Samstag, 31. Juli 2021

Wer war Hammurabi?

Die 1902 in Susa gefundene Gesetzesstele des Hammurapi wird heute im Louvre aufbewahrt. aus FAZ.NET, 18. 7. 2021                                  Die 1902 in Susa gefundene Gesetzesstele des Hammurapi

Fragen an die Bronzezeit: Wer war Hammurapi?
Noch Jahrhunderte nach seiner Regierungszeit galt er als weise und gerecht. Seine Bestrafungspraxis formte das alte Babylon. Der Altorientalist Stefan Maul beantwortet Fragen zu Hammurapi und seiner Zeit.

Hammurapi war ein kluger, ausgefuchster Machtpolitiker, der im 18. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung mehr als 40 Jahre lang als König von Babylon regierte. Unter seiner Führung stieg sein kleines, im Süden des heutigen Bagdad am Euphrat gelegenes Königreich zu einer Großmacht auf, die große Teile des Vorderen Orients beherrschte.

Der altorientalischen Nachwelt galt Hammurapi bis zum Untergang der Keilschriftkultur um die Zeitenwende als einer der größten Könige, nicht nur wegen seiner umfangreichen Eroberungen, sondern auch, weil er sich mit seiner als „Kodex Hammurapi“ bekannt gewordenen Sammlung von „Rechtssprüchen“ den Ruf des Weisesten und Gerechtesten aller Herrscher erworben hatte, der allen Menschen, auch den Armen und Schwachen, Gerechtigkeit widerfahren ließ.

In vielen originalen Keilschriftquellen, in Briefen und Dokumenten, die auf uns gekommen sind, können wir in Hammurapi einen Herrscher erkennen, der sich bis in kleinste Details um die Rechtsangelegenheiten seiner Untertanen kümmerte. Das babylonische Motiv des gerechten Königs lebt wohl in der biblischen Tradition vom „weisen Salomo“ fort. (Stefan Maul)

Was bedeutet der Name „Hammurapi“ (oder „Hammurabi“)?

Stefan Maul: Der Name Hammurapi ist kein babylonischer, sondern ein westsemitischer Name, der soviel wie „Die Gottheit Hammu ist ein Heiler“ bedeutet. „Hammu“ ist eigentlich die Bezeichnung des Onkels väterlicherseits. Der „Hammu“ genannten Gottheit wurde die Eigenschaft zugeschrieben, so wie der Onkel über den Neffen, über seinen Schützling zu wachen. Hammurapis Vorfahren stammten aus dem syrisch-palästinischen Raum und tragen daher, so wie auch die Nachfolger Hammurapis, westsemitische Namen.

Welche Schrift fand zu Hammurapis Zeit Verwendung? Wer beherrschte diese?

Zur Zeit des Hammurapi, im 18. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, beschrieb man im Vorderen Orient Täfelchen aus noch formbarem Ton mit einem Rohrgriffel. Da die dabei entstehenden Eindrücke Keilform aufweisen, spricht man von der Keilschrift. In den Jahrhunderten vor Hammurapi war aus dem recht komplizierten, im ausgehenden vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstandenen Keilschriftsystem eine Schrift entstanden, die mit weniger als hundert Zeichen auskam und daher leicht zu lernen und zu lesen war.

Konnte Hammurapi seinen Namen schreiben?

Wir verfügen zwar über keine Dokumente, von denen wir mit Gewissheit sagen können, dass Hammurapi sie persönlich schrieb. Aber wir kennen Hunderte in seinem Namen verfasste Briefe, in denen auch davon die Rede ist, dass Hammurapi Akteneinsicht über bestimmte Dinge verlangte. Es ist daher so gut wie sicher, dass er lesen und damit wohl auch schreiben konnte.

In welcher Zeitrechnung lebte Hammurapi selbst? Wonach richtete sie sich?

In der Zeit des Hammurapi pflegte man jedem Jahr einen Namen zu geben und zitierte dementsprechend zurückliegende Jahre. Man war der festen Überzeugung, in einer viele Jahrtausende alten städtischen Hochkultur zu leben.

Wie sah Hammurapis Weltbild aus, welcher Religion hing er an?

Die Babylonier hielten ihre Kultur nicht nur für die älteste und am höchsten entwickelte der Menschheit, sondern glaubten auch, dass Babylon im geographischen Mittelpunkt der irdischen Landmassen liege und zur Weltherrschaft bestimmt sei. Sie verehrten eine Vielzahl von Göttern, die jeweils die Kräfte der kosmischen Regionen (Himmel, Erde, Unterwelt), der Gestirne (Mond, Sonne, Venusstern), von Wind und Wetter, Liebe, Krankheit und Tod verkörperten. In jeder großen babylonischen Stadt wurde eine dieser Gottheiten ganz besonders verehrt. In Babylon war es Marduk, der babylonische Reichsgott und Götterkönig, dem der riesige Haupttempel der Stadt geweiht war, zu dem auch der sogenannte Turm von Babel gehörte.

Astrologische Tafel mit Keilschrift sowie der Darstellung einer Frau, eines Raben und eines Sterns
Astrologische Tafel mit Keilschrift sowie der Darstellung einer Frau, eines Raben und eines Sterns

Über welche Erkenntnisse verfügten die Mathematik und Astronomie seiner Zeit in seiner nächsten Umgebung?

Vor allem die Mathematik war hochentwickelt. Aus der Zeit des Hammurapi kennen wir zahlreiche hochkomplexe mathematische Rechenaufgaben, bestimmt für die Gelehrtenausbildung, die sogar mit dem Prinzip arbeiten, das später als der „Satz des Pythagoras“ bekannt wurde. Auf der Grundlage der weitentwickelten Mathematik entstand in den Jahrhunderten nach Hammurapi die rechnende Astronomie, die im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die beobachtende Astronomie nach und nach ergänzte und ersetzte.

Mathematische Kenntnisse waren im Umfeld des Königs unverzichtbar. Denn große Bauprojekte, das reibungslose Funktionieren von flächendeckenden Bewässerungsstrukturen und die mit der Nahrungsproduktion und -verteilung entstehenden Planungsarbeiten waren nur dann von Erfolg gekrönt, wenn die damit verbundenen logistischen Aufgaben zuvor mit rechnerischen Mitteln modelliert worden waren.

Was vermochte die Heilkunde der Zeit?

Die Heilkunde der Zeit Hammurapis war hochentwickelt. Keilschrifttexte zeigen, dass Samen, Blätter, Wurzeln und Früchte von zahlreichen Arzneipflanzen, von Mineralien und tierischen Produkten zu Tränken, Pillen und Einläufen, zu Tampons und Zäpfchen, zu Salben, Pflastern und Kompressen, zu Räucher- und Gurgelmitteln und zu Badezusätzen verarbeitet und zur Heilung einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt wurden. Es galt nicht nur in einem Studium profundes Wissen um Arzneipflanzen und ihre Wirkung zu erwerben. Ein mesopotamischer Heiler der Hammurapi-Zeit musste in einem sakramental zu nennenden Akt auch den „bösen Kräften“ mit dem heiligen Wort göttliche Macht entgegensetzen und den erkrankten Menschen mit seinem Göttern wieder versöhnen können.

Welche Rolle spielten Wahrsager?

Hammurapi und alle Fürsten seiner Zeit scharten Fachleute um sich, die den Göttern dargebrachte Opfer genau prüften, um darin Zeichen göttlichen Wohlwollens oder göttlichen Unmuts zu erkennen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der Leber eines Opfertiers. Man war der festen Überzeugung, ein bestimmter Abschnitt auf der in zwölf Bereiche eingeteilten Leber liefere Zeichen, die Auskunft über zukünftige ökonomische Erfolge oder Fehlschläge geben konnten, während jeweils andere Segmente des Organs für die Zeichendeuter von Relevanz waren, wenn es beispielsweise um den Palast, die Sicherheit des Königs, die Versorgungslage des Landes oder um militärische Angelegenheiten ging. Die Eingeweideschau entwickelte sich zu einer komplizierten „Wissenschaft“ mit Tausenden von Regeln, die lange studiert werden mussten. Um eine Entscheidungshilfe zu erhalten, verbanden Gremien, die militärische Angelegenheiten oder Personalentscheidungen berieten, Tieropfer mit ganz spezifischen, anderweitig nicht zu klärenden Fragen, die man den Göttern gemeinsam mit dem Opfer vorlegte. Der aus den Eingeweiden herausgelesene „göttlichen Antwort“ kam hohe Autorität zu, die nicht ohne weiteres ignoriert werden konnte. Die Astrologie gewann in diesen Kontexten erst Jahrhunderte nach Hammurapi an Bedeutung.

Wie fand Nachrichtenübermittlung statt?

Hammurapi verfügte, wie alle Fürsten seiner Zeit, über eine Schar von Boten und Schnellläufern, die in kurzer Zeit keilschriftliche Briefe von einer Stadt in die andere und bis in den Iran, das heutige Syrien oder die Türkei expedierten. Sie wurden mit spezieller Nahrung und mit eigens für sie angefertigtem Schuhwerk ausgestattet. Die Tagesstrecken, die sie zurückzulegen hatten, waren genau festgelegt.

Wohin ging man aus?

Im Kodex Hammurapi ist die Rede von Schankwirtschaften, in denen man trinken, spielen und sich vergnügen konnte. Es war üblich, zum Monatsanfang dort ein Abonnement auf eine bestimmte Menge Bier zu erwerben, das im Laufe des Monats abgetrunken werden konnte.

Dieses königliche Spielbrett aus Ur stammt bereits aus dem Zeitraum von 2600 bis 2400 vor unserer Zeitrechnung.
Dieses königliche Spielbrett aus Ur stammt bereits aus dem Zeitraum von 2600 bis 2400 vor unserer Zeitrechnung.

Gab es Schulen?

Selbstverständlich gab es Schulen. Kaufleute, Heiler, Eingeweideschauer, Priester und Verwaltungsbeamte richteten in ihren Häusern Unterrichtsstätten ein, in denen zunächst der keilschriftliche Elementarunterricht erteilt und dann weiteres berufsspezifisches Fachwissen vermittelt wurde. Die Ausbildung eines Gelehrten konnte viele Jahre dauern und die Lernerfolge mussten in regelmäßigen Examina nachgewiesen werden. Zahlreiche Schriftzeugnisse von Schülern und Studenten blieben erhalten.

Welches waren die größten Rätsel der Zeit?

Zeichendeuter und Eingeweideschauer waren sich sicher, dass sich in der gesamten Umwelt, im gestirnten Himmel und eben auch auf der Leber eines geschlachteten Opfertiers Hinweise finden ließen, die Rückschlüsse auf Zukünftiges zulassen. Die Gesetzmäßigkeiten der Zeichenhaftigkeit der Welt offenzulegen und in ganz unterschiedlichen Systemen wiederzuerkennen, war eines ihrer großen Forschungsziele. Die in Mesopotamien entstehende rechnende Astronomie ist ebenso ein Ergebnis dieser „Wissenschaft“ wie die bis heute wirkmächtige mesopotamische Astrologie sowie die heute vollkommen obsolet erscheinenden komplexen Lehren der Eingeweideschau.

Die Ruinen der Stadt Babylon, hundert Kilometer südwestlich des heutigen Bagdad
Die Ruinen der Stadt Babylon, hundert Kilometer südwestlich des heutigen Bagdad

Was prägte die Architektur der Zeit?

Wer sich von Ferne einer mesopotamischen Stadt der Hammurapi-Zeit näherte, muss beeindruckt gewesen sein von den mächtigen Festungswerken, mit denen sie gesichert war. Weit über die Stadtmauer mit Wall- und Grabenanlage ragten die riesigen Königspaläste und Tempel hervor. Zu den großen Tempeln gehörte auch ein hoher Stufenturm, geprägt von einer Treppenanlage, die bis in den Himmel zu reichen schien. Der sich auf einer Grundfläche von etwa hundert mal hundert Meter erhebende Tempelturm von Babylon war, zumindest im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, nahezu hundert Meter hoch.

Wie verbreitet waren Schulden?

Schulden sind eines der ganz großen Wirtschaftsprobleme der Zeit des Hammurapi. Viele Menschen konnten ihr alltägliches Leben unter normalen Umständen durchaus bestreiten, sahen sich aber im Fall von Teuerungen, Ernteausfällen und dergleichen gezwungen, Kredite aufzunehmen. Konnten sie diese nicht zurückzahlen und hatten keine andere Sicherheit zu bieten, mussten sie ihre Schuld durch Arbeitsleistung bestreiten. Dies führte immer häufiger zur sogenannten Schuldknechtschaft, einem Zustand, in dem eine Person sich verkaufen musste und nicht mehr über sich selbst verfügen konnte. Da dies die Volkswirtschaft in ungebührendem Maße lähmte, erfahren wir in dem Zeitalter des Hammurapi immer wieder von generellen Schuldenerlassen, mit denen ein König dieses Problem aus der Welt zu schaffen versuchte.

Keilschrifttafel mit der Flächenberechnung eines Grundstückes in Umma, Mesopotamien.
Keilschrifttafel mit der Flächenberechnung eines Grundstückes in Umma, Mesopotamien.

Wie groß waren die Unterschiede zwischen Arm und Reich?

Ein beachtlicher Teil der babylonischen Gesellschaft dürfte gerade einmal genug zum Leben besessen haben. Die Wohlhabenden und Reichen gab es freilich auch, wenngleich ihre Zahl erheblich geringer gewesen sein dürfte.

Wie war der Staat unter Hammurapi aufgebaut?

Hammurapi hatte im Lauf seiner Regierungszeit eine ganze Reihe kleinerer Königreiche erobert und annektiert. Durch persönliches Engagement und den Versuch, ein gerechteres System zu etablieren, ist es ihm gelungen, auch in den eroberten Gebieten als rechtmäßiger Herrscher anerkannt zu werden. In zahlreichen erhaltenen Briefen sehen wir, wie sich der König persönlich um die Rechtsprechung in vielen Einzelfällen bemühte, die vor ihn gebracht wurden. In den eroberten Gebieten betraute er fähige Personen seines Vertrauens mit der Verwaltung, hielt engen Kontakt mit ihnen und war jederzeit bereit, auch persönlich zur Konfliktlösung beizutragen. Aber schon unter seinem Sohn und Nachfolger Samsuiluna begann das Reich des Hammurapi auseinanderzubrechen.

Drei Widder auf einem von zwei Dämonen getragenen Sockel aus Bronze, Gold und Silber  – die Skulptur aus der Zeit von 2000 vor unserer Zeitrechnung diente wohl als Stütze von einem Altar oder Opfertisch.
Drei Widder auf einem von zwei Dämonen getragenen Sockel aus Bronze, Gold und Silber – die Skulptur aus der Zeit von 2000 vor unserer Zeitrechnung diente wohl als Stütze von einem Altar oder Opfertisch.

Welches waren die bedeutendsten Wertgegenstände?

Neben Gegenständen aus den kostbaren Materialien Gold, Silber und edlen Steinen waren luxuriöse Möbel und Gefährte sehr begehrt.

Welche Rohstoffe fehlten?

In der Schwemmlandebene Mesopotamiens gibt es weder Stein noch Metallvorkommen. Auch Bauholz, das aus hohen Bäumen gewonnen werden muss, ist dort nicht verfügbar und muss importiert werden. Mesopotamien ist auf den Import dieser Rohstoffe zwingend angewiesen, und holte sie sich, wenn der Handel dies nicht hergibt, im Zweifelsfalle mit Gewalt.

Welche Importwaren erfreuten sich besonderer Beliebtheit?

Edler Schmuck, Gold- und Silbergeschirr und elfenbeinverzierte Möbel. Freilich wurde auch ein guter Wein sehr geschätzt.

Was wurde exportiert?

In den Nachbarländern Mesopotamiens waren kostbare Textilien aus dem Zweistromland ganz besonders beliebt.

Wie weit reichten Import und Export?

Mesopotamische Waren gelangten nach Ägypten, Syrien und Palästina, in die heutige Türkei, den Iran, nach Afghanistan und weiter.

Kopf eines Königs, möglicherweise Hammurapis, aus Dioritstein – 1790 bis 1750 vor unserer Zeitrechnung.
Kopf eines Königs, möglicherweise Hammurapis, aus Dioritstein – 1790 bis 1750 vor unserer Zeitrechnung.

War Hammurapi verheiratet? Mehrfach? Welchen Stellenwert hatte die Hochzeit?

Selbstverständlich war Hammurapi verheiratet. Eine der ganz wichtigen Pflichten eines Königs liegt ja darin, für das Fortbestehen seiner Dynastie zu sorgen. Dies ist Hammurapi gelungen. Freilich wissen wir über seine Frau(en) leider nichts. Andere Könige seiner Zeit hatten eine Haupt- und eine ganze Reihe von Nebenfrauen.

War Hammurapi Wein- oder Biertrinker?

Auch über Hammurapis Trinkgewohnheiten haben wir keine Nachrichten. Obgleich Babylonien keine eigene Weinkultur besaß, wurde der Wein dort (und natürlich ganz besonders an den Königshöfen) sehr geschätzt und aus Syrien oder der nördlichen Türkei importiert. Jedoch hat das Biertrinken im Zweistromland, aus dem wir bereits aus dem vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung Zeugnisse über die Bierproduktion besitzen, einen hohen Stellenwert. Es wurde nicht nur zu geselligen und festlichen Anlässen gereicht. Es war erheblich keimfreier als das aus dem Fluss geschöpfte Wasser und zählte schon aus diesem Grund zu den unverzichtbaren Grundnahrungsmitteln.

Wie viele Sprachen beherrschte Hammurapi?

Darüber wissen wir gar nichts. Hammurapi dürfte aber, so wie andere Könige seiner Zeit, über einen Stab von Dolmetschern verfügt haben, um mit den Repräsentanten der umliegenden Staaten verhandeln zu können.

Die 1902 in Susa gefundene Gesetzesstele des Hammurapi wird heute im Louvre aufbewahrt.
Die 1902 in Susa gefundene Gesetzesstele des Hammurapi wird heute im Louvre aufbewahrt. 

Wie kam der massive Diorit für die Stele, auf der der Kodex Hammurapi eingemeißelt wurde, in die steinarme Gegend Babylons?

Wie alle anderen Steine musste auch der Dioritblock, aus dem die Stele des Hammurapi gefertigt wurde, importiert werden. Der Stein dürfte aus den Gebirgen, die den Persischen Golf umgeben, stammen und auf dem Wasserweg nach Mesopotamien gebracht worden sein. Das ungeheuer harte Material wurde ganz bewusst gewählt. Denn es ist nicht einfach, eine Inschrift auf Diorit zu zerstören. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Inschrift über viele Jahrhunderte erhalten bleiben würde, war sehr groß und hat sich im Fall des Kodex Hammurapi ja auch bewahrheitet.

Inwiefern erneuerte Hammurapi die Rechtsprechung?

Die Sammlung von nahezu 300 „Rechtssprüchen“, die Hammurapi – versehen mit einem Prolog und einem Epilog – auf steinerne Stelen meißeln und in den Städten seines Reiches aufstellen ließ, umreißt exemplarisch die Form gerechter Herrschaft, die nach langen Jahren der Wirren und des Krieges eine neue und dauerhafte Zeit des Friedens begründen sollte. Die geschickt ausgewählten Rechtssätze zeigen beispielhaft, wie die öffentliche Ordnung gewahrt und wie im privaten Bereich komplizierte vermögens-, familien- und erbrechtliche Streitangelegenheit gelöst werden sollen. Hammurapi ist nicht der erste altorientalische König, der eine Sammlung von Rechtssprüchen veröffentlichte, auch wenn der Kodex Hammurapi der weitaus längste Text dieser Art ist, und auch die Rechtssprüche des Hammurapi sind einer schon lange zuvor bestehenden Tradition verpflichtet. Vergleichbare Texte kennen wir bereits aus dem 21. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Nach einer zermürbenden Zeit der Bürgerkriege wollte Hammurapi, als er Mesopotamien zu einem einzigen Reich geeint hatte, „wie der Sonnengott den Menschen aufgehen, um dem Land das Licht zu bringen“ sowie „Gerechtigkeit ... aufscheinen lassen, den Schlechten und den Bösen zugrunde richten, damit der Starke dem Schwachen keinen Schaden mehr zufügen kann“. In den bedeutenden Städten des Reiches aufgestellt sollten die Stelen mit den Rechtssprüchen des Königs nicht nur Hammurapis Zeitgenossen, sondern auch allen nachfolgenden Generationen die Möglichkeit eröffnen, an der weisen Rechtsordnung des Königs teilzuhaben. Der, dem Unrecht widerfahren war, sollte – so ist es in der Steleninschrift explizit gesagt – „die kostbaren Worte“ des Königs auf der Stele „nachlesen“ und erleichtert „aufatmen“ können, wenn er sich durch die Rechtssprüche des Hammurapi Klarheit über seine Rechtslage verschafft hatte. In dem jungen, mit Gewalt gefügten babylonischen Reich sollte eine Herrschaft, die darum bemüht ist, bedingungslos das Recht aller zu respektieren, helfen, auch in den eroberten Gebieten die Macht des neuen Königs zu festigen.

Wie wurde Ehebruch bestraft?

Wie der Mord, falsche Beschuldigung und Falschaussage in einem Mordprozess war auch der in flagranti ertappte Ehebruch mit der Todesstrafe belegt. Falls der Betrogene dies jedoch nicht einforderte, musste er den Ehebrecher mit dem Leben davonkommen lassen.

Die Stele des Hammurapi ist auch auf der Rückseite mit Keilschrift übersät.
Die Stele des Hammurapi ist auch auf der Rückseite mit Keilschrift übersät

Welches war die höchste Strafe?

Die höchste Strafe ist die Todesstrafe, die übrigens auch für schwere Eigentumsdelikte vorgesehen war. In diesem Zusammenhang sollte man aber wissen, dass die Stadtverwaltung dazu verpflichtet war, einen durch Diebstahl zustande gekommenen Schaden zu ersetzen, falls der Dieb nicht gefunden werden konnte. So galt im Alten Orient ein Diebstahl grundsätzlich nicht als Schädigung des Einzelnen sondern als Schaden, der der Gemeinschaft der Menschen zugefügt worden war.

Welche Rechte besaßen Sklaven?

Im Alten Orient war Versklavung zum einen die Folge von Kriegsgefangenschaft, zum anderen das Ergebnis von Strafrechtsprozessen, die aufgrund von nicht tilgbaren Schulden die Schuldknechtschaft verhängten. Der Besitzer eines solchen Sklaven besaß über ihn die volle rechtliche Verfügungsgewalt. Freilich hatte er nicht das Recht, ihn zu töten. Das Eigentumsrecht des Herrn war rechtlich geschützt, Sklavenhehlerei und Fluchthilfe standen unter Strafe. Schuldsklaverei versuchte man staatlicherseits durch Generalschuldenerlasse einzuschränken.

Wie war die Frau rechtlich gestellt?

In der Zeit Hammurapis besaß eine Frau die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit, sofern diese nicht durch das patriarchalisch geprägte Eherecht eingeschränkt war. In den zahlreichen uns erhaltenen Rechtsurkunden treten daher vor allem geschiedene Frauen, Witwen und Nonnen als Rechtssubjekte auf. Bei der Eheschließung, die nur Gültigkeit besaß, wenn darüber ein schriftlicher Vertrag aufgesetzt wurde, hatte der Mann seiner Frau ein urkundlich beglaubigtes Vermögen zu überreichen, das der Frau als Sicherung im Falle des Todes ihres Ehemanns dienen sollte. Die vom Brautvater geleistete Mitgift verblieb im Fall der Scheidung oder des Todes des Ehemanns bei der Frau. Die Ehescheidung konnte in der Regel nur der Mann veranlassen. Dabei wurde die Mitgift zurückgegeben und je nach Sachlage ein Scheidegeld gezahlt beziehungsweise die Frau mittellos verstoßen, wenn sie schuldig gesprochen wurde. Wenn sich eine Frau scheiden lassen wollte, musste sie ehewidriges Verhalten ihres Mannes nachweisen können.

Plastik eines Betenden, möglicherweise Hammurapi – Bronze und Gold
Plastik eines Betenden, möglicherweise Hammurapi – Bronze und Gold

Wurden Hammurapis Gesetze befolgt (in seinen Briefen wirkt er viel pragmatischer als im Kodex)?

