Kardinal Richelieu gilt als Prototyp des Machiavellisten. So paktierte er mit den Schweden gegen die katholische Vormacht Spanien. Dabei folgte er aber strengen Regeln, kann jetzt ein Historiker zeigen.
Von Alexander Brüggemann
Kardinal Richelieu gilt als Begründer der französischen Hegemonie über Europa. Armand-Jean du Plessis, 1er Duc de Richelieu (1585–1642) brachte das Kunststück fertig, 18 Jahre lang als „Prinzipalmi- nister“ Ludwigs XIII. die Geschicke des Landes zu leiten. Als Kirchenfürst kämpfte er im Bündnis mit der protestantischen Vormacht Schweden gegen das katholische Spanien und drängte den Einfluss des Papstes in Frankreich zurück. Der emeritierte Marburger Historiker Klaus Malettke hat jetzt eine monumentale Biografie des Kardinals vorgelegt. Ein Gespräch.
Frage: Herr Malettke, als einfacher Bischof schaffte es Richelieu zum Kardinal und sozusagen zum Regierungschef König Ludwigs XIII. Er war ja nicht von allzu hoher Geburt. Was qualifizierte ihn für den Posten?
Armand-Jean du Plessis, 1er Duc de Richelieu (1585-1642)
Klaus Malettke: Richelieu war gar nicht der Ehrgeizling, als der er immer dargestellt wurde, der von Anfang an ein politisches Amt angestrebt hätte. Ursprünglich sollte er die Militärlaufbahn einschlagen. Doch dann geschah etwas Unvorhergesehenes. Seit 1584 hatte die Familie das Recht, den Kandidaten für das Bistum Lucon zu nominieren. Ursprünglich war dafür sein älterer Bruder vorgesehen, der dann aber in einen Mönchsorden eintrat. Das Bistum war eine sichere Einnahmequelle für die Familie – also wurde im Familienrat beschlossen: Armand-Jean soll es machen.
Frage: Aber wie kam es zu dem ganz großen Karrieresprung?
Malettke: Seit der Vater Polizeichef bei Hofe war, gehörten die Richelieus zum Hochadel. Diese Position musste man halten. Wer fortkommen wollte, konnte das nur über Beziehungen bei Hofe, wo die gnadenerweise vergeben wurden. Richelieu wurde zunächst 1616/17 für einige Monate Staatssekretär, und zwar mithilfe der Königin-Regentin Maria von Medici, die damals für ihren minderjährigen Sohn Ludwig regierte. Allerdings fiel sie dann beim heranwachsenden König in Ungnade – und so verlor auch Richelieu seine Position. Die Königinmutter wurde exiliert, aber Richelieu erkannte, dass seine weitere Karriere, also auch ein Aufstieg im Klerus, nur über sie funktionieren könnte.
Regentin und Königinmutter Maria von Medici (1575-1642)
Frage: Sie war sein Ticket?
Malettke: Ja. Und der König konnte sich nicht leisten, seine Mutter auf Dauer beiseitezuschieben – denn sie war ja immer auch ein möglicher Anknüpfungspunkt für oppositionelle Adlige. Richelieu ging zwar mit ihr ins Exil. Zugleich erkannte Ludwig XIII. in ihm auch jemanden, der sie daran hindern konnte, ganz aus dem Ruder zu laufen und dem König gefährlich zu werden. Man muss ja bedenken: Frankreich war damals quasi permanent von Bürgerkriegen geprägt.
Frage: Also wurde Richelieu eine Art Aufpasser – und hat sich so unverzichtbar gemacht?
Malettke: Er sprach ständig vom „Interesse des Königs“. Gleichzeitig geriet er immer wieder in den Verdacht, bei unliebsamen Aktionen Marias von Medici mitgemischt zu haben. Ein ständiger Balanceakt.
König Ludwig XIII. (1601-1643) von Frankreich regierte von 1610 bis 1643
Frage: Aber was machte ihn so wertvoll?
Malettke: Richelieu war sich seiner Verantwortung stets bewusst: für die Krone und auch als Kirchenmann. Und er hat sich ständig intensiv mit Rechtspositionen beschäftigt. Er war machtbewusst, ja; aber immer im Interesse der Krone. Und natürlich war sein Handeln auch für ihn selbst von Vorteil – aber das stand nicht wirklich im Vordergrund.
Frage: War Richelieu denn bei alledem auch eine Priesterfigur – oder nur ein Spitzendiplomat im roten Gewand?
Malettke: Er war sicher ein überzeugter und frommer Katholik. Aber er hielt Distanz zu einer Gruppe, die man damals „die Devoten“ nannte; eine militante Gruppierung, die „Häretiker“ eliminieren wollte. In seinen Schriften hat Richelieu die Calvinisten als Christen beschrieben, die man wieder zum richtigen Glauben zurückführen müsse – aber mit überzeugenden Argumenten, nicht mit Gewalt. An dieser Linie hat er stets festgehalten.
Frage: Die Dimension des Theologen und Predigers gab es also?
