Freitag, 28. Januar 2022

Klimatismus und Offenbarung.

Den Sündern droht die Sintflut – das gilt noch heute. (Gustave Doré: Aussendung der Taube. Zeichnung nach einem Holzstich, 1865.) 

aus nzz.ch, 28. 1. 2022                                                              Gustave Doré, Aussendung der Taube

Ist der «Klimatismus» eine neue Religion? Die strukturellen Ähnlichkeiten sind verblüffend, trotz dem Ruf nach Wissenschaftlichkeit
Hier wie dort gibt es Propheten, Apokalypse, Schuld – und Hoffnung: was alte Glaubenslehren und die neuen Dogmatiker verbindet.

von Josef Joffe

Naturschutz ist nicht neu. Schon im 13. Jahrhundert wurde der Kahlschlag im Gasteiner Tal verboten, später der Vogelfang in Zürich. Fridays for Future ist auch nicht ganz taufrisch. 1895 entstand in Amerika die erste landesweite Bewegung, der Sierra Club, dem wir Nationalparks wie Yellowstone verdanken. Doch das Motto war praktisch-pragmatisch: «erkunden, geniessen, schützen».

Inzwischen wuchert die kosmische Angst. Dass der Umweltschutz religiöse Züge aufwies, fiel diesem Autor 2007 ein, als im kalifornischen Napa-Tal das «Gaia»-Hotel aufmachte. Es fehlte die traditionelle Bibel im Nachttisch; nun lag da «An Inconvenient Truth», der Weltbestseller des Ex-Vizepräsidenten Al Gore. Die Botschaft: Erderwärmung ist Weltuntergang.

Die Lehre des Untergangs

Verdammnis ist eines der ältesten religiösen Motive. Was schon im Gilgamesch-Epos aufschien, wurde in den schwärzesten Farben als Sintflut in der Genesis ausgemalt: als göttliche Todesstrafe für «der Menschen Bosheit». Es ging noch einmal gut aus, weil Gott Noah, einen «frommen Mann ohne Tadel» als Retter auserkoren hatte. Als in unserer Zeit der «Klimaleugner» (siehe «Gottesleugner») auftauchte, verdichtete sich die Vermutung vom Gleichklang von «Klimatismus» und Religion. Wie funktioniert ein solcher Glaubenskomplex, sagen wir, der jüdisch-christliche? Der Strukturelemente sind vier.

Als Erstes muss ein Prophet her – einer, der weit in die Zukunft blickt und die «Vertilgung» der Menschheit voraussagt. Etwa Jesaja, der rief: «Weh dem sündigen Volk, der schuldbeladenen Nation» (1, 4). Oder Al Gore, der sagte: «Wir Amerikaner haben gesündigt (...), wir müssen Busse tun, indem wir unsere Bequemlichkeiten opfern.» Ähnlich tönt es bei Greta Thunberg: «Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt.»

In der zweiten Abteilung muss eine Religion die Apokalypse beschwören. Johannes verkündet in Offenbarung 13, 13: Es werde «Feuer vom Himmel fallen». Bei Thunberg ist der Weltuntergang schon da: «Ihr müsst handeln, als würde euer Haus brennen. Denn es brennt.» Die Bibel ist ein Kompendium des Verderbens seit der Sintflut. Sodom und Gomorrha werden im Feuersturm vernichtet. Die Zehn Plagen zeichnen den Untergang Ägyptens vor. Kaum sind die Kinder Israels entflohen, will Gott gar sein eigenes Volk umbringen, weil es dem Goldenen Kalb gehuldigt hatte.

Die Statistik der Apokalypse

Heute bewaffnen sich die Vorboten des Verhängnisses mit Annahmen, Modellen und Statistiken. Das schmelzende Eis werde Küsten überfluten. Hurrikane würden das Land verwüsten. Unsere Vorfahren haben überall Zeichen des Bösen erblickt; wir tun es auch. Vor ein paar Jahren waren die Rodungsbrände in Brasilien das Menetekel. Der schwarze Rauch vergifte die «Lunge der Welt», ersticke die Menschheit. In Offenbarung 6, 13 heisst es: «Die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der Mond ward wie Blut.»

