aus spektrum.de, 5. 8. 2021 Göbekli Tepe
Paläodiät
Brot, Brei und Bier vor dem Ackerbau
Nicht
erst als Menschen zum Feldbau übergingen, mahlten sie Getreide zu Mehl
und backten Brot. Schon Jäger und Sammler stellten im großen Stil Brei
und Bier her
von Andrew Curry
An
klaren Tagen reicht die Sicht von den Ruinen des Göbekli Tepe bis hin
zur 50 Kilometer entfernten syrischen Grenze. Die archäologische Stätte
im Süden der Türkei, die auf dem höchsten Punkt einer Bergkette liegt,
wird oft als der »älteste Tempel der Welt« bezeichnet. 11 600 Jahre
reichen die T-förmigen Säulen und kreisförmigen Einfriedungen zurück.
Sie sind damit älter als die frühesten Tongefäße im Vorderen Orient.
Die Erbauer
des Monuments lebten zu einer Zeit, als ein bedeutender Moment in der
Menschheitsgeschichte nahte: die Neolithische Revolution. Damals
begannen Menschen, allmählich Ackerbau zu betreiben, Nutzpflanzen und
Tiere zu züchten. Doch nicht so auf dem Göbekli Tepe. An dem Fundplatz
gibt es bisher keine Spuren von domestiziertem Getreide. Offenbar waren
die »Tempelbesucher« noch nicht zum Feldbau übergegangen. Vielmehr
lebten sie von der Jagd, wie zahlreiche Tierknochen belegen. Auf dem
Göbekli Tepe kamen vermutlich Gruppen von Jägern und Sammlern aus der
weiteren Umgebung zusammen und begingen üppige Feste mit reichlich
gebratenem Fleisch. Und vielleicht gaben derartige Gelage erst den
Anlass, die beeindruckende Architektur zu errichten.
In der
Archäologie hat diese These seit Langem Bestand. Bis vor einigen Jahren.
Denn die Beweislage hat sich geändert – dank Forscherinnen und
Forschern wie Laura Dietrich vom Deutschen Archäologischen Institut in
Berlin. Über die letzten vier Jahre hinweg hat sie herausgefunden,
dass sich die Erbauer von Göbekli Tepe bottichweise von Brei und
Eintopf ernährten – und das Getreide dafür in fast industriellem Maßstab
gemahlen und verarbeitet haben. Demnach standen Körner schon viel
früher auf dem Speiseplan als bislang vermutet – zu einer Zeit, als noch
kein Mensch Getreide domestiziert hatte.
>Dietrichs
Arbeit reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Forschungsprojekten,
die sich mit der Rolle von Getreide und anderen stärkehaltigen
Nahrungsmitteln in der menschlichen Ernährungsgeschichte befassen. Dafür
wenden die Wissenschaftler verschiedene Methoden an. Sie untersuchen
winzige Gebrauchsspuren an Werkzeugen oder sequenzieren die Überbleibsel
alter DNA an Tongefäßen. Manche Forscher kochen sogar 12 000 Jahre alte
Speisen experimentell mit steinzeitlichen Methoden nach. Die
Archäologenzunft blickt aber noch weiter in die Vergangenheit. Gut
möglich, dass Menschen schon vor mehr als 100 000 Jahren stärkehaltige
Pflanzen gegessen haben.
Warum es die Paläodiät nie gab
Die
jüngsten Entdeckungen bringen eine alte Vorstellung ins Wanken: Dass
Menschen sich in der Frühzeit vor allem von Fleisch ernährt haben.
Ernährungstrends wie der Paläodiät, die zum Verzicht auf Getreide und
andere stärkehaltige Nahrungsmittel rät, hat diese These viele Anhänger
verschafft. Doch mittlerweile stellen Archäologen das Gegenteil fest:
»Wir haben genügend Belege beisammen, die uns zeigen, dass wir die ganze
Zeit eine komplette Lebensmittelkategorie übersehen haben«, sagt Dorian
Fuller, Archäobotaniker am University College London.
Stein um Stein | Die Archäologin Laura Dietrich
dokumentiert im »Steingarten« von Göbekli Tepe Reibsteine und Tröge.
Die ersten Hinweise auf eine nicht ganz so fleischhaltige
Festkultur auf dem Göbekli Tepe entdeckte Laura Dietrich im
»Steingarten« der Grabung. So nennen Archäologen den Bereich, in dem die
Steinfunde abgelegt werden. Dietrich dokumentierte dort Reibsteine aus
Basalt, Tröge aus Kalkstein und größere bearbeitete Steinbrocken, die
die Ausgräber immer wieder aus dem Ruinenfeld geklaubt haben. Gute zwei
Jahrzehnte war die Steinsammlung stetig gewachsen, erzählt Dietrich.
»Aber niemand hat sich je über die Stücke Gedanken gemacht.« Als sie
2016 begann, die Steinfunde zu katalogisieren, war sie zunächst über die
schiere Menge an Material erstaunt. Der »Garten« erstreckte sich auf
einer Fläche von der Größe eines Fußballfelds. Mehr als
10 000 Reibsteine, fast 650 große Steinteller und -gefäße – einige davon
groß genug, um 200 Liter Flüssigkeit zu fassen – waren bei den
Grabungen ans Licht gekommen.
In
keiner anderen Siedlung im Vorderen Orient gibt es so viele Reibsteine,
nicht einmal im späten Neolithikum, als der Ackerbau bereits etabliert
war«, sagt Dietrich. »Außerdem haben wir hier eine ganze Bandbreite
steinerner Gefäße – in allen möglichen Größen. Warum gab es derart viele
Steingefäße?« Die Forscherin vermutet: Sie dienten zum Mahlen und
Schroten von Getreide, um daraus Brei zu kochen und Bier zu brauen.
Tatsächlich gehen Archäologen schon länger davon aus, dass die
Steinbottiche von Göbekli Tepe einen rituellen Bierkonsum belegen –
allerdings, so die bisherige Annahme, für eher gelegentliche und seltene
Genussmomente.»Alle, die schon einmal etwas gekocht haben, wissen: Manchmal brennt auch was an« (Lucy Kubiak-Martens, Archäobotanikerin, BIAX Consult Biological Archaeology & Environmental Reconstruction)
Den
Steinen von Göbekli Tepe ihren einstigen Zweck zu entlocken, ist
knifflig. Fleischmahlzeiten hinterlassen sehr viel deutlichere Spuren.
Schlicht weil die Knochen von geschlachteten Tieren häufiger und besser
die Zeiten überdauern als Getreide oder pflanzliche Kost. Und da
organische Reste derart fragil sind, erweist sich die Archäobotanik –
die Wissenschaft davon, wie Menschen einst Pflanzen nutzten – als
mühselige und zeitintensive Arbeit: Die Spezialisten rücken
normalerweise mit Eimern, Sieben und feinen Netzen an, um die
Grabungserde auszuschwemmen. In Wasser sinken die schweren Erd- und
Steinbröckchen ab, winzige organische Reste wie Samen, verkohltes Holz
und verbranntes Essen schwimmen obenauf. Doch das meiste, was die
Archäobotaniker herausfischen, sind Überreste von ungekochten
Nahrungsmitteln. Grassamen, Getreidekörner oder Traubenkerne, die sich
immerhin zählen und bestimmen lassen. Auf diese Weise zeigt sich, welche
Vegetation einst im Umfeld eines Fundplatzes vorherrschte. Liegen nun
auffällig große Mengen einer Art vor, scheint es sich um eine
Nutzpflanze gehandelt zu haben, die Menschen vielleicht sogar angebaut
hatten.
Mit die frühesten Belege für die Domestizierung von
Pflanzen sind Körner des Einkorns. Exemplare kamen auch in der Nähe von
Göbekli Tepe ans Licht. Sie unterscheiden sich sowohl äußerlich als auch genetisch geringfügig von der Wildform des Weizengetreides.
