Freitag, 25. Februar 2022

Nach mir die Sintflut.


Ich kann das Ende der europäischen Friedensordnung nicht unkommentiert lassen.

Vor gut fünf Jahren habe ich hier in diesem Blog  geschrieben:

"Das System ist mehr bonapartistisch als feudal. Persönliche Gefolgschaften ja, aber anders als in der späten Sowjetunion, auf deren Hinterlassenschaft es aufbaut, ist es ohne institutionelle Legitimität, alles hängt vom währenden Charisma des obersten Steuermannes ab. Dazu gehö-ren Erfolge in der Außenpolitik. Nach innen gehört dazu die Austrocknung der mafiösen Strukturen, die die letzen Jahrzehnte des Sowjetregimes gekennzeichnet haben.

Aber das ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Ein Regime ohne eigene Legitimität hat gar keine andere Wahl, als sich immer wieder durch Korruption abzusichern. Die Idee, die einer haben könnte, man müsse Putin außenpolitisch entgegenkommen, damit er seine interne Sa-nierungsarbeit erledigen kann, wäre naiv: Die wird er nie erledigen."

Die bonapartistische Konstellation, die ihm Jelzin hinterlassen hatte, konnte er sich nicht aussuchen. Und zwei Jahrzehnte zunemender Isolation in seinem Hofstaat bleiben nicht ohne Folgen. Die Illusion der Autokratie mag ihm zu Kopf gestiegen sein.

Doch die innere Stagnation, in der einige sehr Reiche noch reicher werden und wohl auch noch Glücksritter eine Chance finden, die aber die ererbten Strukturen unangetastet lässt, kann er nicht überwinden, ohne die delikaten Kräftegleichgewichte aufs Spiel zu setzen. Eine abenteuerliche Außenpolitik, wo ihm kein ernsthafter Widerstand begegnete, erlaubte ihm eine neue Stabilisierung.

Nach der Annexion der Krim schrieb ich:

"Putin hat keine andere Wahl mehr als die bonapartistische Karte: abenteuerliche Außenpo-litik, um das Regime im Innern so lange zusammenzuhalten, wie es eben geht. Doch wenn es nicht mehr geht - was passiert dann? Auf keinen Fall wird man die Risiken mindern, wenn man ihn jetzt zu appeasen sucht. Das macht nur alles noch unberechenbarer

Hat Putin einen Plan? Es ist wohl schlimmer: Er hat anscheinend keinen Plan. Doch für einen Mann ohne Plan hat er zu viel Macht. Das ist die wunde Stelle, auf die Snyder zum Glück hin-weist, statt der Versuchung nachzugeben, ihn als einen finsteren, zu allem entschlossenen Er-ben Stalins und Iwans der Schrecklichen darzustellen.

Wenn Gerhard Schröder beteuert, Putin sei ein authentischer Demokrat, dann mag er viel-leicht sogar Recht haben, aber davon hat niemand was: Eine Demokratie ist aus Jelzins WildWest-Kapitalismus nicht hervorgegangen, sondern ein bonapartistisches Regime, dem nichts anderes übrigbleibt, als zwischen den tausendfältigen gesellschaftlichen Kräften - von den Oligarchen über die Mafia und die alte Nomenklatura bis zu den wie immer stimmlosen, aber auch ruhebedürftigen Massen - hin und her zu lavieren, mit den KGB-Kadern als seiner loyalen Dezemberbande und den paar mehr oder minder intellektuellen Oppositionellen als Popanz. Wirklich repräsentativ ist dort niemand, jeder läuft seinem unmittelbarsten Vorteil nach, Parteien in einem politischen Sinn sind noch immer nicht entstanden. 

Noch vor wenigen Monaten war Putins Autorität im Keller. Da bot sich ihm die Gelegenheit, die noch jeder Bonaparte ergriffen hat, um sein wankendes Regime im Innern neu zu festigen: ein auswärtiges Abenteuer, ein - nur nach außen, nicht nach innen larvierter - Krieg. Wobei der Griff nach der Krim einen guten strategischen Sinn hatte: die Seeherrschaft im Schwarzen Meer zu sichern. Dagegen sind die Scharmützel am Don völlig aus dem Ruder gelaufen. Zuerst war da der Versuch, die Ukraine als russische Satrapie auszubauen, aber der hat hervorgerufen, was es bis dahin gar nicht gab: ein ukrainisches Massennationalbewusstsein, an dem Putin nun nicht mehr vorbeikommt. 

Genauso wenig kommt er jetzt aber an dem großrussischen Chauvinismus vorbei, den er zu-hause entfacht hat. Was soll er bloß mit den verrosteten Stahlwerken im Donbass? Die sind keine einzige Patrone wert. Aber fahren lassen kann er sie auch nicht mehr, dann ziehn sie ihm daheim das Fell über die Ohren. Mein Gott, wenn er doch nur einen Plan gehabt hätte!"

Hatte er schon damals womöglich doch einen Plan?

Die Träume vom erneurten russischen Großreich sind keine historische Konstante, wie Leitartikler räsonnieren, sondern der stets prekären bonapartischen Situation geschuldet. Anders als der Aufstieg Chinas zur zweiten Weltmacht sind sie kein epochales Datum, mit dem dauerhaft zu rechnen ist. Das macht sie, wie wir sehen, nicht weniger gefährlich. Die bonapartistische Konstellation hat ihre eigene Logik: Sie ist wie eine Spirale und erlaubt immer nur vorwärts!  Jeder Schritt zurück, jedes Einlenken droht das Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. Dass Putins Vorstoßen eine Flucht ist, darf niemanden beruhigen.


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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