In der dritten Abteilung kommt die Schuldfrage. Die Machthaber sind das Böse. «Der Herr geht ins Gericht mit den Ältesten seines Volkes und seinen Fürsten», donnert Jesaja in 3, 14. «Denn ihr habt den Weinberg verderbt», eure Gier bedient.

Heute ist es der reiche Westen. Der Herr wird euch «den Schmuck an den köstlichen Schuhen wegnehmen und die Heftel, die Spangen» (3, 18). Und vor ihm wird sich «jedes Knie beugen» (45, 23). Die Klimaprophetin Thunberg: «Die Zivilisation wird geopfert, damit einige wenige sehr viel Geld verdienen.» Die hätten «gewusst, welchen unbezahlbaren Wert sie opfern, um unvorstellbare Mengen Geld zu scheffeln».

Der Ausweg

Nun aber Teil vier: kein Prophet ohne Hoffnung und Erlösung. «So jemand nicht ward geschrieben in dem Buch des Lebens, ward er geworfen in den feurigen Pfuhl» (Johannes 20, 15). Aber der Geläuterte werde Gnade erfahren, so er denn seine Sünden gebeichtet, Umkehr gelobt und Busse auf sich genommen habe.

Im Klimatismus kommt die Rettung aus dem Verzicht, was auch ein religiöser Topos ist. Jesaja grollt: «Eure Häuser sind voll von dem, was ihr den Armen geraubt habt» (3, 18). Heute ist es die Ausbeutung der Dritten Welt. Sühne heischt Entsagung: Weg mit dem Tand! Fahrrad statt Autos, Zug statt Flugzeug. Kein Fleisch, weil Viehzucht die Wälder vernichtet und die Atmosphäre mit Methan vergiftet. Verteuert die Energie, auch wenn das die Armen härter trifft als die Reichen. Lasst ab vom Götzen «Wachstum».

Was ist das Problem? Die Eisbären sterben nicht aus, sondern vermehren sich. Die Seychellen sind noch nicht im Meer versunken. Wetter ist nicht Klima, obwohl wir jeden Tornado als Zeichen des Himmels wahrnehmen. Die Dritte Welt wird reicher – dank dieser verdammten Globalisierung. Ist die Erderwärmung zyklisch oder der rasanten Industrialisierung geschuldet? Die historischen Statistiken, die in die Urzeiten zurückreichen, messen zwar den parallelen Anstieg von CO2 und Temperatur. Was aber ist Ursache, was Effekt – zumal es vor Hunderttausenden von Jahren weder Autos noch Fabriken gab?

Solche Fragen mögen den Köpfen von «Klimaleugnern» entspringen. Gravierender ist das Grundsätzliche: die Unvereinbarkeit von Glauben und Empirie. «Ich glaube» bedeutet «ich weiss». Wissenschaft aber ist die widerlegbare Hypothese anstelle von Gewissheit. Die Welt zerfällt in Rechtgläubige und Häretiker, was dem Klima nicht dient. Es entsteht ein Dialog der Taubstummen, der beide Seiten nicht schlauer macht.

Abwägende Sprache

Eine Schicksalsfrage wie das Klima muss ergebnisoffen sein – aus zwei Gründen. Einen darf man den Berichten des Weltklimarates entnehmen. Den betrachten die Gläubigen wie die Bibel 2.0. Tatsächlich ist die Sprache abwägend und vorsichtig; man möge nur die 24 Seiten des «Summary for Policy Makers» in dem 600-Seiten-Wälzer von 2018 lesen.

Die «Zusammenfassung» prophezeit nicht, sie sichert sich ab – ganz anders als die Medien mit ihren Trompetenstössen. «Menschliche Aktivitäten haben geschätzt etwa 1 Grad Erderwärmung verursacht. Es ist möglich, dass sie 1,5 Grad zwischen 2030 und 2052 erreicht, wenn die Temperatur weiter steigt.»

