aus spektrum.de, 9. 4. 2020
Eine neue Keimzelle uralter Landwirtschaft
Mit
dem Ackerbau hat die Menschheit ihre Lebensweise fundamental verändert.
Doch die Kulturtechnik wurde mehrfach erfunden. Einen weiteren Hotspot
haben Archäologen in Bolivien entdeckt.
von Karin Schlott
Im
Grunde beruht das moderne Leben auf zwei rund 12 000 Jahre alten
Erfindungen: Ackerbau und Viehzucht. Diese »neolithische Revolution«,
das wissen Archäologen inzwischen, fand allerdings unabhängig
voneinander in mindestens vier verschiedenen Regionen der Welt statt: im
Nahen Osten, in China, in Mexiko und im Nordwesten des
südamerikanischen Kontinents. Nun beschreiben Forscher um Umberto
Lombardo von der Universität Bern im Fachblatt »Nature«,
dass auch in der Moxos-Ebene im Norden Boliviens Menschen vor rund
10 000 Jahren den Ackerbau erfunden hatten. Dafür hatten die
Vorkolumbianer einst hunderte Erdhügel angelegt, auf denen sie Kürbis,
Mais und Maniok anpflanzten.
Schon seit Längerem vermuten Genetiker,
dass sich in dieser Region eine Keimzelle der Landwirtschaft befunden
haben muss. So zeigten Erbgutanalysen: Moderne Nutzpflanzen wie
Kürbisse, Bohnengewächse (Canavalia plagiosperma), die Pfirischpalme (Bactris gasipaes) oder Chilis (Capsicum baccatum var. Pendulum)
ähneln den wilden Sorten in der Moxos-Ebene. Was bislang aber fehlte,
war der archäologische Nachweis für diese These, den Lombardo und sein
Team nun erbracht haben wollen. Schon zuvor haben sie in der Savanne der
Moxos-Ebene ungefähr 4700 auffällige Erdhügel kartiert und über
80 Stück davon genauer untersucht. Bei mehr als 60 Erhebungen stellte
sich heraus, dass sie künstlich angelegt worden waren. Der
wahrscheinliche Grund laut der Forscher: Einmal pro Jahr wird die Ebene
überschwemmt. Die Hügel bleiben dann aber über Wasser, Pflanzen können
auf ihnen gedeihen.
Waldinseln von oben | In der Moxos-Ebene in Bolivien
haben Archäologen zirka 4700 künstlich aufgeschüttete Erdhügel kartiert.
Im frühen Holozän hatten die Menschen dort Landwirtschaft betrieben.
Inzwischen haben der Schweizer Geograf und seine Kollegen
Proben aus drei Dutzend der Hügel genommen und mit Hilfe der
Radiokarbonmethode datiert. Offenbar waren die ersten Waldinseln vor
rund 10 000 Jahren aufgeschüttet worden. Aus den Proben extrahierten die
Wissenschaftler auch Phytolithen.
Das sind winzige Überreste von Pflanzen, die aus Kieselsäure bestehen.
Lombardo und sein Team haben die Mikrofossilien analysiert und einige
Arten von gezüchteten Pflanzen bestimmt: »Wir konnten zeigen, dass das
früheste Alter für Maniok im Amazonas 10 350 Jahre ist, für Kürbis
10 250 Jahre und für Mais 6850 Jahre.« Daraus folgt nach Ansicht der
Forscher, dass die Menschen im Südwesten des Amazonas 8000 Jahre früher
als bislang angenommen Pflanzen kultivierten.
In der Alten Welt
begannen Menschen vor ungefähr 10 000 bis 12 000 Jahren, Feldbau und
auch Viehzucht zu betreiben. Genetische Studien haben gezeigt, dass im
Nahen Osten, in der Region des so genannten Fruchtbaren Halbmonds, diese Erfindungen in zwei Regionen gemacht wurden: in der südlichen Levante und im Zagros-Gebirge (heute Iran).
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