Mittwoch, 13. Februar 2019

Anthropozän und kleine Eiszeit.

aus Telepolis, 12. 2. 2019

von Florian Rötzer

... Geografen des University College London und der University of Leeds sind nun einer interessanten Verbin- dung nachgegangen und versuchen zu zeigen, dass das Massensterben der amerikanischen Bevölkerung ein Auslöser der Kleinen Eiszeit gewesen sein könnte, die vom 16. Jahrhundert und bis Mitte des 19. Jahrhunderts anhielt. Das wäre auch ein Beleg dafür, dass die Menschen schon vor dem Anthropozän das Klima beeinflusst haben. Allerdings gibt es Hinweise, dass die Kleine Eiszeit früher begonnen hat, vielleicht bereits im 13. Jahr- hundert. Allerdings nahm die Kälte im 16. und 17. Jahrhundert zu.

Neu ist die These nicht. Der Klimatologe William Ruddiman hatte bereits in einer Studie aus dem Jahr 2003, die in der Zeitschrift Climatic Change erschienen ist, darauf hingewiesen, dass die Pest, die zu einem teils starken Bevölkerungsrückgang in Europa, Ostasien und im Nahen Osten geführt hat, einen Kühlungseffekt verursacht haben könnte. Weil die Bevölkerung ausstarb, wurden Ländereien weniger bewirtschaftet, was zu einer Rück- kehr des Waldes führte. Dieser entzog der Atmosphäre mehr CO2, was zur Kühlung und damit zu einer Abküh- lung des Klimas geführt haben könnte.

Dabei wies er auch daraufhin, dass die vorübergehende Entvölkerung von Süd- und Nordamerika ebenfalls eine Ausbreitung der Wälder und damit sinkende CO2-Emissionen verursacht haben könnte, die zumindest mit zur Kleinen Eiszeit beigetragen haben könnte. Für Ruddiman setzt die Eiszeit 1300 ein und reicht bis 1900. Für ihn setzt die anthropogene Beeinflussung des Klimas bereits vor 8000 Jahren mit der Ausbreitung der Landwirt- schaft, und der Rodung der Wälder und vor 5000 Jahren mit der Reisbewässerung an.

Das "Große Sterben" und die Ausbreitung der Wälder

In der neuen Studie gehen die Wissenschaftler nach Bewertung zahlreicher Studien von einer präkolumbia- nischen Bevölkerung in Nord- und Südamerika von etwa 60 Millionen Indianern aus (44-78 Millionen). Pro Kopf seien 1.04 Hektar Land gebraucht worden, insgesamt wurden damit 62 Millionen Hektar v.a. landwirt- schaftlich genutzt, in Teilen Mittel- und Südamerikas intensiv. Die landwirtschaftliche Nutzung war weitver- breitet, auch in Amazonien. Mit der Eroberung starben im Laufe von 100 Jahren 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung aus (Great Dying).

Das habe zur Wiederbewaldung von mehr als 55 Millionen Hektar an verlassenem Land geführt, nur noch 6 Millionen Hektar wurden landwirtschaftlich genutzt. Das soll dazu geführt haben, dass die CO2-Konzentration dadurch um 3,5 ppm, zusammen mit Entwicklungen im Rest der Welt um insgesamt 5 ppm zurückgegangen ist und nach 1600 eine Abkühlung stattgefunden hat. Messungen aus Bohrkernen aus antarktischem Eis haben ergeben, dass ab 1500 die CO2-Konzentration zurückgegangen ist, am stärksten um 1600 herum. Zuvor war im 15. Jahrhundert die CO2-Aufnahme stark zurückgegangen, während logischerweise die CO2-Emissionen ange- stiegen sind. Zum Vergleich: In den letzten Jahren nahm die CO2-Konzentration jährlich um mehr als 2 ppm zu.

Nach den Wissenschaftlern lassen sich Klimaschwankungen, vulkanische Aktivitäten und Änderungen der Sonneneinstrahlung ausschließen. Die Menschen in der präkolumbianischen Zeit haben bereits Brandrodungen durchgeführt. Deren Rückgang könnte mit der Entvölkerung zu tun haben, mit der sich feuchtere Wälder aus- breiten konnten, die auch weniger brandanfällig sind. Wenn große Landflächen wieder mit Wald bedeckt wer- den, ist es auffällig, dass die CO2-Aufnahme zunächst in den ersten 20 Jahren schnell ansteigt, um sich dann zu verlangsamen. Nach der Global Charcoal Database lässt sich im 16. Jahrhundert ein Rückgang der Verbrennung von Biomasse erkennen, vor allem in Mittel- und Lateinamerika, das zumindest teilweise auf den Bevölkerungs- rückgang zurückzuführen ist. Insgesamt schätzen die Wissenschaftler, dass 35-50 Prozent der gestiegenen CO2-Aufnahme seit Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts mit dem "Großen Sterben" der indianischen Bevölkerung zusammenhängen.

Belegen wollen die Wissenschaftler mit ihrer Studie vor allem wie bereits Ruddiman, dass die Entvölkerung von Süd- und Nordamerika den beobachteten Rückgang der atmosphärischen CO2-Konzentration mit verursacht hat. Für sie beginnt daher das Anthropozän nicht erst im Industriezeitalter, sondern schon 200 Jahre früher, wenn auch nicht als anthropogene Klimaerwärmung, sondern als globale Klimaabkühlung der Kleinen Eiszeit. 
 

Nota. - Ja ja, da ist was dran an dem menschengemachten Klimawandel. Aber zu ideologischer Stimmungs- mache eignet er sich nicht; genauer gesagt: viel zu gut, weil Wissenschaft 'von Natur' nicht populär ist.

Die Menschen sind im Begriff, den amazonische Regenwald trockenzulegen. Doch dass es ihn überhaupt gibt, ist seinerseits 'menschengemacht' - gelegentlich einer vorhergehenden selbstgemachten Klimakatastrophe. 

Auf Vieles muss die Wissenschaft erst durch politische Agitation aufmerksam gemacht werden, das ist leider wahr. Doch was wissenschftlich zu klären ist, ist - wissenschaftlich zu klären und keine Sache der Gesinnung. Mannesmut vor Fürstenthronen frommt auch dem Gelehrten, und wenn der Fürst selbst Volkes Stimme wäre.

À Propos: Wie stark hätte sich die Erdatmosphäre aufgeheizt, wenn die Menschen damals keine kleine Eiszeit verursacht hätten? Wären die Gletscher inzwischen längst abgeschmolzen? 
JE

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