Im Kodex Hammurapi werden – in kasuistischer Form – in erster Linie besonders schwierige Fälle behandelt, die begründete Abweichungen oder Ergänzungen zu den gültigen Rechtsnormen darstellen. Die „Rechtssprüche“ exemplifizieren nicht zuletzt für Sonderfälle die allgemein bekannten und akzeptierten Rechtsnormen. Ein Sich-Berufen auf gesetzliche Bestimmungen war deshalb in der Hammurapi-Zeit nicht üblich und auch nicht notwendig. So überrascht es wenig, dass sich in den erhaltenen Rechtsurkunden der Hammurapi-Zeit keine eindeutigen Hinweise darauf finden, dass man sich explizit auf die Rechtssprüche des Königs berief. Allerdings zeigen nicht wenige dieser Urkunden, dass Richter und Gerichte ihre Urteile tatsächlich im Sinne der Regelungen des Kodex Hammurapi fällten, die namentlich für Schulung und Ausbildung von Richtern und hohen Verwaltungsbeamten von größter Bedeutung waren.

Wie lange galten Hammurapis Gesetze?

Die Rechtssprüche des Hammurapi wurden bereits zu Lebzeiten des Königs in Tontafelabschriften weitverbreitet und von angehenden Richtern und Juristen immer wieder studiert. Es war Hammurapis Wille, dass man in seinen Rechtssprüchen schon bald einen zwar mit seinem Namen verbundenen aber doch zeitlosen Entwurf umfassender Gerechtigkeit sehen würde, der zukünftigen Generationen zum Maßstab einer gerechten Ordnung dienen und – unabhängig von den jeweiligen, möglicherweise unerfreulichen Umständen der Zeit – die Möglichkeit eröffnen sollte, den Mächtigen vorzuhalten, wie denn ein wahrhaft gerechter König entscheiden müsste. Das in der Stele niedergelegte Vermächtnis des Hammurapi will, dass „für alle Zeiten“ die Könige, die kommen und gehen, „die Worte der Gerechtigkeit, die ich auf diese Stele geschrieben habe, wahren“, und nach dem Vorbild Hammurapis, angeleitet durch den Text der Stele, Recht schaffen, indem auch sie „aus ihrem Land den Schlechten und den Bösen herausreißen (und so) für das Wohl der ihnen anempfohlenen Leute sorgen“. Dieser Wunsch des Hammurapi ist insofern in Erfüllung gegangen, als sein Kodex über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder abgeschrieben, studiert und bewundert wurde. Die jüngsten uns bekannt gewordenen Abschriften stammen aus dem fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.

Was war wohl der größte Moment in Hammurapis Leben?

Brief Hammurapis an einen hohen Beamten
Brief Hammurapis an einen hohen Beamten 

Hammurapi hat insgesamt 43 Jahre lang regiert. Als er den Thron bestieg, war er der Herr eines vergleichsweise kleinen Reiches im mittleren Mesopotamien. Von seinem 30. Regierungsjahr an, begann er – zunächst mit wechselnden Verbündeten – in dem von Bürgerkriegen zerrütteten Mesopotamien einen Staat nach dem anderen zu belagern und zu erobern. Als er schließlich auch noch seine wichtigsten Verbündeten angriff und es ihm gelang, Babylonien unter seiner Führung zu einen, dürfte sich Hammurapi auf dem Höhepunkt seines Lebenswegs gesehen haben. In ihm muss sich nach und nach der Eindruck verfestigt haben, dass seine zielstrebige Eroberungspolitik nur deshalb von so großem Erfolg gekrönt war, weil in ihr sich ein göttlicher Heilsplan erfüllte. Hammurapi ließ daher verkünden, er sei von den Mächten des Himmels berufen, das verkommene Land in ein neues und besseres Zeitalter zu führen. Wie es scheint, hat er diesen Auftrag ernst genommen und tatsächlich versucht, „das Wohl der Leute“ wiederherzustellen, ihnen „sichere Stätten“ zu verschaffen und ihnen ein „Herrn zu sein, der wie ein leiblicher Vater für sie da ist“. Nach den langwährenden Bürgerkriegen, gelang es ihm tatsächlich, eine Friedenszeit einzuleiten, so dass die „Einwohner der Ortschaften auf grüner Aue lagern“ konnten. Darin liegt gewiss der größte Verdienst dieses Königs.

Sein größter Fehler?

Hammurapi hat es nicht vermocht, seine Nachfolge so zu regeln, dass die Einheit Mesopotamiens dauerhaft erhalten blieb.

Worin ist Hammurapi den Menschen im 21. Jahrhundert besonders nah?

In seinem Kodex verleiht Hammurapi seinem Wunsch Ausdruck, dass sein Wort dauerhaften Bestand haben und eine Autorität entfalten möge, der sich alle nachfolgenden Könige – wenn sie nur klug sind und über Intelligenz und Führungsqualitäten verfügen – freiwillig beugen. Wie Hammurapi selbst, der für sich in Anspruch nahm, dass ihm der Gott der Gerechtigkeit, „(unbestechliche) Rechtschaffenheit verliehen“ habe, sei diesen Fürsten Erfolg beschieden. Doch denjenigen, der Hammurapis Wort nicht achtet, es tilgt oder verdreht, sei er nun ein König oder eine beliebige andere Personen – so das in der Stele niedergelegte Vermächtnis – sollen alle schlimmen Flüche von Himmel und Erde treffen. Hammurapi sagt damit in den blumigen Worten des Alten Orients, dass Recht und Gerechtigkeit zeitlos sind und auch ein Herrscher sich den Regeln der Gerechtigkeit zu unterwerfen habe. In dieser Haltung ist er unserem Zeitalter besonders nahe.

Geriet Hammurapi in Vergessenheit?

Mit dem Untergang der Keilschriftkultur geriet auch Hammurapi in Vergessenheit. Der Ruhm des weisen und gerechten Königs lebte allerdings in der biblischen Gestalt des „weisen Salomo“ weiter.

Welche Erkenntnisse über Hammurapi und seine Zeit sind noch zu erwarten?

Da sich Tontafeln, seien sie gebrannt oder ungebrannt, über Jahrtausende hinweg mehr oder minder unbeschadet erhalten können, ist es durchaus möglich, dass in Zukunft weitere wichtige Erkenntnisse über Hammurapi und seine Zeit gewonnen werden. Der Grundwasserspiegel in Babylon, seiner Hauptstadt, liegt so hoch, dass bis heute die Siedlungshorizonte, die seiner Epoche angehören, nicht ergraben werden konnten. Dies mag sich irgendwann in der Zukunft ändern. Sollte man dann auf den Palast des Hammurapi mit keilschriftlichen Archiven und Bibliotheken stoßen, müssten wir wohl unser Bild von diesem großen altorientalischen König ergänzen und in manchen Teilen vielleicht auch modifizieren.

Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus

 

Nota. - Ist Prof. Maul Historiker oder Liebhaber? Manches klingt wie Märchenerzählung

Ich habe inzwischen eine Menge Artikel zur Geschichte aus der Welt reproduziert. In keinem Fach sind populärwissenschaftliche Darstellungen so heikel wie in der Geschichte. Die Welt hat sich darangetraut in einer Zeit, wo jedes unkorrekte Wort einen Sch...sturm auslöst, und hat sich nach meinem Eindruck dabei recht wacker geschlagen. Ich hoffe, das Heutige bleibt eine Ausnahme.

JE

Freitag, 30. Juli 2021

Catch me if you can.

Betrüger können jederzeit alles verlieren Quelle: imago images 

aus wiwo.de, 27. 7. 2021                                                 Frank Abagnale (hier gespielt von Leonardo DiCaprio)

Reden ist Silber, Unfug reden ist Gold
Wer überzeugenden Bullshit erzählt, wirkt schlauer auf andere. Eine Studie aus Kanada zeigt aber auch: Intelligente Menschen nutzen ihre Fähigkeit zum Unsinn reden seltener.

von Tristan Heming

Wie begehrenswert charmante Flunkerer sein können, ist der Welt spätestens seit Frank Abagnale bekannt. Der Möchtegern-Pilot flog jahrelang in falschen Uniformen um die Welt, ergaunerte Millionen mit gefälschten Schecks und lebt dabei in Saus und Braus unter den Reichen und Schönen. Bevor er aufflog und hinter Gitter musste. Selbst im Abagnale-Film „Catch me if you can“ aber, in dem den Zuschauern von vorneherein bekannt ist, wer gut und wer böse ist, dauert es lange, bis sich die Sympathien der meisten Zuschauer endlich von Abagnale (Leonardo di Caprio) zum ihn verfolgenden FBI-Agenten (Tom Hanks) verschieben.

Was sich aus dieser Geschichte bis heute für den beruflichen Erfolg lernen lässt, zeigt nun eine Studie kanadischer Forschender: Wer glaubhaften, befriedigenden „Bullshit“ erzählen kann, ist schlauer und wirkt auch klüger auf andere. Die Psychologinnen und Psychologen aus Ontario untersuchten über 1000 Studierende auf ihre Neigung zum Unfug-Erzählen, ihre Fähigkeit, überzeugenden Unsinn zu produzieren, wie klug sie dadurch auf andere wirkten, ihre tatsäch-liche Intelligenz und ihre Anfälligkeit für pseudoklugen Blödsinn anderer.

Evolutionär sinnvoll

Wer „Bullshit“ erzählt, will damit andere Menschen überzeugen oder beeindrucken, der Wahrheitsgehalt spielt keine Rolle. Die Forschenden gehen davon aus, dass die „Bullshit-Fähigkeit“ evolutionär betrachtet ein durchaus sinnvolles Signal ist: Demnach beurteilen Menschen sich gegenseitig nach der Überzeugungskraft der Geschichten, die diese über sich selbst erzählen. Ob die Erzählungen stimmen oder nicht, ist in diesem Sinne zweitrangig, da es echte Intelligenz erfordert, sich überzeugende Legenden auszudenken. Das spart sogar Ener-gie im Vergleich dazu, sich eine Fähigkeit erst kompliziert anzueignen, um sie danach anzu-wenden und davon erzählen zu können.

Gerade in Berufen, in denen der eigene Erfolg wesentlich von der Meinung anderer abhängt, kann das für den Erfolg entscheidend sein. Die Studie nennt Kunst, Werbung, Politik, Coaching und Journalismus als Bereiche, in denen bei gleichen Fähigkeiten der bessere Bullshit-Produzent die Nase vorn hat. 

Die Ergebnisse zeigen aber auch: Wer gut überzeugenden Unfug reden kann, tut das nicht zwingend auch häufiger. Das liege wohl an der höheren sozialen Intelligenz kluger Menschen, mutmaßen die Forscher: Sie wissen, wann es aussichtslos ist, Unfug zu erzählen, weil ihre Zu-hörer den Braten riechen würden. Dann bleiben sie lieber bei der Wahrheit. Wer hingegen die Neigung hat, häufig Unsinn zu erzählen, ist im Allgemeinen eher weniger intelligent – und deshalb weniger erfolgreich in der Anwendung.

Betrüger wie Frank Abagnale oder Thomas Manns Hochstapler Felix Krull sind deshalb eine sehr seltene Mischung: Begeisterte Bullshit-Produzenten, die diese Tätigkeit auch noch meisterlich beherrschen. Dass beide am Ende scheitern, sollte auch moderateren Anwendern dieser Kunstform eine Lehre sein. Auch gute Bullshit-Produzenten sollten ihre Fähigkeit also nicht einfach voll ausschöpfen und davon ausgehen, dass es schon gut gehen wird. 

Stattdessen empfiehlt sich eine gesunde Portion Humor. Wer seine kreativen Realitätsausge-staltungen nämlich erst meisterlich aufbaut und dann mit Humor zum Einsturz bringt, stellt seine Intelligenz gleich doppelt zur Schau. Ohne Risiko aber ist auch dieser Weg nicht: Fühlen sich die Kollegen durch die Auflösung einer solchen Fiktion herabgesetzt, wird es schnell feindselig. Das Erzählen von überzeugendem Unfug zur Darstellung der eigenen Intelligenz und die Auflösung durch Humor sollten im Idealfall allen Beteiligten Freude bringen.

 

Nota. - Mit andern Worten: Das ist eine Kunst. Aber die muss man beherrschen. Was ein Wi-derspruch in sich ist; denn was ein wirklicher Künstler ist, ist es intuitiv. Reflexion kann nur stören; doch auf die Proportionen kommt es an.

JE

 

Donnerstag, 29. Juli 2021

Zeng Guofan und der Taiping-Aufstand.

