Freitag, 15. Februar 2019

Eine gemeinsame Wurzel der Megalithkultur?

Megalithgrab auf Sardinien
aus scinexx                                                                                                              Dolmen di Sa Coveccada  auf Sardinien

Megalith-Kultur: Von Steinzeit-Seefahrern verbreitet?

Ob Steinkreis, Ganggrab oder Dolmen: Alle Megalith-Bauwerke Europas könnten auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach entstand diese von monumentalen Steinanlagen geprägte Kultur vor rund 6.500 Jahren im Nordwesten Frankreichs und breitete sich dann entlang der Meeresküsten Europas aus. Das Spannende daran: Die Übermittler der Kultur waren offenbar Seefahrer – was ein ganz neues Licht auf die maritimen Fähigkeiten unserer Vorfahren wirft.

In der Zeit vor 6.500 bis 4.500 Jahren errichteten die Menschen in Europa charakteristische, monumentale Stein-Heiligtümer und Grabanlagen. Insgesamt 35.000 solcher Megalith-Bauwerke sind heute bekannt, darunter das berühmte Stonehenge, die stehenden Steine im bretonischen Karnak, aber auch viele Dolmen und Ganggräber in Spanien, Skandinavien und im Mittelmeerraum.

 Steinkreis
Steinkreis von Callanish auf den Hebriden

Gleiche Bauten in ganz Europa

Merkwürdig nur: Selbst Megalith-Anlagen an entgegengesetzten Enden Europas ähneln sich auf verblüffende Weise. „Sie haben teilweise sogar identische architektonische Merkmale über ihr gesamtes Verbreitungsgebiet hinweg“, erklärt Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg. Zudem gruppieren sich diese Bauten auffallend oft in Küstengebieten: entlang des Atlantiks, aber auch rund ums Mittelmeer.

Wie sind diese Parallelen zu erklären? Könnte die Megalith-Kultur in ganz Europa auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen? Oder kamen Menschen unabhängig voneinander auf die Idee, riesige Steine zurechtzuhauen und in bestimmter Weise aufzustellen? Schon vor rund 100 Jahren hielten einigen Archäologen letzteres für extrem unwahrscheinlich. Stattdessen vermuteten sie, dass eine steinzeitliche Priesterkaste existierte, die umherzog und die Idee der Megalith-Bauten verbreitete.

Ursprung in Nordwest-Frankreich

Das Problem jedoch: Lange war die Datierung der Megalith-Bauten zu ungenau und unvollständig, um dieses Szenario zu bestätigen oder zu entkräften. Auch wo die Ursprungsregion dieser Kultur lag, ließ sich daher nicht feststellen. Inzwischen jedoch sind deutlich mehr Anlagen datiert. Schulz Paulsson hat daher nun 2.410 Datierungen sowie archäologische Daten für Megalith-Bauten in ganz Europa ausgewertet und daraus die Entwicklung und Verbreitung dieser Kultur rekonstruiert.

Das überraschende Ergebnis: Es gibt tatsächlich eine erkennbare zeitliche und räumliche Abfolge der Megalith-Anlagen in Europa. Demnach tauchten erste einfache Megalith-Gräber etwa um 4.700 vor Christus im Nordwesten Frankreichs auf. „Diese Region ist auch die einzige in Europa, in der es prämegalithische Monumentalbauten und Übergangsstrukturen gab“, berichtet die Forscherin. Zu diesen Anlagen gehörten komplexe, bis zu 280 Meter lange Erdgräber. „Diese Gräber könnten die ältesten Monumentalgräber Europas sein“, so Schulz Paulsson.

Megalith-Ausbreitung
Rekonstruktion der drei Haupt-Ausbreitungschübe der Megalith-Kultur (rot, grün, gelb) sowie Phasen der Stagnation (braun). 

