Donnerstag, 21. Oktober 2021

Der Siegeszug der Pferde.


aus Süddeutsche.de, 20. 10. 2021

Der Beginn einer großen Freundschaft
Wann und wo genau haben Menschen einst das heutige Hauspferd domestiziert? Die Geschichte ist erstaunlich kompliziert, doch nun gibt es eine Antwort.

Von Katrin Blawat

Jeder Beziehung tut es gut, wenn sie einen Gründungsmythos vorweisen kann. So kann man sich immer wieder erzählen, wie einst alles begonnen hat, und so die Verbindung stärken. In der Beziehung zwischen Mensch und Pferd allerdings hapert es nicht nur daran, dass einem der Partner solche Geschichten egal sein dürften. Vor allem fehlten bislang wesentliche Fakten darüber, wo die beiden vor einigen Jahrtausenden zusammengefunden haben. Dieses Rätsel sei nun gelöst, verkündet eine Gruppe um Ludovic Orlando von der Universität Toulouse im Fachmagazin Nature. Demnach stammt das heutige Hauspferd von Tieren aus der Region Pontokaspis im Westteil der Eurasischen Steppe ab. Dort wurden vor 4200 Jahren Pferde domestiziert, die dann innerhalb weniger Jahrhunderte in das gesamte Gebiet zwischen Atlantik und Mongolei gelangten.

Damit liefern die Forscher eines der letzten Puzzleteile einer ungewöhnlich komplizierten Domestikationsgeschichte. Denn die in der westlichen Eurasischen Steppe gezähmten Tiere waren keineswegs die ersten Pferde, die der Mensch zu Haustieren gemacht hatte. Schon 1300 Jahre früher wurden Pferde in der Botai-Kultur im Gebiet des heutigen Kasachstans gezähmt und als Fleisch- und Milchquelle sowie als Reittiere genutzt. Lange galten diese Tiere daher als die Vorfahren der heutigen Hauspferde. Dies jedoch zu Unrecht, wie Orlando und seine Kollegen vor einigen Jahren festgestellt haben. Die Linie der Botai-Hauspferde starb wieder aus, ehe sie sich weitflächig verbreiten konnte. Ähnlich erging es weiteren Hauspferde-Linien, die in Sibirien und auf der iberischen Halbinsel entstanden waren. Deren Verwandtschaftsver-hältnisse zum heutigen Hauspferd verglich Orlando einmal mit der Beziehung zwischen Neandertaler und modernem Menschen.

Eine Gen-Mutation stärkte den Rücken der Tiere

Um nun die Pontokaspis als Ursprungsregion der heutigen Pferde identifizieren zu können, verglichen die Forscher die Genome von mehr als 200 Pferden, die vor Jahrtausenden gelebt hatten, sowie das Erbgut von zehn heutigen Pferden. Dabei kam ihnen zugute, dass sich früher die Tiere etwa in Anatolien, Europa, Zentralasien und in Sibirien genetisch recht stark voneinander unterschieden hatten. Wie schnell sich die domestizierten Pferde dann vom Westen der Eurasischen Steppe aus verbreitet und alle anderen Linien verdrängt haben, überraschte auch die Wissenschaftler. Zuerst gelangten die domestizierten Pferde nach Zentralasien, wenig später ins heutige Westeuropa.

Zu der raschen Ausbreitung dürften wesentlich zwei genetische Veränderungen beigetragen haben, die die Autoren ebenfalls beschreiben. Eine der Mutationen führte zu einer stabileren Rückenpartie. Vermutlich ermöglichte erst diese Genveränderung, Pferde überhaupt dauerhaft als Reittiere zu nutzen. Noch heute benötigen Pferde ein sorgfältiges Muskeltraining, damit ihnen ein Reiter keine Rückenschmerzen verursacht. Die andere Mutation ließ die Tiere weniger scheu und dem Menschen zugewandter werden. Das war wichtig, um als Fluchttier in Gefangenschaft nicht in ständiger Panik zu leben. So seien die Tiere schnell zu beliebten Transportmitteln und zu Statussymbolen geworden, schreiben die Autoren.

Wie Orlando zusammen mit Kollegen in früheren Studien gezeigt hat, dauerte es dann aber noch bis ins siebte Jahrhundert nach Christus, bis sich in Europa ein eleganterer Pferdetyp durchsetzte. Zudem förderten die frühen Züchter die Farbenvielfalt ihrer Tiere. Vielleicht entstand also schon in jener Zeit das Sprichwort, das heutige Pferdekäufer davor warnen soll, sich ein Tier allein nach der Fellfarbe auszusuchen, denn: "Ein gutes Pferd hat keine Farbe."

HANDOUT - Magdalenian horse figurine from Duruthy, France. Abbaye d'Arthous. Collections of the Landes Department. May 2021 Credit: Ludovic Orlando ACHTUNG: Frei nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Studie bei Nennung des Credits. Foto: Ludovic Orlando

aus welt.de, 20. 10. 2021        Geschätzte 14.000 Jahre alt: Hauspferd-Skulptur aus dem französischen Duruthy 

Das moderne Hauspferd hat russische Ahnen
Vor 4200 Jahren begann der Mensch Pferde zu züchten – bislang wusste nur niemand, woher die Tiere kamen. Eine Erbgutanalyse zeigt: Die Ahnen des Hauspferds lebten vor 6000 Jahren in der Steppe Russland und haben von dort aus schnell Karriere gemacht. 
 

Die Domestizierung des Pferdes war ein entscheidender Schritt in der Geschichte der Menschheit: Die Tiere steigerten die Mobilität der Menschen, intensivierten den Handel und boten militärische Vorteile. Eine Studie zeigt nun, wann die Vorläufer der heutigen Hauspferde entstanden – und wie rasant sich diese Linie damals über ganz Eurasien verbreitete. In dem archäogenetischen Großprojekt rekonstruiert ein internationales Forschungsteam die bislang umstrittene Geschichte des modernen Hauspferdes, die demnach vor 4200 Jahren begann.

Die früheste Domestizierung der Hauspferde (Equus caballus) reicht etwa 5500 Jahre zurück, wie Funde bei dem Ort Botai im Norden von Kasachstan belegen. Doch auch wenn die Menschen dort schon mit Pferden zusammenlebten, stammen die modernen Hauspferd-Rassen nicht von diesen Tieren ab. Deren Herkunft war bisher umstritten, wobei als Ursprungsgebiet so unterschiedliche Regionen wie Zentralasien, Anatolien und die Iberische Halbinsel diskutiert wurden.

Ein Team um Ludovic Orlando von der Universität Paul Sabatier in Toulouse hat durch die Untersuchung von Pferdegenomen versucht, genauer einzugrenzen, wo die Ahnen der Tiere herkamen. Wie sie im Fachblatt „Nature“ berichten, schauten sie sich dazu das Erbgut von 270 Pferden aus diversen Regionen Eurasiens an, die vor etwa 50.000 bis vor etwa 2200 Jahren lebten.

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Das Ergebnis: Bis vor etwa 3000 Jahren gab es vier große Gruppen, die genetisch weitgehend voneinander isoliert waren: Die ursprünglichste, zu der auch das Wildpferd Equus lenensis zählt, lebte im nordöstlichen Sibirien. Die zweite Gruppe bewohnte Europa. Die dritte Gruppe, darunter die Pferde von Botai und auch die damit verwandten Przewalski-Pferde, besiedelte Zentralasien vom Altai-Gebirge bis zum südlichen Ural. Und die letzte und entscheidende Gruppe, von der die heutigen Hauspferd-Rassen abstammen, die westeurasischen Steppen im Süden des heutigen Russlands.

Nördlich des Kaspischen Meeres sei diese letzte Linie bereits im 6. Jahrtausend vor Christus vorherrschend gewesen, schreibt das Team. Domestiziert wurden die Vorfahren des modernen Hauspferdes demnach um 2200 vor Christus im Gebiet der Unterläufe von Wolga und Don. Anschließend verbreiteten sie sich rasch über ihre Ursprungsregion hinaus: Bis 2000 vor Christus findet man diese Linie schon in Böhmen, am Unterlauf der Donau südlich der Karpaten, in Anatolien und auch in Zentralasien.

Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielte demnach wohl die um 2000 vor Christus in der westeurasischen Steppe entstehende Sintaschta-Kultur. Dort finden sich etwa in Gräbern die frühesten Funde von Streitwagen, zusammen mit Pferden, die ausnahmslos mit den modernen Hauspferden verwandt sind. Anfänglich wurden die Pferde den Forschern zufolge als Reittiere verwendet, wenig später dann auch als Zugtiere.

Im 2. Jahrtausend vor Christus verbreiteten sich die Pferde rapide über ganz Westeurasien – vom Atlantik bis in die Mongolei – „und ersetzten letztlich bis etwa 1500 bis 1000 vor Christus alle lokalen Populationen“, schreibt das Team. Gleichzeitig seien die Bestände der Pferde „explosiv“ angestiegen – offenbar ein Resultat des steigenden Bedarfs. Pferde, die den Fernhandel enorm erleichterten, wurden eine hochgeschätzte Handelsware und ein Statussymbol. Vor allem, wenn sie bestimmte Zuchtkriterien aufwiesen: Die Forscher fanden gehäuft genetische Merkmale, die mit Gutmütigkeit und einer kräftigeren Wirbelsäule einhergehen.

 


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