Taiping rebels on the march in 1853. Led by Hong Xiuquan, a charismatic religious leader, the rebellion in southern China from 1850 to 1864, resulting in the death of over 20 million. 19th century engraving with 2011 color. 

aus welt.de, 19. 7. 2021           19. Juli 1864: Der Aufstand der Taiping (Bild) bricht nach der Eroberung Nanjings durch Zeng Guofan zusammen

Der Taiping-Aufstand kostete 30 Millionen Opfer
Die Taiping-Rebellion entvölkerte im 19. Jahrhundert weite Gebiete Chinas. Der hohe Beamte Zeng Guofan entwickelte einen Plan, den Aufstand niederzuschlagen. Im Juli 1864 eroberten seine Truppen Nanjing. Die Rache war entsetzlich.
Die chinesische Zivilisation wurde maßgeblich von Beamten geprägt. Sie organisierten das riesige Land und vermittelten ihm das Bewusstsein, ein einziges Reich zu sein. Der Zugang zur kaiserlichen Bürokratie stand formal jedermann offen, vorausgesetzt, er schaffte die zahlreichen Prüfungen. Diese veränderten Lebenswege und zuweilen die Geschichte, wie das Beispiel von Zeng Guofan (1811–1872) und seines Gegenspielers Hong Xiuquan (1814–1864) zeigt.
Kombo Tianwang und Zeng Guofan
Zeng Guofan (r.; 1811–1872) und sein Gegenspieler, der Taiping-"Kaiser" Hong Xiuquan (1814–1864)

Zeng stammte aus einer nicht sehr wohlhabenden aber literaten Familie. Er brauchte acht Anläufe, um 1838 den höchsten Abschluss im Prüfungssystem zu erreichen. Damit standen ihm im China der Qing-Dynastie viele Wege offen. Der Bauernsohn Hong dagegen verzweifelte über das Auswahlverfahren. Nach dem vierten Fehlversuch bekam er einen Nervenzusammenbruch. In seinen Halluzinationen sollen ihm Gottvater und Jesus erschienen sein, die ihn überzeugten, Jesu jüngerer Bruder zu sein.

Während Zeng in der Zentralverwaltung Karriere machte, beschloss Hong, ein „Himmlisches Reich des höchsten Friedens“ zu errichten und dafür eine Gefolgschaft zu gewinnen. Sein Erfolg war erstaunlich. Ab etwa 1847 traf er im entlegenen Süden mit einer Mischung aus christlichen Ritualen und egalitären Inhalten den Nerv seiner Zuhörer: Bauern, Bergarbeiter, Piraten, Deserteure. Bald zählte seine Anhängerschaft nach Hunderttausenden, die marodierend und plündernd nach Norden zogen und nebenbei vorgaben, China von der Herrschaft der Mandschu zu befreien, die 1644 die Qing-Dynastie etabliert hatten.

Trotz der Gefahr verharrte die kaiserliche Regierung in überkommenen Traditionen, Korruption, Intrigen und einfach Inkompetenz verhinderten durchgreifende Reformen. Doch Zeng erkannte die Gefahr, die von der sogenannten Taiping-Bewegung ausging. Denn die unmotivierten und schlecht ausgerüsteten Truppen der Qing erwiesen sich den fanatischen Anhänger Hongs hoffnungslos unterlegen. 1853 konnte der „Himmlische Kaiser“ in der alten Residenzstadt Nanjing das Hauptquartier seines wachsenden Rebellenstaates errichten. ...

The Taiping Rebellion was a widespread civil war in southern China from 1850 to 1864, led by heterodox Christian convert Hong Xiuquan, who, having received visions, maintained that he was the younger brother of Jesus Christ, against the ruling Manchu-led Qing Dynasty. About 20 million people died, mainly civilians, in one of the deadliest military conflicts in history. Hong established the Taiping Heavenly Kingdom with its capital at Nanjing. The Kingdom's army controlled large parts of southern China, at its height containing about 30 million people. The rebels attempted social reforms believing in shared 'property in common' and the replacement of Confucianism, Buddhism and Chinese folk religion with a form of Christianity. The Taiping troops were nicknamed 'Longhairs' (simplified Chinese: ??; traditional Chinese: ??; pinyin: Chángmáo) by the Qing government. The Taiping areas were besieged by Qing forces throughout most of the rebellion. The Qing government crushed the rebellion with the eventual aid of French and British forces. In the 20th century, Sun Yat-sen, founder of the Chinese Nationalist Party, looked on the rebellion as an inspiration, and Chinese paramount leader Mao Zedong glorified the Taiping rebels as early heroic revolutionaries against a corrupt feudal system. 
Schlacht zwischen Regierungstruppen und Taiping-Kämpfern

ebd. 17. 9. 2020

... Hier bot Hong mit seiner „Gesellschaft zur Verehrung Gottes“ radikale Lösungsvorschläge: Jeglicher Landbesitz sollte abgeschafft, der Boden kollektiv bebaut, Männer und Frauen gleichgestellt werden. Die Sitte der Fußverkrüppelung von Frauen wurde als Mittel sozialer Distinktion verboten, ebenso Alkohol, Glücksspiel und Drogen. Sein Versprechen eines „Himmlischen Reiches des höchsten Friedens“ als paradiesisches Gegenbild zum Qing-Regime konnte dabei schwerlich seine christlichen Wurzeln verschleiern.

Den entwurzelten Habenichtsen, die Hangs Anhang bildeten, reichte das als ideologische Rechtfertigung für einen gewaltsamen Aufstand aus, schreibt der Historiker und Sinologe Kai Vogelsang. Im Sommer 1850 war es so weit. In Jintian im äußersten Süden des Reiches versammelten sich einige Zehntausend Anhänger und begannen ihren mörderischen Zug. „Ein Menschenkopf gilt einem Taiping nicht mehr als ein Kohlkopf“, brachte Karl Marx es auf den Punkt.

Die Heere der Provinzgouverneure, die sich ihnen entgegenstellten, wurden geschlagen und massakriert. Bei der Eroberung von Wuhan fielen den Aufständischen genügend Waffen in die Hände, sodass sie auch größeren Heeren gewachsen waren. Den Rest besorgte Terror.

