Montag, 28. März 2022

Vorhersehung.


Scholz macht immer alles richtig, weil er immer alles vorhergesehen hat. Ich bin ein von Natur bescheidener Mensch und kann da nicht mithalten.

Eins habe ich allerdings wohl vorhergesagt - dass die CDU, wenn sie es nicht fertigbringt, einen konstruktiven Beitrag zur Ausbildung einer offensiven Mitte in Deutschland zu leisten, sich auf den Weg in die Bedeutungslosigkeit begibt. Das Saarland macht da weiter, wo die Bundestagswahl geendet hat.

Wenn Scholz auch das vorausgesehen hat, lag er nicht falsch. Das tut er aber, wenn er glaubt, der Wiederaufstieg der Sozialdemokratie hält an. Sie sind ja keine Alternative, sondern für den Wähler nur die Nächstbesten; doch das wird nicht lange so bleiben - das sage ich nicht voraus, aber es schwant mir.

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Sonntag, 20. März 2022

Putins Vordenker: Iwan Iljin.

 

aus welt.de, 17. 12. 2014

Putin übernimmt Ängste seines Lieblingsphilosophen
Lieblingslektüre des Präsidenten: Wer Russlands neuen Nationalismus verstehen will, muss den 1954 gestorbenen konservativen Philosophen Iwan Iljin lesen. Der Denker schürt die Furcht vor der Freiheit.

In seiner letzten Rede an die Nation zitierte der russische Präsident Wladimir Putin den Philosophen Iwan Iljin: „Wer Russland liebt, muss ihm Freiheit wünschen, vor allem Freiheit für Russland selbst, seine internationale Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Putin in seinen Reden diesen konservativen Denker erwähnt, der nach der Oktoberrevolution aus Russland auswanderte und in der Emigration starb. 2005 wurden seine Überreste nach Russland gebracht. Vier Jahre später ließ Putin auf eigene Kosten einen neuen Grabstein für Iljin errichten. 2006 wurde das Archiv des Philosophen aus Amerika zurückgebracht.

Iwan Iljin ist inzwischen zum russischen Philosophen der Stunde geworden. Wladislaw Surkow, die graue Eminenz des Kremls, der in den 2000er-Jahren besonders einflussreich war und die Fäden der russischen Politik hinter den Kulissen gezogen hat, schätzt Iljin sehr. Seine Bücher werden in der Präsidialverwaltung gerne gelesen. Vor einem Jahr schenkte die Kreml-Administration Gouverneuren und Mitgliedern der Regierungspartei Einiges Russland Bücher zur empfohlenen Lektüre, darunter „Unsere Aufgaben“ von Iwan Iljin.

 

 

Der 1883 geborene Philosoph war Anhänger der Monarchie und Gegner der Revolution. 1922 wurde er aus der Sowjetunion ausgewiesen. Er zog nach Deutschland und wurde zum Ideologen der antikommunistischen Bewegung. 1938 musste Iljin in die Schweiz auswandern, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Die Aufteiler Russlands werden ihr absurdes Experiment durchzusetzen versuchen, sie werden es betrügerisch als den Triumph der ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘ und ‚Föderalismus‘ darstellen.
Iwan Iljin

Auch wenn Putin in der Rede Iljins Aussage über Freiheit erwähnte, um damit womöglich das liberale Lager in Russland zu beruhigen, ist der Philosoph bei Weitem nicht liberal. Das Zitat stammt aus seinem Manifest „Russland braucht Freiheit“ von 1949. Der Streit zwischen Liberalen und ihren Gegnern vor der Oktoberrevolution hat nach Iljin mit der Entstehung der Sowjetunion seinen Sinn verloren. „Liberale haben nicht vorhergesehen, dass die äußerste oder zum falschen Zeitpunkt zugelassene Freiheit zu Zügellosigkeit und Versklavung führt“, schrieb er. Die Gegner des Liberalismus hätten Recht gehabt. Nach Iljin haben im zaristischen Russland ausgerechnet Forderungen nach mehr persönlicher Freiheit zur Revolution und zur kommunistischen Diktatur geführt. Das kommt Putins Angst vor zu viel Freiheit entgegen, die angeblich ins Chaos mündet.

„Absurdes Experiment im postbolschewistischen Chaos“

Interessant ist auch eine andere Arbeit Iljins: „Was bringt der Welt die Aufteilung Russlands?“ von 1950. „Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass die Aufteiler Russlands auch im postbolschewistischen Chaos versuchen werden, ihr absurdes Experiment durchzusetzen, sie werden es betrügerisch als den Triumph der ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘ und ‚Föderalismus‘ darstellen.“ Iljin ist der Meinung, dass ausländische Staaten an einem schwachen Russland interessiert seien und deshalb seinen Zerfall vorbereiteten. Die westlichen Völker verstünden russische Eigenheiten nicht; sie wollten den „russischen Besen“ in einzelne Ruten aufteilen, sie zerbrechen, um damit „das erloschene Feuer ihrer Zivilisation“ anzuheizen.

Unter Russland versteht Iljin das Russische Imperium, und die Unabhängigkeit der ehemaligen Provinzen, etwa der Ukraine, wäre für ihn der Anfang der Aufteilung. Er spielt das Szenario der „unabhängigen Ukraine“ durch, bei dem sie in den deutschen Einflussbereich fallen würde. Insgesamt werde der Zerfall Russlands zu einem Weltkrieg führen, bei dem unterschiedliche europäische und asiatische Staaten um Einfluss auf die neuen Gebieten kämpfen würden.

