aus welt.de, 11. 1. 2022
Erst das Pferd machte den Krieger des Mittelalters zum Ritter. Denn es bewies, dass er sich ein Leben für den Kampf leisten konnte. Das mag erklären, warum in Filmen oder auf modernen Darstellungen die ritterlichen Reittiere als regelrechte Monster erscheinen, die sie offenbar gar nicht waren. Das zumindest ist das Ergebnis einer vom Arts and Humanities Research Council finanzierten Studie, die jetzt im „International Journal of Osteoarchaeology“ erscheint. Danach zogen viele Ritter mit besseren Ponys in die Schlacht oder auf den Turnierplatz.
Dafür hat ein Team von Wissenschaftlern der Universität von Exeter und weiterer britischer Hochschulen Pferdeknochen analysiert, die auf 171 archäologischen Stätten des Vereinigten Königreichs geborgen wurden und die zwischen 300 und 1650 n. Chr. datiert werden. Es zeigte sich, dass im Hochmittelalter ab etwa 1100 Pferde nicht einmal 1,48 Meter hoch waren, die Größe also eines Ponys nicht überstiegen. Erst ein Tier, dessen Widerrist, also der Übergang vom Hals zum Rücken, höher ist, gilt heutzutage als Pferd.
„Weder die Größe noch die Stärke der Knochen allein reichen aus, um Schlachtrosse sicher zu identifizieren“, sagt die Zooarchäologin Helene Benkert von der Universität Exeter. Die Körperformen der Tiere richteten sich nach den Anforderungen im Kampf, im Einsatz überhaupt und nicht zuletzt nach dem Geschmack der Käufer. Offenbar legten Züchter im Mittelalter mehr Wert auf das Temperament und körperliche Eigenschaften als auf die Größe.
Zum Panzerreiter machte ihn das „destrier“, das Kampfpferd, von dem begüterte Kämpfer durchaus mehrere Tiere im Bestand haben konnten. Sie waren neben Rüstung und Waffen das wertvollste Gut des Ritters. Man hat errechnet, dass ein solches Pferd Mitte des 12. Jahrhunderts so viel kostete wie 40 Zelter, 200 Saumtiere, 500 Ochsen oder 4500 Schafe, was der vier- bis fünffachen Summe entsprach, die ein englischer Ritter ein Jahr lang für seinen Lebensunterhalt aufwenden musste.
Diese Schlachtpferde waren nicht auf geradlinige Geschwindigkeit gezüchtet, sondern auf eine wohlausgewogene Mischung aus leichtfüßiger Beweglichkeit, Stärke, Ausdauer und kriegerischem Temperament, schreibt der Historiker Thomas Asbridge. Destrier wurden lange und intensiv trainiert. Denn sie mussten auf jeden Befehl ihres Reiters auch ohne Einsatz des Zügels reagieren, denn dieser hatte mit Lanze, Schwert und Schild alle Hände voll zu tun.
„Ganz entscheidend war auch die Abhärtung der Tiere gegen den dröhnenden Lärm und die entsetzliche Gewalt eines mittelalterlichen Schlachtfelds.“ Diese Pferde waren daher eine begehrte Beute, im Kampf oder im Turnier. Allerdings wird ihre Zahl in Relation zur übrigen Pferdepopulation im mittelalterlichen England einigermaßen überschaubar gewesen sein. Stellt man außerdem noch in Rechnung, dass der Fund von historischen Pferdeskeletten doch sehr vom Zufall abhängt, wird das methodische Problem der aktuellen Studie deutlich.
Sie unterstreicht einmal mehr, dass „das Schlachtross ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis der mittelalterlichen englischen Gesellschaft und Kultur“ ist, sagt der Archäologe Oliver Creighton von der Universität Exeter und wissenschaftlicher Leiter des Projekts: Als Statussymbol war das Pferd sowohl eng mit der Entwicklung aristokratischer Identität verbunden und spiegelt als Waffe die sich wandelnden Verhältnisse auf dem Schlachtfeld.
Dazu
passt, dass die Größe der Pferde just zu jener Zeit größer wurden, in
der die Ritter ihre militärische Rolle zunehmend verloren. In der Frühen
Neuzeit lösten Massenheere aus leicht bewaffneten Fußsoldaten
die schwer gepanzerten Ritter ab. Fürstliche Armeen führten von nun an
Kriege; dem Ritter blieb nur die Rolle des adligen Grundherrn. [Und, wenn er sich dafür nicht zu fein war, des mitzehrenden Höflings]
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