aus derStandard.at, 12. März 2022 Beachten Sie den Hl. Georg über seinem Haupt!
Putins treue Einflüsterer
Nur eine Handvoll
alter KGB-Genossen soll beim Kriegsherrn im Kreml, Wladimir Putin, noch
Gehör finden. DER STANDARD hat sie unter die Lupe genomme
von Florian Niederndorfer
Als Nikolaus II., Russlands letzter Zar, in den Wirren des Ersten
Weltkrieges nicht mehr weiterwusste, rief er nicht etwa seine Generäle,
die Großfürsten seines Reichs oder andere Honoratioren an seinen Hof, um
sie um Rat zu bitten, sondern einen obskuren Wanderprediger und
Geistheiler. Sein Name: Rasputin.
Zum Missfallen der damaligen Elite war er es, auf den der Monarch zu
hören schien, obwohl – oder gerade weil – er zu Beginn des Krieges
gänzlich anders entschied, als es ihm Rasputin dem Vernehmen nach
geraten hatte: Nikolaus zog in den Krieg, obwohl sein Land nicht darauf
vorbereitet war.
Mehr als ein Jahrhundert später teilt Russlands heutiger Kriegsherr
Wladimir Putin seine Gedanken ebenfalls höchstens mit einer
handverlesenen Clique – durch die Bank Männer, alle um die 70, meist
gestählt im Sowjetgeheimdienst KGB und zufällig mehrheitlich aus jener
Stadt gebürtig, in der einst Rasputin wirkte: Sankt Petersburg, das
frühere Leningrad.
Während im Westen bekannte Spitzenpolitiker wie Außenminister Sergej
Lawrow, Ministerpräsident Michail Mischustin oder Ex-Präsident Dmitri
Medwedew zwar nach außen hin Putins Sicht auf die Welt wiedergeben
(Nazis in der Ukraine, Atomwaffen als Drohung gegen den Westen), sind es
vor allem die alten Kameraden aus Geheimdienstzeiten, denen Putin Gehör
schenkt. Ihr wichtigstes Ass im Ärmel: unbedingte Loyalität.
Wie rasch es nämlich gehen kann, beim Kremlherrn in Ungnade zu
fallen, musste jüngst Sergej Naryschkin am eigenen Leib erfahren. Bei
der im Fernsehen übertragenen Sitzung des russischen Sicherheitsrats im
Prolog des Angriffs auf die Ukraine wand sich der Chef des
Auslandsgeheimdienstes SVR so nervös in Putins Mangel, dass er zitterte
und zu stottern begann, als ihn der Präsident um seine Meinung zur Lage
in der Ostukraine fragte. Zur innersten Riege rund um Putin gehört der
solcherart blamierte Chefspion heute nicht mehr.
Kein Aufstand in Sicht
Die im Westen dieser Tage immer wieder
geäußerte Hoffnung, eine Palastrevolte könnte das System Putin und
damit dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden, teilt
Russland-Kenner Gerhard Mangott nicht. "Diese Leute wissen, dass sie
auch fallen, sobald Putin fällt." Als Einflüsterer hätten sie selbst
viel zu viel zu verlieren, als dass sie sich gegen ihren Präsidenten
auflehnten.
Auch deshalb, weil sich die durchwegs geschichtsbeflissene
Altherrenriege wohl auch des Schicksals ihres Vorgängers Rasputin
bewusst sein dürfte. "Solange ich lebe, wird auch die Dynastie leben",
hatte der Chefberater des Zaren einst prophezeit. Er sollte recht
behalten. Als Russland 1916 tiefer und tiefer im Kriegschaos zu
versinken drohte, war erst Rasputin ermordet worden, bevor wenige Monate
später die Revolution auch die Zarenherrschaft hinwegfegte. Ein
Szenario, das Putins Clique mit allen Mitteln wird verhindern wollen.
Nikolaj Patruschew: Der Mann fürs Grobe
Als Sekretär des Sicherheitsrats gilt Nikolaj Patruschew als graue
Eminenz unter den "Silowiki", wie der allmächtige Sicherheits- und
Geheimdienstapparat im postsowjetischen Russland genannt wird. Keinem
anderen sagen Fachleute einen so engen Draht zu Putin nach, niemand
sonst soll so großen Einfluss auf dessen Denken und Tun haben wie der
70-Jährige.
1975 kreuzten sich die Wege der beiden damals jungen Männer zum
ersten Mal: beim KGB, dem sowjetischen Geheimdienst. Seite an Seite
traten sie von dort aus ihren Marsch durch die Institutionen an.
