aus spektrum.de, 21.08.2020
Saudi-Arabien
Rätselhafte Rechtecke dienten uralten Ritualen
Archäologen haben in einer Wüste in Saudi-Arabien gigantische Steineinfassungen untersucht. Nun wissen sie mehr über das Alter und den Zweck der mysteriösen Anlagen.
von Karin Schlott
Bislang kannten Forscher die riesigen Steinstrukturen nur von Satellitenbildern. Nun haben Huw Groucutt und sein Team die rätselhaften Monumente im Nordwesten von Saudi-Arabien auch vor Ort untersucht. Die Archäologen vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschich-te in Jena und dem Saudi Ministry for Tourism konnten dabei erstmals eines der aus Steinen angelegten Rechtecke in die Zeit um 5000 v. Chr. datieren. Sie vermuten, dass es sich um Ritualorte früher Gemeinschaften von Viehhirten handelt.
Laut seiner Studie im Fachblatt »The Holocene« dokumentierte Groucutts Team insgesamt 104 solcher Rechteckanlagen in der Nefud-Wüste, indem die Forscher zunächst Satelliten-aufnahmen auswerteten. Die als Mustatils (arabisch für »Rechteck«) bekannten Steinstrukturen sind unterschiedlich groß: Die längste erstreckt sich über 600 Meter und ist rund 80 Meter breit. Die Monumente bestehen aus zwei gegenüberliegenden terrassenähnlichen Steinplatt-formen, die, verbunden durch zwei Mauern, ein langes Rechteck bilden. Die Mauern sind flach, weniger als einen halben Meter hoch. Die Erbauer legten sie aus Gestein an, das sie innerhalb des Rechtecks ausgeräumt hatten. Da die Archäologen keine Eingänge identifizieren konnten, gehen sie davon aus, dass die Anlagen keinem praktischen Zweck etwa als Viehstall oder Wasserreservoir dienten. Womöglich, so vermuten sie, ging es den Bauherren darum, eine Art Pfad zwischen den Plattformen anzulegen.
Steinzeitdekor| Die Archäologen entdeckten einen mit Rauten bemalten Stein. Der Brocken war Teil einer Mustatil-Plattform.
Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, seien die Mustatils nicht gleichmäßig über die Region verteilt, sondern stets zu mehreren an einer Stelle gruppiert worden. Warum die Erbauer diese Orte wählten, darüber können die Archäologen momentan nur spekulieren. Einige Mustatils befinden sich nahe von Felsaufschlüssen, wo sich das Gestein für Plattformen und Mauern direkt an der Oberfläche brechen ließ. Andere wiederum liegen unweit von Landschaftsbecken, wo sich während der Jungsteinzeit wahrscheinlich Seen gebildet hatten. Ein klares Verteilungsschema haben die Wissenschaftler bisher jedoch nicht erschließen können.
Überhaupt
dürften die Rechtecke zu einer Zeit entstanden sein, als sich in Nefud
statt Wüste Grasland erstreckte und reichlich Niederschläge fielen. Zwar
wissen die Forscher um Groucutt noch nicht, welche archäologische
Kultur die Mustatils errichtete, doch der Blick auf Fundorte anderswo
auf der Arabischen Halbinsel verrät, dass vermutlich Viehhirten ihre
Herden durch diese Landschaften trieben. Im Süden und Osten der
Arabischen Halbinsel etwa reichen deren früheste Zeugnisse in die Zeit
um 6800 bis 6000 v. Chr. zurück.
Dass
auch die Rechteckanlagen in jener Epoche der Jungsteinzeit entstanden
sind, bestätigt eine C-14-Datierung. An einer Struktur bargen die
Forscher ein Stück Holzkohle, das sie mit Hilfe der Radiokarbonmethode
auf ein Alter von 7000 Jahren bestimmten. Ebenso sammelten sie
Tierknochen auf, die von Wildtieren stammen, womöglich aber auch von
domestizierten Rindern.
Sehr
viel mehr Funde gaben die Mustatils bisher nicht preis, nur wenige
Steingeräte und einen bemalten Brocken, keine Keramik oder Feuerstellen.
Offenbar, so die Annahme der Forscher, waren die Anlagen nicht für eine
Nutzung über längere Zeiträume ausgelegt. Dafür spreche auch, dass
immer wieder neue Rechtecke nebeneinander errichtet worden seien. »Das
weist darauf hin, dass ein wichtiger Aspekt der Bauprozess war, weniger
die Nutzung über längere Zeiträume«, schreiben Groucutt und seine
Kollegen. Möglicherweise war es zudem bedeutsam, die Rechtecke in einer
gemeinschaftlichen Anstrengung zu erbauen. »Wir deuten die Mustatils als
Ritualstätten, an denen die Menschen zusammenkamen, um irgendwelche
bisher noch unbekannten gemeinschaftlichen Aktivitäten durchzuführen«,
fasst Groucutt die Ergebnisse zusammen. »Vielleicht waren es Orte, an
denen Tiere geopfert oder Feste begangen wurden.«
Gigantische Steinmonumente im Nahen Osten
Die Archäologen des Max-Planck-Instituts haben die Kenntnisse über die Anlagen deutlich erweitert, allerdings dürften erst weitere Untersuchungen die bisherigen Ergebnisse bestätigen. So liefert die gewonnene C-14-Datierung nur ein einziges Altersdatum für ein Mustatil von mehr als 100 dokumentierten Anlagen in dieser Region.
Auf der Arabischen Halbinsel und in der Levante haben Forscher immer wieder große, aus Steinen errichtete Strukturen entdeckt. Etwa »Wüstendrachen«, bei denen es sich um große, hufeisenförmige Gehege handelt, in die wilde Herdentiere getrieben und darin in großer Zahl erlegt wurden. Solche Massentierfallen sind auch für Saudi-Arabien bezeugt, aber bislang noch nicht sicher datiert. In Jordanien schätzen Forscher deren Alter auf bis zu 10 000 Jahre.
Nota. - Wenn sich die Wege wandernder Viehhirten in der Wüste kreuzen, mag es zu gewalt-samen Auseinandersetzungen kommen; je dürrer das Gras, umso öfter. Oder sie weichen einander aus; wenn nämlich das Futter für die Herden üppig ist. Mit der Zeit wird man sich auf feste Routen einigen und an den Kreuzungen (an den Wasserstellen) auf einander warten, um die jeweiligen Überschüsse auszutauschen. Gemeinsame Organe, aus denen politische Gebilde entstehen könnten, werden noch nicht nötig. Es reicht ein Palaver zwischen den Ältesten.
Anders wird es, wenn die Zusammenkünfte regelmäßiger werden - etwa mit den Mondphasen - und Anlass zu gemeinsamen kultischen Akten geben. Es ziemt sich, die Stätten herzurichten, sei es ad hoc, sei es auf längere Dauer. Zum Austausch kommt Kooperation. Aus Kooperation wird Planung und politische Organisation.
Die gewaltigen Kultstätten von Göbekli Tepe wurden von Nomadenstämmen errichtet und unterhalten.
JE
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