aus FAZ.NET, 25.12.2018-13:42
Erben wie die alten Römer
Haben regionale Unterschiede sozialer Gleichheit ihre Wurzel auch in
uralten Rechtstraditionen? Was des Einen Gleichheit ist, schränkt den
Anderen in seiner ein, zeigen die Forschungen eines Ökonomen.
Auch die Geschichtswissenschaft ist eine Sozialwissenschaft. Umgekehrt sind manchmal historische Ausgriffe unerlässlich, wenn man aktuelle soziologische Forschung betreibt. Etwa zu der Frage, warum manche Gesellschaften gleicher sind als andere. Dass man hierzu kaum etwas Verlässliches sagen kann, wenn man an der sozialen Ungleichheit nicht auch deren Ursprünge untersucht, dürfte selbstverständlich sein. Aber wie weit soll man zurückgehen?
Der Berliner Ökonom Anselm
Rink meint: sehr weit. Vielleicht sogar bis zu den Römern. Denn das
römische Recht habe das Erbrecht in den süddeutschen Regionen geprägt,
was Auswirkungen bis heute haben soll. Doch auch wenn die großen
Unterschiede in den Erbsitten in den Gemeinden dieser ehemals römischen
Provinzen auch anders erklärt würden: Man müsse sich mit diesen lokalen
Differenzen des Erbrechts beschäftigen, wenn man die soziale
Ungleichheit von heute erklären möchte. Denn, so Rink, soziale
Ungleichheit ist das Ergebnis ungerechter Erbsitten. Wo innerhalb von
Familien gerechter vererbt wurde, sei auch die soziale Ungleichheit
geringer. Aber wie misst man so etwas?
Rink ging hier
erfrischend unkonventionell vor. Zum einen konnte er auf eine Umfrage
aus den 50er Jahren zurückgreifen, in welcher der Agrarwissenschaftler
Helmut Röhm die historischen Unterschiede des Erbrechts in allen 24.500
westdeutschen Gemeinden dieser Jahre dokumentiert hatte. Diese
schwankten zum Teil erheblich zwischen der von den Römer praktizierten
Realteilung (alle Erbberechtigten erhalten den gleichen Anteil) und dem
germanischen Anerbenrecht, gemäß dem ein Erbberechtigter (meistens der
erstgeborene Sohn) allein erbte.
Zum anderen
griff Rink zur Messung der aktuellen sozialen Ungleichheit in diesen
Gemeinden auf zwei Indikatoren zurück: Er fragte nach dem Anteil von
Frauen in den Gemeinderäten dieser Kommunen und nach der Anzahl Adliger
in den lokalen Rotary-Clubs. Dass man hier Unterschiede in den deutschen
Gemeinden findet, dürfte nicht überraschen. Aber sollen diese
tatsächlich auf zum Teil jahrhundertealte Erbsitten zurückgehen? Und
zwar systematisch und empirisch nachweisbar?
Der „Bill-Gates-Effekt“
Rink jedenfalls ist davon überzeugt. Seine
Befunde bewiesen, dass Gemeinden, in denen historisch gerecht (also
unter Maßgabe der Realteilung) vererbt wurde, tatsächlich bis zum
heutigen Tage sozial gleicher seien als solche, in denen die Vererbung
nach dem Anerbenrecht geregelt war. In den Gemeinden mit gerechterem
Erbrecht säßen mehr Frauen in den Gemeinderäten und trügen weniger
Rotarier adlige Namen.
Die
Nivellierungseffekte einer gleichen Aufteilung von Erbschaften schlügen
sich also langfristig in der politischen Beteiligung von Frauen als auch
im Verschwinden von ebenfalls erblichen Statusunterschieden nieder.
Insofern also wächst hier die soziale Gleichheit, so Rink. Weil also
bereits vor Generationen ihre Vorfahren, darunter auch ihre
Urururgroßmutter, ihren gerechten Anteil am Hof der Eltern geerbt und
anschließend weiterbewirtschaftet hatte, konnten sie wiederum ihren
Kindern etwas vererben, was dann dazu führte, dass deren Ururur-enkelin
heute in dieser Gemeinde als angesehene Landwirtin im Gemeinderat sitzt.
