Vormoderne Sklaverei am Mittelmeer
„Am Ende des Mittelalters kehrte die Sklaverei zurück nach Europa“, sagt die Arbeitshistorikerin Juliane Schiel von der Universität Wien. Im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts betrieben die aufstrebenden Seemächte Venedig, Pisa und Genua überregionalen Handel in neuen Dimensionen: „Neben anderen Gütern hat man dann auch Sklavinnen und Sklaven transportiert.“ Geholt hat man vor allem Frauen aus dem Schwarzmeerraum: Russinnen, Tscherkessinnen, Mongolinnen. Dort waren die italienischen Seeleute übrigens nicht die einzigen, die auf Menschenjagd gingen: „Im muslimischen Raum war der Menschenhandel schon seit Jahrhunderten etabliert und viele Sklavinnen und Sklaven in der muslimischen Welt kamen ebenfalls aus dem Schwarzmeerraum.
Vermögende hatten in der Renaissance eine Sklavin
Lange ging man in der Geschichtswissenschaft davon aus, dass mit dem Ende der Antike auch die Sklaverei aus der westlichen Welt verschwand und der Leibeigenschaft Platz machte. Das mag vielleicht auf die Männer zutreffen, meint Schiel: „Wenn wir auf die Frauen schauen, haben wir eine viel stärkere Kontinuität von Versklavungspraktiken von der Antike bis ins Mittelalter.“ Durch den mediterranen Handel im Spätmittelalter nahm der Menschenhandel dann quantitativ zu. Zahlen seien für diese Zeit dennoch sehr schwierig zu nennen, sagt Schiel: „Was wir sagen können, ist, dass in jedem einigermaßen vermögenden Haushalt der größeren Städte der italienischen Renaissance mindestens eine Sklavin gelebt hat.“
Piraten auf Sklavenjagd
Auch in der Neuzeit verschwand die Sklaverei nicht aus dem Mittelmeerraum: Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert wurden mehrere hunderttausend Europäer von nordafrikanischen Piraten als Sklaven gefangen genommen und in Tunis, Algier, Tripolis und Salé verkauft und festgehalten. Bei den Opfern handelt es sich überwiegend um Männer. Primäres Ziel war es, Lösegeld zu erpressen. „Man geht in der Forschung davon aus, dass 25 Prozent des Haushaltsbudgets der nordafrikanischen Staaten damals aus Lösegeldern bestand“, sagt Mario Klarer, von der Universität Innsbruck. Der Amerikanist und Historiker ist Autor des Buchs „Verschleppt – Verkauft – Versklavt: Deutschsprachige Sklavenberichte aus Nordafrika“ und forscht zu europäischen Sklaven im Nordafrika der Neuzeit.
Eines der berühmtesten Opfer war wohl der spanische Schriftsteller Cervantes, der fünf Jahre in Algier versklavt war. Mario Klarer sagt: „Die Arbeitskraft spielte nicht so eine Rolle wie beispielsweise später, als afrikanische Sklaven in die amerikanischen Kolonien gebracht wurden. Der kapitalbringendste Sklave war der, der am meisten Lösegeld einbrachte.“ Wurde kein Lösegeld bezahlt, endete man als Haussklave oder landete auf einem Kriegsschiff: „Rudersklave kam einem Todesurteil gleich.“ Umgekehrt wurden auch hunderttausende Menschen aus Nordafrika von europäischen Freibeutern versklavt und auf Galeeren zum Rudern eingesetzt.
Sklavenmarkt in Algier, 17. Jahrhundert
Der überwiegende Teil der versklavten Menschen fristete ein Leben unter schlimmsten Bedingungen, für einzelne konnte die Versklavung aber einen ökonomischen Aufstieg bedeuten, so Klarer: „Hochqualifizierte Sklaven wie Navigatoren, Schiffskapitäne oder Zimmerleute konnten steile Karrieren hinlegen. Als Sklave in Nordafrika musste und durfte man für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen.“ Indem man zum Islam konvertierte, konnte man seine Situation auch verbessern: „Dadurch konnte man es an die Spitze der nordafrikanischen Gesellschaft schaffen. Frei wurde man dadurch nicht und man verwirkte so die Möglichkeit auf einen Freikauf durch eine christliche Organisation.“ Die nordafrikanische Piraterie nahm solche Ausmaße an, dass es in Europa professionelle Freikäufer gab. In Norddeutschland entstanden dadurch auch die ersten Sozialversicherungen, sagt Klarer: „Es gab Sklavenkassen, in die die Reeder einzahlten, um ihre Seeleute im Falle eines Piratenangriffs freizukaufen.“
Mehr analytische Schärfe, weniger blinde Flecken
Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Formen der Sklaverei seien angesichts des transatlantischen Sklavenhandels in Vergessenheit geraten, sagt die Arbeitshistorikerin Juliane Schiel. Bei diesem sind ab dem 16. Jahrhundert schätzungsweise zwölf Millionen Menschen aus Afrika in die amerikanischen Kolonien verschleppt worden. Das sei aber nur ein bestimmter Zeitausschnitt, der in der Geschichte der Sklaverei eine gewisse Ausnahme darstellt, so Schiel: „Diese extremste Form der körperlichen Ausbeutung und der Entrechtung menschlicher Körper in dieser Größenordnung ist eigentlich eine Anomalie im globalhistorischen Vergleich von Sklavereien.“ Dennoch bestehe ein Zusammenhang: „Die Plantagensklaverei ist eigentlich keine Erfindung der Kolonialen in Amerika, sondern ist im mediterranen Raum bereits praktiziert worden, etwa auf Mallorca oder Kreta. Wir vergessen, dass es das schon so früh gegeben hat, wenn auch nicht im selben Ausmaß.“
Unterbeleuchtet – sowohl geschichtswissenschaftlich, als auch im öffentlichen Bewusstsein – ist auch der Sklavenhandel, der mehr als ein Jahrtausend lang im Indischen Ozean betrieben wurde. Dabei wurden einerseits vom 7. bis ins 19. Jahrhundert ostafrikanische Sklavinnen und Sklaven in den arabischen Raum verschleppt, andererseits wurde auch zwischen Asien und Afrika mit Menschen gehandelt.
Für die (historische) Sklavereiforschung stellt sich die Frage, wie man Sklaverei definiert und abgrenzt, etwa von Zwangsarbeit. „Die Sklavereiforschung hat sich lange daran orientiert, ob es in einer Gesellschaft einen legalen Rechtsstatus des Sklaven gab. Dadurch ergaben sich viele blinde Flecken“, sagt Juliane Schiel. Beispielsweise sei so die Sklaverei im venezianischen Seereich gar nicht zu fassen gewesen, weil es zwar de facto Sklavinnen und Sklaven gab, de jure allerdings nicht. Ein weiter Begriff von Sklaverei, der alle Situationen umfasst, in denen Menschen zu Besitz bzw. Ware werden, sei zwar politisch oft sinnvoll, etwa, wenn es um moderne Formen der Sklaverei geht, analytisch aber sehr unscharf.
Vor Kurzem hat sich ein internationales Forschungsnetzwerk zum Thema „Arbeit und Zwang“ gegründet, dessen Vorsitzende Juliane Schiel ist. Es ist EU-gefördert, versammelt etwa 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit und hat im November 2019 seine Arbeit aufgenommen. Eines der Ziele des Netzwerkes ist es, eine globalhistorische Perspektive auf die verschiedenen Formen der Sklaverei zu entwickeln – von den Ursprüngen bis zur Gegenwart.
Katharina Gruber, ORF-Wissenschaft
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