Gemeinsam drückten sie auch die Schulbank in der KGB-Hochschule Feliks
Dzierżyński – benannt nach dem Gründer der Geheimpolizei Tscheka, die im
Auftrag Lenins die echten und vermeintlichen Gegner der Revolution
verfolgte.
1999 löste Patruschew seinen einstigen Klassenkameraden an der Spitze
des KGB-Nachfolgers FSB ab und blieb dort bis 2008. Die britischen
Behörden gehen davon aus, dass Patruschew die Vergiftung des
FSB-Überläufers Alexander Litwinenko in London 2006 ebenso wie Putin
selbst gebilligt hat.
Ideologisch fühlt sich Patruschew weniger der Sowjetunion
verpflichtet als dem Zarenreich. In seinem Hass auf den Westen, den er
als zutiefst dekadent verachtet, dürfte Patruschew seinen Chef sogar
noch übertreffen. Die Ukrainer, die er im vergangenen Herbst als
"Nichtmenschen" abwertete, wiegte er am 30. Jänner noch in Sicherheit:
"Wir wollen keinen Krieg, wir brauchen ihn nicht." Etwas mehr als drei
Wochen später wollte er ihn doch.
Sergej Schoigu: Der "General" muss jetzt liefern
Als Wladimir Putin vor einigen Jahren jene berühmten Bilder
inszenierte, die ihn mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitend in
den sibirischen Weiten zeigten, war ein Mann nicht weit, der wie kein
anderer fast seit Beginn an die Geschicke des postsowjetischen Russland
mitprägt. Sergej Schoigu, seit 1994 erst als Zivilschutz- und seit zehn
Jahren als Verteidigungsminister in Diensten Boris Jelzins und Wladimir
Putins, hatte den um sein viriles Image besorgten Präsidenten auf dessen
Fototrip in seine Heimat Tuwa an der Grenze zur Mongolei begleitet.
Und auch sonst ist der zwar wenig eloquente, dafür aber durchaus
populäre 66-Jährige – lange galt er trotz seiner indigenen Abstammung
als möglicher Nachfolger Putins – stets bedacht, seinem Präsidenten treu
zu dienen. Anders als die meisten anderen Kader im engsten Kreis rund
um Putin verfügt Schoigu weder über KGB-Erfahrung, noch hat er sich als
Soldat Meriten erworben.
Dass Schoigu in den vergangenen zehn Jahren mit ganzer Kraft die
Modernisierung der Streitkräfte vorantrieb, gilt als wichtigster Grund
für seinen engen Draht zu Putin. Als Chef des Militärnachrichtendienstes
GRU zeichnet Schoigu den britischen Behörden zufolge für Mordanschläge
im Ausland wie auch im Inland verantwortlich: Die Vergiftung des
Putin-Gegners Alexej Nawalny 2020 soll ebenso auf sein Konto gehen wie
der Giftanschlag in Salisbury 2018. Im Ukraine-Krieg muss der "Diener
des Zaren und Vater der Soldaten", wie Schoigu in russischen Medien
bisweilen genannt wird, jetzt aber liefern.
Alexander Bortnikow: Der Agent mit einer Schwäche für Stalin
Welche Informationen über den Fortgang der "Spezialoperation" in der
Ukraine auch immer Putin zu Ohren kommen – die Wahrscheinlichkeit ist
hoch, dass sie vorher über Alexander Bortnikows Schreibtisch gewandert
sind. Seit Jahren munkeln Kreml-Kenner, dass der Präsident so gut wie
ausschließlich den Dossiers Glauben schenkt, die ihm sein Adlatus
vorlegt.
Als Direktor des Inlandsgeheimdienstes ist der 70-Jährige Putins
Nachnachfolger in der Lubjanka, dem Moskauer FSB-Hauptquartier. So wie
Putin selbst hat sich auch Bortnikow im Leningrad der Siebzigerjahre
seine ersten Sporen beim KGB verdient. Seit damals verliefen die
Karrieren der beiden Männer weitgehend parallel – freilich auf
unterschiedlichen Ebenen. Kurzzeitpräsident Dmitri Medwedew war es, der
den Wirtschaftsspezialisten Bortnikow 2008 in den Chefsessel beim FSB
hievte.
Was die Unterdrückung von Widerspruch betrifft, nimmt sich der
studierte Eisenbahningenieur kein Blatt vor den Mund: 2017 preiste er
öffentlich die mörderischen Säuberungen unter Stalin.