„Russland wird so zum gigantischen Balkan“, schreibt Iljin. Wenn dieser Prozess begänne, gebe es nur zwei Möglichkeiten. „Entweder wird in Russland eine nationale Diktatur entstehen, die die Zügel fest in die Hand nimmt, Russland eint und alle separatistischen Bewegungen im Land unterbindet, oder eine solche Diktatur wird nicht entstehen, dann aber beginnt im Land ein unvorstellbares Chaos.“ Die Idee von Russlands Feinden, die das Land aufteilen wollen, ist auch im heutigen Russland populär. Ebenfalls in seiner letzten Rede an die Nation warf Putin „dem Ausland“ vor, in den Neunzigerjahren den tschetschenischen Separatismus unterstützt zu haben. „Man hätte uns gerne in das jugoslawische Szenario von Zerfall und Aufteilung geschickt“, erklärte der russische Präsident.

Allerdings ist Iljin wegen seiner Einstellung zum Nationalsozialismus umstritten. Wie andere russische Antikommunisten auch hat er anfangs Hitler begrüßt. 1933 veröffentlichte er den Artikel „Nationalsozialismus. Der neue Geist“, in dem er die „Bewegung“ verteidigte. „Was hat Hitler getan? Er hat den Prozess der Verbreitung des Bolschewismus in Deutschland gestoppt und damit ganz Europa einen Gefallen getan“, schrieb er. Man dürfe die Ereignisse in Deutschland nicht aus der Sicht der Juden bewerten. Der Geist des Nationalsozialismus stelle Deutschland vor schöpferische Aufgaben. Allerdings musste Iljin 1938 Deutschland verlassen, weil er in der NS-Diktatur nicht mehr leben konnte. Später korrigierte er seine Ansichten, doch ließ er von der Sympathie für nationalsozialistische Ziele nicht ganz ab.

„Wahrer Nationalismus ist ein geistiges Feuer“
Man hätte uns gerne in das jugoslawische Szenario von Zerfall und Aufteilung geschickt.
Wladimir Putin

1948 schrieb er den Text „Über Faschismus“, in dem er „Fehler“ des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus analysierte. Als Reaktion auf den Bolschewismus habe der Faschismus recht gehabt: „Der Faschismus hatte recht, weil er vom gesunden national-patriotischen Gefühl ausging.“ Allerdings seien den Faschisten Fehler unterlaufen: feindliche Einstellung zur Religion, Diktatur, militärischer Chauvinismus, Monopol einer Partei. Am Ende äußerte Iljin die Hoffnung, dass russische Patrioten die Fehler des Nationalsozialismus nicht wiederholen werden.

Mit dem russischen Nationalismus hat sich Iljin ausführlich beschäftigt. „Wahrer Nationalismus“ sei ein „geistiges Feuer, das Menschen zum aufopfernden Dienst und das Volk zum geistigen Aufschwung“ bringt. In Russland sei der christlich-orthodoxe Glauben zentral. Russland habe die große Aufgabe, eine nationale Idee zu formulieren, die das Land in die Zukunft führt und ihre Völker vereint. Im heutigen Russland scheint diese Aufgabe noch nicht gelöst. Kirche und Tradition werden allerdings immer stärker betont. Auch über die geistige Einheit spricht der russische Präsident häufig. Sie soll Russland von den Gefahren schützen, die ihm angeblich aus dem Ausland drohen.

Freitag, 18. März 2022

Das war 'ne heiße Märzenzeit.


aus welt.de, 18. 3. 2022                                      Berlin Alxanderplatz, 18. März 1848

Märzrevolution 1848
Die Gardetruppen „machten alles nieder, was sich uns widersetzte“
Um den liberalen Forderungen entgegenzukommen, erließ Friedrich Wilhelm IV. von Preußen am 18. März 1848 zwei Reformpatente. Als die Demonstrationen weitergingen, schickte General Prittwitz seine Reiter vor. Bald brannten die Barrikaden.
Barrikade Neue Koenigstrasse 1848/Lexander Revolution 1848/49: Strassenkaempfe in Berlin am 18./19. Maerz 1848. - "Barricade an der neuen Koenigs- u. Landsberger Strasse in der Nacht vom 18-19. Maerz 1848." - Kreidelithographie, koloriert, zeit- genoessisch, von Lexander. Berlin, Stadtgeschichtl. Dokumentation.Gardesoldaten im Straßenkampf in Berlin

Bereits in den Tagen zuvor waren Demonstranten durch Berlin gezogen. Militär hatte sie zwar zerstreut, was aber wenig zur Deeskalation beigetragen hatte. Im Gegenteil: Auf beiden Seiten wuchs die Wut auf die andere. Den Rest besorgten die Nachrichten aus anderen Staaten. Das Fanal hatte am 24. Februar der Sturz des Bürgerkönigs Louis-Philippe in Frankreich gegeben. In den folgenden Tagen war in Baden, Bayern und Württemberg die Revolution ausgebrochen. Am 13. März erreichte sie Wien, wo mit Staatskanzler Metternich die Symbolfigur der Reaktion entlassen wurde.

Das ungewöhnlich milde Wetter tat ein Übriges, dass seit dem 9. März die Zelte, eine Ansammlung von Ausflugslokalen im Berliner Tiergarten, zum Zentrum einer Öffentlichkeit wurden, die es so über Jahrzehnte hinweg in Preußen nicht gegeben hatte. Hitzig wurde über Reformen diskutiert und die Wege, sie dem absolutistischen Regime König Friedrich Wilhelms IV. abzuringen.

