Mittwoch, 29. April 2020

Gerettet wird, wer fällig ist.


Es ist ja wahr, wenn heute ein Intensivbett mit Lungenmaschine von einem Achtzigjährigen in Beschlag genommen wird, rettet das vielleicht einen, der sowieso nur noch ein, zwei Jahre zu leben hatte; und setzt in die Warteschleife einen, der noch sein halbes Leben vor sich hat. Aber Politik ist keine mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die wäre hier auch gar nicht am Platze. Ob der Achtzigjährige nicht noch Chancen hätte, die Hundert voll zu ma-chen, und ob der Jüngere nicht drei Wochen später bei einem Verkehrsunfall draufgeht, wer will das wissen? Ein Politiker ja wohl nicht.

Aber ob die zwei, drei Jahre, die der Achtzigjährige vielleicht nur noch vor sich hat, weniger wert wären als das halbe Leben des Jungen, darf ein Politiker gar nicht erst wissen wollen - weil es jenseits seiner Zuständigkeit liegt. Einer, der ein öffentliches Amt bekleidet und das nicht weiß, gehört aus dem Tempel gehauen. Es ist nicht bloß eine Sache der Wortwahl, es ist ein Sache der Kompetenz.

PS. Ich darf das auch sagen, wenn ich
längst schon zur Risikogruppe gehöre.

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Mit Schäubles diesbezüglichen Einlassungen ist es ganz was anderes. Das Recht auf Leben wird durch das Strafge-setz verbürgt; Menschenwürde und Freiheit der Person sind verfassungsmäßige Grundwerte. Da können sich Kon-flikte ergeben, die dazu nötigen, das eine gegen das andere abzuwägen. Die Frage ist freilich, wer da abzuwägen hat. Im Zweifelsfall sind es die Ärzte, die haben ihren Eid geleistet und sind, anders als die Politiker, wirklich nur ihrem Gewissen verantwortlich. Doch auch sie haben nicht dieses Leben gegen das andere zu gewichten. Ihre Maßstäbe sind wie ihr Risiko medizinischer Natur. Demographische Gesichtspunkte gehören nicht dazu, von arbeitsmarkt-politischen ganz zu schweigen, Herr Palmer!


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