Montag, 13. Januar 2020

Die digitale Revolution verschnauft.

aus nzz.ch, 13. 1. 2020

Unter der Überschrift Wie künstliche Intelligenz die Arbeitswelt umkrempelt schreibt Nicole Rütti in der heutigen Neuen Zürcher über eine zu beobachtende Verlangsamung bei der Ersetzung menschlicher Arbeit durch künstliche Intelligenz. 

...Die Diskrepanz zwischen den angeblich unbeschränkten Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und ihrem tatsächlichen Anwendungsgebiet ist jedenfalls gross – ebenso die Zurückhaltung der hiesigen Unternehmen. Laut einer Erhebung der Management-Consulting-Gruppe MSM Research ist für beinahe die Hälfte der Ende 2018 befragten Unternehmen in der Schweiz der konkrete Nutzen von KI-Lösungen nach wie vor nicht ersichtlich. Eine Knacknuss ist hierbei nicht zuletzt der Wissensmangel: 58% der Firmen nennen fehlendes internes Know-how als Hemmfaktor für die Einführung von KI-Technologien – noch vor hohen Kosten (33%) oder Sicherheitsaspekten (33%). Das Thema KI in seiner ganzen Tiefe und Bandbreite sei bei der Mehrheit der Unternehmen noch nicht wirklich angekommen, stellen die Autoren etwas konsterniert fest.

Ein Hauptgrund sind die (zumindest derzeit noch) begrenzten Möglichkeiten von Computern: Sie könnten zwar Milliarden von Berechnungen durchführen und Daten ohne Qualitätsverluste reproduzieren – doch sie hätten nach wie vor grosse Mühe, wenn es um die Bewältigung komplexer, mehrdeutiger Situationen gehe, führt Bohn vom Swiss Re Institute aus. Dies setze Kreativität und die Verknüpfung impliziter und expliziter Daten voraus. Auch bei der Entscheidungsfindung stösst die künstliche Intelligenz an Grenzen: Menschen wollen verstehen, warum eine Prognose eine hohe oder geringe Wahrscheinlichkeit hat und welche kausalen Effekte bei der Bestimmung der besten Massnahme ausschlaggebend sind. Im Gegensatz dazu ist das maschinelle Lernen darauf ausgerichtet, eine möglichst hohe Prognosequalität zu erreichen. So könne ein KI-Tool beispielsweise Unternehmen dabei helfen, die Mausklicks der Konsumenten für ihre Marketing-Kampagne zu optimieren, schreiben Wissenschafter des IMD Lausanne und der Universität Lausanne in ihrem Beitrag «KI-Arbeitswelt». Es erkenne aber möglicherweise nicht, ob jene Konsumenten mit einer hohen Klick-Wahrscheinlichkeit auch diejenigen seien, die ihre Produkte kauften. Unter Umständen handle es sich hierbei um eine falsche Zielgruppe. Eine weitere Hürde für den Einsatz künstlicher Intelligenz sei auch das Misstrauen der Menschen gegenüber der Technik. Wenn es zu Fehlern komme, verlören Betroffene schneller das Vertrauen in Algorithmen als in Menschen. 

Menschliche Arbeitskraft wird nicht überflüssig

Und welches sind die Folgen am Arbeitsmarkt? Sind nun tatsächlich rund 50% der Arbeitsplätze gefährdet, wie die vielzitierte Studie von 2013 der beiden Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne für die USA prophezeien? Neuere Erhebungen zeigen ein differenzierteres Bild: So gelangen die Berater von McKinsey anhand der Analyse von mehr als 2000 Arbeitstätigkeiten in über 800 Berufen zwar ebenfalls zur Erkenntnis, dass ungefähr die Hälfte der von den Arbeitnehmern ausgeführten Tätigkeiten von der Automatisierung betroffen sein könnten. Dies heisst aber nicht, dass in absehbarer Zeit ganze Berufsgruppen verschwinden werden. Wie die Experten einräumen, könnten mit den derzeitigen Technologien nur etwa 5% der Berufe vollständig automatisiert werden.

Mit anderen Worten: Die Automatisierung von Routinetätigkeiten ist in vollem Gange, und sie wird sich auf die Arbeitsweise zahlreicher Berufsgruppen auswirken – vom Schweisser über den Hypothekenmakler bis hin zum CEO. Beim Erstellen von Prognose wird die Technik des maschinellen Lernens den Menschen voraussichtlich ersetzen. Dort aber, wo menschliches Urteilsvermögen gefragt ist, ergänzt sie ihn. Überflüssig macht sie den Menschen nicht. 


Nota. - Kann menschliches Urteilsvermögen nicht ersetzen...

Da muss man aber unterscheiden. Kant beispielsweise hat zwischen ästhetischem und teleologischem Urteilsveremögen unterschieden: einem, das über die Angemessenheit von Mitteln und Zwecken urteilt, und einem, das zwischen an sich beifallswürdig und verwerflich unterscheidet. Das eine ist eine Sache der tech- nischen Korrektheit, das andere eine Sache der Zwecke selbst; nicht erst eine, die Zwecke selber zu beurteilen, sondern die, Zwecke überhaupt zu setzen.

Weshalb die Maschine, wenn sie überhaupt etwas lernen kann, nicht das Urteilen über die Angemessenheit von Mittel und Zweck sollte lernen können, ist nicht evident. Dass sie nichts selber erfinden (und dann auch beur- teilen) kann, liegt dagegen auf der Hand. Nicht auszuschließen ist, dass Maschinen spielen, nämlich "mit dem Zufall experimentieren" können - darauf beruhen alle Science-Fiction-Stories seit Kubricks Odysse im Welt- raum. Das wolln wir mal sehr hoffen, dass sowas nicht irgendwann in die industrielle Produktion eindringt! Aufgabe der Wissenschaft ist im Gegenteil, herauszufinden, wie man das unterbindet.
JE



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