Dienstag, 18. Dezember 2018

Das Reich von Nebra.

dpatopbilder - 11.12.2018, Sachsen-Anhalt, Halle (Saale): Nicole Nicklisch, Anthropologin, und Frank Ramsthaler, Rechtsmediziner, begutachten in einem Arbeitsraum des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Halle/Saale die sterblichen Überreste des Fürsten von Helmsdorf (Mansfeld-Südharz). Nach 3828 Jahren ist klar, der Herrscher ist in der Epoche der Himmelsscheibe von Nebra einem Attentat zum Opfer gefallen. Umfangreiche Untersuchungen, die seit 2012 laufen, belegen den ältesten nachweisbaren Fürstenmord der Weltgeschichte. Wissenschaftler konnten drei eindeutige Verletzungen an den Knochen nachweisen · vermutlich ging ein Stich mit einem Dolch in den Bauchbereich, ein weiterer traf das Schlüsselbein. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++  
aus welt.de, 17.12.2018                                                                                      Die Anthropologin Nicole Nicklisch und der Rechtsmediziner Frank Ramsthaler analysieren die sterblichen Überreste des Fürsten von Helmsdorf

Der erste Fürstenmord der Geschichte geschah in Deutschland 
Vor mehr als 100 Jahren wurde in Sachsen-Anhalt ein Hügelgrab entdeckt. Neueste Analysen zeigen, dass der Tote brutal ermordet wurde – und zur Oberschicht eines unbekannten Reiches gehörte.

Von Berthold Seewald  

Wahrscheinlich war es eine übliche Audienz am Hof des Fürsten. Eine hochstehende Persönlichkeit, die dem Herrn des Hauses nahestand und ihm daher mit Waffen gegenübertreten durfte, wurde vorgelassen. Dann ging alles sehr schnell. Der Besucher zog seinen Dolch und rammte ihn mit voller Wucht in den Bauch des Fürsten. Der Attentäter hatte sogar noch die Zeit, weitere Male zuzustoßen. So starb der Fürst oder König von Helmsdorf.

So beschreibt der Künstler und Illustrator Karol Schauer den Mordanschlag, der sich vor etwa 3850 Jahren im heutigen Sachsen-Anhalt ereignet hat. Seit Jahren setzt Schauer die Objekte des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle detailgetreu in Szene. Ausführlich haben dessen Direktor Meller, zugleich Landesarchäologe Sachsen-Anhalts, und der Wissenschaftsjournalist Kai Michel Schauers pralle Schilderung in ihrem neuen Buch „Die Himmelsscheibe von Nebra“ (Propyläen 2018, 25 Euro) zitiert – allerdings noch unter dem Vorbehalt, dass weitere Analysen erst Gewissheit bringen würden. Die reichen Meller und Michel jetzt nach. „Es war Mord“, bestätigt der Rechtsmediziner Frank Ramsthaler. „So weit wir jetzt sehen, haben wir den ältesten tatsächlich nachweisbaren Fürstenmord der Weltgeschichte entdeckt“, zieht Michel ein erstes Resümee.


  ARCHIV - 20.09.2018, Berlin: Die Himmelsscheibe von Nebra steht in einer Glasvitrine in der Ausstellung «Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland» im Martin-Gropius-Bau. (zu dpa vom 05.11.2018) Foto: Anne Pollmann/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit  
Die Himmelsscheibe von Nebra wird seit 2013 auf der Unesco-Welterbeliste geführt  

Die Geschichte ist eng verknüpft mit der berühmten Himmelsscheibe von Nebra, die erste realistische Darstellung einer konkreten Himmelskonstellation. Die Scheibe wurde 1999 von Raubgräbern entdeckt, auf dem Schwarzmarkt angeboten und von Meller 2002 in einer spektakulären Aktion gesichert. Seitdem wird sie im Museum in Halle untersucht. Dabei schält sich immer deutlicher heraus, dass die Ergebnisse der Analysen zugleich ein Schlüssel für zahlreiche andere Funde sind, die in Sachsen-Anhalt gemacht wurden und werden.


Einer davon ist der Grabhügel von Helmsdorf (Landkreis Mansfeld-Südharz). Er wurde bereits 1907 von dem Heimatforscher Hermann Größler ausgegraben. Auf einem aus Eichenholz gefertigten Totenbett kam seinerzeit ein schlecht erhaltenes Skelett ans Licht. Dass es sich offenbar um eine hochgestellte Persönlichkeit handelte, belegte der Goldschmuck, der dem Toten ins Grab mitgegeben wurde.

 
11.12.2018, Sachsen-Anhalt, Halle (Saale): Eine Anthropologin legt in einem Arbeitsraum des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Halle/Saale die sterblichen Überreste des Fürsten von Helmsdorf (Mansfeld-Südharz) aus. Nach 3828 Jahren ist klar, der Herrscher ist in der Epoche der Himmelsscheibe von Nebra einem Attentat zum Opfer gefallen. Umfangreiche Untersuchungen, die seit 2012 laufen, belegen den ältesten nachweisbaren Fürstenmord der Weltgeschichte. Wissenschaftler konnten drei eindeutige Verletzungen an den Knochen nachweisen · vermutlich ging ein Stich mit einem Dolch in den Bauchbereich, ein weiterer traf das Schlüsselbein. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Das Skelett des Herrn von Helmsdorf ist nur noch in Teilen erhalten  

