G. Richter
aus nzz.ch, Viele fürchten, wegen künstlicher Intelligenz überflüssig zu werden.
Dabei hat KI ein fundamentales Problem: Sie macht keine Fehler
Neue Roboter rasieren die gute alte Arbeit weg, und was bleibt, ist der arbeitslose Mensch? Ach was. Solche Prognosen sind höchst unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die menschliche Urteilskraft wertvoller sein wird denn je.
Die Furcht vor technologiebedingter Massenarbeitslosigkeit geht um. Sie ist alt. Tiberius hat, laut dem römischen Historiker Plinius dem Älteren, einen Erfinder von bruchsicherem Glas umbringen lassen – aus Sorge um das Glasmachergewerbe. Und aus dem Jahr 1935 stammt ein Zeitungsartikel, der vor Jobrisiken durch «denkende Maschinen» warnt.
Treppenwitze der Wirtschaftsgeschichte. Denn Historiker wissen: Bei wirtschaftlichen Umbrüchen entstanden schon mittelfristig viel mehr neue Stellen, als alte verschwanden. Immer kam mehr Wohlstand für alle dabei heraus. Interessanterweise waren vor allem Phasen der Vollbeschäftigung von Automatisierungsfurcht geprägt.
Auch heute fragen wieder viele: Was bleibt für uns Menschen noch zu tun? Sie fürchten eine Spirale digitaler Grausamkeiten, die nicht nur den eigenen Job bedroht, sondern Arbeit als wichtigste gesellschaftliche Integrationsmaschine grundsätzlich überflüssig macht.
Der Alarmismus basiert auf der sogenannten Oxford-Studie von 2013, die, wenn auch methodisch äusserst fragwürdig, knapp die Hälfe der amerikanischen Arbeitsplätze als «automatisierungswahrscheinlich» etikettiert. Die Medien steigen ein, der Beratungsbedarf explodiert – ein Milliardengeschäft. Hinzu kommen die Apokalyptiker der Techno-Szene wie der Kapitalismuskritik. Die haben schon immer die dunklen Wolken selbst gemalt.
Immer mit der Ruhe
Kein
Zweifel: Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Es
werden Arbeitsplätze vernichtet. Wird das schnell gehen? Nein.
Kurzfristig – das heisst innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre –
dürfte sich nicht viel ändern. Langfristig hingegen schon.
Dabei gibt es eine alte Erkenntnis im Umgang mit dem Neuen: Wirtschaftshistorisch wurden die kurzfristigen Auswirkungen technologischer Umbrüche immer überschätzt, die langfristigen unterschätzt.
Die gute Nachricht ist, dass es um viele der verschwindenden Jobs nicht sonderlich schade sein wird. Die Massenfertigung hatte ja dazu geführt, dass die Arbeitsplätze immer maschinenähnlicher wurden. Nun werden diese Jobs auch von Maschinen erledigt. Eintönigkeit verschleisst dann nur noch Maschinenteile, keine Menschen. Wird man in hundert Jahren irgendwelchen langweiligen Bürojobs oder aufreibenden Über-Kopf-Arbeiten eine Träne nachweinen?
Mehr noch: Neugeburten plus Zuwanderung kompensieren nicht die Sterblichkeit in Mitteleuropa. Die geburtenstarken fünfziger und sechziger Jahrgänge verlassen den Arbeitsmarkt. Geburtenschwache Jahrgänge kommen.
Es würden mehrere Millionen Arbeitskräfte fehlen, bliebe der Bedarf ähnlich hoch wie heute. Mithin ist der Fachkräftemangel als Treiber der Digitalisierung mindestens so wichtig wie technologische Innovation. Wenn wir diese Knappheit mit Menschen kompensieren wollten, hätten wir Zuwanderungsraten, die politisch gar nicht durchsetzbar wären.
Maschinen? Experten!
Die Kassandren aber bleiben beharrlich: «Heute ist alles anders», lautet ihre Warnung. «Die künstliche Intelligenz ist der menschlichen bald überlegen und bedroht sogar hochqualifizierte Jobs.»
Halt.
Maschinen, auch wenn sie sich künstlich intelligent nennen, sind
zunächst nichts anderes als Metallkästen. Deshalb sollten wir auch von
maschineller Intelligenz (MI) sprechen. Denn Algorithmen müssen von
Menschenhand programmiert werden, bevor sie produktiv werden können; die
Anfangslosigkeit der sich selbst zeichnenden Hände M. C. Eschers ist
bis jetzt noch ein Technikertraum. Dann aber sind sie sehr produktiv. Es
sind Expertensysteme, die jeweils eine Disziplin extrem gut beherrschen
und darin jeden Menschen schlagen.
MI
kann zudem extrem schnell optimieren: Muster erkennen, Aktienhandel und
Anzeigenschaltung, Fleischqualität und Fahrstrecke, Krebsdiagnose und
Knochenbruch, Düngermenge und Datenberge. MI kann sogar reparieren, mehr
und mehr auch lernen.
Aber auch diese Lernfähigkeit ist von Menschen programmiert. Sie vergleicht immer nur Daten mit Voreinstellungen. Und selbst diese Voreinstellungen sind später kaum nachvollziehbar: Nach dem vierten Update weiss kein Experte mehr, wie MI zu diesem Ergebnis gekommen ist. Dabei gelten Netzwerke von einer Million Knoten schon als gross. Der Mensch verfügt in seinem Gehirn über 86 Milliarden Nervenzellen, zudem über ein chemisches System, das zusätzliche Verknüpfungen erlaubt. Er kann auf Fähigkeiten zurückgreifen, die über Äonen gespeichert wurden.