Aber es ging nicht nur um eine Verfassung, die Abschaffung der Zensur und die Errichtung eines Nationalstaats. Die Mehrzahl der Zuhörer, die am 12. März in den Zelten zusammenströmten, waren Arbeiter und Handwerksgesellen, denen es vor allem um eine Verbesserung ihrer prekären Lebensbedingungen ging. Daraufhin ließ der Polizeipräsident Gardetruppen in die Stadt holen.

Deren Kommandeur war General Karl von Prittwitz (1790 bis 1871). Der Spross eines verzweigten schlesischen Adelsgeschlechts hatte in der Armee eine steile Karriere gemacht. Bereits mit 25 Jahren war er Major, mit 46 Jahren Gardegeneral. Eine Zeitlang hatte er als Adjutant von Wilhelm gedient, dem Bruder des Königs, der wegen der Kinderlosigkeit Friedrich Wilhelms als designierter Thronfolger den Titel Prinz von Preußen trug und dessen konservative bis reaktionäre Überzeugungen Prittwitz teilte.

Karl von Prittwitz, preuß. General Karl Ludwig Wilhelm von Prittwitz (1790 bis 1871), General der Garde

Allerdings führte das Kommando über die Gardetruppen in Berlin nicht Prittwitz, sondern der Stadtgouverneur Ernst von Pfuel, der auf Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten setzte. Das reichte jedoch kaum aus, um die Wogen zu glätten. Obwohl die – zumeist wehrpflichtigen – Soldaten aus den gleichen Schichten rekrutiert waren, denen sie sich jetzt gegenüber sahen, kam es nicht zu Solidaritätsbekundungen. Sie wurden vielmehr beschimpft und mit Steinen beworfen. Die Protestierer, von denen viele die Hornsignale und Bewegungen der Truppen aus eigener Erfahrung kannten, entwickelten vielmehr die Taktik, die Soldaten ins Leere laufen zu lassen, um sich anschließend wieder zur formieren.

Friedrich Wilhelm IV., den zwar Intelligenz und Verständnis, aber zugleich auch Entschlussschwäche auszeichneten, sah sich im Kreuzfeuer widerstreitender Ratschläge. Sein Bruder Wilhelm plädierte für ein hartes Vorgehen (was ihm den Ruf des „Kartätschenprinzen“ eintrug), während die zivilen Minister für politische Konzessionen eintraten. Der König neigte ihnen zu und bereitete für den 18. März entsprechende Patente vor, die den Stadtverordneten umgehend bekannt gegeben wurden.

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The Alexander Square barricade, Berlin, 18 March 1848. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Revolution 1848
 
Um die geplante Großdemonstration zu stoppen, kamen die Nachrichten allerdings zu spät. Am Mittag des 18. hatte sich eine große Menge vor dem königlichen Stadtschloss versammelt, Bürger wie auch zahlreiche Bewohner der Elendsquartiere. Als sich der Inhalt der Patente verbreitete, brandeten Jubelrufe auf. Daraufhin erschienen König und Regierung auf einem Schlossbalkon und erklärten, dass „Pressfreiheit herrsche“, eine „Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage“ erlassen werden solle und „Preußen sich an die Spitze der (National-)Bewegung stelle“.

Allerdings ging die Rede im allgemeinen Lärm unter. Stattdessen wurden weitere Slogans laut. Einer davon war „Militär zurück“, was sich nicht nur auf die anwesenden Soldaten, sondern auch auf die grundsätzliche Forderung bezog, die Stadt nicht mehr durch die Ordnungskräfte des Königs, sondern durch eine „bürgerlich-zivile“ Polizeitruppe zu sichern. Die wenigen Gendarmen, die es in Berlin gab, waren dazu außer Stande.

Angriff vor Berliner Schloss 1848 / Mesm. Revolution 1848/49: Strassenkaempfe in Berlin am 18./19. Maerz 1848. - Angriff der Kavallerie auf das vor dem koeniglichen Schloss in Berlin versammelte Volk am 18. Maerz. - Aquarell, bez.: "F.Mesmer, 1848". Berlin, Stadtarchiv."Den Schlossplatz säubern": Die Garde ging zum Angriff über

Nun kippte die Stimmung. Daraufhin gab Friedrich Wilhelm den Befehl, „den Schlossplatz zu säubern und dem dort herrschenden Skandal endlich ein Ende zu machen“. Da, wie es hieß, Gouverneur Pfuel nicht auffindbar war, wurde der als Hardliner bekannte Prittwitz mit der Ausführung betraut. Allerdings mit der Maßgabe, nur im Schritttempo und mit Säbeln in den Scheiden vorzurücken. Gegen die dichte Menge kamen seine Leute jedoch kaum an.

Offenbar, um in dem Lärm ein Kommando zu geben, zog Prittwitz seinen Säbel. „Mit blanker Waffe also, nicht mit eingesteckter, wie der König später, falsch berichtet, behauptete, trabten die Reiter auf die Menge los, in die Menge hinein“, hat der Historiker Veit Valentin in seinem monumentalen Werk über die Revolution die Szene rekonstruiert.
Revolution 1848 in Berlin / Kreidelitho Revolution 1848/49: Strassenkaempfe in Berlin am 18./19. Maerz 1848. - "Erinnerung an den Befreiungskampf in der verhaengnisvollen Nacht vom 18- 19 Maerz 1848". - (Barrikade in der Breiten Strasse). Kreidelithographie, koloriert, zeit- genoessisch. Berlin, Stadtgeschichtl. Dokumentation.Barrikadenkampf in Berlin am 18./19. März 1848

Ungefähr zur gleichen Zeit fielen aus einer Gruppe Infanteristen zwei Schüsse. Wahrscheinlich waren es Zufälle und keine Reaktionen auf Befehle. Aber die Gegenseite sah es so und empfand das Vorgehen als Verrat, zumal sich die Soldaten nicht zurückzogen. Der Versuch eines Ministers, das „Missverständnis“ aufzuklären, ging im allgemeinen Chaos unter. Der Kampf begann.