Seit einigen Jahren werden die Reste dieses Skeletts noch einmal mit modernsten Methoden analysiert. „Erstmals untersuchten wir die Knochen 2012/13“, sagt die Anthropologin Nicole Nicklisch. „Damals vermuteten wir schon, dass einige Knochen Verletzungen durch scharfe Gewalt aufweisen.“ Als sie an ihrem Buch arbeiteten, regte Kai Michel an, die früheren Ergebnisse noch einmal einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Das Ergebnis ist eindeutig. „An den Knochen können eindeutig drei Verletzungen nachgewiesen werden“, sagt Frank Ramsthaler, stellvertretender Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes in Homburg. „Möglicherweise gab es noch weitere, aber diese drei waren allein schon tödlich. Bei der Tatwaffe könnte es sich um einen Dolch handeln, dessen Klinge gut 15 Zentimeter lang gewesen sein muss.“

Der Rechtsmediziner rekonstruiert den möglichen Tatablauf: Ein mit großer Entschlossenheit ausgeführter Stich ging in den Bauchbereich. Die Dolchspitze traf den elften Brustwirbel und hinterließ dort eine deutlich erkennbare Kerbe von sechs Millimeter Länge und drei Millimeter Tiefe. Um überhaupt durch den Bauch zu stoßen und dem Wirbel eine solche Scharte zuzufügen, brauchte es enorme Kraft. Das Opfer hat entweder an der Wand gestanden oder lag auf dem Boden. Sonst hätte der Täter den Dolch nicht bis in den Knochen stoßen können. Dabei wird er auch die Hauptschlagader getroffen haben.

Ein weiterer Stich traf den Fürsten von oben hinter dem Schlüsselbein und spaltete das linke Schulterblatt. Zahlreiche Blutgefäße, aber auch Teile der Lunge wird der Dolch hier verletzt haben – auch das mit Sicherheit tödlich. „Das spricht für einen erfahrenen Krieger“, schließt Meller, „noch die römischen Gladiatoren setzen dort den Todesstoß.“ Und der Täter? „Es muss eine Vertrauensperson aus dem Umfeld des Herrschers gewesen sein. Vielleicht ein Verwandter, ein Freund oder die Leibwache. Der Herrscher war arglos und wurde durch den Angriff überrascht.“

Die Herren der Himmelsscheibe von Nebra schufen das erste "Reich" in Mitteleuropa      
Die Herren der Himmelsscheibe von Nebra schufen das erste "Reich" in Mitteleuropa

Für Kai Michel ist die Entdeckung der Mordanschlag noch aus einem anderen Grund sensationell. „Schließlich handelt es sich bei dessen Knochen um die einzigen Überreste eines Menschen aus dem direkten Umfeld der Himmelsscheibe von Nebra.“ Auf die Frage, wie die Gesellschaft ihrer Schöpfer verfasst war, konnte die Wissenschaft in den vergangenen Jahren spektakuläre Antworten zusammentragen. 

Michel und Meller gehen in ihrem neuen Buch sogar so weit, den Herrn von Helmsdorf als Repräsentanten einer Oberschicht zu identifizieren, die in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. ein erstes „Reich“ in Mitteleuropa geschaffen hat. Seit der Entdeckung des monumentalen Grabmals von Bornhöck (unweit von Halle) seit 2014 wird deutlich, dass die sogenannte Aunjetitzer Kultur zwischen Magdeburger Börde und Goldener Aue offenbar eine differenzierte Gesellschaft mit kontinuierlicher Herrschaft entwickelt hat.

Dieses Reich entstand zum einen auf der Basis ertragreicher Böden, zum anderen mit den Gewinnen des Fernhandels, den eine umsichtige Oberschicht kontrollierte. Eines der Güter, die über europaweite Trassen gehandelt wurden, war Zinn für die Herstellung von Bronze. Eine der wichtigsten Fundstätten des Metalls war Cornwall im Südwesten von England. Metallurgische Untersuchungen zeigen, dass das Gold aus dem Grab von Helmsdorf, der Goldhort, der dem Tumulus von Bornhöck zugeordnet wird und das Gold, das auf der Himmelsscheibe von Nebra eingesetzt wurde, ebenfalls aus jener Gegend stammte.

 
Die Dimensionen der Grabhügel von Helmsdorf (ca. 34 Meter Durchmesser) und Bornhöck (65 Meter) lassen auf eine Gesellschaft schließen, in der zentrale Planung und Arbeitsteilung möglich war und die über Ressourcen verfügte, solche Bauwerke zu errichten. Und das über Generationen hinweg. Denn der Fürst von Helmsdorf wurde um 1830 v. Chr. bestattet. Mindestens 100 Jahre jünger ist der riesige Tumulus von Bornhöck, den sich offenbar eine Herrscherfamilie als Grablege errichten ließ.

Dieser Dynastie weisen Meller/Michel die Schöpfung der Himmelsscheibe zu. Über Generationen hinweg hatten ihre Vertreter demnach ihr Wissen um Astronomie und Kalender so weit vervollkommnet, dass sie es auf einem Kunstwerk dokumentieren konnten. Die Himmelsscheibe wurde zu einem Symbol der Herrschaft über die Zeit, wann die Äcker bestellt werden mussten und die Karawanen zu erwarten waren.

Für die Fähigkeit, eine einigermaßen stabile und kontinuierliche Herrschaft zu errichten, steht auch das Attentat auf den Fürsten von Helmsdorf. Denn der 30- bis 50-jährige Mann wurde nicht einfach verscharrt, sondern standesgemäß mit allen Ehren in dem Hügel, den er sich beizeiten errichtet hatte, begraben. Das „Reich von Nebra“, wie Meller/Michel es nennen, brach nicht auseinander, sondern blühte unter seinen Nachfolgern weiter.

Harald Meller, Kai Michel: „Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas“. (Propyläen, Berlin. 384 S., 25 Euro)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen