aus welt.de, 10. 3. 2021 In der Schlacht von Nagashino 1575 siegten Gewehre über Reiter
Die Akzeptanz derartiger Reenactment-Veranstaltungen hat längst auch die Macher von historischen TV-Produktionen bewogen, mit derartigen Spielszenen ihre Lernangebote zu beleben. Allerdings blieben sie dabei in der Regel im Rahmen dessen, was einer Familienrunde zugemutet werden kann. Der Streaming-Dienst Netflix betritt da mit seiner Serie „Zeitalter der Samurai: Kampf um Japan“ Neuland. Hier rollen die Köpfe und spritzen die zumeist roten Körperflüssigkeiten in einem Maße, dass Bildungsinteressierte an sich selbst das Phänomen der Abstumpfung studieren können, je länger sie es vor dem Ferseh-Gerät aushalten.
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Als mentale Einführung in das Thema ist das bestens geeignet. Denn in der „Zeit der streitenden Reiche“ floss im Japan der Frühen Neuzeit das Blut in Strömen. Während der machtlose Tenno in seinem Palast in Kyoto allenfalls die Idee eines Einheitsstaates repräsentierte, kämpften in den Provinzen Fürsten (Daimyo) und ihre Clans um die Macht, deren Krone das Amt des Shogun (Generalissimus) war, des kaiserlichen Militärkommandierenden, der faktisch der Herr des Landes war. Der Niedergang des Muromachi-Shogunats ließ Nachfolger vom Aufstieg träumen. Umso heftiger befehdeten sich die Daimyo.
Drei Männer sollten das Problem auf ihre Weise lösen, indem sie sich skrupellos, zielstrebig, innovativ und brutal ihrer Feinde entledigten. Ihr Vorteil war, dass sie nicht aus der ersten Reihe agierten, sondern gleichsam aus dem Schatten ins Licht traten.
Oda Nobunaga (1534–1582), porträtiert von einem Jesuiten
Als Oda Nobunaga (1534–1582) seinem Vater als Chef in der zentraljapanischen Provinz Owari nachfolgte, hätte nicht einmal seine Familie viel auf seine Zukunft gegeben. Er war rüpelhaft, unbeliebt und hielt nichts von Traditionen. Aber das setzte ihn in den Stand, neue Methoden zu entwickeln. So erkannte er als einer der Ersten, welches Potenzial in den Feuerwaffen steckte, die portugiesische Händler nach Japan gebracht hatten.
Zwar handelte es sich bei den Arkebusen um knallende Ungetüme, die nicht sehr zielgenau schossen, zwei Minuten zum Beladen brauchten und bei Feuchtigkeit leicht versagten. Aber sie ermöglichten ein Salvenfeuer, das Panzerungen sicher durchschlug und Pferde in Panik versetzte. Vor allem war der Umgang mit einem Gewehr viel schneller zu erlernen als der Einsatz von Pfeil und Bogen, der jahrelange Übung verlangte. Bald wussten Japans Handwerker, die neue Fernwaffe wie auch Kanonen in großen Stückzahlen zu fertigen.
Die „Tanegashima“ wurden zu idealen Waffen für Leute, die bis dahin allenfalls als Opfer an Kriegen teilgenommen hatten: Bauern, Fischer, Tagelöhner und andere Unterprivilegierte der japanischen Gesellschaft. Nobunaga rüstete sie nicht nur mit Feuerwaffen, Speeren und schlichten Rüstungen aus, sondern drillte sie auch, sodass diese Ashigaru in größeren Formationen kämpfen konnten. Zugleich bewies er ein Händchen bei der Rekrutierung fähiger Generäle. Während er seinen jüngeren Bruder und Rivalen erschlug, fand er in Toyotomi Hideyoshi (1536–1598) und Tokugawa Ieyasu (1543–1616) kongeniale Unterführer.
Mit dieser Armee sah sich Nobunaga nicht mehr an die traditionelle Form der Kriegführung gebunden. Bis dahin hatten sich die Daimyo und ihre Anhänger in Hunderten Burgen verschanzt und ihre Kämpfe mit zumeist berittenen Samurai ausgetragen, die sich auf die Durchschlagskraft ihrer Schwerter und Bögen und nicht zuletzt ihre Ehre verließen. Als der mächtige Fürst Imagawa Yoshimoto mit 25.000 Mann durch seine Provinz zog, stellte ihm Nobunaga eine Falle. Nachts, während einer heiligen Zeremonie, überfiel er mit 2000 Soldaten dessen persönliches Lager. Nach dem Tod ihres Feldherrn löste sich dessen Armee auf.
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„Herrschaft durch Gewalt“ hat der Historiker Peter C. Perdue Nobunagas Konzept genannt. Das mussten auch die Mönche und ihre Schutzbefohlenen der Ikko-Sekte erfahren, die sich in dem riesigen buddhistischen Zentrum auf dem Berg Hiei nordöstlich von Kyoto verschanzt hatten. 3000 Gebäude wurden niedergebrannt, 20.000 Menschen sollen enthauptet worden sein. „Das Blut floss wie ein Fluss den Berg hinunter“, erklärt ein Fachmann in der Netflix-Doku, die es dankenswerter Weise bei einigen auserwählten Opfern belässt.
Nobunagas wachsende Kriegsmacht hatte zur Folge, dass sich ihm nur noch die großen Daimyo entgegenzustellen wagten, die sich Festungen leisten konnten, die den neuen Kanonen widerstanden. Bekannt ist vor allem Takeda Shingen, der Anfang der 1570er eine Koalition von Daimyo zusammenbrachte. Dessen Schicksal hat der japanische Regisseur Akira Kurosawa in seinem Meisterwerk „Kagemusha – Schatten des Kriegers“ (1980) eindrucksvoll in Szene gesetzt.
Solange der alte Takeda lebte, konnten die Verbündeten Nobunagas Armee erfolgreich Widerstand leisten. Aber als dessen Sohn sich mit einer Offensive zu beweisen suchte, traf er 1575 bei Nagashino auf dessen Ashigaru-Soldaten. Takeda hatte die größere Armee und war dabei, eine Burg einzunehmen. Nobunaga ließ 3000 Arkebusen-Schützen hinter Palisaden in Stellung gehen.
Als Takedas Kavallerie gegen diese Feldbefestigungen anstürmte, wurde sie von dichtem Salvenfeuer vernichtet. Die Toten türmten sich vor den Verschlägen heißt es, 10.000 Samurai sollen ihr Leben verloren haben. Nobunaga ließ die Anführer kreuzigen und war auf dem besten Weg zum Shogunat. Doch bevor er sich dazu erklären konnte, wurde er Opfer von Verrätern.
Zu seinem Rächer und Nachfolger avancierte Hideyoshi. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, sah er sich auch nicht an Traditionen gebunden, sondern setzte Nobunagas Politik fort, indem er mit wegweisenden Maßnahmen die Grundlage eines Einheitsstaates legte. Nachdem er auch die Daimyo im Süden und Nordosten Japans unterworfen hatte, erließ er das Dekret der „Großen Schwertjagd“: „Den Bauern der verschiedenen Provinzen ist es streng verboten, lange Schwerter, kurze Schwerter, Bogen, Speere, Muskete oder irgendeine andere Waffe zu besitzen.“ Auch die Samurai mussten ihre Fernwaffen abgeben, zahllose Burgen wurden geschleift.
Auf diese Weise verhinderte Hideyoshi neue Machtzusammenballungen, die ihm hätten gefährlich werden können. „Anschließend fror er die Gesellschaftsordnung ein“, schreibt Perdue. Bauern wurden an die Scholle gefesselt, Handel wurde den Städtern zugewiesen, Samurai war es verboten, bezahlte Arbeit anzunehmen. Das gesamte Land wurde vermessen, sein Produktionspotenzial zur Grundlage der Steuererhebung gemacht, die in koku gemessen wurde, was in etwa dem jährlichen Reisverbrauch pro Kopf entsprach. Den zwölf Millionen Japanern standen 18,2 Millionen koku zur Verfügung, von den Daimyo und Samurai nach einem gestaffelten System ihren Anteil bekamen.
Doch sein Einigungswerk hatte Hideyoshi offenbar größenwahnsinnig gemacht. 1592 erklärte er, dass er sich nichts sehnlicher wünsche, „als dass mein Name überall in den drei Ländern (Japan, China und Indien) bekannt ist“. Doch seine 200.000 Mann starke Armee erlitt bereits in Korea schwere Verluste. Als Hideyoshi 1598 starb, war der einzige Erfolg seines Unternehmens, die chinesische Ming-Dynastie so weit geschwächt zu haben, dass sie einige Jahrzehnte später zum Opfer der Mandschu wurde.
Der Gewinner wurde der Dritte im Bunde: Tokugawa Ieyasu. Er siegte in der Entscheidungsschlacht über seine Gegner und konnte als Hochadliger 1603 den Titel des Shogun gewinnen. Er verbot den Krieg und machte die Samurai zu Beamten und Verwaltern, die ihre Schwerter nur noch zum Ausweis ihres Ranges tragen durften. Bis zur Ankunft der „Schwarzen Schiffe“ des US-Commodore Matthew Perry im Juli 1853 sollte Japan ein weitgehend abgeschlossenes Land bleiben.
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