Nach Pariser Vorbildern wurden Barrikaden errichtet. Während die Truppen Artillerie in Stellung brachten, schlugen die Aufständischen Verbindungswege durch die Häuserwände und besetzten die Dächer. Frauen und auch Kinder sorgten für Nachschub und brachten den Kämpfern Essen und Trinken, während die Soldaten nach Prittwitz’ Angaben in den „letzten 36 bis 48 Stunden nur Brot und Branntwein erhalten“ hatten. Die jungen Mannschaften – „ein körperlich gutes, aber geistig und militärisch unreifes Material“ (Valentin), das zumeist nicht aus Berlin stammte – feuerten voller Wut auf die Stellungen, aus denen sie beworfen oder beschossen wurden.

8-1848-3-18-A1-22 (129810) 'Am Morgen nach dem Kampf' Revolution 1848/49: Straßenkämpfe in Berlin am 18./19. März 1848. - 'Am Morgen nach dem Kampf'. - (Barrikade in der Breiten Straße). Holzstich, 1894, nach Zeichnung von Ferdinand Leeke (1859-1923). Aus: Der Wahre Jacob, Nr.200, Stuttgart (J.H.W.Dietz) 1894, Beilage, S.1667/68."Am Morgen nach dem Kampf" (Barrikade in der Breiten Straße)

„Wir machten alles nieder, was sich uns widersetzte“, berichtete ein Gefreiter, aber das war nur die halbe Wahrheit. Zwar waren die Zivilisten in der Überzahl, aber die rund 14.000 Gardesoldaten waren ordentlich ausgerüstet und bewaffnet. Doch ihr Vormarsch stockte vor den vielen Barrikaden, die mit großer Leidenschaft verteidigt wurden. Mehr als 300 Zivilisten und 100 Soldaten verloren ihr Leben.

Gegen Mitternacht musste Prittwitz seinem König zähneknirschend gestehen, dass an ein weiteres Vorrücken nicht zu denken sei. Stattdessen schlug er vor, die Stadt zur räumen und dann von außen mit Artillerie sturmreif zu schießen. Das war die Linie, die Prinz Wilhelm bereits zuvor vertreten hatte.

Berlin, Aufbahrung Maerzgefallene /Menzel Revolution 1848/49. Berlin, 22. Maerz 1848: Bestattung der Maerzgefallenen im Friedrichshain. - "Aufbahrung der Maerzgefallenen". - (Trauerfeier auf dem Gendarmenmarkt). Gemaelde, 1848, von Adolph Menzel (1815- 1905). Oel auf Leinwand, 45 x 63 cm. Hamburg, Kunsthalle. Aufbahrung der Märzgefallenen auf dem Gendarmenmarkt – unvollendetes Gemälde von Adolph von Menzel (1815 bis 1905)

Friedrich Wilhelm aber entschied sich gegen weiteres Blutvergießen und verfasste seinen berühmten Aufruf „An meine lieben Berliner“, der am Morgen des 19. verteilt wurde. Darin gab er sein „königliches Wort, dass alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen“. Prinz Wilhelm musste die Stadt verlassen und brachte sich wie Metternich in England in Sicherheit. Wenige Tage später wurde ein liberales Märzministerium berufen, das das Reformprogramm in die Tat umsetzen sollte.

Aber zugleich formierte sich die konservative Opposition. Prittwitz wusste geschickt zwischen ihr und den Reformern zu lavieren und erhielt 1849 sogar den Oberbefehl über das Bundesheer im Schleswig-Holsteinischen Krieg. Bereits im April 1848 hatte ihm Prinz Wilhelm von London aus für seine Haltung gratuliert: „Sie haben den Ruhm, nicht allein die Ehre und den Ruhm des Garde-Corps, sondern der Armee aus der Catastrophe, die uns betroffen hat, unbefleckt gerettet ... Das wird Ihnen die Geschichte, wenigstens die der Preußischen Armee, für ewige Zeiten aufzeichnen.“

 

Trotz alledem

von Ferdinand Freiligrath, Düsseldorf, Anfang Juni 1848
F. gehörte zur Redaktion der von Karl Marx geleiteten
Neuen Rheinischen Zeitung in Köln und war Mitglied im Bund der Kommunisten. Das Gedicht erschien in der letzten Ausgabe der NRhZ vom 19. Juni 1848

Das war 'ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
Nun ist es kalt, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem -
Trotz Wien, Berlin und alledem -
Ein schnöder scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem!

2. Das ist der Wind der Reaktion
Mit Meltau, Reif und alledem!
Das ist die Bourgeoisie am Thron -
Der annoch steht, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Blutschuld, Trug und alledem -
Er steht noch und er hudelt uns
Wie früher fast, trotz alledem!

3. Die Waffen, die der Sieg uns gab,
Der Sieg des Rechts trotz alledem,
Die nimmt man sacht uns wieder ab,
Samt Kraut und Lot und alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Parlament und alledem -
Wir werden unsre Büchsen los,
Soldatenwild trotz alledem!

4. Doch sind wir frisch und wohlgemut,
Und zagen nicht trotz alledem!
In tiefer Brust des Zornes Glut,
Die hält uns warm trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es gilt uns gleich trotz alledem!
Wir schütteln uns: Ein garst'ger Wind,
Doch weiter nichts trotz alledem!