Der Einkorn aus Göbekli Tepe hingegen gleicht der Urform. Folglich
hatte man dort noch keine Getreide gezüchtet oder stand noch ganz am
Anfang. Allerdings vermuten Experten auch, dass es Jahrhunderte dauerte,
bis sich die Form der Körner durch die Zucht veränderte.
Kleinere und größere Küchenkatastrophen
Was
sich deutlich schwieriger nachweisen lässt, sind gekochtes Gemüse oder
Getreide. Allerdings haben Archäologen eine weitgehend unbeachtete
Quelle ausfindig gemacht, um einstige Gerichte zu identifizieren:
verkohlte Speisereste. Also das, was übrig blieb, wenn der Eintopf zu
lange auf dem Feuer stand, Brotstücke durch den Rost fielen oder ein
ganzer Laib im Ofen verbrannte. »Alle, die schon einmal etwas gekocht
haben, wissen: Manchmal brennt auch was an«, erklärt die
Archäobotanikerin Lucy Kubiak-Martens von der Firma BIAX Consult
Biological Archaeology & Environmental Reconstruction im
niederländischen Zaandam.
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Überreste kleinerer und größerer Küchenkatastrophen sind
schwer zu analysieren und fanden bis vor wenigen Jahren kaum
wissenschaftliche Liebhaber. »Es handelt sich einfach um kompliziertes
Material – fragiles, hässliches Zeug«, sagt Andreas Heiss,
Archäobotaniker an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in
Wien. »Die meisten Forscher schrecken schlicht davor zurück.« Hinzu
kommt, dass Keramikscherben, an denen verbranntes Essen haftete, oft
gesäubert oder als »Grobkeramik« entsorgt wurden. Verkohltes konnte auch
mal als wahrscheinliches Lebensmittel dokumentiert werden, das sich
nicht untersuchen ließ und daraufhin ins Depot wanderte oder weggeworfen
wurde.Der Weg, dies zu ändern, führt an den Herd. Diese Idee
hatte jedenfalls Soultana Valamoti, die als Archäobotanikerin an der
Aristoteles-Universität im griechischen Thessaloniki arbeitet. Nicht
ganz zufällig ist Valamoti leidenschaftliche Köchin. In den ersten
Jahren ihrer Forscherkarriere hat sie in ganz Griechenland Eimer und
Siebe von Ausgrabungsstätte zu Ausgrabungsstätte geschleppt und dabei
Museumsdepots nach alten Pflanzenresten durchsucht. Valamoti war
überzeugt davon, dass verbrannte Speisereste ein unerschlossenes und
ergiebiges Feld der Archäologie darstellten. Wenn man nur einen Weg
finden würde, sie analytisch identifizieren zu können.
Deciphering
ancient ‘recipes’ from charred cereal fragments: An integrated
methodological approach using experimental, ethnographic and
archaeological evidence
Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten wandelte Valamoti daher
ihr Labor in eine Versuchsküche um. Sie zerrieb Weizen, kochte Bulgur
daraus und ließ ihn auf dem Herd verbrennen, um einen jahrtausendealten
Küchenunfall zu simulieren. Tatsächlich ähnelten ihre verbrannten Reste
4000 Jahre alten Proben aus einer Fundstelle in Nordgriechenland. Diese Art der Getreidezubereitung hat ihren Ursprung demnach mindestens in der Bronzezeit.
Brot, Brei und Bulgur kontrolliert verbrennen lassen
Valamoti
experimentierte jahrelang weiter. Seit 2016 konnte sie dank eines
Zuschusses des Europäischen Forschungsrats eine Referenzsammlung mit
mehr als 300 knusprig verkohlten Proben aus alten Zeiten und
experimentell hergestellten Äquivalenten anlegen. Sie mischte Teig,
backte Brot, kochte Brei, Bulgur und ein traditionelles griechisches
Gericht namens Trachana aus alten Weizensorten und Gerste – und ließ
alle Speisen im Ofen unter kontrollierten Bedingungen verbrennen.
»Es war das Fastfood der Vergangenheit« (Soultana Valamoti, Archäobotanikerin, Aristoteles-Universität Thessaloniki)
Anschließend
betrachtete sie die Stücke im Mikroskop, vergrößert auf das 750- bis
1000-Fache, um typische Veränderungen in der Zellstruktur ausfindig zu
machen, die beim Kochen, Backen und Garen entstehen. In starker
Vergrößerung unterscheiden sich die Körner, je nachdem ob sie gekocht
wurden oder frisch waren, ob sie gemahlen oder ganz belassen wurden, ob
sie getrocknet oder eingeweicht waren. Beim Brotbacken zum Beispiel
bilden sich spezielle Blasen, beim Kochen hingegen geliert die Stärke im
Getreide, bevor es dann verkohlt, sagt Valamoti. »All das können wir im
Rasterelektronenmikroskop erkennen.«
Durch ihre Experimente und
den Vergleichen mit prähistorischen Proben hat Valamoti mehr
herausgefunden als mit der reinen Bestimmung von Pflanzenarten möglich
wäre. Sie hat die Kochmethoden und Gerichte des bronzezeitlichen
Griechenlands rekonstruiert. Offenbar haben die Menschen dort seit
mindestens 4000 Jahren Bulgur gegessen, wie sie in einer Studie von 2021 schreibt.
Man kochte Gerste oder Weizen und ließ das Getreide trocknen, um es
später bei Bedarf einzuweichen. So »konnte man die Ernte in großen
Mengen verarbeiten und die Vorteile der heißen Sonne nutzen«, sagt
Valamoti. »Die Menschen zehrten so übers ganze Jahr hinweg von ihrem
Getreide. Es war das Fastfood der Vergangenheit«, so die
Archäobotanikerin.
Die Pflanzenkost steckt in den Genen
Andere
Forscher suchen ebenfalls nach den Spuren uralter Missgeschicke am
Herdfeuer. Überreste angebrannter Speisen »liefern uns den unmittelbaren
Beleg für ein Nahrungsmittel«, sagt Amaia Arranz-Otaegui. Das
Forschungsfeld der Food Archaeology käme »einer Revolution gleich«,
davon ist die Archäobotanikerin am Pariser Museum für Naturgeschichte
überzeugt. Die Lebensmittel würden »eine völlig neue Informationsquelle
bieten«. Zuvor fanden sich kaum Belege, dass etwa Frühmenschen auch
Pflanzen aßen. Zwar »haben wir immer vermutet, dass die frühen Homininen
und der frühe Homo sapiens sich von Stärke ernährten, wir hatten aber keine Beweise dafür«, betont Lucy Kubiak-Martens.
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Dass Menschen schon lange von stärkehaltiger Nahrung zehren, untermauern genetische Daten. Im Erbgut des Homo sapiens
finden sich verglichen mit anderen Primaten mehr Kopien jenes Gens, das
Enzyme zur Verdauung von Stärke produziert. »Der Mensch hat bis zu
20 Kopien, der Schimpanse nur zwei«, sagt Cynthia Larbey,
Archäobotanikerin an der University of Cambridge, die an der entsprechenden Studie aus dem Jahr 2016 beteiligt war.
Diese genetische Anpassung in der menschlichen Abstammungslinie prägte
die Ernährung unserer Vorfahren – und die heutiger Menschen.
»Stärkehaltiges Essen scheint für den Homo sapiens einen Selektionsvorteil geboten zu haben«, erklärt Larbey.
Auf der Suche nach handfesten archäologischen Belegen sah
sich die Forscherin zirka 120 000 Jahre alte Herdstellen in Südafrika
an. Sie pickte teils erdnussgroße Reste verkohlter Pflanzen aus den
Befunden und analysierte die Stücke. Und tatsächlich: Im Rasterelektronenmikroskop identifizierte sie Zellgewebe von stärkehaltigen Gewächsen.
Damit hatte Larbey den frühesten Beleg ausfindig gemacht, dass Menschen
Stärke enthaltende Gerichte kochten. »Von vor 65 000 bis vor
120 000 Jahren bereiteten sie so Wurzeln und Knollen zu«, sagt Larbey.
Die Belege decken einen bemerkenswert langen Zeitraum ab, vor allem im
Vergleich zu den tierischen Überresten der gleichen Fundstelle. »Im Lauf
der Zeit änderten sich zwar die Jagdtechniken und -strategien, aber man
kochte und aß immerfort Pflanzen.«
Die frühen Menschen ernährten
sich offenbar ausgewogen: Sie nutzten stärkehaltige Pflanzen als
Kalorienquelle, wenn wenige Wildtiere umherstreiften oder schwer zu
erlegen waren. »Und wenn man in neue Ökosysteme vorgedrungen und dort in
der Lage war, Kohlenhydrate zu finden, dann hatte man sich gleich ein
wichtiges Grundnahrungsmittel gesichert«, fügt Larbey hinzu.
Vegetarische Mahlzeiten im Zahnstein der Neandertaler
Schon
bei den Neandertalern dürfte die pflanzliche Ernährung eine wichtige
Rolle gespielt haben. 2011 untersuchte die Paläoanthropologin Amanda
Henry von der Universität Leiden den Zahnbelag solcher Frühmenschen, die
vor rund 40 000 bis 46 000 Jahren im heutigen Iran und in Belgien
gelebt haben. Im Zahnstein steckten Mikrofossilien von Pflanzen.
Offenbar hatten sowohl die Neandertaler in Europa als auch die im
Vorderen Orient stärkehaltige Nahrung wie Knollen, Getreide oder Datteln
gekocht und gegessen. »Pflanzen sind in unserer Umwelt allgegenwärtig«,
sagt Henry. »Daher ist es keine Überraschung, dass wir sie nutzen.«
»Die altmodische Vorstellung, Jäger und Sammler hätten keine Stärke gegessen, ist Unsinn« (Dorian Fuller, Archäobotaniker, University College London)
Im Mai 2021 berichteten Paläogenetiker um Christina Warinner von der Harvard University,
dass es ihnen gelungen war, bakterielle DNA aus dem Zahnbelag von
Neandertalern zu extrahieren. Darunter befand sich eine Probe vom Zahn
eines Individuums, das vor 100 000 Jahren auf dem Gebiet des heutigen
Serbien gelebt hatte. Einige der identifizierten Bakterienarten sind in
der Lage, Stärke in Zucker aufzuspalten. Vermutlich hatten sich die
Neandertaler also bereits an eine pflanzliche Ernährung angepasst. Im
Zahnstein früher anatomisch moderner Menschen fand sich ein ähnliches
Mikrobiom. Offenbar ernährten auch sie sich von stärkehaltigen Pflanzen.
Diese
Erkenntnisse widersprechen der weit verbreiteten Meinung, unsere
Vorfahren hätten ihre Zeit am Lagerfeuer verbracht und dabei nur
Mammutsteaks verspeist – Stichwort Paläodiät. Deren Anhänger fordern,
auf Getreide oder Kartoffeln zu verzichten, weil sich unsere
Jäger-und-Sammler-Vorfahren nicht davon ernährt hätten; sie evolutionär
nicht darauf eingestellt gewesen seien. Doch inzwischen ist klar, dass
seit der Altsteinzeit verschiedene Menschenformen, sobald sie das Feuer
kontrollieren konnten, auch kohlenhydrathaltige Nahrung zubereiteten und
verspeisten. »Die altmodische Vorstellung, Jäger und Sammler hätten
keine Stärke gegessen, ist Unsinn«, sagt Archäobotaniker Dorian Fuller.
Wer waren die Köche?
Um
herauszufinden, wie Menschen einst am Herdfeuer werkelten, wollen
Archäologen die Köche selbst genauer erforschen. Schon länger
beschäftigen sich Wissenschaftler mit dem Haushalts- und Alltagsleben
vergangener Kulturen. »Wir versuchen Informationsquellen zu finden, die
uns mehr über diese Menschen verraten, die in Schriftquellen nicht
vorkommen«, erklärt die Archäologin Sarah Graff von der Arizona State
University in Tempe.
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Stießen Forscher bisher auf pflanzliche Überreste, stuften
sie die Funde meist als »Ökofakte« ein – als natürliche, eher zufällig
entstandene Objekte. Samen, Pollen und verbranntes Holz dienten vor
allem dazu, die Vegetation einer Region zu rekonstruieren. Mittlerweile
hat sich das geändert. Nahrungsreste geben Aufschluss über Tätigkeiten,
die handwerkliches Können, gewisse Fähigkeiten und absichtsvolles
Handeln voraussetzen. »Der Fund eines zubereiteten Lebensmittels muss in
erster Linie als Artefakt verstanden werden, und an zweiter Stelle als
zu bestimmende Pflanzenart«, meint Fuller. »Erhitzt, fermentiert,
eingeweicht – die Tätigkeit, Nahrung zuzubereiten, ist durchaus mit den
Töpfern von Keramik vergleichbar.«
Weil Archäologen immer enger
mit Forschern aus Nachbardisziplinen zusammenarbeiten, tun sich immer
mehr erstaunliche Parallelen über Zeiten und Kulturen hinweg auf. In
Baden-Württemberg und der Schweiz etwa entdeckten Ausgräber an
neolithischen, mehr als 5000 Jahre alten Fundstellen ungewöhnlich
geformte Brandreste. Auf den ersten Blick schien es, als wäre der Inhalt
eines großen Tongefäßes so lange erhitzt worden, bis die Flüssigkeit
verdampft war und sich der organische Stoff einbrannte. Zunächst
vermuteten die Ausgräber, dass die verkohlten Krusten aus Vorratsgefäßen
für Getreide stammten, die bei einem Feuer zerstört wurden. Im
Rasterelektronenmikroskop fiel aber auf, dass die Zellwände einzelner
Körner ungewöhnlich dünn waren. Hier schien etwas anderes vorgefallen
zu sein.
Heiss und Valamoti verglichen die Reste mit solchen aus
altägyptischen Brauereien, die etwa derselben Zeit angehören. Ihr Fazit:
Die dünnen Zellwände waren durch Keimen oder Mälzen entstanden, eine
wichtige Phase im Brauprozess. Die frühen Bauern der Alpenregion hatten demnach Bier gebraut. »Wir kamen zu einem völlig anderen Ergebnis, als anfangs angenommen«, sagt Heiss.
Verräterische Blasen im Brot
Die
Kunst des Brotbackens scheint noch weiter zurückzugehen als das
Brauerhandwerk. Arranz-Otaegui forschte an einem 14 500 Jahre alten
Fundort in Jordanien, als sie verbrannte Stückchen von »möglichen
Nahrungsmitteln« aus den Feuerstellen einstiger
Jäger-und-Sammler-Kulturen klaubte. Sie legte die schwarzen Reste in ein
Rasterelektronenmikroskop und zeigte Aufnahmen davon der
Archäobotanikerin Lara González Carretero vom Museum of London
Archaeology. González Carretero arbeitet am neolithischen Siedlungsplatz
Çatalhöyük in der Türkei, wo sie nach Spuren von Brotbäckern sucht. Die
beiden Forscherinnen waren erstaunt, als sie die verkohlten Fragmente
aus Jordanien in Vergrößerung sahen: Sie entdeckten ebenjene Blasen, wie sie für Brot typisch sind.
Die
meisten Archäologen gehen davon aus, dass Brot erst mit der
Neolithischen Revolution auf den Speiseplan des Menschen kam.
Getreidezucht und Ackerbau etablierten sich aber 5000 Jahre, nachdem
Brotkrumen ins Herdfeuer der Jäger und Sammler fielen. Wie es scheint,
hatten die frühen Bäcker in Jordanien wilden Weizen verarbeitet.
Der
Fund könnte erklären, warum sich die Neolithische Revolution überhaupt
ereignete; sie weltweit, unabhängig voneinander, mehrfach und zu
unterschiedlichen Zeiten vonstattenging. Bevor es den Feldbau gab, war
Brot womöglich ein Luxusprodukt gewesen. Es erforderte viel Zeit und
mühsame Arbeit, genügend Wildgetreide zu sammeln. Vielleicht lieferte
der Aufwand den Anlass, den »Broterwerb« zu beschleunigen.
Arranz-Otaegui ist überzeugt davon, dass der Bedarf an Brot – zumindest
im Vorderen Orient – zur Domestizierung des Weizens führte. Weil man
nach einem Weg gesuchte hatte, stets genug Brot backen zu können. »Was
wir in Jordanien herausgefunden haben, ändert auch unser Bild vom großen
Ganzen«, erklärt Arranz-Otaegui. »Eine der wichtigsten Fragen in der
Archäologie lautet: Was hat den Übergang zur Landwirtschaft bewirkt? Und
jetzt sehen wir, dass Jäger und Sammler Getreide nutzten.«
Uralter Herd | An dieser Feuerstelle am Fundplatz
Shubayqa 1 in Jordanien entdeckten Forscherinnen und Forscher verbrannte
Reste von Brot. Das verkohlte Gebäck ist älter als die frühesten
Nachweise für Ackerbau
Als nächster Punkt auf dem Menü der Archäobotaniker steht
das prähistorische Salatbüffet – ebenfalls ein vernachlässigter Bereich
einstiger Ernährungsweisen. Derzeit tüfteln Forscher an Methoden, um
Spuren von rohem Gemüse nachzuweisen. Ungegartes Grünzeug zeichnet sich
nämlich noch seltener im archäologischen Fundspektrum ab als erhitzte
Samen und Körner. Lucy Kubiak-Martens nennt es das Missing Link in der
Forschung über prähistorische Ernährungsgewohnheiten. »Es gibt keine
Möglichkeit, anhand verkohlter Speisereste nachzuweisen, dass Menschen
einst grünen Salat verzehrten.« Aber es gibt zumindest eine vermutlich
auskunftsfreudige Fundgattung: »Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten,
wie viel grünes Gemüse sich in menschlichen Koprolithen finden lässt«,
sagt Kubiak-Martens. Die Rede ist von fossilierten oder konservierten
Fäkalien. Die niederländische Forscherin erhielt 2019 eine Förderung, um
6300 Jahre alte Koprolithen zu untersuchen, die sich in
Feuchtbodengebieten der Niederlande erhalten haben. Die
Wissenschaftlerin hofft, dass die Ausscheidungen preisgeben, was bei den
frühen Bauern Europas aufgetischt wurde.
Alte Mahlzeiten neu gekocht
Einige
Forscher scheuen keine Mühen, die vorgeschichtlichen
Ernährungsgewohnheiten aufzudecken. Wie im Fall von Göbekli Tepe. Dort
kamen kaum organische Überreste ans Licht – und damit viel zu wenig, um
die damalige pflanzliche Kost zu rekonstruieren. Aus diesem Grund ging
Laura Dietrich das Problem anders an. Anstatt die Speisen von damals
nachzukochen, nahm sie die überlieferten Küchenutensilien und bildete
sie nach.
In ihrer Experimentierküche in Berlin demonstriert
Dietrich ihr Verfahren, das nicht nur viel Zeit fordert, sondern auch
großen Körpereinsatz. Aus schwarzem Basalt hat sie einen handlichen
Reibstein ungefähr so groß wie ein Brötchen gefertigt. Dietrich
fotografiert das Stück aus 144 verschiedenen Blickwinkeln. Dann mahlt
sie Mehl. Acht Stunden lang zerreibt sie mit dem Basalt vier Kilogramm
Einkorn. Anschließend lichtet Dietrich den auch als Läufer bezeichneten
Stein erneut ab. Sie lädt die Bilder in ein Softwareprogramm, das daraus
zwei 3-D-Modelle kreiert. Ihr Fazit: Das Mahlen von feinem Mehl, das
zum Brotbacken taugt, hinterlässt andere Spuren auf der Steinoberfläche
als wenn das Getreide nur grob zerrieben wird, etwa um Brei zu kochen
oder Bier zu brauen.
Das Bier von Göbekli Tepe – »ein bisschen bitter, aber trinkbar, wenn du Durst hast und in der Jungsteinzeit lebst« (Laura Dietrich, Archäologin, Deutsches Archäologisches Institut Berlin)
Nachdem
die Archäologin mittlerweile Tausende von Reibsteinen in der Hand
hatte, spürt sie oft schon beim Anfassen, wofür sie einmal verwendet
wurden. »Ich berühre die Steine, um die Abnutzungsspuren zu ertasten«,
sagt sie. »Die Finger können Veränderungen auf der Nanoebene fühlen.«
Dietrich verglich die Gebrauchsspuren an ihren Kopien mit denen an
Läufern im Steingarten von Göbekli Tepe. Dabei fand sie heraus, dass mit
den dortigen Exemplaren nur selten feines Brotmehl gemahlen wurde. Viel
häufiger hatten die Menschen das Getreide nur grob zerrieben, wie Dietrich 2020 in einer Studie beschreibt.
Gerade ausreichend genug, um die harte Außenschale, die Kleie,
aufzubrechen. So ließ sich das Getreide leichter zu Brei kochen oder zu
Bier vergären.
Die Forscherin wollte ihre Hypothese prüfen. Sie
beauftragte einen Steinmetz, einen Steinbottich aus Göbekli Tepe mit
einem Fassungsvermögen von 30 Litern nachzubilden. Zusammen mit ihrem
Team kochte Dietrich 2019 damit Brei, indem sie heiße Steine in den
Behälter legte. In dem Gefäß braute sie auch neolithisches Bier aus
handgeschrotetem gekeimtem Getreide, also aus Malz. Was dabei herauskam,
war »ein bisschen bitter, aber trinkbar«, findet Dietrich, »wenn du
Durst hast und in der Jungsteinzeit lebst.«
Viel Getreide in Göbekli Tepe
Was
ging vor 12 000 Jahren in Göbekli Tepe vor sich? Offenbar etwas, das
Archäologen eigentlich sehr viel später vermuten. Die Reibsteine und
Tröge belegen, dass sich die Erbauer der Stätte mit dem wilden Getreide
gut auskannten und wussten, wie man es zubereitet. Im Grund waren sie
bereits frühe Bauern, obwohl sie nicht über domestizierte Nutzpflanzen
verfügten. »Das sind die besten Reibsteine überhaupt – und ich habe
schon viele Reibsteine gesehen«, sagt Dietrich. »Die Menschen in Göbekli
Tepe wussten, was sie taten und wie man mit Getreide umzugehen hat.
Über die Phase des Experimentierens waren sie hinaus.«
Dietrichs
Experimente haben die Deutung des Göbekli Tepe gewandelt. Zuvor gingen
die meisten Archäologen davon aus, dass sich auf dem Hügel zahlreiche
Jäger zu Festzeiten traf, gegrillte Antilope verspeisten und dazu
bottichweise lauwarmes Bier tranken. »Keiner hat die Möglichkeit
erwogen, dass hier im großen Stil pflanzliche Kost konsumiert wurde«,
sagt Dietrich.
In einer Studie aus dem Jahr 2020
legt sie dar, dass das »Grillen-und-Bier«-Szenario für Göbekli Tepe
ganz und gar nicht zutrifft. Die vielen Werkzeuge zur
Getreideverarbeitung zeigen, dass dort schon vor dem Übergang zum
Ackerbau Getreide zu den Grundnahrungsmitteln zählte – und nicht nur in
vergorener Form als gelegentliches Genussmittel.
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Nota. - Das würde ja auch wirklich nicht viel Sinn ergeben: Erst wurden die Menschen sess-haft und bauten Getreide an, und dann erfanden sie Brot und Bier... Andersrum ist es plausib-ler. Und es würde das alte Rätsel lösen: Warum in Gottes Namen haben die Menschen den Ackerbau erfunden? Das war doch harte Arbeit, und auf die Dauer hat es mehr Schaden als... Na ja.
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