Dienstag, 5. Oktober 2021

Geborgen auf öffentliche Rechnung.

  faz.net

aus welt.de, 5. 10. 2021

Die fatale Sehnsucht nach Geborgenheit im Staatsdienst
Die Corona-Krise hinterlässt Spuren auf dem Arbeitsmarkt: Öffentliche Dienst-leistungen boomen, die Zahl der Beamten steigt wieder. Dagegen zeigt sich bei den Selbstständigen ein dramatischer Abwärtstrend. So wird das nichts mit dem allseits beschworenen Aufbruch.
 
 
Deutschlands Arbeitswelt ist zweigeteilt. Auf der einen Seite wächst und gedeiht es seit Jahren prächtig, und die Corona-Krise hat sogar noch für zusätzlichen Aufschwung gesorgt. Die Rede ist von dem aus Steuermitteln und Abgaben finanzierten Sektor „Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“.

Wie die Prognose 2021/2022 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, geht der langjährige Beschäftigungsboom hier auch im nächsten Jahr weiter. Und selbst die Zahl der Beamten, die im Zuge der großen Privatisierungswelle bis 2017 gesunken war, steigt inzwischen wieder.

Ganz anders sieht es dagegen in weiten Teilen der Industrie aus. Hier hat die Rezession den schon vorher beobachteten Abwärtstrend bei der Beschäftigung noch einmal deutlich ver-stärkt. Die Krise ist bald abgehakt. Doch der Strukturwandel Richtung Digitalisierung und Klimaneutralität wird sich in den nächsten Jahren erheblich beschleunigen und dafür sorgen, dass in wichtigen Branchen wie dem Fahrzeugbau und der Chemieindustrie kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Folgen für den Arbeitsmarkt werden enorm sein. Millionen Stellen werden verloren gehen und andere neu entstehen.

Ob unter dem Strich künftig auch wieder in der Privatwirtschaft die Zahl der Arbeitsplätze steigt oder zumindest konstant gehalten werden kann, ist höchst fraglich. Denn die IAB-Studie zeigt einen dramatischen Abwärtstrend bei den Selbstständigen. Und bekanntlich ist es – abge-sehen vom öffentlichen Dienst – der Unternehmer, der Arbeitsplätze schafft.

Schon vor der Pandemie aber sehnte sich die Mehrheit der hiesigen Berufseinsteiger nach einer Festanstellung im Staatsdienst. Auf eigene Rechnung zu arbeiten, ist dagegen für das Gros der sicherheitsliebenden Deutschen keine angenehme Perspektive. Internationale Studien zeigen, dass andere Industrieländer deutlich gründungsfreudiger sind.

 

 

Gerade in Zeiten umwälzender Veränderungen braucht es wieder mehr Innovationsfreude und Risikobereitschaft. Für die nächste Bundesregierung gibt es viel zu tun. Nötig ist eine Willkom-menskultur für Selbstständige, die beim radikalen Bürokratieabbau beginnt. Es gibt zwar hier-zulande durchaus eine interessante Start-up-Szene, die hoffen lässt. Doch die Rahmenbedin-gungen müssen dringend besser werden. Denn ohne Unternehmergeist und mit immer grö-ßerem Staatsdienst wird der allseits beschworene Aufbruch nicht kommen. 

 

Nota. - Frau Siems baut, um der Verbeamtisierung des Staats und der Explosion der öffent-lichen Schuldenlast zu begegnen, auf die... Freisetzung der Marktkräfte: Teufel mit Beelzebub austreiben. Der Markt wird aber die Umwandlung von Arbeitsplätzen in Digitaltechnik nicht aufhalten, sondern forcieren. 

Die Idiotie ist, die Wohlfahrt des Großen Ganzen noch immer in Arbeitsplätzen zu messen. Das war ja die stillschweigende Übereinkunft der Politiker aller Couleur: die Arbeitsplätze, die durch die Digitalisierung im verarbeitenden Gewerbe wegfallen, durch... na ja, nicht Arbeits-plätze, aber doch Verdienstmöglichkeiten in der öffentlicne Verwaltung zu kompensieren. 

In der Logik der Arbeitsgesellschaft ist es eine Quadratur des Kreises. Um aus der Schleife auszubrechen, braucht es gerade kein wirtschaftliches Laissez-aller, sondern eine politische Entscheidung: den Lebensunterhalt abzukoppeln von der Erwerbsarbeit. Ohne das wird man (und frau) sich abfinden müssen mit dem Bestreiten des Lebensunterhalts durch erwerbsmä-ßige Nicht arbeit.

Mit andern Worten, an einem garantierten Grundeinkommen führt kein Weg vorbei, wenn nicht die bürgerliche Gesellschaftsordnung an sich selbst zugrundegehen soll. 

Und nun frage ich Sie: In welcher politischen Konstellation - Koalition, wird man dieser Tage sagen - ist das weniger unwahrscheinlich als in welcher andern?

JE

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