5. Denn ob der Reichstag sich blamiert
Professorhaft, trotz alledem!
Und ob der Teufel reagiert
Mit Huf und Horn und alledem -
Trotz alledem und alledem,
Trotz Dummheit, List und alledem,
Wir wissen doch: die Menschlichkeit
Behält den Sieg trotz alledem!

6. So füllt denn nur der Mörser Schlund
Mit Eisen, Blei und alledem:
Wir halten aus auf unserm Grund,
Wir wanken nicht trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
Und macht ihr's gar, trotz alledem,
Wie zu Neapel jener Schuft:
Das hilft erst recht, trotz alledem!

7. Nur, was zerfällt, vertratet ihr!
Seid Kasten nur, trotz alledem!
Wir sind das Volk, die Menschheit wir,
Sind ewig drum, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem:
So kommt denn an, trotz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht -
Unser die Welt trotz alledem!

 

Der März war der Beginn und auch schon der Höhepunkt der deutchen Revolution von 1848. Danach gings nur noch bergab. Besonders jämmerlich war das Frankfurter Professorenparla-ment in der Paulskirche. Der einzige Abgeordnete, der in einer Nachwahl 1849 unter dem Parteietikett Demokrat je dort hineingewählt wurde, war Wilhelm Wolff aus Breslau - ebenfalls ein Mitglied im Bund der Kommunisten, dem Karl Marx den 1. Band des Kapitals gewidmet hat. 

Es wird in den kommenden Tagen allerlei über diese tiefe Blamage der Deutschen geskribbelt werden. Obiges dürften Sie kaum irgendwo finden.
JE

Montag, 14. März 2022

Putins innerer Zirkel.


aus derStandard.at, 12. März 2022                                                     Beachten Sie den Hl. Georg über seinem Haupt!
 
Putins treue Einflüsterer
Nur eine Handvoll alter KGB-Genossen soll beim Kriegsherrn im Kreml, Wladimir Putin, noch Gehör finden. DER STANDARD hat sie unter die Lupe genomme


von Florian Niederndorfer

Als Nikolaus II., Russlands letzter Zar, in den Wirren des Ersten Weltkrieges nicht mehr weiterwusste, rief er nicht etwa seine Generäle, die Großfürsten seines Reichs oder andere Honoratioren an seinen Hof, um sie um Rat zu bitten, sondern einen obskuren Wanderprediger und Geistheiler. Sein Name: Rasputin.
 
Zum Missfallen der damaligen Elite war er es, auf den der Monarch zu hören schien, obwohl – oder gerade weil – er zu Beginn des Krieges gänzlich anders entschied, als es ihm Rasputin dem Vernehmen nach geraten hatte: Nikolaus zog in den Krieg, obwohl sein Land nicht darauf vorbereitet war.
 
Mehr als ein Jahrhundert später teilt Russlands heutiger Kriegsherr Wladimir Putin seine Gedanken ebenfalls höchstens mit einer handverlesenen Clique – durch die Bank Männer, alle um die 70, meist gestählt im Sowjetgeheimdienst KGB und zufällig mehrheitlich aus jener Stadt gebürtig, in der einst Rasputin wirkte: Sankt Petersburg, das frühere Leningrad.

Während im Westen bekannte Spitzenpolitiker wie Außenminister Sergej Lawrow, Ministerpräsident Michail Mischustin oder Ex-Präsident Dmitri Medwedew zwar nach außen hin Putins Sicht auf die Welt wiedergeben (Nazis in der Ukraine, Atomwaffen als Drohung gegen den Westen), sind es vor allem die alten Kameraden aus Geheimdienstzeiten, denen Putin Gehör schenkt. Ihr wichtigstes Ass im Ärmel: unbedingte Loyalität.

Wie rasch es nämlich gehen kann, beim Kremlherrn in Ungnade zu fallen, musste jüngst Sergej Naryschkin am eigenen Leib erfahren. Bei der im Fernsehen übertragenen Sitzung des russischen Sicherheitsrats im Prolog des Angriffs auf die Ukraine wand sich der Chef des Auslandsgeheimdienstes SVR so nervös in Putins Mangel, dass er zitterte und zu stottern begann, als ihn der Präsident um seine Meinung zur Lage in der Ostukraine fragte. Zur innersten Riege rund um Putin gehört der solcherart blamierte Chefspion heute nicht mehr.

Kein Aufstand in Sicht

Die im Westen dieser Tage immer wieder geäußerte Hoffnung, eine Palastrevolte könnte das System Putin und damit dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden, teilt Russland-Kenner Gerhard Mangott nicht. "Diese Leute wissen, dass sie auch fallen, sobald Putin fällt." Als Einflüsterer hätten sie selbst viel zu viel zu verlieren, als dass sie sich gegen ihren Präsidenten auflehnten.

Auch deshalb, weil sich die durchwegs geschichtsbeflissene Altherrenriege wohl auch des Schicksals ihres Vorgängers Rasputin bewusst sein dürfte. "Solange ich lebe, wird auch die Dynastie leben", hatte der Chefberater des Zaren einst prophezeit. Er sollte recht behalten. Als Russland 1916 tiefer und tiefer im Kriegschaos zu versinken drohte, war erst Rasputin ermordet worden, bevor wenige Monate später die Revolution auch die Zarenherrschaft hinwegfegte. Ein Szenario, das Putins Clique mit allen Mitteln wird verhindern wollen.