Viel spricht dafür, dass der FSB-Chef zu den wenigen Menschen gehört,
mit denen der Angriff auf die Ukraine vorab abgesprochen war. Nur
Stunden vor dem ersten Schuss war es Bortnikow, der Putin öffentlich auf
die "verschlechterte Sicherheitslage" hinwies. Die Gerüchte, wonach
FSB-Agenten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor
Attentatsplänen gewarnt haben sollen, dürften ihn nun aber unter Druck
setzen.
Juri Kowaltschuk: Putins Lebensmensch und Bankomat
In den endlosen Monaten des Corona-Sommers 2020, den Putin streng
isoliert in seiner Datscha am Waldaisee – auf halbem Wege zwischen
Moskau und Sankt Petersburg – zubrachte, wurde es einsam um Russlands
Präsidenten. Seine Gedanken, so erzählen es Kreml-Insider, sollen in
dieser Zeit weniger um die Gegenwart gekreist sein, um die Pandemie
etwa, die Wirtschaftslage oder die Wahl in den USA, als vielmehr um die
Vergangenheit: Wie könnte es gelingen, Russland wieder groß zu machen?
Als mehr oder weniger einzige ständige Kontaktperson an seiner Seite
soll Putin just jenen Mann auserkoren haben, der dazu selbst einiges zu
sagen hat: Juri Kowaltschuk, ein promovierter Physiker und so etwas wie
Putins Chefideologe und Geldbeschaffer in Personalunion. Wie der
Präsident glaubt auch der 70-Jährige fest an jenes Amalgam aus
orthodoxer Spiritualität und antiwestlicher Verschwörungstheorie, das
heute als Triebfeder des Ukraine-Krieges dient.
Ihren Ausgang nahm die Männerfreundschaft 1990, als Putin gerade im
(damals noch sogenannten) Leningrader Rathaus angeheuert hatte und
Kowaltschuk in einem renommierten Labor arbeitete.
Dreißig Jahre später ist der passionierte Sammler von Weingütern
Vorsitzender des Aktionärsbeirats der Bank Rossija, die die Geschäfte
Putins und der seinen abwickelt. Über die Jahre hat er zudem ein
Medienimperium mit zehn TV-Sendern, vier Nachrichtenagenturen und
sozialen Netzwerken aufgebaut. Um Putin zu erreichen, ist er darauf
freilich nicht angewiesen.
Igor Setschin: Der "Darth Vader" unter den Oligarchen
Vergangene Woche war es im romantischen Hafen von La Ciotat an der
Côte d’Azur aus mit der wahren Liebe im Leben des Igor Setschin: Die
französische Polizei beschlagnahmte die Amore Vero, eine 88 Meter lange
Luxusyacht, die dem Chef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft und
Putin-Intimus gehören soll.
Jetzt, da die halbe Welt über einen Importstopp für seine sonst so
begehrte Ware diskutiert, gerät der 61-Jährige gleich an zwei Fronten
unter Druck: einerseits wegen der Sanktionen, die ihn schon sein
liebstes Spielzeug gekostet haben, andererseits wegen seines legendär
engen Verhältnisses zum Kriegsherrn. Wenn Putin auf einen hört, dann auf
Setschin, heißt es.
Die Frage ist, ob dieser das will. Der gelernte Militärdolmetscher
hat es sich schließlich blendend gerichtet. Erst ließ er als Putins
Sekretär Oligarchen wie Yukos-Chef und Regimekritiker Michail
Chodorkowski verfolgen, dann brachte er deren Konzerne wieder in den
Schoß des Kreml zurück. Als Vorstandsvorsitzender von Rosneft, wo er
einem gewissen Gerhard Schröder gegenübersitzt, ist er heute der
mächtigste Manager Russlands. Setschin, wie so viele in Putins
Dunstkreis in Leningrad (heute Sankt Petersburg) geboren und im KGB
sozialisiert, kontrolliert damit jene Branche, ohne die Putins Krieg
nicht zu finanzieren ist: die Energie.
An der zweiten großen Front von Putins Angriffskrieg, der Wirtschaft,
führt ein Mann das Kommando, der in Russland ob seiner mitunter
grimmigen Miene "Darth Vader" genannt wird. Viel zu lachen hatte er
zuletzt tatsächlich nicht.
Nota. - Kreml-Astrologie ist, wie Sie wissen, eine parapsychologische Disziplin. Auf Exaktheit und jederzeitige Überprüfbarkeit erhebt sie keinen Anspruch.
JE