Malettke: Natürlich. Aber als er 1624 Prinzipalminister wurde, hat er zum Beispiel auch Bündnisse mit protestantischen Reichsständen geschlossen. Für solche Aktionen „im Interesse Frankreichs“ wurde er scharf kritisiert. Er als Kardinal schließt Bündnisse mit Protestanten! Das erregte auch an der römischen Kurie Anstoß.
Richelieu stellte Ludwig XIII. 1640 den berühmten Maler Nicolas Poussin vor
Frage: Richelieus erklärtes Interesse war der Dienst für den König. Wie muss man sich also sein Verhältnis zu seinen Mitbischöfen und zum Papst vorstellen?
Malettke: Seine Position hing ja einzig von der Gnade des Königs ab. Und fast der gesamte französische Klerus, auch er selbst, waren sogenannte Gallikaner. Deren Verständnis war, dass der Papst in die inneren Angelegenheiten Frankreichs nicht hineinzureden habe, also auch nicht etwa Bischöfe zu ernennen. Die entsprechenden Beschlüsse des Konzils von Trient sind in Frankreich nicht umgesetzt worden. Entschieden hat die Versammlung des französischen Klerus.
Frage: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Malettke: Der erneute Übertritt König Heinrichs IV. zum Katholizismus 1593 in Saint-Denis etwa, den er selbst einen „gefährlichen Sprung“ nannte, wurde gegen den ausdrücklichen Willen des Papstes vollzogen – unter Androhung der Exkommunikation. Nur er selbst könne den König wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen, erklärte der Papst – doch der französische Klerus nahm ihm die Entscheidung ab.
Hugenottenführter Heinrich von Navarra (1553-1610) konvertierte 1593 zum Katholizismus, um König von Frankreich zu werden
Frage: Mit welcher theologischen Begründung?
Malettke: Nun, wenn ein Sünder bereut und vom Tode bedroht ist – und Heinrich IV. erhielt ja ständig Todesdrohungen – , dann darf ein katholischer Geistlicher ihn wieder mit der Kirche versöhnen. Und genau das hat der französische Klerus getan. Der Papst konnte das nur sanktionieren – was er dann auf dem Verhandlungswege auch tat. Genau dieser „Gallikanismus“ war auch die Denkweise Richelieus.
Frage: Inwiefern hat Richelieu den Papst überhaupt als seinen Boss angesehen?
Malettke: Er hat ihn als geistliches Oberhaupt respektiert und als den, der die Kirche zusammenhält – aber eben in Grenzen, nicht im Politischen.
Der Hof Ludwigs XIII.
Frage: Wie stand der Kardinal Richelieu zum Krieg?
Malettke: Die Frage eines gerechten Krieges hat ihn ständig und intensiv beschäftigt. Wann darf man überhaupt in einen Krieg eintreten? Das wurde juristisch genauestens analysiert. Zum Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg war der König schon viel eher bereit als er. Aber Richelieu sagte immer wieder: Nein, die Verhältnisse rechtfertigen das nicht. Das wäre ein ungerechter, ein Angriffskrieg. Erst als wirklich alle Mittel ausgeschöpft waren, erklärte Frankreich 1635 Spanien den Krieg.
Frage: Wie würden Sie Richelieus Rolle im Krieg beschreiben: Diplomat, Taktiker, Friedensverfechter?
Malettke: Er war Diplomat, Taktiker – aber sein Ziel war von Anfang an: Wir führen Krieg, um den Frieden zu erreichen. Frankreich war seit dem 16. Jahrhundert von den Habsburgern eingekeilt, wollte wieder ein gleichberechtigter Player im Mächtesystem sein. Das wollte auch Richelieu erreichen.
Frage: Aber mit welchen Mitteln?
Malettke: Er hat ein Friedensprojekt konzipiert, das man heute ein System kollektiver Sicherheit nennen würde. Verzicht auf Angriffskrieg; ein Bündnissystem, in dem sich alle Partner auf den Frieden verpflichten und gegen alle Friedensbrecher vorgehen: von außen und auch von innen. Und, ganz wichtig: Vor einem Krieg wird verhandelt, wird versucht, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Erst wenn man den Aggressor nicht zur Räson bringt, hat das Bündnis das Recht, gegen ihn vorzugehen. Dieses Konzept hat Richelieu entwickelt, und es hat auch bei den Friedensverhandlungen in Münster eine Rolle gespielt. Da lebte er schon nicht mehr; doch sein Nachfolger, Kardinal Mazarin, hat es übernommen beziehungsweise den veränderten politischen Gegebenheiten adaptiert.
Frage: Ist Richelieu als Priester gestorben?
Das von François Girardon geschaffene Grab Richelieus in der Kirche der Sorbonne in Paris
Frage: Wie ist es Richelieus Familie nach seinem Tod ergangen? Man hört ja von weiteren Richelieus nicht mehr viel.
Malettke: Nun, die Nachkommen haben sich nicht mit Ruhm bedeckt. Sie waren zu seinen Leistungen schlicht nicht fähig.
Klaus Malettke: „Richelieu. Ein Leben im Dienste des Königs und Frankreichs“. (Schöningh, Paderborn. 1076 S., 128 Euro)
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