Nikolaj Patruschew: Der Mann fürs Grobe

Als Sekretär des Sicherheitsrats gilt Nikolaj Patruschew als graue Eminenz unter den "Silowiki", wie der allmächtige Sicherheits- und Geheimdienstapparat im postsowjetischen Russland genannt wird. Keinem anderen sagen Fachleute einen so engen Draht zu Putin nach, niemand sonst soll so großen Einfluss auf dessen Denken und Tun haben wie der 70-Jährige.

1975 kreuzten sich die Wege der beiden damals jungen Männer zum ersten Mal: beim KGB, dem sowjetischen Geheimdienst. Seite an Seite traten sie von dort aus ihren Marsch durch die Institutionen an. Gemeinsam drückten sie auch die Schulbank in der KGB-Hochschule Feliks Dzierżyński – benannt nach dem Gründer der Geheimpolizei Tscheka, die im Auftrag Lenins die echten und vermeintlichen Gegner der Revolution verfolgte.

1999 löste Patruschew seinen einstigen Klassenkameraden an der Spitze des KGB-Nachfolgers FSB ab und blieb dort bis 2008. Die britischen Behörden gehen davon aus, dass Patruschew die Vergiftung des FSB-Überläufers Alexander Litwinenko in London 2006 ebenso wie Putin selbst gebilligt hat.

Ideologisch fühlt sich Patruschew weniger der Sowjetunion verpflichtet als dem Zarenreich. In seinem Hass auf den Westen, den er als zutiefst dekadent verachtet, dürfte Patruschew seinen Chef sogar noch übertreffen. Die Ukrainer, die er im vergangenen Herbst als "Nichtmenschen" abwertete, wiegte er am 30. Jänner noch in Sicherheit: "Wir wollen keinen Krieg, wir brauchen ihn nicht." Etwas mehr als drei Wochen später wollte er ihn doch.

Sergej Schoigu: Der "General" muss jetzt liefern

Als Wladimir Putin vor einigen Jahren jene berühmten Bilder inszenierte, die ihn mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitend in den sibirischen Weiten zeigten, war ein Mann nicht weit, der wie kein anderer fast seit Beginn an die Geschicke des postsowjetischen Russland mitprägt. Sergej Schoigu, seit 1994 erst als Zivilschutz- und seit zehn Jahren als Verteidigungsminister in Diensten Boris Jelzins und Wladimir Putins, hatte den um sein viriles Image besorgten Präsidenten auf dessen Fototrip in seine Heimat Tuwa an der Grenze zur Mongolei begleitet.

Und auch sonst ist der zwar wenig eloquente, dafür aber durchaus populäre 66-Jährige – lange galt er trotz seiner indigenen Abstammung als möglicher Nachfolger Putins – stets bedacht, seinem Präsidenten treu zu dienen. Anders als die meisten anderen Kader im engsten Kreis rund um Putin verfügt Schoigu weder über KGB-Erfahrung, noch hat er sich als Soldat Meriten erworben.

Dass Schoigu in den vergangenen zehn Jahren mit ganzer Kraft die Modernisierung der Streitkräfte vorantrieb, gilt als wichtigster Grund für seinen engen Draht zu Putin. Als Chef des Militärnachrichtendienstes GRU zeichnet Schoigu den britischen Behörden zufolge für Mordanschläge im Ausland wie auch im Inland verantwortlich: Die Vergiftung des Putin-Gegners Alexej Nawalny 2020 soll ebenso auf sein Konto gehen wie der Giftanschlag in Salisbury 2018. Im Ukraine-Krieg muss der "Diener des Zaren und Vater der Soldaten", wie Schoigu in russischen Medien bisweilen genannt wird, jetzt aber liefern.

Alexander Bortnikow: Der Agent mit einer Schwäche für Stalin

Welche Informationen über den Fortgang der "Spezialoperation" in der Ukraine auch immer Putin zu Ohren kommen – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie vorher über Alexander Bortnikows Schreibtisch gewandert sind. Seit Jahren munkeln Kreml-Kenner, dass der Präsident so gut wie ausschließlich den Dossiers Glauben schenkt, die ihm sein Adlatus vorlegt.

Als Direktor des Inlandsgeheimdienstes ist der 70-Jährige Putins Nachnachfolger in der Lubjanka, dem Moskauer FSB-Hauptquartier. So wie Putin selbst hat sich auch Bortnikow im Leningrad der Siebzigerjahre seine ersten Sporen beim KGB verdient. Seit damals verliefen die Karrieren der beiden Männer weitgehend parallel – freilich auf unterschiedlichen Ebenen. Kurzzeitpräsident Dmitri Medwedew war es, der den Wirtschaftsspezialisten Bortnikow 2008 in den Chefsessel beim FSB hievte.

Was die Unterdrückung von Widerspruch betrifft, nimmt sich der studierte Eisenbahningenieur kein Blatt vor den Mund: 2017 preiste er öffentlich die mörderischen Säuberungen unter Stalin.

Viel spricht dafür, dass der FSB-Chef zu den wenigen Menschen gehört, mit denen der Angriff auf die Ukraine vorab abgesprochen war. Nur Stunden vor dem ersten Schuss war es Bortnikow, der Putin öffentlich auf die "verschlechterte Sicherheitslage" hinwies. Die Gerüchte, wonach FSB-Agenten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor Attentatsplänen gewarnt haben sollen, dürften ihn nun aber unter Druck setzen.

Juri Kowaltschuk: Putins Lebensmensch und Bankomat

In den endlosen Monaten des Corona-Sommers 2020, den Putin streng isoliert in seiner Datscha am Waldaisee – auf halbem Wege zwischen Moskau und Sankt Petersburg – zubrachte, wurde es einsam um Russlands Präsidenten. Seine Gedanken, so erzählen es Kreml-Insider, sollen in dieser Zeit weniger um die Gegenwart gekreist sein, um die Pandemie etwa, die Wirtschaftslage oder die Wahl in den USA, als vielmehr um die Vergangenheit: Wie könnte es gelingen, Russland wieder groß zu machen?