Über Atlantik und Mittelmeer in den Rest Europas

Von der Bretagne aus breiteten sich Großsteingräber erst bis an die Küsten Südfrankreichs und der Iberischen Halbinsel aus. Es folgten Gräber in Katalonien, Sardinien und Korsika, aber auch im Norden Italiens. Vor etwa 6.300 Jahren bahnte sich dann ein kultureller Wandel an: Während die Toten zuvor in einfachen Einzelgräbern bestattet wurden, errichtete man nun Ganggräber. „Diese Grabstätten konnten für wiederholte Bestattungen wieder geöffnet werden“, erklärt Schulz Paulsson. „Dies markiert einen radikalen Wandel der Bestattungsriten in Europa.“

Das Interessante daran: Auch dieser neue Trend hatte den Datierungen nach seinen Ursprung in Frankreich und breitete sich dann entlang der Atlantikküste Frankreichs, der Iberischen Halbinsel, Irlands, Englands und Schottlands aus. In der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends vor Christus erreichte die Megalith-Kultur dann auch Skandinavien. „Und auch hier gibt es Belege für eine Verbreitung über das Meer“, sagt die Archäologin. Denn die ältesten bekannten Ganggräber Skandinaviens liegen an der Westküste der schwedischen Inseln Oland und Gotland.

Megalith-Grab in Schweden
Überreste eines Megalith-Grabes im schwedischen Haväng.

Steinzeitliche Seefahrer? 

Nach Ansicht von Schulz Paulsson sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die frühen Archäologen zumindest in Teilen richtig lagen: Die Megalith-Kulturen in Europa sind offenbar nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern gehen auf einen gemeinsamen Ursprung zurück. „Wir haben klare Indizien für eine Ausbreitung der Megalithe in drei großen Schüben über die Seeroute gefunden“, so die Forscherin.

Das könnte bedeuten, dass die Menschen der Steinzeit bereits überraschend gute Seefahrer waren. „Die maritimen Fähigkeiten, das Wissen und die Technologie dieser Gesellschaften müssen weiter entwickelt gewesen sein als bisher angenommen“, sagt Schulz Paulsson. Sollte sich dies bestätigen, könnten die Anfänge der Seefahrt 2.000 Jahre weiter zurückliegen als gedacht. „Das eröffnet eine neue wissenschaftliche Diskussion über die maritime Mobilität und Organisation der neolithischen Gesellschaften und die Natur ihrer Wechselbeziehungen.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1813268116)

Quelle: PNAS


Dolmen di Sa Coveccada
aus spektrum.de, 11.02.2019

Eine gemeinsame Wurzel der Megalithkultur?
In der Jungsteinzeit errichteten Menschen überall in Europa viele Jahrhunderte lang imposante Steinkreise und Grabmonumente. Kann man heute noch herausfinden, wo die Megalithmode einst ihren Anfang nahm?

von Jan Osterkamp

Man zählt heute rund 35 000 über ganz Europa verstreute typische Megalith-Bauwerke, also Dolmengräber, Steinkreise oder »Hinkelstein«-Menhire, die meist irgendwann zwischen dem 5. und 3. Jahrtausend vor der Zeitenwende errichtet wurden. Die früher gängige Bezeichnung »Megalithkultur« als Klammer für dieses Phänomen haben Archäologen aber mittlerweile im Wesentlichen zu den Akten gelegt: Von einer zusammenhängenden Kultur mit gemeinsamer Idee oder ideologischer Wurzel könne man angesichts der weit verstreuten, unterschiedlich alten und enorm vielfältigen Steinartefakte kaum sprechen. Wahrscheinlich haben die Europäer der Jungsteinzeit solche am Ende verblüffend ähnlichen Megalithstrukturen immer wieder unabhängig voneinander neu erfunden. Oder vielleicht doch nicht, meint nun die Jungsteinzeitexpertin Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg im Fachmagazin »PNAS«: Neue Analysen ergaben auffällige Hinweise auf eine allmähliche Ausbreitung der Megalith-Idee aus einem Ursprungszentrum heraus, die wohl vor 4500 v. Chr. im Nordwesten Europas ihren Anfang nahm.
 