Extremwetter wird durch «Attributionsstudien» erklärt, auf Deutsch: Wir wissen nicht genau, was was erzeugt. Es geht um Wahrscheinlichkeiten und Hochrechnungen, die auf Annahmen basieren. Menschengemachte Emissionen «allein treiben nicht unbedingt die Erwärmung von 1,5 Grad», heisst es. In den Medien ist die Rede von 4 Grad, ganz bestimmt. Risiken hingen laut IPCC von vielen Faktoren ab wie «Tempo der Erwärmung, Geografie, Industrialisierung». Jesaja kannte kein Wenn. Doch gewöhnlichen Sterblichen ist Weissagung nicht gegeben. Wissenschafter kennen nur Konditionale, Schätzungen und Projektionen. Zu Recht.

Wo die Grauzone liegt

Das zweite Problem ist: «Was tun?» Hausbesitzer können Feuer nicht voraussagen. Trotzdem werden sie sich eine Brandversicherung anschaffen. Das gleiche Vorbeugeprinzip gilt für den Klimaschutz. Die Frage ist nur: Wie hoch soll die Prämie sein? Radikale Klimaschützer denken nicht an Abwägung, sondern an Apokalypse. Was immer der Preis – er muss sein, auch wenn Wachstum, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit leiden.

Rationale Vorbeugung muss sich aber an den Kosten orientieren. Um die haben sich Jesaja und Johannes aus gutem Grund nicht gekümmert. Nur der Weltuntergang kann Zerknirschung und Läuterung erzwingen. Konjunktive bremsen dagegen die pädagogische Wucht der Weissagung. «Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht», predigt Thunberg.

Doch stimmt das? Noah hat die Arche konstruiert; seine Nachfahren werden sich auch zu helfen wissen. Indem sie nicht zu dicht an über die Ufer tretenden Flüssen bauen oder am feuergefährdeten Waldesrand. Um sich gegen die Dürre zu wappnen, werden sie hitzeresistente Samen züchten, gegen die Fluten werden sie Dämme und Deiche hochziehen. Und sie werden nicht wie in Deutschland alle Atomkraftwerke stilllegen, um Strom aus französischen Meilern und schmutziger polnischer Kohle zu beziehen.

Der naturbewusste Mensch räsoniert über Kosten und Nutzen. E-Autos statt CO2-Schleudern? Herstellung und Entsorgung von Batterien sind nicht ökofreundlich. Windmühlen töten Vögel und Insekten, die Obstbäume befruchten. Vegan ist gut fürs Vieh, aber nicht für die CO2-fressenden Wälder, die gerodet werden müssen, um Platz für Nährpflanzen zu schaffen – und bitte ohne Kunstdünger! Subventionierte Sonnenenergie jagt die Strompreise hoch und macht die Ärmeren ärmer – hier und heute. Der Glaube bewegt Berge, Politik ist eine Sache von Kosten und Konsequenzen.

Ketzer gegen Gläubige

Just derlei pragmatisches Denken ist der ärgste Feind der Untergangspropheten; ohne kosmischen Druck keine Umerziehung. Nur die Apokalypse kann die Welt umkrempeln, nur das Allerschlimmste das Gute gebären. An Stellschrauben zu fummeln, lullt dagegen die Menschen ein. Kostenbewusstes Reformieren nimmt die Angst und blockiert die Erlösung vom Übel. Nur der Blick in den biblischen «Feuersee» kann uns retten.

Was sagt die Wissenschaft, auf die sich «Häretiker» wie «Apokalyptiker» berufen? Hier soll der Philosoph Karl Popper das letzte Wort haben: «Alle Theorien sind Hypothesen.» Nur der empirische Befund erlaubt «Widerlegung und damit die Weiterentwicklung der Theorie. Eine Wissenschaft, die ihre Theorien gegen Kritik immunisiert (. . .), ist Pseudowissenschaft oder Glaube.» Wissenschaft ist nicht Gesinnung, sondern kritischer Disput.

Ketzer und Gläubige reden freilich nicht miteinander. Der Glaube, so Luther, ist eine «feste Burg». Die sperrt störende Fragen links wie rechts aus. Und damit Neugier, die kluge Umweltpolitik vorzeichnet.

Josef Joffe unterrichtet internationale Politik und Ideenlehre an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington.

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