Als mehr oder weniger einzige ständige Kontaktperson an seiner Seite soll Putin just jenen Mann auserkoren haben, der dazu selbst einiges zu sagen hat: Juri Kowaltschuk, ein promovierter Physiker und so etwas wie Putins Chefideologe und Geldbeschaffer in Personalunion. Wie der Präsident glaubt auch der 70-Jährige fest an jenes Amalgam aus orthodoxer Spiritualität und antiwestlicher Verschwörungstheorie, das heute als Triebfeder des Ukraine-Krieges dient.

Ihren Ausgang nahm die Männerfreundschaft 1990, als Putin gerade im (damals noch sogenannten) Leningrader Rathaus angeheuert hatte und Kowaltschuk in einem renommierten Labor arbeitete.

Dreißig Jahre später ist der passionierte Sammler von Weingütern Vorsitzender des Aktionärsbeirats der Bank Rossija, die die Geschäfte Putins und der seinen abwickelt. Über die Jahre hat er zudem ein Medienimperium mit zehn TV-Sendern, vier Nachrichtenagenturen und sozialen Netzwerken aufgebaut. Um Putin zu erreichen, ist er darauf freilich nicht angewiesen.

Igor Setschin: Der "Darth Vader" unter den Oligarchen

Vergangene Woche war es im romantischen Hafen von La Ciotat an der Côte d’Azur aus mit der wahren Liebe im Leben des Igor Setschin: Die französische Polizei beschlagnahmte die Amore Vero, eine 88 Meter lange Luxusyacht, die dem Chef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft und Putin-Intimus gehören soll.

Jetzt, da die halbe Welt über einen Importstopp für seine sonst so begehrte Ware diskutiert, gerät der 61-Jährige gleich an zwei Fronten unter Druck: einerseits wegen der Sanktionen, die ihn schon sein liebstes Spielzeug gekostet haben, andererseits wegen seines legendär engen Verhältnisses zum Kriegsherrn. Wenn Putin auf einen hört, dann auf Setschin, heißt es.

Die Frage ist, ob dieser das will. Der gelernte Militärdolmetscher hat es sich schließlich blendend gerichtet. Erst ließ er als Putins Sekretär Oligarchen wie Yukos-Chef und Regimekritiker Michail Chodorkowski verfolgen, dann brachte er deren Konzerne wieder in den Schoß des Kreml zurück. Als Vorstandsvorsitzender von Rosneft, wo er einem gewissen Gerhard Schröder gegenübersitzt, ist er heute der mächtigste Manager Russlands. Setschin, wie so viele in Putins Dunstkreis in Leningrad (heute Sankt Petersburg) geboren und im KGB sozialisiert, kontrolliert damit jene Branche, ohne die Putins Krieg nicht zu finanzieren ist: die Energie.

An der zweiten großen Front von Putins Angriffskrieg, der Wirtschaft, führt ein Mann das Kommando, der in Russland ob seiner mitunter grimmigen Miene "Darth Vader" genannt wird. Viel zu lachen hatte er zuletzt tatsächlich nicht.  


Nota. - Kreml-Astrologie ist, wie Sie wissen, eine parapsychologische Disziplin. Auf Exaktheit und jederzeitige Überprüfbarkeit erhebt sie keinen Anspruch.
JE

Samstag, 12. März 2022

Putins Metaphysik.

asianews
aus spektrum.de, 12. 3. 2022

Der Überfall Russlands auf die Ukraine folgt auch einer Ideologie
Hinter dem Überfall Russlands auf die Ukraine steckt nicht nur politisches Kalkül, sondern auch eine Ideologie. Diese kommt unter dem Deckmantel philosophischer Legitimation daher – eine Tradition, die uns in Deutschland gut bekannt ist, findet unser Kolumnist Matthias Warkus.


von Matthias Warkus


Der russische Überfall auf die Ukraine, der binnen zwei Wochen bereits zahllose Leben gefordert hat, ist die intensivste militärische Auseinandersetzung auf europäischem Boden seit Ende des Bosnienkriegs 1995, vermutlich sogar seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zum ersten Mal seit den 1980er Jahren besteht die Gefahr, dass ein lokaler Konflikt zu einem globalen mit Atomwaffen ausgetragenen Krieg eskalieren könnte.

Es ist klar, dass selbst so ein bescheidenes Unternehmen wie eine kurze, vierzehntägliche philosophische Kolumne ein so einschneidendes welthistorisches Ereignis nicht ignorieren kann. Aber ebenso unklar ist es mir, was ich »fachlich« nun dazu schreiben kann. Einen Aspekt, der zumindest im weitesten Sinne mit Philosophie zu tun hat, besitzt dieser spezifische Krieg möglicherweise: Spätestens mit Wladimir Putins Rede zur »Rechtfertigung« des Überfalls am 24. Februar 2022 ist der Weltöffentlichkeit bewusst geworden, selbst wenn sie es vielleicht zuvor nicht wahrhaben wollte, dass hinter den Handlungen der russischen Führung nicht bloß ein irgendwie rationales Kalkül steht, sondern – zumindest auch – eine bestimmte Ideologie.