Allein das Wort «Hund» löst beim Menschen eine Unmenge an Assoziationen, Gefühlen, Erinnerungen aus. Wenn aber einer dieser Kästen die Bilder eines Wolfshundes von einem Wolf unterscheiden kann, dann kann er noch lange nicht ein Fernsehquiz gewinnen, das sich auf Wölfe bezieht. Es kann auch vorkommen, dass ein ernst schauender Mensch als solcher nicht erkannt wird, weil nur lächelnde Menschenfotos online gestellt werden. Oder dass ein Job-Bewerber, der von einem Computer mittels Videokamera ausgesucht wurde, in der Zusammenarbeit mit realen Menschen sich als Zombie herausstellt.
Und wenn der automatische Antwortgenerator auf verwirrende E-Mails «Ich liebe dich» antwortet, weil er weiss, dass das die richtige Antwort in verwirrenden Situationen ist, dann ist das allenfalls kurios. Gerade Ambiguität führt zu den absurdesten Klassifikationsfehlern, die schon zu manch schenkelklopfender Heiterkeit Anlass gaben.
Der Vorteil des Menschen
Aber MI fehlt paradoxerweise eine fundamentale Fähigkeit: Sie ist nicht fehleranfällig. Das ist der Vorteil der menschlichen Intelligenz. Wir verrechnen uns oder übersehen bessere Lösungen. Und eben weil wir Fehler machen, haben wir als Spezies über Jahrmillionen überlebt.
Unser Denken und Handeln folgt keinem Algorithmus, sondern passt sich an, ist lernfähig, vorausschauend, macht dabei immer wieder kleine Fehler, die wir korrigieren. Deshalb sind wir schlecht ausrechenbar. Goethes zauberlehrlingshafter Besen kannte keine Kollateralschäden, da diese nicht programmiert wurden.
MI kann also intelligent sein im Sinne extrem schneller Datenverarbeitung. Aber sie wird nie intelligent im menschlichen Sinne sein. Es war zu keiner Zeit sonderlich intelligent, ein Wettrennen mit Maschinen zu laufen, das man nicht gewinnen kann. Maschinen sind immer schneller. Wir verlieren da alle Spiele – und sind dadurch die Gewinner.
In welchen Spielen? Da, wo es um Gefühl und Intuition geht, um praktische Tugenden wie Weisheit und Klugheit. Die unklare Wahrnehmung gehört dazu. Menschliche Intelligenz qualifiziert für das Kreative, das Individuelle, das Komplexe, das Besondere, das Abwägen, Spüren, Bewerten. Für das Soziale: Gespräche etwa, Zuwendung, Kontakt. Sie kann zu einer Stimmung beitragen, die das Arbeiten werthaltig macht.
Eine schier endlose Reihung: Autonomie, Kontextsensibilität, Intuition, Analogiebildung, Gewissen, Sterblichkeit, Sorge, Liebe, Schönheit, Zauber, Ehrfurcht, Frömmigkeit, Neugierde, Unternehmertum, Sympathie, auch Verstehen in einem starken Sinne – alles nicht programmierbar. Vor allem aber der Widerspruch! Die Fähigkeit, sich selbst zu widersprechen, sie wird wohl immer dem Menschen vorbehalten bleiben. Das ist sein höchster Adel.
Bildung ist die Lösung
Wir begegnen also der MI mit einer eigenartigen Mischung aus Misstrauen und Vertrauen – Misstrauen gegenüber dem Jobkiller, Vertrauen gegenüber dem Wahrsager. In beiden Funktionen wird MI überschätzt.
Das betrifft auch den Vorwurf, unser Bildungssystem qualifiziere vorrangig für wegfallende Berufsbilder. Das ist unwahrscheinlich. Wir erleben ja gerade die Abkehr von der Maschinenlogik der Unternehmensführung, von Reibungslosigkeit und Konsenszwang. Der Mensch ist nicht mehr die grösste Fehlerquelle für Routinen, sondern die Lösungsquelle für Nicht-Routinen.
Bildung kann Menschen auf genau jene Situationen vorbereiten, die von Algorithmen nicht zu entscheiden sind. Bildung, die auf Nicht-Wissen zielt, auf das Nicht-Rationale, auf Intuition und Besonderheit. Wir brauchen nicht das Trennende der 0/1-Operation, sondern das Verbindende, nicht das Abgelagerte, sondern das Vorausdenkende. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was Alexa noch nicht weiss.
Diese Bildung im humboldtschen Sinne ist die Basis der Urteilskraft. Denn Informationen sind das eine. Die Qualität der Informationen ist das andere. Ihre Beurteilung und Bedeutung ist etwas Drittes. Dieses Dritte wird uns Menschen vorbehalten bleiben. Denn selbst Datenberge bergen nichts. Nichts, wenn nicht ein Mensch hinzukommt.
Also, Kopf hoch! Wir müssen nicht technofatalistisch abdanken. Die Digitalisierung ist kein Grund zur stummen Unterwerfung unter das unendliche Rauschen der Daten und ihrer Verarbeitungsmaschinen. Vielmehr wird sie menschliche Anlage und Begabung neu und höher bewerten. Maschinelle Intelligenz bietet dafür realistische Chancen.
Reinhard K. Sprenger ist Philosoph, Unternehmensberater und Autor u. a. von «Radikal digital: Weil der Mensch den Unterschied macht» (2018) und «Das anständige Unternehmen» (2016). Seine Bücher erscheinen bei Campus und DVA.
Nota. - Das brauch' ich nicht zu kommentieren. Es ist fast so gut, als hätte er bei mir abgeschrieben.
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