aus derStandard.at, 11. 2. 2022 Triumph des Todes, Fresco aus dem Bürgerhospital im
Palazzo Sclafani in Palermo. um 1445
Das mittelalterliche Europa hatte mit einer ganzen Reihe von Krankheiten zu kämpfen. Während Typhus, Ruhr, Lepra oder Pocken jedoch im Allgemeinen meist nur lokal grassierten, sorgte ein Erreger im 14. Jahrhundert für eine kontinentale Katastrophe: Das Pest-Bakterium Yersinia pestis brachte den Schwarzen Tod über Europa, Westasien und Nordafrika, alleine zwischen 1346 und 1353 raubte es einem Drittel der europäischen Bevölkerung das Leben. DNA-Analysen weisen darauf hin, dass dieser Peststamm mit dem Pelzhandel aus Russland und Zentralasien nach Europa gelangt war.
Die Pest wurde für zahlreiche Veränderungen in Religion, Politik und Kultur verantwortlich gemacht. Wie sich die Seuche jedoch demographisch auswirkte, wo sie wie stark wütete, blieb bislang an relativ wenige Schriftquellen gebunden und wurde nicht abschließend verstanden. Nun haben Forschende durch Analysen von Pollendaten aus 19 europäischen Ländern gezeigt, dass die Pest zwar in bestimmten Regionen durchaus verheerende Folgen hatte, in anderen Teilen Europas jedoch sehr viel weniger stark oder auch gar nicht auftrat.
Landschaftlichen Veränderungen auf der Spur
Ein
internationales Forschungsteam unter der Leitung der Palaeo-Science and
History-Gruppe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte
(MPI-SHH) analysierte dafür fossile Pollen von 261 Untersuchungsorten
aus 19 europäischen Ländern. Ziel war es zu bestimmen, wie sich
Landschaft und landwirtschaftliche Aktivität zwischen 1250 und 1450
veränderten. Ihre Analysen unterstützen die bisherigen Erkenntnisse,
dass bestimmte europäische Regionen besonders schwer von der Pest
getroffen wurden. Sie zeigen jedoch auch, dass einige Regionen weniger
stark von der Seuche heimgesucht wurden.
Die Palynologie – die Untersuchung von Sporen und Pollenkörnern –
diente dabei als ein besonders wichtiges Werkzeug zur Untersuchung der
demographischen Auswirkungen der Pest. Mithilfe eines neuen Ansatzes,
genannt Big-data paleoecology (BDP), analysierten die Forschenden 1.634
Pollenproben, die in ganz Europa gesammelt wurden. Dadurch konnte das
Team abschätzen, welche Pflanzen in welchen Mengen angebaut wurden. In
welcher Region der Ackerbau völlig zum Stillstand kam, konnte mit dieser
Methode ebenso nachgewiesen werden, wie die Wildpflanzenarten, die auf
den früheren Feldern nachwuchsen.
Quellen bestätigen die Pollen
Einen besonders starken Rückgang landwirtschaftlicher Aktivität erlebten Skandinavien, Frankreich, Südwestdeutschland, Griechenland und Mittelitalien. Dies korreliert mit den hohen Sterblichkeitsraten, die bereits in mittelalterlichen Quellen beschrieben wurden. Zentral- und Osteuropa sowie Teile Westeuropas, darunter Irland und die Iberische Halbinsel, zeigten hingegen Anzeichen für Kontinuität und ununterbrochenes Wachstum. Auch Regionen wie Böhmen, Ungarn und Polen könnten ihre Blüteperiode ab 1350 nicht zuletzt dem Ausbleiben des Schwarzen Todes verdanken, wie die Forschenden im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" berichten.
"Diese signifikante Variabilität in der Mortalität muss erst noch
vollständig erklärt werden. Doch lokale Gegebenheiten hatten
wahrscheinlich einen Einfluss auf die Verbreitung, die Infektionsrate
sowie die Sterblichkeit von Y. pestis", so Alessia Masi vom MPI-SHH und
der Universität La Sapienza in Rom.
Verfälschte Daten
Ein Grund für diese überraschenden
Ergebnisse liegt darin, dass viele der quantitativen Quellen aus urbanen
Gebieten stammen, welche besonders durch beengte Räumlichkeiten und
schlechte Hygiene gekennzeichnet waren. In der Mitte des 14.
Jahrhunderts lebte jedoch mehr als drei Viertel der europäischen
Bevölkerung in ländlichen Regionen. Die aktuelle Studie zeigt, dass für
die Untersuchung der Mortalität in einer bestimmten Region Daten aus
lokalen Quellen rekonstruiert werden müssen, darunter auch mit dem
BDP-Ansatz, um etwaige Veränderungen der örtlichen Landschaft zu
bestimmen.
"Es gibt kein universelles Modell für ‚die eine Pandemie‘ oder den
‚einen Pestausbruch‘, welches für jeden Ort und jeden Zeitpunkt
angewendet werden kann", sagt Adam Izdebski vom MPI-SHH. "Pandemien
sind komplexe Phänomene, die jedoch auch immer regionale und lokal
unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Was wir schon während der
Covid-19-Pandemie erlebten, konnten wir nun auch für die damaligen
Pestausbrüche zeigen." (red.)
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