Diese hat ihre Wurzeln wohl in früheren Herrschaftslegitimationen des russischen Imperiums, darunter die Vorstellung eines »Dreieinigen russischen Volkes«, die unterstellt, dass Russen, Ukrainer und Belarussen in gewisser Weise untrennbar zusammengehörten. Oder jener der »Sammlung russischer Erde«, die Russland den heiligen Auftrag zuschreibt, alle Territorien mit einer bestimmten Geschichte unter seine Herrschaft zu bringen. An diese Traditionen schlos-sen rechte politische Denker wie Iwan Iljin (1883–1954) und Alexander Dugin (*1962) an.

Russland, gedacht als mehr als der aktuelle russische Staat, nämlich als Machtsphäre unter russischer Hegemonie wie früher das Zarenreich und später der sowjetisch geführte Ostblock, wird dabei als christlicher, bodenständiger, monolithischer Gegenspieler zu einer Sphäre von Dekadenz, wimmelnder Vielfalt, liberaler Belanglosigkeit und allgemeiner Verweichlichung konzipiert. Gemeint ist damit das heutige weitgehend liberale Europa, aber natürlich genauso die USA und der ganze »Westen«. Auch antisemitische Vorstellungen von weltumspannenden Herrschaftseliten spielen eine Rolle.

>An alledem ist zuerst einmal nichts philosophisch; man erkennt Vorstellungen westlicher Rechter wieder und versteht, warum sich beispielsweise deutsche Rechtsextreme so uneins darüber sind, welche Seite sie im Ukraine-Krieg unterstützen sollen. Interessant wird es dort, wo solche politischen Ideologien für sich selbst eine philosophische Einzigartigkeit und Legitimation einfordern. Typisch dafür ist ein Ausdruck aus einer Predigt des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, zur Rechtfertigung des Kriegs: Dieser habe »keinen physischen, sondern einen metaphysischen Sinn«.

Dieser »philosophische Sound« ist uns in Deutschland gut bekannt. Es gibt eine gut 200 Jahre zurückreichende Tradition von politischen Theoretikern, die ihre Argumente dazu, warum Deutschland so besonders sei und warum es in bestimmter Weise handeln müsse, an die Philosophie anzuschließen versuchen. Selbst seriöse und renommierte akademische Philosophen haben sich dazu einspannen lassen, letztlich die allergrößten Verbrechen zu rechtfertigen oder zumindest zu verharmlosen. (Besonders unrühmlich zu nennen ist hier natürlich Martin Heidegger, der seine Rektoratsrede 1933 in SA-Uniform hielt; es ist sicher kein Zufall, dass sich der rechte russische Denker Dugin positiv auf ihn bezieht.)

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Was folgt nun aus der »Metaphysik«? Nach Kirills Predigt beispielsweise, dass die russische Armee deswegen in der Ukraine einmarschiert sei, weil der liberale Westen alle Welt dazu zwingen wolle, »Gay-Pride-Paraden« abzuhalten. Der »metaphysische Sinn« des Kriegs ist es, mit vieltausendfacher tödlicher Gewalt zu verdrängen, dass es Formen menschlichen Lebens gibt, die sich nicht einer Logik von Männlein, Weiblein, Vater-Mutter-Kind, Führung und Gefolgschaft, Volk und Heimatboden unterwerfen lassen.

Diese Art von Denken verherrlicht, konsequent zu Ende gedacht, letztlich immer das massenhafte Opfer für etwas völlig Abstraktes und Beliebiges. Ich stehe davor hilflos. Man kann als Philosoph damit eigentlich nicht inhaltlich umgehen. Die einzige Position, die ich für vertretbar halte, ist zu sagen: Das ist keine Philosophie – und wenn es doch Philosophie ist, dann will ich zumindest nichts mit ihr zu tun haben und alles gegen sie tun, was ich kann, denn sonst mache ich mich als Wissenschaftler mitschuldig.

 

 

Samstag, 5. März 2022

Das öffentliche Engagement eines Künstlers.

tagesspiegel                                                                                zu Geschmackssachen

Ein Künstler ist nicht schon bloß, weil er seinen öffentlichen Beruf in aller Öffentlich ausübt, gehalten, zu jeder öffentlichen Angelegenheit eine eigene Meinung zu haben; und schon gar nicht, sie zu jeder Zeit auf Zuruf kundzutun.

Valery Gergiev steht seit vielen Jahren in dem Ruf, ein loyaler Putin-Freund zu sein. Den wird er sich wohl durch öffentliche Stellungnahmen erworben haben. Er ist also engagiert und muss sich nicht wundern, wenn man ihn fragt, wie es in diesen Tagen damit steht; und dass man sich vorbehält, eigene Entscheidungen davon abhängig zu machen - namentlich die, ob man ihn noch öffentlich engagieren will.

Wie es mit Anna Netrebko steht, weiß ich nicht, ich verfolge keinen Promiklatsch. Im Prinzip gilt aber das gleiche: Wer sich öffentlich engagiert hat - ohne Not wohlbemerkt -, stellt seine öffentlichen Engagements zur Disposition. Wer dagegen nur durch Kunst in der Öffentlich-keit aufgefallen ist, braucht nur in künstlerischen Dingen eine eigene Meinung zu haben - und auch die nur künstlerisch und nicht auf Bestellung auch diskursiv vorzutragen. Doch dürfen darf er auch das.

 

 

Freitag, 4. März 2022

Noch so ein stabiles Genie?


Ist er krank oder nimmt er irgendein Stöffchen? 

Er sah mal besser aus. Nein, es sind keine Falten - die hat er sich wegmachen lassen. Es sind die feisten Hamsterbacken.


 

 

Vielleicht hat er sich ja gar nicht liften lassen; vielleicht ist er wirklich nur aufgedunsen.