen Ostafrikas streifen. Wo sich heute
Wüstenflächen erstrecken, gab es damals Flüsse und Seen, in denen die
Tiere vor allem in den trockenen Jahreszeiten Wasser fanden. Selbst
Flusspferde hielten sich auf der Arabischen Halbinsel auf. Michael
Petraglia und sein Team haben Knochen der Dickhäuter gefunden. Eine
solche Umwelt »war natürlich auch für die Menschen interessant«, sagt
Petraglia. »Ohnehin waren die Jäger und Sammler der Steinzeit viel
mobiler als viele Menschen heutzutage. Sie konnten solche neuen
Lebensräume rasch nutzen.« Menschen waren den Tierherden gefolgt, von
Afrika über den Sinai bis auf die Arabische Halbinsel, die den
Wildbeutern mit ihren Grasländern und Galeriewäldern entlang der
Gewässer auf rund 2,73 Millionen Quadratkilometern gute Jagdgründe bot.
Die
Menschen kamen demnach über den Landweg. »Das Rote Meer mussten sie
nicht überqueren«, erklärt Petraglia. Dass auch andere Lebewesen über
diese Route nach Arabien gelangten, belegen heute dort lebende Tiere und
Pflanzen, die auch in der Sahara vorkommen. »Aus der Sicht eines
Biogeografen sind sich die Arabische Halbinsel und die Sahara sehr
ähnlich«, so Archäologe Petraglia.
2006 fanden sich in Arabien erstmals frühe Spuren von Menschen
Dass
sich während der Altsteinzeit tatsächlich Menschen auf der Arabischen
Halbinsel aufhielten, war lange Zeit graue Theorie. Der Grund: Kaum ein
Archäologe erforschte die Wüsten, weil sie dort einfach keine Funde
vermuteten. »Die Ausgrabungen konzentrierten sich auf die heute
fruchtbaren Gebiete in der Levante, in Israel und dem Libanon«, sagt
Petraglia. Das änderte sich vor ungefähr 15 Jahren, als Hans-Peter
Uerpmann von der Universität Tübingen und Knut Bretzke im Südosten der
Halbinsel am Berg Jebel Faya in den Vereinigten Arabischen Emiraten
etliche Steinwerkzeuge fanden. Das Alter der Geräte bestimmten sie auf
125 000 Jahre. Auf einen Schlag war klar, dass bereits in der
Altsteinzeit Menschen auf der Arabischen Halbinsel gelebt hatten.
Seit
2010 sichten Michael Petraglia und sein Team Satellitenbilder auf der
Suche nach den Spuren längst verschwundener Gewässer – mit Erfolg. »Rund
10 000 solcher Paläoseen haben wir inzwischen identifiziert«, berichtet
der Anthropologe. Einige hundert von etwa 1500 einstigen Seen in der
Nefud-Wüste im Nordwesten der Arabischen Halbinsel hat er mit seinem
Team in den letzten Jahren am Boden untersucht. Bei rund 70 Prozent
dieser Gewässer wurden die Forscher fündig: Sie entdeckten nicht nur die
Überreste von Tieren, sondern auch die Werkzeuge von Steinzeitmenschen.
Zwei Faustkeile | Die beiden Steinwerkzeuge – hier
jeweils von zwei Seiten fotografiert – sind 400 000 Jahre alt. Sie
stammen aus den Sedimenten eines einstigen Süßwassersees in der
Nefud-Wüste und bezeugen die Anwesenheit von Homo erectus oder Vorfahren der Neandertaler.
In den meisten Fällen handelt es sich aber um zeitlich isolierte Fundorte. Anders als in der Levante, der Region im Osten des Mittelmeergebiets,
wo oftmals in Höhlen mehrere Kulturschichten übereinanderliegen und
sich daraus eine menschliche Entwicklungs- und Migrationsgeschichte
ableiten lässt, fehlten solche Daten bisher für die Arabische Halbinsel.
Doch in einer Senke der Nefud-Wüste stießen die Jenaer Forscher nun auf
eine besonders gute Fundsituation: an den Paläoseen von Khall
Amayshan 4, abgekürzt KAM 4. »An der Stelle haben wir in verschiedenen
Schichten sehr viele Steinwerkzeuge gefunden, die zeigen: In fünf
verschiedenen Epochen haben sich dort Seen gebildet, an denen jeweils
Menschen lebten«, erklärt Petraglia. Die Sedimente der einstigen
Süßwasserseen datierten die Forscher mit Hilfe der Lumineszenzmethode. Damit lässt sich der Zeitraum bemessen, seit ein Sediment letztmalig dem Sonnenlicht ausgesetzt war.
Am
Fundplatz KAM 4 kann so erstmals auf der Arabischen Halbinsel eine
Abfolge von Gewässern nachverfolgt werden in Verbindung mit Werkzeugen
verschiedener Technologien. Eine ähnliche Fundstelle haben die Jenaer
Forscher überdies 150 Kilometer östlich von KAM 4 aufgetan. In der Oase
Jubbah fanden sich ebenfalls Sedimente von Paläoseen und eine ähnliche
Parallelität zwischen Phasen von Savannenlandschaften und menschlicher
sowie tierischer Präsenz. Vor allem an KAM 4 lässt sich nun auch in
Arabien die Geschichte eines Ortes rekonstruieren.