Und zwar unter ihresgleichen – anderen Landwirtinnen,
Ladenbesitzerinnen, Ärztinnen oder Lehrerinnen. Und keinen Grafen oder
Landjunkern. Das mag weit hergeholt klingen, spräche aber für die These,
dass die Sozialstruktur der deutschen Gesellschaft doch weitaus
geringere Freiheitsgrade aufweist, als es so manche soziologische These
von den individualisierten Bastelbiographien nahelegt. Stehen die
deutschen Gemeinderäte tatsächlich immer noch unter dem Einfluss
römischer Erbsitten?
Man muss hier allerdings einen gewichtigen Einspruch Rinks berücksichtigen. Faire Erbsitten fördern nicht nur Gleichheit, sie können auch Ungleichheit verstärken. Nämlich solche des Einkommens, wie Rink unter Rückgriff auf jüngste Steuerdaten der von ihm untersuchten Gemeinden zeigt. Paradoxerweise schaffe die Nivellierung sozialer Gruppenunterschiede als Folge einer gerechteren Vererbung von Vermögen nämlich die Möglichkeit, dass vor diesem Hintergrund an Gleichheit persönliche Talente umso mehr herausragen könnten.
Rink nennt das den „Bill-Gates-Effekt“: Einzelnen kann es gelingen, große Vermögen anzuhäufen, ohne dafür auf solche Ressourcen wie vererbte Privilegien oder traditionelle Statusvorteile zurückgreifen zu müssen. Ökonomisch gesprochen, handele es sich hier also um einen Trade-off zwischen sozialer und ökonomischer Ungleichheit, der eine gleichzeitige Zunahme beider Größen ausschließe. Soziale Gleichheit befreit also von den Fesseln der Chancenungleichheit, verschärft damit aber auch die Macht individueller Ungleichheiten des Talents, des Ehrgeizes oder der Intelligenz. Insofern kann Rink mit seiner Abschlussfrage, ob eine Gesellschaftsordnung denkbar wäre, die ökonomische und soziale Gleichheit gleichermaßen steigere, nahtlos an aktuelle politische Debatten anknüpfen. Seine Vermutung: Man kann wohl nur eines davon verwirklichen.
Man muss hier allerdings einen gewichtigen Einspruch Rinks berücksichtigen. Faire Erbsitten fördern nicht nur Gleichheit, sie können auch Ungleichheit verstärken. Nämlich solche des Einkommens, wie Rink unter Rückgriff auf jüngste Steuerdaten der von ihm untersuchten Gemeinden zeigt. Paradoxerweise schaffe die Nivellierung sozialer Gruppenunterschiede als Folge einer gerechteren Vererbung von Vermögen nämlich die Möglichkeit, dass vor diesem Hintergrund an Gleichheit persönliche Talente umso mehr herausragen könnten.
Rink nennt das den „Bill-Gates-Effekt“: Einzelnen kann es gelingen, große Vermögen anzuhäufen, ohne dafür auf solche Ressourcen wie vererbte Privilegien oder traditionelle Statusvorteile zurückgreifen zu müssen. Ökonomisch gesprochen, handele es sich hier also um einen Trade-off zwischen sozialer und ökonomischer Ungleichheit, der eine gleichzeitige Zunahme beider Größen ausschließe. Soziale Gleichheit befreit also von den Fesseln der Chancenungleichheit, verschärft damit aber auch die Macht individueller Ungleichheiten des Talents, des Ehrgeizes oder der Intelligenz. Insofern kann Rink mit seiner Abschlussfrage, ob eine Gesellschaftsordnung denkbar wäre, die ökonomische und soziale Gleichheit gleichermaßen steigere, nahtlos an aktuelle politische Debatten anknüpfen. Seine Vermutung: Man kann wohl nur eines davon verwirklichen.
Anselm
Rink: Das Rätsel der Ungleichheit. Historische Erbsitten haben
Auswirkungen bis heute, in: WZB-Mitteilungen 161, September 2018
Nota. - Den deutsch-völkischen Mythen zufolge müsste es genau umgekehrt sein: Unter den volksrechtlichen Germanen habe Gleichheit geherrscht, erst das römische Eigentumsrecht hätte privilegierete Eliten ausgebildet.
Interessanter ist allerdings dieser Punkt: Erst unter der Voraussetzung gleicher Ausgangsbedingungen könne sich individuelle Leistungsbereitschaft entfalten. Da steckt Weisheit drin.
Interessanter ist allerdings dieser Punkt: Erst unter der Voraussetzung gleicher Ausgangsbedingungen könne sich individuelle Leistungsbereitschaft entfalten. Da steckt Weisheit drin.
JE
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