Paulsson hatte sich mit ihrem Team zum Ziel gesetzt, eine umfassende und genauere Zeitreihe möglichst vieler europäischer Megalith-Fundstellen mit Radiokarbonanalysen aufzustellen. Einen ersten ähnlichen Versuch hatte schon in den 1970er Jahren Colin Renfrew unternommen, der Pionier der Kohlenstoffdatierung. Mit deutlich verbesserter Analysetechnik konnte Paulssons Team nun aber viel mehr Fundstücke wesentlich exakter und sicherer datieren: Sie bestimmte so das Alter von 2410 Fundstellen anhand von zum Teil bereits früher untersuchten Proben im Kontext der Megalithbauten und von gleich alten Artefakten benachbarter Kulturen. Am Ende schälte sich dabei ein recht klares Bild heraus, so Paulsson: Offenbar entstanden die frühesten Megalithstrukturen im Nordwesten des heutigen Frankreich im frühen 5. Jahrtausend v. Chr. in nur rund 200 bis 300 Jahren. Als Vorläufer, die bloß hier zu finden sind, bieten sich auffällige prämegalithische Erdwerke an – somit womöglich die eigentlichen Urahnen der vielfältigen späteren Megalitharchitektur.

Haväng-Megalithgrab  
Das Megalithgrab von Haväng in Schweden.

Vom Nordwesten des Kontinents aus verbreitete sich die Megalith-Idee dann allem Anschein nach in einer ersten Welle an den Küsten entlang, interpretiert Paulsson ihre Daten: Man findet im späten 5. und frühen 4. Jahrtausend vor der Zeitenwende Megalithbauten an der Atlantikküste und in küstennahen Regionen der Iberischen Halbinsel und des Mittelmeerraums. Erst noch etwas später boomten Megalith-Bauwerke dann auf den Britischen Inseln und Sardinien, um schließlich im 2. Jahrtausend Mitteleuropa und den skandinavischen Raum zu erreichen. Noch etwas später gab es einen letzten Boom der Megalith-Artefakte in Süditalien, auf kleineren Mittelmeerinseln und in Richtung Levante, bis die großen Megalithbauten dann um den Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends endgültig in ganz Europa aus der Mode gekommen waren.


Heftcover Spektrum der Wissenschaft Mai 2017
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 Eindeutig sei hier ein Muster von drei Ausbreitungswellen mit Ursprung in Nordwestfrankreich zu erkennen, meint Paulsson – und zwar über mögliche Seerouten. Dies könnte nahelegen, dass die maritime Expertise in der Jungsteinzeit deutlich ausgeprägter war, als man bisher vermutet hat. Vielleicht haben Megalith-Pioniere so ihr Knowhow und religiöse oder gesellschaftliche Vorstellungen in die Ferne getragen. Ganz ähnliche Ideen zur Erklärung archäologischer Gemeinsamkeiten hatten bereits Archäologen im 19. und frühen 20. Jahrhundert vertreten. Dabei hatten sie allerdings angenommen, dass die Megalithkultur vom Nahen Osten aus nach Europa vorgedrungen ist. Einer der differenzierteren Vertreter eines solchen Kultur-Diffusionismus war der berühmte Archäologe Gordon Childe, der seine Beiträge bereits in den 1950er Jahren, vor dem Aufkommen der Karbondatierung, formulierte. Paulsson sieht die älteren Spekulationen mit ihren Daten nun teilweise bestätigt – auch wenn der Megalithismus eher aus Nordwesteuropa in den Mittelmeerraum gelangt sei statt umgekehrt. In jedem Fall sei es angebracht, den europäischen Megalith-Horizont angesichts der neuen Daten und der möglichen maritimen Interaktionen wissenschaftlich noch einmal neu zu diskutieren.

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