Hong Xiuquan (1 January 1814 ? 1 June 1864), born Hong Renkun, style name Huoxiu (??), was a Hakka Chinese who led the Taiping Rebellion against the Qing Dynasty, establishing the Taiping Heavenly Kingdom over varying portions of southern China, with himself as the 'Heavenly King' and self-proclaimed brother of Jesus Christ. By 1850 Hong had between 10,000 and 30,000 followers. The authorities were alarmed at the growing size of the sect and ordered them to disperse. A local force was sent to attack them when they refused, but the imperial troops were routed and a deputy magistrate killed. A full-scale attack was launched by government forces in the first month of 1851. In what came to be known as the Jintian Uprising, named after the town of Jintian (present-day Guiping, Guangxi) where the sect was based. Hong's followers emerged victorious and beheaded the Manchu commander of the government army. Hong declared the foundation of the ;Heavenly Kingdom of Transcendent Peace' on 11 January 1851. Following a failed attempt by the Taiping rebels to take Shanghai in 1860, Qing government forces, aided by Western officers, slowly gained ground. Hong Xiuquan died by suicide, odf illness or possibly of starvation in 1864. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Hong Xiuquan als "Himmlischer König"

Fielen die Taiping-Rebellen in eine Stadt ein, blieben nur die Häuser verschont, deren Bewohner durch Zeichen ihre Anhängerschaft bekundeten. Alle übrigen, Beamte zumal, wurden bestialisch umgebracht. Umgekehrt reichten schon Gerüchte den kaiserlichen Truppen, wenn sie bei einem siegreichen Vorstoß in eine Ortschaft kamen, um ihre Opfer auszuwählen.

Der Aufstand wurde zum Vernichtungskrieg. In ehemals dicht besiedelten Gebieten habe man nach den Aufständen tagelang durch verlassene Ortschaften und ein Meer von Leichen gehen können, ohne eine Menschenseele anzutreffen, beschreibt der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer das Ergebnis von 15 Jahren Mordbrennerei und Hungersnot.

Als seine bewaffnete Anhängerschaft auf eine Million angewachsen war, verließ Hong den tieferen Süden und zielte auf Nanking, das er 1853 zur „Himmlischen Hauptstadt“ machte. Damit beherrschten die Taiping fast ein Drittel des bebaubaren Landes. 600 Städte sollen von ihnen erobert und oft genug verwüstet worden sein. Mangel an Kavallerie verhinderte einen weiteren Vorstoß nach Norden, die Eroberung von Shanghai unterblieb.

In Nanking setzt Hong als „Himmlischer König“ sein krudes Programm aus Agrarkommunismus und Gottesstaat in die Tat um. Wer seine Zustimmung durch die Annahme der Taufe verweigerte, wurde umgebracht. „Es gibt kaum Städte in der Welt – eigentlich gar keine, so vermute ich – , die so moralisch sind wie diese“, jubelte Missionar Roberts, der von seinem Jünger zum Außenminister der Taiping befördert worden war. Deren fanatische Ideologie hatte er voll verinnerlicht: „Wäre es nicht besser ... , die halbe Nation würde ausgelöscht, als dass sie so weiterlebt wie bisher – wenn die andere Hälfte dafür Rechtschaffenheit erlernte?“

Je länger Hongs „Himmelsreich“ währte, desto mehr weckte derartige moralische Radikalität Zweifel an seiner Umsetzung. Während die Führer von ihren Untertanen die Einehe forderten, ließen sie es sich selbst im Harem gutgehen. Interne Machtkämpfe, die häufig genug mit Mord endeten, desavouierten Hong und seine Entourage. Bündnisse mit anderen Rebellenbewegungen wurden verworfen.

Nicht zuletzt der Zweite Opiumkrieg gegen Briten und Franzosen (1856–1860) verhinderte eine machtvolle Reaktion des Kaiserhofs. Dafür sprangen hohe Beamte in den Provinzen in die Bresche. Sie erkannten, dass nur eine Modernisierung nach europäischem Vorbild das Reich retten konnte. Einer von ihnen war Generalgouverneur Zeng Guofan (1811–1872). Mit anderen Statthaltern gründete er eine moderne Waffenfabrik und ein Arsenal, in dem moderne Remington-Gewehre produziert wurden.

In Shanghai stellte der Amerikaner Frederick Townsend Ward aus Ausländern und Chinesen eine Söldnertruppe auf, die als „Ever Victorious Army“ bekannt wurde. „Etwa 1000 ausländische Soldaten feuerten gleichzeitig aus westlichen Gewehren und Kanonen“, schrieb ein chinesischer Augenzeuge. „Wo immer diese Armee auftauchte, zerstreute sich der Feind vor ihr wie Spreu im Wind. Westliche Kanonen sind ein wahres Wunder.“ Mit solchen Truppen wurde die Taiping 1864 schließlich vollständig vernichtet.

Von da an wurden die Provinzen zum Motor und Experimentierfeld der Modernisierung. Die Schaffung regionaler Machtzentren deutete sich an, die nach dem Untergang des Kaiserreichs 1912 die Herren des Landes werden sollten. Doch die Konservativen am Kaiserhof glaubten weiterhin an ihr göttliches Mandat und widersetzten sich den notwendigen Reformen. ...

 

ebd. 19. 7. 21

... Zeng erhielt die Erlaubnis, eine Elitetruppe nach seinen Vorstellungen aufzubauen, die sogenannte Hunan-Armee. Ihre Soldaten wurden besser besoldet und trainiert, erhielten moderne Waffen, wurden aber auch harter Disziplin unterworfen. Seine Erfolge trugen ihm schließlich das Gouverneursamt für mehrere Provinzen sowie das Oberkommando gegen die Taiping-Rebellen ein. Die wurden längst nicht mehr von Hong geführt, der sich in seinem Harem mystischen Visionen hingab und die Führung seiner Bewegung rivalisierenden Generälen übertragen hatte.

Während der Zweite Opiumkrieg gegen England und Frankreich die militärische Ohnmacht des Qing-Staates offenbarte, gelang es Zeng, die Taiping zunehmend in die Defensive zu drängen. Er errichtete eigene Waffenfabriken und suchte den Kontakt zu westlichen Beratern. Als es seinen Truppen am 19. Juli 1864 endlich gelang, Nanjing zu erobern, lebte Hong nicht mehr. Er war kurz zuvor einer Lebensmittelvergiftung oder einem Mordanschlag erlegen.

... Der kaiserliche Hof zog keine Konsequenzen daraus, sondern begann umgehend, Zeng zu entmachten. Seine Reformvorschläge landeten im Archiv, seine Ämter wurden ihm entzogen. Am Ende blieb ihm nur noch das Schreiben. Er hinterließ ein Werk mit 156 Bänden.