Die ersten Menschenformen an den Seen waren Homo erectus oder Vorfahren der Neandertaler
Vor
rund 400 000 Jahren war die Wüste dort grün, und die Menschen dieser
Zeit verwendeten Faustkeile, die sie mit der typischen Technik der
Kulturstufe des Acheuléen herstellten. »Dabei schlägt man von einem
Feuerstein so lange Splitter ab, bis ein handlicher Faustkeil entsteht«,
beschreibt Knut Bretzke die Arbeit der Steinzeithandwerker. Mit dieser
Technik fertigten Zweibeiner bereits vor 1,76 Millionen Jahren ihre
Faustkeile. Der anatomisch moderne Mensch kommt für diese Kultur also
kaum in Frage. Selbst noch vor 400 000 Jahren müssen es auf der
Arabischen Halbinsel Vertreter der Menschenlinie Homo erectus
gewesen sein, die diese Werkzeuge genutzt haben. Oder die Vorfahren der
Neandertaler, die womöglich über die Levante oder den Kaukasus auf die
Arabische Halbinsel gelangt waren. Letzteres legen jedoch die Fundstücke
nicht nahe. »Die Faustkeile ähneln eher den damals in Afrika genutzten
Geräten«, lenkt Michael Petraglia den Blick auf den Kontinent südlich
der Sahara. Unabhängig davon stellen die 400 000 Jahre alten Faustkeile
den bislang ältesten Nachweis von Menschenformen in Arabien dar.
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Vor etwa 300 000 Jahren entstanden in der Region erneut Seen.
Auch dieser Grünphase konnte Petraglias Team Faustkeile der
Acheuléen-Kultur zuordnen. Womöglich hatten wieder Homo erectus
oder Vorfahren der Neandertaler an einem See von KAM 4 gelebt. Und
erneut ähneln die Werkzeuge solchen aus Afrika. In der nächsten Phase,
vor rund 200 000 Jahren, sehen viele Steinwerkzeuge dagegen völlig
anders aus – sie wurden eindeutig mittels der Levalloistechnik
hergestellt.
»Dabei bearbeiten die Handwerker den Rohstein sehr
aufwändig und sorgfältig, bis sie mit einem einzigen gezielten Schlag
eine dünne Klinge mit rundherum scharfen Kanten abschlugen«, erklärt
Bretzke. Diese Technik ist zwar typisch für anatomisch moderne Menschen,
Homo sapiens. Nur beherrschten die Neandertaler, die zeitweise
in der Levante auftauchten, die Technik genauso gut. Laut Bretzke muss
man davon ausgehen, dass die Handwerker der Steinzeit eher problemlos
Techniken von anderen Menschengruppen, denen sie begegnet waren,
übernehmen konnten. Oder sie kopierten geschickt eine gefundene Klinge
per »learning by doing«.
Die Brücke zwischen Afrika und Eurasien
In
der Zeit vor 75 000 bis 130 000 Jahren erstreckten sich wieder Savannen
und Seen auf der Arabischen Halbinsel. Und an dem Gewässer von KAM 4
hielten sich erneut Menschen auf. Michael Petraglia und seine Kollegen
haben aus dieser Phase Steinwerkzeuge geborgen, die ähnlich den
200 000 Jahre alten Stücken mittels der Levalloistechnik produziert
wurden und technisch mit afrikanischen Geräten verwandt sind. Für die
Phase vor 55 000 Jahren liegt jedoch ein anderes Szenario nahe. Die
Steingeräte waren zwar ebenfalls mittels einer Levalloistechnik
hergestellt worden, aber einem Verfahren, das Neandertaler der nördlich
gelegenen Region der Levante nutzten.
Grabung in Khall Amayshan 4 | In den vergangenen
400 000 Jahren bildeten sich an der Fundstätte im nördlichen
Saudi-Arabien immer wieder Seen, an denen auch frühe Menschen
verweilten.
Sehr wahrscheinlich streiften zu jener Zeit Neandertaler und Vertreter von Homo sapiens
in Arabien umher. Für Experten der Menschheitsgeschichte wie Robin
Denell von der University of Exeter führen die neuen Erkenntnisse zu
einer interessanten Schlussfolgerung: »Alle modernen nicht afrikanischen
Individuen tragen etwas Neandertaler-DNA in sich – und die Arabische
Halbinsel könnte eine Region gewesen sein, wo sich frühe Menschen und
Neandertaler begegneten und vermischten«, schreibt Denell in einem
begleitenden Kommentar in »Nature«.
»Die Arabische Halbinsel könnte also weit mehr als eine Drehscheibe
zwischen Afrika und dem Rest der Welt gewesen sein«, vermutet auch
Petraglia. Sie diente offenbar als Brücke – für Menschen aus Afrika und
Neandertalern aus Europa und Asien – und als Ort, an dem verschiedene
Menschenformen miteinander Nachkommen zeugten.
Alle Gruppen waren Jäger und Sammler, die vermutlich dorthin zogen, wo viele Tiere weideten und wo sie gut Beute machen konnten. Einige waren dem Wild aus Afrika gefolgt in die ergrünte Sahara und danach über die Sinai-Halbinsel weiter auf die Arabische Halbinsel. Von dort könnten die Sippen dann über den Kaukasus nach Sibirien im Osten und bis nach Europa im Westen gewandert sein. Und vermutlich wurden die Wege auch in die umgekehrte Richtung beschritten. Knut Bretzke und Michael Petraglia haben also triftige Gründe, auf der Arabischen Halbinsel nach weiteren Spuren unserer Vorfahren und möglicher Techtelmechtel mit Neandertalern zu suchen.
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