Unter dem Titel Die Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeitsgefühle berichtet die FAZ vom heutigen Montag berichtet über eine Studie des Dresdner Poltikwissenschaftlers Hans Vorländer zu der dortigen Pegida-Bewegung. Hier das Wesentlichste:
"Was aber motiviert dann bis heute die Mehrzahl der Demonstranten, montags zu Pegida zu gehen? Vorländer erklärt es mit einer Melange aus einem vulgär-demokratischen, bisweilen technokratischen Politikverständnis („Wir fragen und bestellen, ihr antwortet und liefert!“) sowie heftigen Aversionen gegen die politische und mediale Elite der Bundesrepublik... Es gebe nach wie vor eine große Reserviertheit gegenüber dem Westen und seinen Repräsentanten, wozu auch die nach der Wiedervereinigung Zugezogenen zählten, selbst wenn sie seit zwei Jahrzehnten hier wohnten. Der Protest wirke deshalb vor allem auf Menschen aus der bürgerlichen Mitte anziehend, die sich infolge des Umbruchs nach der Wiedervereinigung aus der Gesellschaft ausgeschlossen, zu kurz gekommen oder unter ihren Möglichkeiten geblieben fühlten.
Für sie sei Pegida ein Ritual, eine Art Wallfahrt, die gemeinschaftstiftend wirke. Die Leute kompensierten hier Einsamkeits- und Ohnmachtsgefühle, indem sie sich jeden Montag mit Gleichgesinnten träfen. „Viele hören noch nicht mal den Reden zu“, erklärt Vorländer das Phänomen, dass manche die Hetzreden auf der Bühne ablehnten und trotzdem weiter zu den Demos kämen: „Ihnen geht es darum, sich mal zwei Stunden an der frischen Luft in ihrem Pegida-Bekanntenkreis Erleichterung zu verschaffen.“
Das alles ist freilich auch Folge einer großen institutionellen Leere. Pegida übernimmt in Sachsen die Rolle, die woanders Kirchen, Vereine, der Arbeitsplatz oder der Stammtisch haben, was erklären könnte, warum so viele Pegida-Teilnehmer aus Orten Ostsachsens oder des Erzgebirges bis heute jeden Montag nach Dresden fahren. Einer der Demonstranten hat es in einer E-Mail an Frank Richter, den Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, mal so ausgedrückt: „Geben Sie sich keine Mühe. Ich werde so lange zu Pegida gehen, bis ich einen Job und eine Frau gefunden habe.“
Die Rolle Dresdens als „Hauptstadt der Bewegung“ erklärt sich damit auch durch die Lage der Stadt inmitten eines von Deindustrialisierung, Überalterung und Abwanderung geprägten Umlandes. Dresden sei ein Leucht-turm, eine schöne Bühne und wunderbare Kulisse, stehe aber auch für die Tradition staatlicher Eigenständigkeit, höfischen Glanzes und ingenieurtechnischen Erfindergeistes, die in Sachsen „eine besondere Tendenz zu kollek-tiver Selbstbezogenheit und Eigensinn“ hervorgebracht hätten. Ein ähnlich großes eigenstaatliches Sonderbe-wusstsein gebe es auch in Bayern, sagt Vorländer. Nur habe man dort den Spagat zu Weltoffenheit und einer gewissen Gelassenheit bereits geschafft.
Sachsens Landespolitik und insbesondere die seit 1990 regierende CDU jedoch hätten den staatlichen Stolz stets ganz bewusst gefördert, was auch zu einer Überhöhung des Eigenen und der Abwertung des Fremden (Auslän-der, Wessis, Eliten) beigetragen habe, die etwa ein Drittel der Pegida-Demonstranten unverhohlen äußerten. Vorländer spricht hier gar von „einer Art ,sächsischem Chauvinismus‘“. Das Muster ist bekannt: Wo vieles wegbricht, ist die Herkunft für manche das Einzige, das man ihnen nicht nehmen und das vor allem ein Fremder nie erreichen kann."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen