Sehnen wurden vom Knochen geschnitten, die Schädel skalpiert
Rund tausend Menschen wurden um 5000 v. Chr. in der Pfalz Opfer brutaler ritueller Gewalt. Wurden hier Jäger von frühen Bauern massakriert? Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich um das Ergebnis eines verstörenden Kulturbruchs handelt.
Dass derartige Zusammenstöße keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der globalisierten Gegenwart sind, zeigt ein grausiger Fund, der seit 1996 bei Arbeiten auf einem Gewerbegebiet im südpfälzischen Herxheim südlich von Landau ans Licht kam: Systematisch zerbrochene und mit scharfen Steinklingen entfleischte Menschenknochen zeugen von einem blutigen Ritual, dem vor etwa 7000 Jahren schätzungsweise tausend wenn nicht mehr Menschen zum Opfer gefallen sind. Inzwischen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich um das Ergebnis eines verstörenden Kulturbruchs handelt, als Folge eines regelrechten „Clash of Cultures“.
„Wir sehen die Reste eines vermutlich einzigartigen Rituals mit Menschenopfern“, sagt Lhilydd Frank, Leiterin des Museums von Herxheim. Hier werden exemplarisch zahlreiche Knochen präsentiert. Daneben liegen die Scherben von Prunkbehältern in den Vitrinen, die die markanten linienbandkeramischen Verzierungen tragen, die der ersten bäuerlichen Kultur in Europa den Namen gegeben haben. Denn diese Bandkeramiker führten das Bündel der Neolithischen Revolution – Ackerbau, Sesshaftigkeit, Keramikherstellung, Domestizierung – mit sich, die sich seit etwa 7000 v. Chr. im Nahen Osten ausgebreitet hatte.
Von einem „europäisch einmaligen Fund“ spricht Lhilydd Frank. „Von den Tätern haben wir die Keramik, die uns entscheidende Einblicke gibt, aber sterbliche Überreste liegen nur von den Opfern vor.“ Denn neue Untersuchungen zeigen, dass die Toten von Herxheim offenbar nicht aus der Gruppe der Täter stammten.
„Naturwissenschaftlichen Analysen zufolge stammten die Opfer aus dem Mittelgebirge“, sagt Bettina Hünerfauth von der Außenstelle Speyer der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE). Mittelgebirge bedeutet etwa Vogesen oder Schwarzwald, Räume, in die sich die Gruppen der Jäger und Sammler zurückgezogen hatten, als die ersten Bauern aus Anatolien und dem Balkanraum nach Mitteleuropa gelangten. Genetische Untersuchungen zeigen, dass sich beide Gesellschaften kaum miteinander vermischt haben.
Machten Bandkeramiker also regelrecht Jagd auf diese Wanderer? „Wir werden es wohl nie mit Sicherheit wissen“, sagt die Archäologin. Klar sei aber, dass die Menschen innerhalb von maximal 50 Jahren getötet wurden. „Vielleicht auch innerhalb nur einen Jahres. Wir reden über ein unglaublich makaberes Ritual.“
Die Opfer wurden behandelt wie Tiere beim Schlachten
Es blieb nicht beim Töten. Die Opfer wurden behandelt wie Tiere beim Schlachten, beschreibt die Archäologin und GDKE-Projektleiterin Andrea Zeeb-Lanz den Befund. Akribisch wurden Fleisch und Sehnen vom Knochen geschnitten, auch die Augäpfel wurden entfernt und die Schädel skalpiert, dann wurden alle Knochen zusätzlich zertrümmert. Zahlreiche Schädeldächer wurden mit präzisen Schlägen abgetrennt, um als Gefäße für unbekannte Zeremonien zu dienen.
Allerdings widerspricht Zeeb-Lanz der These des französischen Anthropologen Bruno Boulestin, dass vor gut 7000 Jahren Linienbandkeramiker aus mehreren Regionen in Herxheim zusammenkamen, um in einem unbarmherzigen Ritual etwa 1000 Fremde aus einem „höheren Grund“ zu opfern und dann zu essen. Als Beleg verwies Boulestin auf die Spuren von Feuer an den Knochen. „Tatsächlich zeigen untersuchte Vorderzähne Brandspuren, aber die Backenzähne sind ebenfalls verbrannt. Das deutet eher darauf hin, dass der Kopf in diesem Moment kein Fleisch mehr trug“, meint dagegen Museumsleiterin Frank. „Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass in Herxheim Menschen am Spieß gebraten wurden.“
Die beiden Oberschenkelknochen weisen deutliche Schnittspuren auf
„Was wir anhand der Forschung sagen können, ist, dass verschiedene bandkeramische Kulturen damals zu einem Ritual zusammengekommen sind, das offensichtlich Menschenopfer beinhaltete. Dafür haben sie nicht ihre eigenen Gruppenmitglieder geopfert, sondern Fremde“, sagt Frank. Die Keramik deute darauf hin, dass dazu Menschen aus Gegenden von bis zu 400 Kilometern nach Herxheim kamen. „Das war damals ein enormer logistischer Aufwand. Die Leute mussten ja irgendwie von dem Ritual erfahren. Ohne Netzwerke und Kontakte konnte das nicht passieren.“
Für eine krisenhafte Zeit spricht auch die Klimageschichte. Das durchgehend warme Wetter in Europa wurde um 5000 v. Chr. von massiven Schwankungen mit trockenen Sommern und kälteren, feuchten Wintern abgelöst. Schlechte Ernten dürften Kämpfe um schwindende Ressourcen provoziert haben, die auch in der Sphäre der Religion geführt wurden.
Dass es zu jener Zeit zu erheblichen Konflikten gekommen ist, belegen auch die 34 Skelette, die 1983 bei Talheim in Baden-Württemberg entdeckt wurden. Auch sie zeugen von brutaler Gewalt, allerdings fielen die Menschen nicht einem Ritual zum Opfer, sondern kamen beim Angriff auf ein Dorf ums Leben. Dieses Massaker von Talheim ist Thema einer Ausstellung, die vom 31. Januar 2020 an im Museum von Herxheim zu sehen sein wird.
Nota. - Ohne die neolithische Revolution, die in Europa das Mitbringsel von Kolonisatoren war, hätte es keinen Fortschritt gegeben, kein Vernunftzeitalter, keine Menschenrechte. Doch aus der Nähe betrachtet, nimmt sie sich eher wie eine Katastrophe aus.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen