Montag, 22. November 2021

Für das bedingungslose Grundeinkommen.


aus derStandard.at, 22. 11. 2021

Der Wiener Standard bringt heute ein Interview mit dem belgischen Philosophen und Ökonomen Philippe van Parijs.

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Van Parijs: Es gibt eine perverse Korrelation: Attraktivere Jobs werden viel besser bezahlt als unangenehme Jobs. Es sollte umgekehrt sein. Jetzt ist es so, dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer mit bestimmten Qualifikationen größer wird. Das Grundeinkommen würde genau das Gegenteil bewirken, es würde die Verhandlungsposition der Schwächeren stärken. Derjenigen, die sonst keine Wahl haben, als einen unangenehmen Job anzunehmen. Was müsste passieren? Die Gehälter für unattraktive Jobs müssten steigen oder diese Jobs angenehmer werden. Das wäre sozial fair. Es gibt viele systemrelevante Jobs, die sehr anstrengend sind. Zum Beispiel Krankenpfleger. Jetzt könnte man einwenden, dass wir ohnehin schon zu wenige Krankenpfleger haben und ein Grundeinkommen die Situation noch schlimmer machen würde. Aber es gäbe genügend Geld, um das Einkommen von Pflegern anzuheben. Man muss diejenigen besteuern, die derzeit viel mehr verdienen. Die würden ihre Arbeit weiterhin machen, ihr Gehalt würde ja weiterhin über dem Grundeinkommen liegen.

 

 

STANDARD: Womit wir bei der Frage der Finanzierung wären. Viele behaupten ja, ein Grundeinkommen sei nicht finanzierbar.

Van Parijs: In entwickelten Sozialstaaten müsste das bedingungslose Grundeinkommen zusammen mit einer Reform der Einkommenssteuer eingeführt werden. Es würde sich dann großteils selbst finanzieren. Sozialtransfers, die unter dem Grundeinkommen liegen, würden gestrichen. Und Leistungen, die drüber liegen, wie etwa Pensionen, um den Betrag des Grundeinkommens gekürzt. Weil dadurch manche bessergestellt werden, entstehen zusätzliche Kosten für den Staat. Die kann er durch eine Reform der Einkommenssteuer finanzieren. Zum Beispiel würde die Steuerfreiheit für niedrige Gehälter fallen, man würde jeden verdienten Euro gleich mit 30 Prozent oder mehr besteuern. Die Spitzensteuersätze auf hohe Einkommen würden steigen. Ein Vorteil wäre, dass Menschen nicht mehr in Sozialleistungen gefangen werden. Wer etwa Arbeitslosengeld bekommt, wird nur arbeiten gehen, wenn das Gehalt hoch genug ist. Bei einem bedingungslosen Grundeinkommen wäre das nicht der Fall, das Grundeinkommen wird nicht gestrichen. ...

 

Nota. - Er legt den Finger auf den springenden Punkt: Wenn Löhne und Gehälter nicht mehr daran gemessen würden, was die Ausbildung der jeweiligen Arbeitskraft einma gekostet hat, sondern daran, wieviel menschliche Mühsal die Arbeit heute kostet, wäre das Grundgesetz der bürgerlichen Gesellschaft außer Kraft gesetzt: das Wertgesetz. Nicht mehr der Tauschwert regierte den gesellschaftlichen Verkehr, sondern der Gebrauchswert, alias der Nutzen für einen jeden. Das müsste politisch reguliert werden statt ökonomisch.

Das wäre keine Sozialreform, sondern eine gesellschaftliche Revolution. Wie die durchzuset-zen wäre, ist freilich eine Frage für sich. 

JE


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