aus welt.de, 19. 7. 2021 19. Juli 1864: Der Aufstand der Taiping (Bild) bricht nach der Eroberung Nanjings durch Zeng Guofan zusammen
Zeng stammte aus einer nicht sehr wohlhabenden aber literaten Familie. Er brauchte acht Anläufe, um 1838 den höchsten Abschluss im Prüfungssystem zu erreichen. Damit standen ihm im China der Qing-Dynastie viele Wege offen. Der Bauernsohn Hong dagegen verzweifelte über das Auswahlverfahren. Nach dem vierten Fehlversuch bekam er einen Nervenzusammenbruch. In seinen Halluzinationen sollen ihm Gottvater und Jesus erschienen sein, die ihn überzeugten, Jesu jüngerer Bruder zu sein.
Während Zeng in der Zentralverwaltung Karriere machte, beschloss Hong, ein „Himmlisches Reich des höchsten Friedens“ zu errichten und dafür eine Gefolgschaft zu gewinnen. Sein Erfolg war erstaunlich. Ab etwa 1847 traf er im entlegenen Süden mit einer Mischung aus christlichen Ritualen und egalitären Inhalten den Nerv seiner Zuhörer: Bauern, Bergarbeiter, Piraten, Deserteure. Bald zählte seine Anhängerschaft nach Hunderttausenden, die marodierend und plündernd nach Norden zogen und nebenbei vorgaben, China von der Herrschaft der Mandschu zu befreien, die 1644 die Qing-Dynastie etabliert hatten.
Trotz der Gefahr verharrte die kaiserliche Regierung in überkommenen Traditionen, Korruption, Intrigen und einfach Inkompetenz verhinderten durchgreifende Reformen. Doch Zeng erkannte die Gefahr, die von der sogenannten Taiping-Bewegung ausging. Denn die unmotivierten und schlecht ausgerüsteten Truppen der Qing erwiesen sich den fanatischen Anhänger Hongs hoffnungslos unterlegen. 1853 konnte der „Himmlische Kaiser“ in der alten Residenzstadt Nanjing das Hauptquartier seines wachsenden Rebellenstaates errichten. ...
ebd. 17. 9. 2020
... Hier bot Hong mit seiner „Gesellschaft zur Verehrung Gottes“ radikale Lösungsvorschläge: Jeglicher Landbesitz sollte abgeschafft, der Boden kollektiv bebaut, Männer und Frauen gleichgestellt werden. Die Sitte der Fußverkrüppelung von Frauen wurde als Mittel sozialer Distinktion verboten, ebenso Alkohol, Glücksspiel und Drogen. Sein Versprechen eines „Himmlischen Reiches des höchsten Friedens“ als paradiesisches Gegenbild zum Qing-Regime konnte dabei schwerlich seine christlichen Wurzeln verschleiern.
Den entwurzelten Habenichtsen, die Hangs Anhang bildeten, reichte das als ideologische Rechtfertigung für einen gewaltsamen Aufstand aus, schreibt der Historiker und Sinologe Kai Vogelsang. Im Sommer 1850 war es so weit. In Jintian im äußersten Süden des Reiches versammelten sich einige Zehntausend Anhänger und begannen ihren mörderischen Zug. „Ein Menschenkopf gilt einem Taiping nicht mehr als ein Kohlkopf“, brachte Karl Marx es auf den Punkt.
Die Heere der Provinzgouverneure, die sich ihnen entgegenstellten, wurden geschlagen und massakriert. Bei der Eroberung von Wuhan fielen den Aufständischen genügend Waffen in die Hände, sodass sie auch größeren Heeren gewachsen waren. Den Rest besorgte Terror.
Fielen die Taiping-Rebellen in eine Stadt ein, blieben nur die Häuser verschont, deren Bewohner durch Zeichen ihre Anhängerschaft bekundeten. Alle übrigen, Beamte zumal, wurden bestialisch umgebracht. Umgekehrt reichten schon Gerüchte den kaiserlichen Truppen, wenn sie bei einem siegreichen Vorstoß in eine Ortschaft kamen, um ihre Opfer auszuwählen.
Der Aufstand wurde zum Vernichtungskrieg. In ehemals dicht besiedelten Gebieten habe man nach den Aufständen tagelang durch verlassene Ortschaften und ein Meer von Leichen gehen können, ohne eine Menschenseele anzutreffen, beschreibt der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer das Ergebnis von 15 Jahren Mordbrennerei und Hungersnot.
Als seine bewaffnete Anhängerschaft auf eine Million angewachsen war, verließ Hong den tieferen Süden und zielte auf Nanking, das er 1853 zur „Himmlischen Hauptstadt“ machte. Damit beherrschten die Taiping fast ein Drittel des bebaubaren Landes. 600 Städte sollen von ihnen erobert und oft genug verwüstet worden sein. Mangel an Kavallerie verhinderte einen weiteren Vorstoß nach Norden, die Eroberung von Shanghai unterblieb.
In Nanking setzt Hong als „Himmlischer König“ sein krudes Programm aus Agrarkommunismus und Gottesstaat in die Tat um. Wer seine Zustimmung durch die Annahme der Taufe verweigerte, wurde umgebracht. „Es gibt kaum Städte in der Welt – eigentlich gar keine, so vermute ich – , die so moralisch sind wie diese“, jubelte Missionar Roberts, der von seinem Jünger zum Außenminister der Taiping befördert worden war. Deren fanatische Ideologie hatte er voll verinnerlicht: „Wäre es nicht besser ... , die halbe Nation würde ausgelöscht, als dass sie so weiterlebt wie bisher – wenn die andere Hälfte dafür Rechtschaffenheit erlernte?“
Je länger Hongs „Himmelsreich“ währte, desto mehr weckte derartige moralische Radikalität Zweifel an seiner Umsetzung. Während die Führer von ihren Untertanen die Einehe forderten, ließen sie es sich selbst im Harem gutgehen. Interne Machtkämpfe, die häufig genug mit Mord endeten, desavouierten Hong und seine Entourage. Bündnisse mit anderen Rebellenbewegungen wurden verworfen.
Nicht zuletzt der Zweite Opiumkrieg gegen Briten und Franzosen (1856–1860) verhinderte eine machtvolle Reaktion des Kaiserhofs. Dafür sprangen hohe Beamte in den Provinzen in die Bresche. Sie erkannten, dass nur eine Modernisierung nach europäischem Vorbild das Reich retten konnte. Einer von ihnen war Generalgouverneur Zeng Guofan (1811–1872). Mit anderen Statthaltern gründete er eine moderne Waffenfabrik und ein Arsenal, in dem moderne Remington-Gewehre produziert wurden.
In Shanghai stellte der Amerikaner Frederick Townsend Ward aus Ausländern und Chinesen eine Söldnertruppe auf, die als „Ever Victorious Army“ bekannt wurde. „Etwa 1000 ausländische Soldaten feuerten gleichzeitig aus westlichen Gewehren und Kanonen“, schrieb ein chinesischer Augenzeuge. „Wo immer diese Armee auftauchte, zerstreute sich der Feind vor ihr wie Spreu im Wind. Westliche Kanonen sind ein wahres Wunder.“ Mit solchen Truppen wurde die Taiping 1864 schließlich vollständig vernichtet.
Von da an wurden die Provinzen zum Motor und
Experimentierfeld der Modernisierung. Die Schaffung regionaler
Machtzentren deutete sich an, die nach dem Untergang des Kaiserreichs 1912
die Herren des Landes werden sollten. Doch die Konservativen am
Kaiserhof glaubten weiterhin an ihr göttliches Mandat und widersetzten
sich den notwendigen Reformen. ...
ebd. 19. 7. 21
... Zeng erhielt die Erlaubnis, eine Elitetruppe nach seinen Vorstellungen aufzubauen, die sogenannte Hunan-Armee. Ihre Soldaten wurden besser besoldet und trainiert, erhielten moderne Waffen, wurden aber auch harter Disziplin unterworfen. Seine Erfolge trugen ihm schließlich das Gouverneursamt für mehrere Provinzen sowie das Oberkommando gegen die Taiping-Rebellen ein. Die wurden längst nicht mehr von Hong geführt, der sich in seinem Harem mystischen Visionen hingab und die Führung seiner Bewegung rivalisierenden Generälen übertragen hatte.
Während der Zweite Opiumkrieg gegen England und Frankreich die militärische Ohnmacht des Qing-Staates offenbarte, gelang es Zeng, die Taiping zunehmend in die Defensive zu drängen. Er errichtete eigene Waffenfabriken und suchte den Kontakt zu westlichen Beratern. Als es seinen Truppen am 19. Juli 1864 endlich gelang, Nanjing zu erobern, lebte Hong nicht mehr. Er war kurz zuvor einer Lebensmittelvergiftung oder einem Mordanschlag erlegen.... Der kaiserliche Hof zog keine Konsequenzen
daraus, sondern begann umgehend, Zeng zu entmachten. Seine
Reformvorschläge landeten im Archiv, seine Ämter wurden ihm entzogen. Am
Ende blieb ihm nur noch das Schreiben. Er hinterließ ein Werk mit 156
Bänden.
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