Dienstag, 17. Dezember 2019

Das Geld in der Vierten Industriellen Revolution.

 aus FAZ.NET,

Geldpolitik in der Vierten Industriellen Revolution 
Künstliche Intelligenz, Big Data und maschinelles Lernen verändern Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig. Aus den drei Industriellen Revolutionen der Vergangenheit lässt sich erahnen, was auf uns zukommt – auch für die Geldpolitik.



In einem sehr interessanten Vortrag hat Stephen Poloz, der Gouverneur der Bank of Canada, die drei früheren sowie die in Gang gekommene Vierte Industrielle Revolution auf Muster untersucht. Nicht nur für die Geld- politik, aber auch für sie stellen Phasen starken technischen Wandels eine Herausforderung dar.
 
Seine Ausführungen weisen weit in die Zukunft und stellen einen willkommenen Kontrapunkt zu der kuriosen Debatte über eine vermeintliche „Zombifizierung“ der Wirtschaft dar, die einige Ökonomen in Deutschland derzeit führen – so, als hätten sie bis heute nicht mitbekommen, wie stark die primär technologisch motivierten Umwälzungsprozesse die Wirtschaft verändern.
 
Erscheinungsformen der Industriellen Revolutionen
 
Poloz unterscheidet realwirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Begleiterscheinungen Industrieller Revolu- tionen, die natürlich miteinander verbunden sind. Zu den realwirtschaftlichen Effekten zählen:

  • Neue Technologien zerstören existierende Berufsbilder und Arbeitsplätze. Das sorgt für Unruhe unter den Menschen, die davon unmittelbar betroffen sind und bei jenen, die sich bedroht fühlen.
  • Mit den neuen Technologien entstehen neue Berufsbilder und Arbeitsplätze. Dieser Prozess benötigt allerdings häufig Zeit und ist zu Beginn nicht erkennbar.
  • Die neuen Technologien führen längerfristig zu einem deutlichen Anstieg der Produktivität und, ceteris paribus, zu einem zunehmenden Potentialwachstum. Auch dies ist am Anfang einer Industriellen Revolution häufig noch nicht erkennbar.
  • Stattdessen profitieren von neuen Technologien zunächst nicht selten nur wenige Unternehmen, die eine hohe Marktmacht erlangen. In dieser Phase ist technischer Fortschritt erkennbar, aber er schlägt sich noch nicht in gesamtwirtschaftlichen Kennziffern nieder, weil sich der Fortschritt erst in der Wirtschaft ausbreiten muss. Es kommt zum sogenannten „Produktivitätsparadoxon.“
 
Auf die Dauer bewirkt der technologische Fortschritt aber sinkende Preise für viele Güter und Dienstleistungen. Dies drückt die Inflationsrate und kann sogar zu einer Deflation führen.
 
Das führt uns zu den finanzwirtschaftlichen Effekten:

  • Starker technischer Fortschritt sorgt für Euphorie an den Aktienmärkten, an denen die Kurse kräftig steigen. Es entsteht die Gefahr eines finanziellen Exzesses, der zum Börsenkrach führen kann. Dies ist unabhängig von der Geldordnung.
  •  Eine Deflation steigert die reale Last der Schulden. Das kann nach einem Börsenkrach in einer anschließenden Rezession die Krise verschärfen.
 
Industrielle Revolutionen
 
Wirtschaftshistoriker unterscheiden mehrere Industrielle Revolutionen.
 
Die Erste Industrielle Revolution begann mit der Erfindung der Dampfmaschine und erstreckte sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Mechanisierung veränderte die Welt nachhaltig, hatte aber auch negative Begleiterscheinungen, zum Beispiel Börsencrashs nach 1870 und eine längere Phase der Deflation („Viktorianische Deflation“). Das war in der  Zeit der Goldwährung.
 
Mit der Zweiten Industriellen Revolution, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1970 währte, verbinden sich die Elektrifizierung und die industrielle Herstellung von Gütern für die breite Masse wie Kühlschränke und Autos. In dieser Zeit nahmen Produktivität und wirtschaftlicher Wohlstand insgesamt deutlich zu, aber nach dem Börsenkrach von 1929 war eine längere Phase der Rezession und der Deflation zu überwinden. Damals erlangte der mit dem Namen John Maynard Keynes verbundene Gedanke, mit aktiver Geld- und Finanzpolitik gegen Krisen vorzugehen, große Popularität.
 
Mit der Dritten Revolution, die sich auf die Zeit von der Mitte der siebziger Jahre bis kurz nach der Jahrtausendwende veranschlagen lässt, verbinden sich Begriffe wie Speicherchips, Informationstechnologie sowie die Entstehung globaler Lieferketten in einer sich integrierenden Weltwirtschaft, in der Asien eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Zwar kam es um das Jahr 2000 wieder zu einem Boom und einem anschließenden Krach an der Börse, aber eine lange währende und schwere Depression blieb auch nach der Finanzkrise des Jahres 2008 aus. „Die Politik war dieses Mal deutlich besser“, schreibt Poloz. Die Geldpolitik und die Finanzpolitik (einschließlich der sozialen Netze) hätten dieses Mal für eine raschere Erholung aus der Krise gesorgt.
 
Die lange Zeit expansive Geldpolitik hält Poloz so lange für richtig, wie die Inflationsrate niedrig bleibt und die Geldpolitik ein auf steigender Produktivität gestütztes Wirtschaftswachstum finanziert. Das ist die Gegenthese zur Ansicht der „Zombifizierungs“-Adepten: Großzügige Geldversorgung erleichtert Schumpeters schöpferische Zerstörung. (Wer Schumpeter gelesen hat, weiß, dass auch bei ihm monetäre Expansion den schöpferischen Zerstörungsprozess begleitet.)
 
Doch muss die nach Ansicht Poloz‘ Geldpolitik aufpassen, nicht zu lange zu expansiv zu bleiben: „Als der Technologieschock reif wurde und die Geldpolitik locker blieb, stellten sich allerdings unvorhergesehene Nebenwirkungen ein: Finanzielle Ungleichgewichte bauten sich auf, die zur globalen Finanzkrise und zur Rezession führten. Im Ergebnis wurden regulatorische und geldpolitische Rahmenwerke entwickelt, um solche Risiken künftig im Griff zu behalten. Wiederum lernen Politiker aus Fehlern der Vergangenheit.“
 
In die Vierte Industrielle Revolution
 
Was heißt dies für die Zukunft? „In der Vierten Industriellen Revolution geht es um die Digitalisierung der Weltwirtschaft“, schreibt Poloz. „Im Kern handelt es sich um maschinelles Lernen, Big Data und um Künstliche Intelligenz, die alle das Potential besitzen, die Leistungsfähigkeit in allen Wirtschaftszweigen zu steigern.“
 
Für die Geldpolitik bedeutet dies: „Die besonders aus der Dritten Industriellen Revolution gewonnenen Lehren deuten auf eine Notwendigkeit, durch eine lockere Geldpolitik das angebotsgetriebene Wachstum der Wirtschaft zu unterstützen, indem Inflationsziele die Geldpolitik verankern und makroprudentielle Instrumente den Aufbau von finanziellen Ungleichgewichten in Schach halten.“ Mit anderen Worten: Angesichts künftiger nachhaltiger Produktionszuwächse aus dem technischen Fortschritt wäre die aktuelle Geldpolitik gar nicht so falsch.
 
In der Praxis ist es allerdings nicht so einfach, wie Poloz einräumt. Denn von den deutlichen Zuwächsen der Produktivität ist noch nichts zu sehen, wohl aber von den Schwierigkeiten, die am Beginn einer Industriellen Revolution stehen: Viele Menschen sehen ihre Jobs bedroht, sie misstrauen dem Wandel und die frühen Gewinner aus dem Einsatz neuer Technologien bauen starke Marktpositionen auf, die Wettbewerbshüter auf den Plan rufen müssten. (Wachsende Marktmacht in den Vereinigten Staaten ist das Thema eines ausgezeichneten Buchs des Ökonomen Thomas Phillipon: „The Great Reversal“.)
 
Und so lange das so ist, gerät expansive Geldpolitik unter Rechtfertigungszwang: „Versicherungen, dass eine durch technische Veränderungen getriebenes Wirtschaftswachstum disinflationär wirkt, so dass die Zinsen unverändert bleiben können oder gar sinken können, wird man erst lange nach dem Eintritt des höheren Wirtschaftswachstums nachweisen können.“ Geldpolitik findet in einer solchen Situation in einem durch hohes Unsicherheit geprägten Umfeld statt, weil auch Zentralbanken Schwierigkeiten haben, auf technologischen Revolutionen beruhende Veränderungen der Wirtschaft richtig einzuschätzen – nicht zuletzt, weil die Messung von Produktivitätsänderungen schwierig ist. 
 
Mehr zum Produktivitätsparadoxon
 
Diese Schwierigkeiten thematisiert ausführlich das aktuelle Jahresgutachten des deutschen Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage.  Darin heißt es: „Der weltweite Rückgang des Produktivi- tätswachstums scheint im Widerspruch zu der Hoffnung zu stehen, die in die produktivitätssteigernden Wirkungen der zunehmenden Computerisierung sowie die Entwicklung neuer Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), wie Cloud Computing, Maschinelles Lernen oder Künstliche Intelligenz, gesetzt wird. Zwar waren IKT-intensive Industrien für die zeitweise Beschleunigung des Produktivitätswachstums in den USA im Zeitraum von 1995 bis 2005 verantwortlich. Angesichts des weiteren Fortschritts in den IKT über die vergangenen Jahre erscheint die derzeitige schwache Entwicklung allerdings als Produktivitätsparadoxon.“
 
Als mögliche Ursachen für das Paradoxon werden in dem Gutachten genannt:

  • Adaptionsverzögerungen: Die Ausbreitung von Innovationen in der Wirtschaft kann sich verzögern, wenn sie Humankapitalbildung oder veränderte betriebliche Organisationen voraussetzt. „Beispielsweise dauerte es über 40 Jahre ab der Erfindung des elektrischen Antriebs, bis 25 Prozent der Leistung in amerikanischen Fabriken elektrisch erzeugt wurden und sich dies in höheren Produktivitätsgewinnen zeigte.“
  •  Eine Überschätzung des Innovationspotentials. Vielleicht ist mit neuen Informationstechnologien ein geringeres Wachstumspotential für die Produktivität verbunden als erwartet.
  •  Messprobleme: Möglicherweise erfassen die offiziellen Statistiken nur einen Teil der mit der Vierten Industriellen Revolution verbundenen Wandlungsprozesse.
Poloz ist Technikoptimist. Seine Schlussfolgerung lautet: Es spricht viel für eine Geldpolitik in der Tradition Greenspans: So lange die Inflationsrate niedrig liegt, sollte die Zentralbank Gas geben, um das durch Angebotsveränderungen getriebene Wirtschaftswachstum bestmöglich zu unterstützen – gerade auch im Interesse der Verlierer des Wandels. Anders als zu Zeiten Greenspans allerdings muss die Gefahr finanzieller Ungleichgewichte genau im Blick gehalten und die Möglichkeiten sowie Grenzen von Regulierungspolitik genau analysiert werden. Denn eine weitere große Finanzkrise braucht niemand.


Nota. - Von Geldpolitik verstehe ich nichts, von Wirtschaftspolitik kaum mehr. Aber ich habe mich lange mit der Kritik der Politischen Ökonomie beschäftigt, die eine Geschichts- und gesellschaftswissenschaftliche Dis- ziplin ist. Wer unter welchen Bedingungen mit welchen Tricks den besten Schnitt macht, spielt dort gar keine Rolle, nicht einmal die Frage, wie alle am besten versorgt werden Könnten. Sie untersucht die Regeln, nach denen sich unter gegebenen gesellschaftlichen Vorausssetzungen die Weltwirtschaft entwickeln muss, und die Hindernisse, auf die sie stößt. 

Ihr Erklärungsgrund ist - wie für die Klassische Politische Ökonomie, die sie kritisiert - das Wertgesetz; dass nämlich im statistischen Längs- und Querschnitt die Wirtschaftsgüter gegen einander nach dem Maß der zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeit getauscht werden. Bestimmender Grund des wirschaftlichen Geschehens ist daher die Verfügung über die erforderliche Arbeitskraft. Sie regelt erstens die Produktion; sie entscheidet aber zugleich über die Verteilung des Arbeitsprodukts unter die Produzenten.

Das setzt freilich voraus, dass erstens die für den Lebensunterhalt der Gesellschaft erforderlichen Güter typi- scherweise knapp sind; und dass sie zweitens grundsätzlich durch Arbeit vermehrbar sind. 

Was aber hält das System des Wirtschaftens in Bewegung? Es ist natürlich dies, dass ein Teil der Wirtschafts- subjekte aus diesem System einen Gewinn zieht. Und der entsteht dadurch, dass es ein Wirtschaftsgut gibt, für das mehr eingenommen wird, als ausgegeben wurde, Und das ist - die Arbeit selbst. Sie kostet das, was nötig war, um die Arbeitskraft instand zu setzen, die (vom Markt) erforderte Leistung zu erbringen. Die erbrachte Leistung selber ist dagegen mehr wert, als die Herstellung der Arbeitskraft gekostet hat. Die Arbeitskraft ist produktiv, sofern sie verausgabt werden  kann. Ob oder ob nicht, hängt freilich von spezischen Bedingungen ab.

Indessen geht in die zu veranschlagenden Kosten nicht nur der Preis ein, der für die in diesem Moment gege- bene Arbeitskraft zu zahlen ist. Ein gehen auch die Kosten, die die Herstellung der Arbeitsinstrumente verur- sacht hat, die die aktuelle Produktivität der lebendigen Arbeitskräfte möglich macht. Mit andern Worten, die Kosten, die im gegebenen Maschinenpark vergegenständlicht sind.

Eine solche Betrachtungsweise hat solange einen Sinn, wie die Kosten der lebendigen Arbeitskraft und der Wert der im Arbeitsinstrument geronnenen Arbeit früherer Generationen kommensurabel bleiben. Vom Einzelen zum Doppelten, zum Zehnfachen, zum Tausendfachen... 

Sobald der Wert der lebendigen Arbeit im Vergleich zur in der Machinerie akkumulierten Arbeit zu einer ver- schwindenden Größe wird, ist eine Relation mathematisch immer noch möglich; aber sie hat in der wirtschaft- lichen Wirklichkeit keinen Sinn mehr.

Und dies, während zugleich Güter knapp werden, die lebenswichtig, aber nicht durch Arbeit vermehrbar sind. Einen ökonomischen Wert haben sie nicht. Wieviel sie gelten sollen, muss politisch bestimmt werden.

*

Der Wert der Produkte - der neugeschaffenen wie der in der Maschinerie konservierten - war gleich dem Wert der in ihnen vergegenständlichten Arbeit. Zu diesem Wert waren sie jeweils austauschbar. Es war ihr Tausch- wert. In der Wirklichkeit der bürgerlichen Produktionsweise ist der Tauschwert dargestellt im Geld. Tauschwert=
=Geld ist Verfügung über Arbeitskraft. 

Wir gehen in eine Entwicklung, wo der Wert der lebendigen Arbeit gegenüber dem Wert ihres Produkts ver- schwindet und im wirklichen Prozess keine zu beachtende Größe mehr darstellt. Im Wert der ausgetauschten Produkte ist nicht länger 'Mehrwert enthalten', sondern sie sind Mehrwert an sich - mit einer zu vernachlässi- genden Verunreinigung durch Arbeits wert.

Doch Gewinne werden immer noch gemacht, womöglich größere denn je. Es wird ja immer noch mit Geld gezahlt. Was aber ist Geld, wenn es nicht länger Tauschwert ist? Nicht länger über lebendige, sondern immer mehr über in der Maschine vergegenständlichte tote Arbeitskraft verfügt? Und wie kommt es, dass die einen mehr Geld einstreichen und die andern weniger? 

Die Kritik der Politischen Ökonomie hatte das Mysterium des Geldes gelichtet. Es hat sich gerächt und ist voll wieder da.
JE





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